Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 18. November 2020 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2 500 000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Honorarrückforderung, die die Beklagte mit der Begründung festgesetzt hat, dass die klagende Vertragsärztin nicht in freier Praxis tätig gewesen sei.
Die Klägerin war ab dem 1.7.1992 als Ärztin für Labormedizin mit Praxissitz in S zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Im Zusammenhang mit der Aufnahme ihrer Tätigkeit an diesem Standort vereinbarte die Klägerin mit der Gemeinschaftspraxis Dr. K einen Gründungsvertrag, der Regelungen zu einer festen Tätigkeitsvergütung und zu einer Gewinnbeteiligung der Klägerin in Höhe von 10 % bei Überschreitung des Betrags der Tätigkeitsvergütung enthielt. In einer Zusatzvereinbarung zu diesem Gründungsvertrag verpflichteten sich die Vertragspartner, Stillschweigen über dessen Inhalt zu wahren. In einem am 4.10.1994 geschlossenen, als "Gesellschaftsvertrag" bezeichneten Vertrag, vereinbarte Dr. K mit der Klägerin die Übernahme einer „Betreuung“, die ua die Verwaltung der Laborpraxis einschließlich der Abrechnung durch Dr. K beinhaltete. Die Klägerin verpflichtete sich zum Abschluss einer Krankentagegeldversicherung und es wurde ein jährlicher Anspruch der Klägerin auf Erholungsurlaub von 30 Tagen vereinbart. Zum Zweck der Gesellschaft wurde geregelt:
"(1) Die Gesellschafter wollen im Innenverhältnis die Laborpraxis S, L betreiben. Das Gesellschaftsverhältnis soll nach außen nicht in Erscheinung treten. Zugelassener Kassenarzt ist Frau Dr. A W.
(2) Die Gesellschaft verfügt einstweilen nicht über die zum Betrieb erforderlichen Finanzmittel. Herr Dr. K stellt daher die nötige finanziellen Mittel zur Verfügung. Die Rückzahlung ist in der Gewinnbeteiligung von Dr. K enthalten."
Die Klägerin erhielt - als garantierte Vorwegvergütung bezeichnete - Zahlungen, die Dr. K ab dem 1.11.1994 auf jährlich 174 000 DM erhöhte.
Mit einem am 28.5.1997 zwischen der Klägerin, ihrem Praxispartner Dr. P und der G Verwaltungsgesellschaft mbH & Co. KG (nachfolgend: G) geschlossenen Vertrag verpflichtete sich die Klägerin ua alle angeforderten labormedizinischen Geräte, Reagenzien und andere Hilfsmittel sowie Einrichtungs- und Inventargegenstände für die Laborarztpraxis durch die G zu beziehen; darüber hinaus übernahm die G alle kaufmännischen und administrativen Aufgaben der Laborarztpraxis einschließlich der Vorbereitung von Bewerbungsgesprächen, des Führens der Personalakten und der Durchführung des gesamten Rechnungswesens. Nicht Gegenstand des Vertrags sollte die Betriebsführung der Laborarztpraxis im medizinischen Bereich sein; diese oblag der Laborarztpraxis selbst.
Unter dem 30.4.1999 vereinbarte Dr. K mit der Klägerin deren Ausscheiden aus der mit Vertrag vom 4.10.1994 gegründeten GbR gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 101 500 DM.
Die genannten Verträge wurden weder der Beklagten noch der Ärztekammer zur Kenntnis gegeben und die Beklagte forderte die Verträge auch nicht bei der Klägerin an, nachdem diese einen Gemeinschaftspraxisvertrag vom 17.11.1992 vorgelegt hatte, der auf die Existenz weiterer Verträge hinweist.
Nachdem der Beklagten die Ergebnisse staatsanwaltlicher Ermittlungen vorlagen, berichtigte sie die Honorare der Klägerin mit Bescheid vom 24.3.2004 und forderte von ihr das gesamte in den Quartalen 3/1992 bis 2/1999 gezahlte Honorar in Höhe von 12 682 158,28 Euro mit der Begründung zurück, dass diese im Zulassungsverfahren als selbständig in freier Praxis tätige Ärztin aufgetreten sei, tatsächlich aber in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis zu Dr. K gestanden habe. Den dagegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte zurück. Auf die dagegen erhobene Klage hat das SG die angefochtenen Bescheide mit der Begründung aufgehoben, dass die Richtigstellung aufgrund des Ablaufs der vierjährigen Ausschlussfrist nur bei Vorliegen eines Vertrauensausschlusstatbestands nach § 45 Abs 2 Satz 3, Abs 4 Satz 1 SGB X zulässig sei (Urteil vom 17.9.2014 - S 3 KA 23/10). Die Klägerin sei zwar nicht in freier Praxis vertragsärztlich tätig gewesen. Die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 iVm Abs 4 Satz 1 SGB X lägen jedoch nicht vor, weil die Honorarbescheide weder auf Angaben beruhten, die die Klägerin grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht habe, noch habe die Klägerin die Rechtswidrigkeit der Honorarbescheide gekannt oder zumindest infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt.
Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG das Urteil des SG geändert und die angefochtenen Bescheide insoweit aufgehoben, als sie Honorarrückforderungen für die Quartale 3/1992 bis 2/1996 zum Gegenstand hatten. Soweit mit den angefochtenen Bescheiden das Honorar für die Quartale 3/1996 bis 2/1999 zurückgefordert wurde, hat das LSG die Anfechtungsklage abwiesen. Bezogen auf die Quartale 3/1992 bis 2/1996 sei das SG dagegen zu Recht davon ausgegangen, dass der Honorarrückforderung Vertrauensschutzgesichtspunkte entgegenstünden. Das gelte aber nicht für die Quartale ab 3/1996. Im Zusammenhang mit den ab dem Jahr 1996 beratenen Vertragsänderungen seien nach dem Inhalt der beigezogenen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten bei der Klägerin zunehmend Zweifel daran aufgekommen, dass die vertraglichen Regelungen standesrechtlich unbedenklich seien und "KV-Recht nicht in unzulässiger Weise berühre". Unter diesen Umständen und mit Blick auf die im Zusammenhang mit der beabsichtigten Vertragsänderung offen zu Tage tretende beherrschende Stellung von Dr. K und der "K-Gruppe" hätte sich die Klägerin nicht mehr auf Auskünfte des Dr. K, seines Rechtsanwalts oder der G zur Unbedenklichkeit verlassen dürfen, sondern unabhängigen Rat insbesondere bei der Beklagten bzw den Zulassungsgremien einholen müssen. Eine fortbestehende Unkenntnis der Klägerin sei unter diesen Umständen als grob fahrlässig zu werten.
Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Rechtsprechungsabweichungen sowie Verfahrensfehler geltend (Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 bis 3 SGG).
II
A. Die Beschwerde der Klägerin bleibt ohne Erfolg.
1. Die von der Klägerin geltend gemachten Verfahrensfehler liegen - soweit die Beschwerdebegründung den Darlegungsanforderungen entspricht - nicht vor.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
a) Der geltend gemachte Verfahrensmangel der Verletzung des rechtlichen Gehörs durch eine Überraschungsentscheidung liegt nicht vor. Eine Überraschungsentscheidung ist nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG (vgl BVerfG Beschluss vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188, 190; BVerfG Urteil vom 14.7.1998 - 1 BvR 1640/97 - BVerfGE 98, 218, 263; BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 7.10.2009 - 1 BvR 178/09 - juris RdNr 8; BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 17.9.2020 - 2 BvR 1605/16 - NJW 2021, 50 = juris RdNr 15) wie auch des BSG (BSG Urteil vom 12.12.1990 - 11 RAr 137/89 - SozR 3-4100 § 103 Nr 4 S 23; BSG Urteil vom 2.9.2009 - B 6 KA 44/08 R - SozR 4-2500 § 103 Nr 6 RdNr 17) nicht bereits dann anzunehmen, wenn einer der Beteiligten eine andere Entscheidung des Gerichts erwartet hat. Voraussetzung ist vielmehr, dass das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wende gibt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht. Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (BSG Urteil vom 17.2.2016 - B 6 KA 6/15 R - BSGE 120, 254 = SozR 4-2500 § 119 Nr 2, RdNr 24 mwN; BSG Beschluss vom 16.5.2018 - B 6 KA 4/18 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 6.4.2022 - B 6 KA 16/21 B - juris RdNr 25, 26). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Dass das LSG die im Tatbestand des Urteils wiedergegebene Aktennotiz O vom 18.2.1998 zum Gegenstand der Entscheidung machen würde, war keineswegs überraschend. Diese war nicht nur Gegenstand der beigezogenen Akten, sondern auch der Erörterungen in der Verhandlung vor dem SG. Soweit in dem Urteil des LSG unter der Bezeichnung "Neue Struktur Stand 27. November 1998" in den staatsanwaltlichen Ermittlungsakten enthaltene Äußerungen der Dr. K beratenden Anwälte sowie weitere Inhalte beigezogener Akten wiedergegeben werden, sind ebenfalls keine Gründe dafür vorgetragen worden, dass deren Verwertung überraschend gewesen sein könnte. Insbesondere hat die Klägerin nicht geltend gemacht, dass diese Inhalte dem Rechtsstreit eine ganz neue Wende gegeben hätten und dafür ist auch nichts ersichtlich. Über die Beiziehung der Akten auch aus dem unter dem Az 720 Js 9427/02 geführten Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft L ist die Klägerin nach dem Inhalt der Akten des LSG (vgl dort Bl 386, 430) in Kenntnis gesetzt worden. Die Auffassung der Klägerin, dass das LSG allein solche Aktenteile verwerten dürfe, die ihr ausdrücklich vorgehalten worden sind, trifft nicht zu. Art 103 Abs 1 GG begründet keine umfassende Frage-, Aufklärungs- und Informationspflicht des Gerichts (stRspr des BVerfG, vgl BVerfG Beschluss vom 25.1.1984 - 1 BvR 272/81 - BVerfGE 66, 116, 147; BVerfG Beschluss vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188, 190; BVerfG Beschluss vom 19.5.1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133, 144; BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 27.11.2008 - 2 BvR 1012/08 - juris RdNr 6). Prozessbeteiligte - insbesondere anwaltlich vertretene wie die Klägerin - müssen grundsätzlich von sich aus alle vertretbaren Gesichtspunkte in Betracht ziehen und sich in ihrem Vortrag darauf einstellen (vgl BVerfG Beschluss vom 19.5.1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133, 144 f; BVerfG Urteil vom 14.7.1998 - 1 BvR 1640/97 - BVerfGE 98, 218, 263; BSG Urteil vom 2.9.2009 - B 6 KA 44/08 R - SozR 4-2500 § 103 Nr 6 RdNr 18 mwN; BSG Urteil vom 23.6.2010 - B 6 KA 7/09 R - BSGE 106, 222 = SozR 4-5520 § 32 Nr 4, RdNr 21).
