Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. sozialgerichtliches Verfahren. Verfahrensfehler. freie Beweiswürdigung. unterschiedlicher Beweiswert von Verwaltungsgutachten und gerichtlichem Sachverständigengutachten. kein Entscheidungszwang nach höherem Beweiswert. Übertragung der Sache auf den Einzelrichter. ausnahmsweise Pflicht zur Rückübertragung der Sache auf den Senat. Darlegungsanforderungen
Orientierungssatz
1. Das Gericht hat zu berücksichtigen, dass ein ärztliches Gutachten grundsätzlich nicht den gleichen Aussage- und Beweiswert besitzt wie ein gerichtliches Sachverständigengutachten (vgl BSG vom 28.3.1984 - 9a RV 29/83 = SozR 1500 § 128 Nr 24). Mit dieser Maßgabe ist es aber in seiner Beweiswürdigung frei und kann deshalb das ärztliche Gutachten aus dem Verwaltungsverfahren als überzeugender ansehen (vgl BSG vom 26.5.2000 - B 2 U 90/00 B).
2. Bei einer Rechtssache von grundsätzlicher rechtlicher Bedeutung bzw beim Vorliegen einer Divergenz hat der Senat eine Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle des LSG-Senats in der Vergangenheit regelmäßig trotz Einverständnis der Beteiligten als ermessens- und verfahrensfehlerhaft angesehen. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob er angesichts der in der Literatur geäußerten Kritik an dieser Rechtsprechung in Zukunft uneingeschränkt festhalten will. Die Beschwerde hat jedenfalls keinen Anlass und kein überzeugendes rechtliches Argument dafür geliefert, warum diese Rechtsprechung sogar noch auf nur tatsächlich nicht einfach gelagerte Fälle auszudehnen sein soll.
Normenkette
SGG § 155 Abs. 3-4, §§ 128, 160a Abs. 2 Sätze 1, 3, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 1, § 160 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 25. August 2014 wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Mit Urteil vom 25.8.2014 hat das LSG Hamburg im Einverständnis der Beteiligten durch die Berichterstatterin anstelle des Senats anders als vor ihm das SG einen Anspruch des Klägers auf Anerkennung eines Impfschadens und die darauf gestützte Gewährung von Versorgung verneint. Nach umfangreicher Beweisaufnahme in beiden Instanzen lasse sich ein kausaler Zusammenhang zwischen der Hepatitis-B Impfung des Klägers und dem im zeitlichen Zusammenhang damit aufgetretenen Hirninfarkt nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt, mit der er Verfahrensfehler rügt. Das LSG habe die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten. So habe es Parteivortrag mit Sachverständigenbeweis vermengt und versorgungsärztliche Stellungnahmen zu Unrecht als sachverständige Äußerungen behandelt. Zuletzt hat der Kläger noch ergänzend vorgetragen, der Fall sei tatsächlich schwierig gelagert; die Berichterstatterin hätte ihn deshalb trotz des Einverständnisses der Beteiligten nicht anstelle des Senats entscheiden dürfen.
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil die geltend gemachten Verfahrensmängel nicht ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Daran fehlt es.
1. Der Vorwurf, das LSG habe Parteivortrag und Sachverständigenbeweis vermengt und auch sonst die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten, kann der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Denn auf die damit geltend gemachte Verletzung von § 128 Abs 1 S 1 SGG kann ein Verfahrensmangel gemäß der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG nicht gestützt werden (vgl Karmanski in Roos/Warendorf, SGG, 2014, § 160 RdNr 58 mwN). Der Ausschluss von Verletzungen des § 128 Abs 1 S 1 SGG aus den zur Zulassung der Revision führenden Verfahrensmängeln duldet keine Ausnahme; die Würdigung der dem Tatsachengericht vorliegenden Beweise obliegt allein diesem Gericht (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 16 mwN).
Unabhängig davon ist das LSG in der Würdigung der Beweise weitgehend frei und nicht verpflichtet, der Äußerung eines bestimmten Sachverständigen zu folgen oder ihr Vorrang gegenüber anderen Beweismitteln einzuräumen. Das Gericht muss zwar beachten, dass ärztliche Gutachten, die nicht als gerichtliche Sachverständigengutachten erstellt wurden, grundsätzlich eine andere Aussagekraft haben und damit einen anderen Beweiswert als gerichtliche Gutachten besitzen (vgl BSG SozR 1500 § 128 Nr 24). Mit dieser Maßgabe ist es aber in seiner Beweiswürdigung frei und kann deshalb zB einem Verwaltungsgutachten entgegen einem Gerichtsgutachten folgen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 128 RdNr 4a unter Verweis auf BSG Beschluss vom 26.5.2000 - B 2 U 90/00 B - Juris). An diese Vorgaben hat sich das LSG gehalten. Soweit es teilweise die Aussagen der Versorgungsmedizinerin in einem Atemzug mit denjenigen der als Sachverständigen gehörten Medizinern genannt hat, erscheint dies nur auf den ersten Blick missverständlich. Denn das LSG hat ersichtlich alle im Laufe des Verfahrens vorgebrachten medizinischen Argumente unvoreingenommen gewürdigt und abgewogen und sich insbesondere gründlich mit dem für den Kläger günstigen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K. auseinandergesetzt. Es ist nicht ersichtlich, dass sich das LSG dabei des besonderen Beweiswerts dieses Gutachtens nicht bewusst gewesen wäre.
