Leitsatz (amtlich)
Das Recht auf Akteneinsicht und der Grundsatz des rechtlichen Gehörs sind nicht verletzt, wenn der Gerichtsvorsitzende die Überlassung der Gerichtsakten in das Büro eines Rechtsanwalts ablehnt, weil die Akteneinsicht bei Gericht unter Berücksichtigung des geringen Aktenumfangs zumutbar erscheint.
Normenkette
SGG § 62 Fassung: 1953-09-03, § 120 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 128 Fassung: 1953-09-03, § 160 Fassung: 1974-09-30; GG Art. 103 Fassung: 1949-05-23; SGG § 120 Abs. 3 S. 1 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 09.03.1977; Aktenzeichen L 14 Ar 109/76) |
SG München (Entscheidung vom 28.01.1976; Aktenzeichen S 6 Ar 356/74) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 9. März 1977 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
Die zulässige Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Die vorgetragenen Gründe rechtfertigen die begehrte Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht.
Die Rechtssache hat insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG. Es ist nicht zu erwarten, daß über zweifelhafte Rechtsfragen zu entscheiden sein wird, die im Interesse der Rechtseinheit der höchstrichterlichen Klärung bedürfen. Soweit die Klägerin dem Berufungsgericht die Verletzung materiellen Rechts vorwirft, hat sie die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt. Die von ihr aufgeworfene Frage, ob die Entscheidung über die Unterhaltsverpflichtung des geschiedenen Ehemannes auch die Feststellung seines Einkommens bis zu seinem Tode voraussetzt, ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Es ist bereits hinreichend höchstrichterlich geklärt, daß es für den Unterhaltsbedarf der geschiedenen Ehefrau auf die Lebensverhältnisse der früheren Ehegatten zur Zeit der Scheidung ankommt (vgl BSG in SozR Nr 16 zu § 1265 Reichsversicherungsordnung). Danach können die Einkommensverhältnisse des geschiedenen Ehemannes in der Zeit nach der Scheidung bis zu seinem Tode nicht für den Unterhaltsbedarf der Ehefrau, sondern nur für seine Unterhaltsfähigkeit im Sinne des § 59 des Ehegesetzes von Bedeutung sein. Ist aber schon der Unterhaltsbedarf durch das eigene Einkommen der geschiedenen Ehefrau als hinreichend gedeckt anzusehen, so kommt es auf die Unterhaltsfähigkeit des geschiedenen Ehemannes nicht mehr an. Die von der Klägerin als grundsätzlich bezeichnete Rechtsfrage bedarf also keiner weiteren Klärung.
Das angefochtene Urteil beruht auch nicht auf einem Verfahrensmangel im Sinne des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Weder ist der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 des Grundgesetzes; §§ 62, 128 Abs 2 SGG) noch das Recht auf Akteneinsicht (§ 120 SGG) verletzt. Der Vorsitzende des Berufungsgerichts hat den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin Gelegenheit gegeben, die Akten beim Amtsgericht Frankfurt am Main einzusehen. Er war - entgegen der Ansicht der Klägerin - nicht verpflichtet, den Prozeßbevollmächtigten die Akten zur Einsichtnahme in ihr Büro mitzugeben. Nach § 120 SGG besteht ein Anspruch nur darauf, die Akten an Gerichtsstelle einzusehen. Weder die Beteiligten noch ihre Prozeßbevollmächtigten können die Überlassung der Akten in ihre Wohnung oder in ihr Büro verlangen (vgl BGH in NJW 1961, 559; Stein-Jonas, Komm. zur Zivilprozeßordnung - ZPO -, 19. Aufl 1972, Anm II 1 zu § 299; Wieczorek, ZPO und Nebengesetzes, 2. Aufl 1976, Randziffer B I zu § 299; Peters-Sautter-Wolff, Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl 1977, Anm I zu § 120 SGG). Es steht allerdings im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichtsvorsitzenden, einem Rechtsanwalt die Akten zur Einsichtnahme in seine Wohnung oder sein Büro mitzugeben. Ein Verfahrensmangel könnte in der Verweigerung der Aktenüberlassung nur dann liegen, wenn der Gerichtsvorsitzende sein Ermessen entweder überhaupt nicht ausgeübt (vgl BFH in NJW 1976, 1288) oder aber die Grenzen des Ermessen überschritten hätte. Dafür liegen im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte vor. Zwar ist der Vorsitzende des Berufungsgerichts in den Gründen seines Beschlusses vom 18. November 1976 zu Unrecht davon ausgegangen, daß in der Regel eine Übersendung von Akten in die Wohn- oder Geschäftsräume eines Rechtsanwalts ausgeschlossen sei. Eine solche Regel gibt es ebensowenig wie den umgekehrten Grundsatz, daß die Akten einem Rechtsanwalt in der Regel in die Wohnung oder Büroräume zu überlassen sind (so im Ergebnis Landesarbeitsgericht Hamm in NJW 1974, 1920). Vielmehr kommt es stets auf die Ermessensabwägung im Einzelfall an, wobei die Ablehnung der Aktenüberlassung schon dann gerechtfertigt ist, wenn der Vorsitzende des Gerichts dafür einen sachgerechten Grund hat. Trotz des unrichtigen Ausgangspunktes hat der Vorsitzende des Berufungsgerichts in seinem Beschluß vom 18. November 1976 die Grenzen des Ermessens nicht überschritten. Er hat unter Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalles die Überlassung der Akten in das Büro der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin abgelehnt, weil die Einsichtnahme beim Amtsgericht Frankfurt am Main unter Berücksichtigung des Umfangs der Akten und des Rechts Fotokopien durch die Geschäftsstelle fertigen zu lassen, nicht unzumutbar erschien. Diese Überlegungen lassen keinen Ermessensfehler erkennen. Die Prozeßbevollmächtigten der Klägerin hatten lediglich die Übersendung der Gerichtsakten beantragt. Diese Akten, die nur einen geringen Umfang haben, enthalten außer den Schriftsätzen der Beteiligten, die den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin ohnehin bekannt waren, nur wenige Blätter, deren Durchsicht auf ihre Erheblichkeit für den Rechtsstreit den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin auch bei der Geschäftsstelle des Amtsgerichts zumutbar war. Soweit die Klägerin sich darauf beruht, in dem Urteil des Landessozialgerichts sei ein Schreiben der Beklagten vom 9. Februar 1977 erwähnt, das ihren Prozeßbevollmächtigten nicht bekannt gewesen sei, muß darauf hingewiesen werden, daß dieses Schreiben erst nach Ablehnung der Aktenübersendung zu den Akten gelangt ist und den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin auch bei antragsgemäßer Aktenübersendung nicht bekannt geworden wäre. Es kann dahingestellt bleiben, ob das angefochtene Urteil auf dieses Schreiben gestützt wird und ob darin eine Verletzung des § 129 Abs 2 SGG liegt, denn einen solchen Verfahrensmangel hat die Klägerin mit der Beschwerde nicht geltend gemacht.
Der Senat hat die danach unbegründete Beschwerde der Klägerin zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen