Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufrechterhaltung des Beweisantrags. Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
Leitsatz (amtlich)
Ein Beweisantrag ist nicht aufrechterhalten, wenn das Tatsachengericht nach Antragstellung (weitere) Ermittlungen durchführt, das Beweisergebnis mitteilt und sich der Beteiligte danach mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt, ohne an dem Antrag ausdrücklich festzuhalten.
Normenkette
SGG §§ 103, 124 Abs. 2, § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 160a Abs. 2
Verfahrensgang
SG Ulm (Entscheidung vom 22.08.1995; Aktenzeichen S 9 V 437/92) |
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 23.09.1996; Aktenzeichen L 11 V 2805/95) |
Gründe
Die auf eine Verletzung des § 103 Sozialgerichtsgesetz (SGG) iVm § 160 Abs 2 Nr 3 2. Halbsatz SGG gestützte Beschwerde der Klägerin ist zwar zulässig, aber nicht begründet.
Mit ihrem Rechtsmittel macht die Klägerin geltend, das Landessozialgericht (LSG) sei dem noch von ihrem zwischenzeitlich verstorbenen Ehemann - in der Berufungsschrift vom 12. Dezember 1995 - gestellten Antrag nicht gefolgt, zu dem vom Sozialgericht eingeholten Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. S ein "Obergutachten" einzuholen. Diese Verfahrensrüge führt aber nicht zur Zulassung der Revision, weil zum Zeitpunkt der vorinstanzlichen Entscheidung kein Beweisantrag (mehr) vorlag.
Nach § 160 Abs 2 Nr 3 2. Halbsatz SGG kann die Nichtzulassungsbeschwerde auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn der Verfahrensmangel sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Ob ein Beweisantrag in diesem Sinn vorliegt, beurteilt sich nach dem Sach- und Streitstand zum Ende der mündlichen Verhandlung (vgl § 202 SGG iVm § 296a Zivilprozeßordnung; Meyer-Ladewig, SGG, 5. Aufl, RdZiff 2 zu § 124 SGG). Hat eine mündliche Verhandlung nicht stattgefunden, ist der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem die Geschäftsstelle des Gerichts die angefochtene Entscheidung an die Beteiligten abgesandt hat (vgl Meyer-Ladewig, aaO, RdNr 4 am Ende).
Hat das Tatsachengericht, nachdem von einem Beteiligten ein Beweisantrag gestellt worden ist, (weitere) Ermittlungen durchgeführt und ihr Ergebnis den Parteien mitgeteilt, so hält der Beteiligte den Beweisantrag nicht mehr aufrecht, wenn er sich, ohne seinen Beweisantrag ausdrücklich zu wiederholen, mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (vgl dazu BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9). Er muß sich dann so behandeln lassen, als sei sein Beweisantrag erledigt (vgl auch BSG SozR 1500 § 160a Nr 56). So liegt der Fall hier: Veranlaßt durch den in der Berufungsschrift gestellten Antrag, einen anderen Sachverständigen als den bereits zugezogenen Prof. Dr. S mit der Erstellung eines Gutachtens zu beauftragen, hat das LSG Prof. Dr. S um ein Ergänzungsgutachten gebeten. Als der Klägerin dieses zugeleitet worden war, hat sie die gleichzeitig an sie gerichtete Anfrage, ob sie mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden sei, bejaht, ohne einzuwenden, daß sich der gestellte Beweisantrag noch nicht erledigt habe. Daraufhin hat das LSG zu Recht den ursprünglich gestellten Beweisantrag nur noch als "Beweisanregung" angesehen.
Nach dem Sinn und Zweck des § 160 Abs 2 Nr 3 2. Halbsatz SGG soll die Übergehung von Beweisanträgen die Revisionsinstanz nur dann eröffnen, wenn das Tatsachengericht vor seiner Entscheidung durch den Beweisantrag ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, daß der Beteiligte die Sachaufklärungspflicht des Gerichts (§ 103 SGG) noch nicht als erfüllt ansieht (SozR 1500 § 160 Nr 67 S 73; SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 20 ff). Der Beweisantrag hat somit eine Warnfunktion (vgl BSG aaO). Er verliert diese Bedeutung, wenn er das Gericht bereits zu Ermittlungstätigkeiten veranlaßt hat, mögen diese auch andere sein als die beantragten. Das gilt allerdings nicht, wenn der Beteiligte auf der Durchführung der von ihm beantragten Beweisaufnahme beharrt. Das ist hier indessen nicht geschehen, weil das LSG auf Grund der nach Einholung des Ergänzungsgutachtens abgegebenen Einverständniserklärung nach § 124 Abs 2 SGG davon ausgehen konnte, daß sich der vom verstorbenen Ehemann der Klägerin gestellte Beweisantrag erledigt hatte.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1174739 |
SozR 3-1500 § 160, Nr.20 |
SozSi 1998, 76 |