2. Ebenso wenig hat der Kläger innerhalb der Begründungsfrist des § 160a Abs 2 S 1 SGG eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter dargetan. Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde muss das BSG allein anhand der Begründung darüber entscheiden können, ob ein Verfahrensmangel in Betracht kommt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (BSG SozR 1500 § 160a Nr 14; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 4; BSG Beschluss vom 21.8.2009 - B 11 AL 21/09 B - Juris; BSG Beschuss vom 9.9.2013 - B 12 R 64/12 B - Juris). Das gilt auch für Verfahrensmängel, die im Revisionsverfahren von Amts wegen zu berücksichtigen wären, wie die Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 160a RdNr 16 unter Hinweis auf BVerwG Buchholz 310 § 132 VwGO Nr 50; Rohwer-Kahlmann, Aufbau und Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit, 4. Aufl, Stand 48. Lieferung August 2007, § 160a RdNr 33).
Ohnehin lässt die erst deutlich nach Ablauf der Begründungsfrist und damit verspätet (vgl BSG Beschluss vom 28.7.2005 - B 13 RJ 178/05 B - SozR 4-1500 § 178a Nr 3; BSG Beschluss vom 26.6.2006 - B 1 KR 19/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 10) nachgeschobene Begründung des Klägers, mit dem er die Entscheidung durch die Berichterstatterin rügt, keine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter in seiner einfachgesetzlichen Ausprägung erkennen. Nach der Leitentscheidung des Senats im Urteil vom 8.11.2007 (B 9/9a SB 3/06 R - BSGE 99, 189-197 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2 = SozR 4-3250 § 69 Nr 7) soll der bestellte Berichterstatter nach pflichtgemäßem Ermessen darüber entscheiden, ob er von der durch § 155 Abs 3 und Abs 4 SGG eingeräumten Befugnis Gebrauch macht, oder ob es aus sachlichen Gründen bei der Entscheidung des Rechtsstreits durch den Senat verbleibt (vgl auch BSG Urteil vom 7.8.2014 - B 13 R 37/13 R - Juris; BSG Urteil vom 18.5.2010 - B 7 AL 43/08 R - Juris; differenzierend BSG Urteil vom 3.12.2009 - B 11 AL 38/08 R - SozR 4-4300 § 53 Nr 4). Bei einer Rechtssache von grundsätzlicher rechtlicher Bedeutung bzw beim Vorliegen einer Divergenz hat der Senat eine Entscheidung durch den Berichterstatter anstelle des LSG-Senats in der Vergangenheit regelmäßig trotz Einverständnis der Beteiligten als ermessens- und verfahrensfehlerhaft angesehen. Zur Begründung hat er angeführt, die ausnahmsweise mögliche Verlagerung der Entscheidungskompetenz vom Kollegium auf den Vorsitzenden bzw Berichterstatter sei auf die Vielzahl der Verfahren zugeschnitten, die insbesondere aus dem Grunde keine rechtlichen Schwierigkeiten aufwiesen, weil einer ständigen Rechtsprechung gefolgt werden solle. Diese Senatsentscheidung ist damit ersichtlich allein im Kontext von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung ergangen (vgl insbesondere die in B 9/9a SB 3/06 R in Bezug genommene Entscheidung des BVerfG Kammerbeschluss vom 5.5.1998 - 1 BvL 23/97 - Juris; ausführlich Knispel SGb 2010, 357-361). Die Beschwerde legt nicht dar, dass und warum dem Fall des Klägers eine solche grundsätzliche rechtliche Bedeutung zukäme.
Soweit sie die genannte Senatsrechtsprechung auf allein tatsächlich nicht einfach gelagerte Fälle ausdehnen will, hat sie sich zur Begründung wiederum auf - im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde aber unerhebliche - Angriffe gegen die Beweiswürdigung des LSG beschränkt. Der Senat braucht wegen dieser unzureichenden Darlegung nicht zu entscheiden, ob er angesichts der in der Literatur geäußerten Kritik (vgl Wenner in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 3. Aufl 2013, § 159 SGG RdNr 17: weder richtig noch praktikabel; ausführlich auch zur abweichenden Rechtsprechung anderer Bundesgerichte Knispel SGb 2010, 357-361) an der genannten Rechtsprechung zur Entscheidungsbefugnis des Berichterstatters bei Fällen von grundsätzlicher rechtlicher Bedeutung in Zukunft uneingeschränkt festhalten will; sie sogar noch auf nur tatsächlich nicht einfach gelagerte Fälle auszudehnen liefert die Beschwerde jedenfalls erst recht keinen Anlass und kein überzeugendes rechtliches Argument.
Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen