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BSG Beschluss vom 28.08.1970 - 3 RK 55/67

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Leitsatz (amtlich)

Der GmS OGB muß auch dann angerufen werden, wenn die Entscheidung des anderen obersten Gerichtshofs, von der das vorlegende Gericht abweichen will, vor dem Inkrafttreten des RsprEinhG vom 1968-06-19 ergangen ist.

Die Klage einer KK auf Feststellung des Konkursvorrechts für Beitragsrückstände (RVO § 28 Abs 3 iVm KO § 61 Nr 1) gehört vor die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit (Abweichung von BGH 1958-06-24 VIII ZR 205/57 = BGHZ 34, 293; vergleiche auch BSG 1961-02-22 7 RKg 33/58= BSGE 14, 40 = SozR Nr 2 zu § 28 RVO und BSG 1966-10-28 2 RK 183/62 = BSGE 25, 235 = SozR Nr 3 zu § 28 RVO).

Normenkette

RVO § 28 Abs. 3 Fassung: 1911-07-19; KO § 61 Nr. 1 Fassung: 1953-08-06; RsprEinhG § 2 Fassung: 1968-06-19

Tenor

Das Verfahren wird ausgesetzt.

Die Sache wird dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes zur Entscheidung der Frage vorgelegt, ob der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit (§ 51 SGG) für die Feststellung des Konkursvorrechts von Rückständen im Sinne der §§ 28 Abs. 3 RVO, 61 Nr. 1 KO gegeben ist.

Gründe

I

Die klagende Krankenkasse hat von dem Kaufmann G. ... für die Zeit vom 1. Juni bis 4. Juli 1965 noch Beiträge aus einer freiwilligen Krankenversicherung in Höhe von 41,33 DM zu fordern. Nachdem über das Vermögen des Versicherten am 13. August 1965 der Konkurs eröffnet und der Beklagte als Konkursverwalter bestellt worden war, meldete die Klägerin die Beitragsrückstände als Konkursforderung an und beanspruchte dafür das Vorrecht nach § 28 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO), § 61 Nr. 1 der Konkursordnung (KO). Da der Beklagte das Vorrecht bestritt, beantragte sie dessen Feststellung beim Sozialgericht (SG) Berlin. Dieses hielt den zu ihm beschrittenen Rechtsweg für zulässig und die Klage für begründet. Das Landessozialgericht (LSG) Berlin wies die Berufung des Beklagten zurück. Mit der zugelassenen Revision rügt der Beklagte, die Vorinstanzen hätten zu Unrecht den Sozialrechtsweg für zulässig erklärt; auch erstrecke sich das Konkursvorrecht für „Rückstände“ (§ 28 Abs. 3 RVO) nicht auf Beiträge aus einer freiwilligen Krankenversicherung.

II

Der vorlegende Senat hält mit dem SG und dem LSG den von der Klägerin beschrittenen Sozialrechtsweg für zulässig, sieht sich jedoch an einer solchen Entscheidung gehindert, weil der Bundesgerichtshof in einem Urteil vom 16. Februar 1961 für die Klage einer Ortskrankenkasse auf Feststellung des Konkursvorrechts für eine Forderung auf rückständige Sozialversicherungsbeiträge die Zulässigkeit des Zivilrechtsweges bejaht hat (insoweit nicht abgedruckt in BGHZ 34, 293, jedoch in Wertpapier-Mitteilungen 1961, 430, und in „Wege zur Sozialversicherung“ 1962, 272).

Der Senat hat deshalb beschlossen, die streitige Rechtsfrage nach § 2 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968 dem Gemeinsamen Senat vorzulegen. Dessen Anrufung ist nicht deswegen entbehrlich, weil das Urteil des BGH schon vor dem Inkrafttreten des genannten Gesetzes ergangen ist. Der Zweck dieses Gesetzes, eine unterschiedliche Beurteilung derselben Rechtsfrage in den einzelnen Gerichtszweigen künftig auszuschließen (BT-Drucksache V/1450, Einleitung zur allgemeinen Begründung des Gesetzes), erfordert seine Anwendung auch in Fällen der vorliegenden Art (ebenso Bundesverwaltungsgericht, Vorlegungsbeschluss vom 13. Februar 1970, DVBl 1970, 543, 547 unter IV 1, gegen Mattern in BB 1969, 1337, 1338 f; vgl. ferner die in DRiZ 1970, 169 mitgeteilten Vorlegungsbeschlüsse, die ebenfalls Urteile betreffen, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 19. Juni 1968 ergangen sind).

In der Sache schließt sich der Senat im wesentlichen den Erwägungen an, aus denen schon andere Senate des BSG für ähnliche Streitigkeiten, in denen es um das Konkursvorrecht für Beitragsforderungen einer Familienausgleichskasse und einer Berufsgenossenschaft ging, den Rechtsweg nach § 51 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bejaht haben (BSG 14, 40 und 25, 235). Der Senat tritt insbesondere der Auffassung des 2. Senats des BSG bei, die übrigens auch vom BGH geteilt wird (BGHZ 13, 73, 77), daß das Konkursvorrecht einer Forderung ihr als eine Eigenschaft oder Kraft innewohnt und nicht als ein besonderes Recht neben ihr besteht (BSG 25, 237; näher begründet bei Jaeger/Weber, Konkursordnung, 8. Aufl., § 146 Anm. 13 und 20). Schon daraus folgt, daß Vorrechtsstreitigkeiten grundsätzlich vor dieselben Gerichte gehören wie Streitigkeiten über Grund und Höhe der Forderung.

Eine andere Lösung wäre nach Ansicht des Senats auch unvereinbar mit § 146 KO, der die Feststellung bestrittener Konkursforderungen - einschließlich der Feststellung eines bestrittenen Vorrechts - den Amts- und Landgerichten nur insoweit überträgt, als für die Forderungen nicht ein „besonderes Gericht, eine Verwaltungsbehörde oder ein Verwaltungsgericht zuständig ist“ (Abs. 5). Eine Sonderzuständigkeit, wie sie § 51 SGG für die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit begründet, schließt mithin die Generalkompetenz der ordentlichen Gerichte für das Feststellungsverfahren nach § 146 KO aus, mag der Widerspruch sich gegen den Bestand, d.h. Grund und Höhe der Forderung richten oder zugleich oder allein gegen das für sie beanspruchte Vorrecht (vgl. BAG 19, 355, 358, im Anschluß an Weber, Anm. zu BAG AP Nr. 3 zu § 61 KO, Ziff. 4 b; vgl. auch dessen Anm. zu AP Nr. 5 zu § 61 KO, Ziff. 2 a).

Insoweit zwischen einem Bestands- und einem Vorrechtsstreit zu unterscheiden und nur ersteren der Sondergerichtsbarkeit zuzuweisen, letzteren dagegen der Zivilgerichtsbarkeit vorzubehalten, wäre „systemwidrig“ (Schönke/Baur, Zwangsvollstreckungs- Konkurs- und Vergleichsrecht, 7.Aufl., S. 294 Mitte; ebenso für das geltende Recht Jahr, ZZP 79. Band, 1966, S. 347, 381 f, der allerdings de lege ferenda eine ausschließliche Zuständigkeit der Zivilgerichte für alle Streitigkeiten um das Recht auf Konkursteilnahme befürwortet).

Eine Trennung der Gerichtswege für Bestands- und Vorrechtsstreitigkeiten ist auch nicht damit zu rechtfertigen, daß der Vorrechtsstreit ein Streit über ein - im materiellen Konkursrecht wurzelndes - Befriedigungsprivileg sei, der allein das Verhältnis der Konkursgläubiger zueinander, nicht die Beziehungen zwischen dem Forderungsberechtigten und dem Schuldner betreffe (vgl. dazu Weber aaO). So richtig dies sein mag: Um das Recht auf „Befriedigung aus der Konkursmasse“ (§ 12 KO), also um das Verhältnis zu den anderen Konkursgläubigern, geht es auch bei einem Streit um das Bestehen einer Konkursforderung; das zeigt sich, besonders darin, daß die rechtskräftige Feststellung des Bestehens der Forderung in erster Linie gegenüber den Konkursgläubigern wirkt (§ 147 KO; vgl. auch §§ 144 Abs. 2, 164 Abs. 2 KO). Daß dabei ein Gläubiger mit einer „Bestandsklage“ nur um seinen Anspruch auf - gleichberechtigte - Mitbefriedigung aus der Konkursmasse kämpft, während er in einem Vorrechtsprozeß seine bevorzugte Befriedigung verlangt, stellt nur einen graduellen, keinen prinzipiellen Unterschied dar und ändert nichts daran, daß in beiden Fällen eine Konkurrenz der Konkursgläubiger untereinander vorliegt.