b) Soweit die Klägerin eine unzureichende Aufklärung des Sachverhalts etwa durch eine "unvollständige Anhörung" oder die unterlassene Beiziehung von Honorarabrechnungsbescheiden sowie von weiteren staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten geltend macht, ist die Nichtzulassungsbeschwerde bereits unzulässig. Auf eine Verletzung des § 103 SGG (Verpflichtung des Gerichts zur Amtsermittlung) kann - wie bereits ausgeführt - ein Verfahrensmangel nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 aE SGG). Die Klägerin legt schon nicht dar, dass sie einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag gestellt und bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem LSG aufrecht erhalten habe (zu diesem Erfordernis BSG Beschluss vom 24.2.2021 - B 1 KR 50/20 B - juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 30.10.2013 - B 6 KA 22/13 B - juris RdNr 4, jeweils mwN). Dazu hätte die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG entweder einen Beweisantrag ordnungsgemäß stellen oder auf einen bereits schriftsätzlich formulierten Beweisantrag Bezug nehmen und diesen so genau bezeichnen müssen, dass er für das Gericht ohne weiteres auffindbar ist (BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11). Dass diese Voraussetzungen erfüllt wären, trägt die Klägerin in der Beschwerdebegründung nicht vor, sodass die Darlegungsanforderungen insoweit nicht erfüllt werden. Im Übrigen ergibt sich weder aus der Sitzungsniederschrift noch aus dem Urteil des LSG, dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung einen Beweisantrag gestellt oder auf einen bereits schriftsätzlich gestellten Beweisantrag Bezug genommen hat.
Wenn die Klägerin vorträgt, dass für sie erst nach der Verhandlung vor dem LSG ersichtlich geworden sei, dass zwar die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten zum Az 720 Js 9427/02, nicht aber diejenigen zum Az 720 Js 40481/04 beigezogen worden seien, ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin vor der mündlichen Verhandlung unter Angabe des Az der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten über die Beiziehung in Kenntnis gesetzt worden ist (vgl Bl 368, 430 LSG-Akte).
Soweit die Klägerin anführt, dass das LSG den Sachverhalt unzutreffend gewürdigt habe, macht sie nur eine aus ihrer Sicht falsche Entscheidung des LSG und keinen Verfahrensfehler geltend. Eine Überprüfung der Beweiswürdigung nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG ist im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG ausgeschlossen.
c) Auch die von der Klägerin gerügte Dauer des Verfahrens begründet keinen Verfahrensmangel. Auf die von der Klägerin angeführte Rechtsprechung des BVerfG und auch auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hat der Gesetzgeber mit dem Erlass des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24.11.2011 (BGBl I 2302) reagiert (vgl die Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung BT-Drucks 17/3802 S 1) und damit zum Ausdruck gebracht, dass dem Ziel der Gewährung von zeitnahem Rechtsschutz durch verfahrensimmanente Rechtsbehelfe (Verzögerungsrüge) und durch die Gewährung eines Entschädigungsanspruchs gegen die jeweilige für das betreffende Gericht zuständige Gebietskörperschaft (Bund/Land) Rechnung getragen werden soll. Nach der Übergangsvorschrift des Art 23 Satz 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren finden die verfahrensrechtlichen und materiell-rechtlichen Regelungen der §§ 198 bis 201 GVG auch auf Verfahren Anwendung, die - wie das vorliegende - bei Inkrafttreten des Gesetzes am 3.12.2011 bereits anhängig waren. Damit ist regelmäßig für Lösungen der Problematik einer unangemessen langen Verfahrensdauer zwischen den Beteiligten und mit Bezug auf den Streitgegenstand kein Raum mehr (BSG Beschluss vom 15.8.2012 - B 6 KA 15/12 B - juris RdNr 18; vgl auch BSG Beschluss vom 15.10.2015 - B 9 V 15/15 B - juris RdNr 9; BSG Beschluss vom 10.3.2022 - B 11 AL 64/21 B - juris RdNr 6).
Ob sich unter Berücksichtigung der von der Klägerin geltend gemachten "Beweisnachteile" insbesondere durch das Versterben des von ihr benannten Zeugen Dr. K im Laufe des Berufungsverfahrens ausnahmsweise dennoch Konsequenzen aus einer überlangen Verfahrensdauer ergeben können, bedarf vorliegend keiner Klärung, weil ein Beschwerdeführer jedenfalls dartun müsste, rechtzeitig Verzögerungsrüge erhoben zu haben (vgl BSG Beschluss vom 26.5.2021 - B 13 R 219/20 B - juris RdNr 13). Ähnlich wie dem Beweisantrag bezogen auf die Aufklärung des Sachverhalts kommt der Erhebung der Verzögerungsrüge eine Warnfunktion bezogen auf eine überlange Verfahrensdauer zu (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, BT-Drucks 17/3802 zu § 198 Abs 3 zu Satz 1, S 20). Die Klägerin hat nicht vorgetragen, Verzögerungsrüge erhoben oder auch nur auf eine Förderung des Verfahrens durch das SG und das LSG gedrungen zu haben.
Aus den beigezogenen vorinstanzlichen Akten ist im Übrigen ersichtlich, dass allein die Beklagte im Berufungsverfahren wiederholt um baldige Terminierung gebeten hat. Nachdem die Beklagte mit Schriftsatz vom 20.11.2017 auf ein Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 26.4.2017 (L 5 KA 2448/15) hingewiesen und (erneut) um baldige Terminierung gebeten hatte, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 30.11.2017 - und damit zu Lebzeiten des von ihr benannten im Mai 2019 verstorbenen Zeugen K - eingewandt, dass im Hinblick auf die Zulassung der Revision im vorgenannten Urteil des LSG kein Anlass für eine baldige Terminierung gesehen werde.
2. Soweit die Klägerin den Zulassungsgrund einer Rechtsprechungsabweichung geltend macht, ist die Beschwerde bereits unzulässig. Die Klägerin hat eine Rechtsprechungsabweichung nicht in der erforderlichen Weise aufgezeigt.
Zur Darlegung einer Rechtsprechungsabweichung gemäß § 160a Abs 2 Satz 3 SGG müssen abstrakte Rechtssätze des Urteils des LSG und eines Urteils des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG bezeichnet und einander gegenübergestellt werden. Ferner ist darzulegen, dass sie nicht miteinander vereinbar sind und dass das Berufungsurteil auf dieser Divergenz beruht (vgl zB BSG Beschluss vom 27.6.2012 - B 6 KA 78/11 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 26.5.2021 - B 6 KA 26/20 B - juris RdNr 7, jeweils mwN). Nicht ausreichend ist hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 6.4.2022 - B 6 KA 14/21 B - juris RdNr 7 mwN).
Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht gerecht; es fehlt bereits an der Gegenüberstellung nicht miteinander vereinbarer abstrakter Rechtssätze. Die Klägerin stützt ihre Darlegung einer Divergenz (Beschwerdebegründung S 12-19) im Wesentlichen auf Zitate von Passagen verschiedener BSG-Urteile und stellt diesen die Tatsachenfeststellungen und die Rechtsanwendung durch das LSG gegenüber. Aus diesen umfänglichen Ausführungen wird aber nicht deutlich, welche abstrakten Rechtssätze des BSG und des LSG die Klägerin als sich widersprechend ansieht. Ihren Ausführungen kann jedenfalls nicht entnommen werden, dass das LSG eigene Rechtssätze aufgestellt hätte, die mit der Rechtsprechung des BSG nicht zu vereinbaren wären. Die Beschwerdebegründung beschränkt sich im Kern darauf, dass sie die angefochtene obergerichtliche Entscheidung für unzutreffend hält. Dies stellt aber keinen Revisionszulassungsgrund dar.
3. Auch soweit die Klägerin eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend macht, ist die Beschwerde unzulässig, weil sie insoweit den Darlegungsanforderungen nicht entspricht.
Die Klägerin hat in ihrer Beschwerdebegründung eine grundsätzliche Bedeutung nicht in der erforderlichen Weise dargelegt (§ 160 Abs 2 Nr 1 iVm § 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Für die Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache muss in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnet (vgl BVerfG Beschluss vom 14.6.1994 - 1 BvR 1022/88 - BVerfGE 91, 93, 107 = SozR 3-5870 § 10 Nr 5 S 31; BSG Beschluss vom 13.5.1997 - 13 BJ 271/96 - SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 37 f; BSG Beschluss vom 12.9.2018 - B 6 KA 12/18 B - juris RdNr 5) und ausgeführt werden, inwiefern diese Rechtsfrage in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich (klärungsfähig) sowie klärungsbedürftig ist. Den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG wird bei der Grundsatzrüge nur genügt, wenn der Beschwerdeführer eine Frage formuliert, deren Beantwortung nicht von den Umständen des Einzelfalles abhängt, sondern die mit einer verallgemeinerungsfähigen Aussage beantwortet werden könnte (zu dieser Anforderung vgl BSG Beschluss vom 26.6.1975 - 12 BJ 12/75 - SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10). Zudem muss ersichtlich sein, dass sich die Antwort nicht ohne Weiteres aus der bisherigen Rechtsprechung ergibt. Bei einer Revisions-Nichtzulassungsbeschwerde ist es Aufgabe des Prozessbevollmächtigten, die einschlägige Rechtsprechung aufzuführen und sich damit zu befassen; eine Beschwerdebegründung, die es dem Gericht überlässt, die relevanten Entscheidungen zusammenzusuchen, wird den Darlegungserfordernissen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht gerecht. Auch lediglich kursorische Hinweise ohne Durchdringung des Prozessstoffs reichen nicht aus (vgl BVerfG ≪Kammer≫, Beschluss vom 7.11.1994 - 2 BvR 2079/93 - DVBl 1995, 35 = juris RdNr 15). Diese Anforderungen sind verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl zB BVerfG aaO; BVerfG ≪Kammer≫ SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14 = juris RdNr 8).
Die Klägerin hält die folgende Frage für klärungsbedürftig:
"Ist es zulässig, 'Honorarberichtigungen' von vertragsärztlichen Abrechnungen dahingehend durchzuführen, dass im Wege sachlich-rechnerischer Berichtigung die abgerechneten vertragsärztlichen Leistungen zu 100 % gestrichen werden, ohne dass die entsprechenden Honorarbescheide im Rahmen des hierüber geführten gerichtlichen Verfahrens vorliegen - dies insbesondere nach mehr als zwanzig Jahren Zeitablauf nach Abschluss des letzten Abrechnungsquartals eines Vertragsarztes?"
Zur Begründung wird geltend gemacht, dass ihr, der Klägerin, die Honorarbescheide, auf die sich die streitige sachlich-rechnerische Berichtigung bezieht, nicht mehr vorlägen. Allein dieser Umstand kann ersichtlich keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit der sachlich-rechnerischen Berichtigung haben. Anderenfalls könnte der Vertragsarzt einem Berichtigungsbescheid bereits dadurch die Grundlage entziehen, dass er die Ausgangsbescheide vernichtet. Regelungen, aus denen eine solche Rechtsfolge abgeleitet werden könnte, sind nicht ersichtlich und werden auch von der Klägerin nicht bezeichnet. Daher ist es fraglich, ob die Klägerin eine grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage zur Auslegung von Bundesrecht (§ 162 SGG) gestellt hat, die im angestrebten Revisionsverfahren geklärt werden könnte. Bezogen auf die Frage, ob der Beklagten noch Ausfertigungen der Honorarbescheide vorliegen, enthält die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde allein die Angabe, dass diese "vermutlich auch der Beklagten nicht mehr vorliegen" würden. Mit der Äußerung einer solchen Vermutung ist die Entscheidungserheblichkeit der formulierten Rechtsfrage nicht ausreichend dargelegt worden. Allein aus dem Umstand, dass die Honorarbescheide weder vom SG noch vom LSG beigezogen worden sind, kann nicht gefolgert werden, dass diese nicht mehr vorliegen. Es existiert im Übrigen auch keine generelle Verpflichtung im gerichtlichen Verfahren um die Rechtmäßigkeit von sachlich-rechnerischen Richtigstellungen die berichtigten Honorarbescheide beizuziehen, zumal wenn - wie hier - die den maßgeblichen Zeitraum betreffenden Auszüge aus dem Honorarkonto der Klägerin vorliegen (vgl Bl 387 ff, Bl 432 f LSG-Akte). Zwar wird die Beiziehung auch der Honorarbescheide regelmäßig sinnvoll sein. Wenn dies in der Tatsacheninstanz nicht geschieht, kann die Klägerin einen Verfahrensmangel darauf jedoch nur stützen, wenn sie zuvor einen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat (vgl A. 1. b). Dass sie einen auf die Beiziehung von Ausfertigungen der Honorarbescheide gerichteten Beweisantrag gestellt oder auch nur gegenüber dem LSG geltend gemacht hätte, dass die beigezogenen Auszüge aus dem Honorarkonto nicht ausreichend seien, hat die Klägerin aber in der Beschwerdebegründung nicht dargelegt.
Soweit die Klägerin ergänzend geltend macht, dass sich die "grundsätzlich aufgeworfene Frage […] umso mehr" stelle, als dem Urteil des LSG nicht eindeutig zu entnehmen sei, in welcher Höhe die sachlich-rechnerische Richtigstellung bestanden habe, wird die Frage angesprochen, ob der Tenor des vorinstanzlichen Urteils mit der darin enthaltenen Bezugnahme auf quartalsbezogen ergangene Honorarbescheide (die Richtigstellungsbescheide würden "insoweit aufgehoben, als hierin eine sachlich-rechnerische Richtigstellung der Honorarbescheide für die Quartale III/1992 bis III/1996 vorgenommen wird.") angesichts der nach Angaben der Klägerin "vermutlich" nicht mehr vorliegenden Honorarbescheide eindeutig formuliert worden ist. Die Klägerin legt aber nicht dar, dass damit eine über die vorliegende Fallkonstellation hinaus grundsätzlich bedeutsame Frage angesprochen wird. Zudem setzt sie sich an keiner Stelle mit der vorliegenden Rechtsprechung zu den Folgen von Unklarheiten im Tenor auseinander. So ist geklärt, dass ein unklarer Tenor nach Möglichkeit ausgelegt werden kann und muss (vgl zB BSG Urteil vom 8.2.2007 - B 9b SO 5/05 R - juris RdNr 11; BSG Urteil vom 9.12.2016 - B 8 SO 14/15 R - juris RdNr 10; BSG Urteil vom 14.7.2021 - B 6 KA 1/20 R - SozR 4-1500 § 141 Nr 4 ≪vorgesehen≫ RdNr 33; BGH Beschluss vom 17.1.2017 - XI ZR 490/15 - NJW-RR 2017, 763 - juris RdNr 2; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 136 RdNr 5c). Jedenfalls ist eine über den vorliegenden Fall hinausgehende Bedeutung dieser Frage nicht dargelegt und auch nicht ohne Weiteres ersichtlich. Dass eine Auslegung des Tenors des LSG-Urteils unmöglich sei (zur Wirkungslosigkeit eines solchen Urteils vgl Keller aaO, § 125 RdNr 5b, § 136 RdNr 5d mwN), hat die Klägerin mit dem Hinweis auf die auch bei der Beklagten "vermutlich" nicht mehr vorliegenden Honorarbescheide jedenfalls nicht dargelegt und dafür ist - mit Blick auf die jedenfalls noch vorliegenden Auszüge aus dem Honorarkonto der Klägerin - auch nichts ersichtlich.
B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt die Klägerin die Kosten des von ihr erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO).
C. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Da auch die im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde noch streitige Höhe der Honorarrückforderung jedenfalls den für die Streitwertbemessung für das sozialgerichtliche Verfahren nach § 52 Abs 4 Nr 2 GKG maßgebenden Höchstbetrag von 2,5 Millionen Euro übersteigt, war der Streitwert in Höhe dieses Höchstbetrags festzusetzen.
Fundstellen
Dokument-Index HI15292019 |