In bestimmten Fällen einer Kollision widerstreitender Gläubigerinteressen sind allerdings die ordentlichen Gerichte ausschließlich zuständig, wenn nämlich ein Dritter einen bestimmten Gegenstand aus der Konkursmasse aussondert (§§ 43 ff KO), aus einem zur Konkursmasse gezogenen Gegenstand abgesonderte Befriedigung beansprucht (§§ 47 ff KO), einer Einzelvollstreckung unter Berufung auf ein die Veräußerung hinderndes Recht widerspricht (§ 771 ZPO) oder aus dem Vollstreckungsgegenstand vorzugsweise Befriedigung verlangt (§ 805 ZPO). Daß in diesen Fällen die Zivilgerichte auch zu entscheiden haben wenn ein öffentlich-rechtlicher Gläubiger mit einer Steuer- oder Beitragsforderung beteiligt ist (vgl. für das Steuerrecht §§ 328, 346 der Reichsabgabenordnung), hat indessen seinen besonderen Grund darin, daß hier der Befriedigungsrang der Gläubiger allein von ihrer - besseren oder schlechteren - materiellen Berechtigung an dem jeweiligen Vollstreckungsgegenstand abhängt, die Beurteilung solcher (in der Regel privatrechtlicher) Rangfragen aber zum „natürlichen“ Kompetenzbereich der Zivilgerichte gehört. Einer entsprechenden Zuständigkeitsregelung (wie in den genannten Vorschriften des Abgabenrechts) kann somit nicht der allgemeine Rechtsgrundsatz entnommen werd daß über den Rang oder die Reihenfolge der Befriedigung bei der Einzelvollstreckung und im Konkurs stets die Zivilgerichte zu entscheiden hätten, abgesehen davon, daß ein solcher - ungeschriebener - Grundsatz hinter der positiven Rechtswegnorm des § 146 Abs. 5 KO zurücktreten müßte (Pohle, MDR 1966, 181 rechte Spalte Mitte). Sofern und soweit die Zivilgerichte für Rangstreitigkeiten im Rahmen des Vollstreckungsrechts zuständig sind, ist es vielmehr der - übergeordnete - Gedanke der Sachnähe, der ihre Entscheidungskompetenz begründet.

Eben dieser Gedanke spricht nun aber in Fällen der vorliegenden Art, in denen es um die Auslegung des Begriffs der Rückstände im Sinne des § 28 RVO geht, nach Ansicht des Senats entscheidend für die Zuständigkeit der Sozialgerichtsbarkeit (vgl. auch Pohle aaO). Der Begriff der „Rückstände“, den § 28 Abs. 3 RVO verwendet, ist der gleiche wie im ersten Absatz des § 28, an den der dritte Absatz anknüpft. Für beide Absätze muß der Begriff einheitlich ausgelegt werden. Welche Gesichtspunkte dabei zu berücksichtigen sind, ergibt sich vornehmlich aus dem Sozialversicherungsrecht und sollte deshalb von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit beurteilt werden.

Schließlich sprechen auch Überlegungen der Prozeßökonomie dafür, die Entscheidung über das Bestehen und das Vorrecht einer Konkursforderung nicht in die Hand verschiedener Gerichte zu legen. Das würde in den nicht seltenen Fällen, in denen sowohl das Bestehen der Forderung wie ihr Vorrecht bestritten ist (vgl. die Fälle BSG 14, 40 und BAG 19,355), zu einer unnötigen Verdoppelung der Prozesse führen, was den Beteiligten, für die dies mit einem zusätzlichen Kosten- und vor allem Zeitaufwand verbunden wäre, kaum verständlich gemacht werden könnte (vgl. RAG 4, 284, 287 unten).

Der Senat glaubt hiernach, der Entscheidung des BGH in BGHZ 34, 293 nicht folgen zu können; er hat deshalb die strittige Rechtsfrage dem Gemeinsamen Senat vorgelegt.

Fundstellen

  • Haufe-Index 926677
  • MDR 1971, 79

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