Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Kostenentscheidung nach Erledigung der Hauptsache. bundesgesetzliche Regelungen über Ausschluss der aufschiebenden Wirkung. kein außer Kraft setzen durch Vereinbarung zwischen Kassenärztlicher Vereinigung und Krankenkasse. jahreslanges Unterbleiben der Vollziehung eines Verwaltungsakts trotz gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung. Vorliegen eines öffentlichen Interesses für spätere Vollziehung. Vertragsarzt. Zweifel an Rechtmäßigkeit des Regressbescheides bzw Vorliegen eines ausreichenden öffentlichen Interesses. Zuständigkeit des Beschwerdeausschusses. Datenbeschaffung bei Kassenärztlicher Vereinigung
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Kostenentscheidung nach Erledigung der Hauptsache haben außer dem Stand der bisherigen Sach- und Rechtslage auch weitere Umstände Bedeutung wie der Anlass für die Klageerhebung und das faktische Obsiegen.
2. Bundesgesetzliche Regelungen über den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung von Klagen können nicht durch Vereinbarungen zwischen Kassenärztlicher Vereinigung und Krankenkassen außer Kraft gesetzt werden.
3. Unterbleibt die Vollziehung eines Verwaltungsakts jahrelang trotz gesetzlichen Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung, so muss für die spätere Vollziehung ein rechtfertigendes öffentliches Interesse ersichtlich sein. Hierfür bedeutsam sind zB Anzeichen für drohenden Zahlungsausfall bei weiterem Zuwarten; ansonsten sind die bisherige Dauer des Nichtvollzugs, die Höhe des Regressbetrags und die geschätzte restliche Zeitdauer bis zum Verfahrensabschluss zu würdigen.
4. Bezweifelt der Vertragsarzt die Rechtmäßigkeit des Regressbescheids oder das Vorliegen eines ausreichenden öffentlichen Interesses an dessen Vollziehung vor Bestandskraft, so muss er sich an den Beschwerdeausschuss wenden. Dieser muss sich zur Beurteilung der wirtschaftlichen Lage der Praxis die erforderlichen Daten nötigenfalls von der Kassenärztlichen Vereinigung beschaffen.
Normenkette
SGG § 86a Abs. 2 Nrn. 4-5, Abs. 3 S. 2, § 86b Abs. 1 S. 1 Nrn. 2-3, § 193 Abs. 1, § 197a Abs. 1 S. 1; VwGO § 161 Abs. 2 S. 1 Hs. 2, § 162 Abs. 3; SGB 5 § 82 Abs. 1, § 106 Abs. 2 Nr. 1, § 285 Abs. 1 Nr. 5; ABAG Art. 3 § 2 S. 4; BMV-Ä § 52 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung,
mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert für dieses Verfahren wird auf 9500 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Streitig ist die Verteilung der Kosten eines Verfahrens auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen einen Heilmittelregress nach Erledigung des Vollziehungsverfahrens.
Wegen unwirtschaftlicher Verordnung von Heilmitteln setzte der Prüfungsausschuss Regresse für Quartale zwischen II/2000 und IV/2002 fest (Gesamthöhe ca 57 000 Euro), darunter für die hier betroffenen Quartale I-IV/2002 in Höhe von insgesamt ca 38 000 Euro (Bescheide vom 10.11.2004, 14.12.2004 und 9.2.2005 - siehe die Feststellungen im LSG-Urteil vom 31.8.2010, S 9). Der beklagte Beschwerdeausschuss wies die Widersprüche des Klägers zurück (Bescheid vom 22.7.2005). Klage und Berufung sind erfolglos geblieben (Urteile des SG vom 22.10.2008 und des LSG vom 31.8.2010). Auf die Beschwerde des Klägers wegen der Nichtzulassung der Revision hin hat das BSG diese zugelassen (Beschluss vom 9.2.2011). Der Kläger und die zu 1. beigeladene Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) haben Revision eingelegt, über die noch nicht entschieden ist.
Klagen gegen Regressbescheide, die sich auf Quartale der Jahre 2002 und 2003 beziehen, kommt gemäß Art 3 § 2 Satz 4 des Arzneimittelbudget-Ablösungsgesetzes (ABAG - zur Geltung für 2002 und 2003 siehe die Überschrift zu § 2) keine aufschiebende Wirkung zu. Andererseits hatten die Vertragspartner der Prüfvereinbarung in einer Ergänzenden Vereinbarung zur Regressverrechnung vom 22.6.2009 die Regelung getroffen, dass die Umsetzung von Regressen, die die Quartale bis IV 2004 betreffen, erst nach Bestandskraft der Prüfentscheidung erfolgen solle (Abschnitt I Nr 1 der Ergänzenden Vereinbarung).
Das LSG Rheinland-Pfalz führte in einem Beschluss vom 25.10.2010 - L 5 KA 45/10 B ER - aus, dass die zitierte Regelung in der Prüfvereinbarung nicht geeignet sei, die aufschiebende Wirkung einer Klage entfallen zu lassen, weil es sich nicht um eine Regelung durch Bundesgesetz handele, wie § 86a Abs 2 Nr 4 SGG dies fordere (LSG aaO Juris RdNr 13). Aufgrund dieses Beschlusses sah die Beigeladene zu 1. sich veranlasst, in allen Konstellationen, in denen die Rechtsbehelfe gegen Regressbescheide nach der gesetzlichen Regelung des ABAG demnach keine aufschiebende Wirkung entfalteten, dies aber bisher aufgrund der genannten Vereinbarung anders gehandhabt worden war, nunmehr die Vollziehung der Regressbescheide zu betreiben. Dementsprechend kündigte die Beigeladene zu 1. - nachdem sie im März 2011 von der Gemeinsamen Prüfungseinrichtung die erforderlichen Angaben erhalten hatte - mit Schreiben vom 6.4.2011 dem Kläger an, sie werde aufgrund der Verrechnungsanweisung der Prüfbehörde den Regressbetrag von ca 38 000 Euro in sein Honorarkonto einbuchen - dh in Abzug bringen -. Sie wies seinen Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 30.5.2011).
Am 7.6.2011 hat der Kläger beim erkennenden Senat beantragt, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Regressbescheide anzuordnen. Auf die Anfrage des Senats vom 9.6.2011, worin das spezifische öffentliche Interesse gesehen werde, um nach mehrjährigem - mit Art 3 § 2 Satz 4 ABAG unvereinbarem - Nichtbetreiben der Vollstreckung nunmehr in die Vollziehung zu gehen, hat die Beigeladene zu 1. erklärt, die Vollstreckung des Betrags von ca 38 000 Euro bis zur Rechtskraft der Entscheidung des BSG im Revisionsverfahren B 6 KA 18/11 R zurückzustellen (Schreiben vom 21.6.2011 an den Kläger). Daraufhin haben der Kläger und der Beklagte das Antragsverfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt (Erklärungen vom 27.6. und vom 14.7.2011).
Der Kläger beantragt, die in diesem Antragsverfahren entstandenen Kosten dem Beklagten aufzuerlegen. Dieser tritt dem entgegen und macht geltend, die Kosten dürften ihm nicht auferlegt werden. Der Kläger trägt vor, der Regressbescheid sei rechtswidrig und zudem sei ein spezifisches öffentliches Interesse daran, nach mehrjährigem Nichtbetreiben die Vollziehung nunmehr in die Vollziehung zu gehen, nicht ersichtlich. Dies falle in den Verantwortungsbereich des Beklagten als der Prüfungseinrichtung, die die Herrin des Verfahrens sei ungeachtet dessen, dass vollstreckende Behörde die zu 1. beigeladene KÄV sei. Der Beklagte wendet gegen eine ihn treffende Kostenlast ein, dass er zwar den Regressbescheid erlassen habe, aber die Verantwortung für deren Vollziehung bei der KÄV liege. Diese allein habe die Möglichkeit der Verrechnung mit Honoraransprüchen des Arztes, und auch nur sie habe die Entscheidungshoheit über Stundung oder Erlass. Die Prüfungseinrichtung habe darauf keinen Einfluss, zumal auch kein Anweisungsrecht, und werde über das jeweilige Stadium der Vollziehung oder Nichtvollziehung nicht einmal informiert.
II. A. Nach § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm § 161 Abs 2 VwGO entscheidet im Falle der Erledigung der Hauptsache das Gericht durch Beschluss nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens. Dabei ist, wie § 161 Abs 2 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO klarstellt, vor allem die bisherige Sach- und Rechtslage zu berücksichtigen, dh welcher der Beteiligten ohne das zur Erledigung führende Ereignis (hier: die Einstellung der Vollstreckung durch die Beigeladene zu 1. bis zur Rechtskraft der Entscheidung des BSG im Revisionsverfahren B 6 KA 18/11 R) voraussichtlich obsiegt hätte bzw unterlegen wäre; diese Beurteilung erfolgt nach Maßgabe der für solche Kostenentscheidungen anzuwendenden nur summarischen Überprüfung. Zudem können alle Umstände des Einzelfalls herangezogen werden wie insbesondere der Anlass für die Klageerhebung und auch der Grund der Erledigung, dh wer infolge des erledigenden Ereignisses faktischer Sieger ist (vgl dazu BSG vom 19.12.2008 - B 6 KA 14/07 R - RdNr 4 mit Hinweis auf SGG- und VwGO-Kommentare; ebenso BVerfG ≪Kammer≫ vom 1.10.2009 - 1 BvR 1969/09 - NZS 2010, 384 RdNr 17). Bei alledem ist auf den Zeitpunkt der Erledigung bzw auf die Sach- und Rechtslage unmittelbar vor dem Eintritt des zur Erledigung führenden Ereignisses abzustellen (vgl BSG aaO mwN; vgl auch BSG SozR 3-1500 § 193 Nr 2 Leitsatz: "ob der Kläger ohne die Rechtsänderung voraussichtlich ohne Erfolg geblieben wäre"). Bei der Beurteilung des voraussichtlichen Verfahrensausgangs ist auch neuere Rechtsprechung - dh solche, die später ergangen ist - zu berücksichtigen (BSG vom 19.12.2008, aaO RdNr 4 mwN).
B. Die Anwendung dieser Maßstäbe auf den vorliegenden Fall ergibt, dass der Beklagte die dem Kläger zu erstattenden Kosten seiner Rechtsverfolgung im Verfahren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu tragen hat. Der Kläger hat aufgrund der einstweiligen Zurückstellung der Vollstreckung durch die Beigeladene zu 1. mit seinem Antragsbegehren faktisch obsiegt, und er wäre auch ohne den Eintritt des zur Erledigung führenden Ereignisses voraussichtlich erfolgreich gewesen (unten 1.). Die Kostenlast trifft den Beklagten, auch wenn das erledigende Ereignis hier von der Beigeladenen zu 1. ausging, indem diese die Zurückstellung der Vollstreckung verfügte (unten 2.).
1. Der Kläger erfüllt die oben in RdNr 7 genannten Kriterien des realen und hypothetischen Obsiegens: Er hat mit seinem Antragsbegehren faktisch obsiegt; er hat erreicht, einstweilen - jedenfalls bis zur Rechtskraft der Entscheidung des BSG im Revisionsverfahren B 6 KA 18/11 R - vor der Vollstreckung geschützt zu sein.
Der Kläger hätte aber auch ohne den Eintritt des zur Erledigung führenden Ereignisses im Verfahren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung voraussichtlich obsiegt. Dies ergibt sich allerdings nicht schon daraus, dass die von ihm geltend gemachten Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Regressbescheides wahrscheinlich durchgreifen würden: Ein Obsiegen lässt sich weder aus den vom Kläger im SG- und LSG-Verfahren erhobenen Einwänden gegen die Rechtmäßigkeit des Regressbescheides herleiten noch daraus, dass der Senat auf seine Beschwerde hin die Revision zugelassen hat. Die Revisionszulassung ist im vorliegenden Fall wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache erfolgt; hieraus ergibt sich kein Indiz für oder gegen eine Erfolgsaussicht des Klägers im Revisionsverfahren.
Das voraussichtliche Obsiegen des Klägers im Verfahren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung folgt daraus, dass die dafür maßgebliche Interessenabwägung nach der Sach- und Rechtslage, wie sie hier vorlag, zu seinen Gunsten ausgefallen wäre (zur Maßgeblichkeit einer Interessenabwägung im Rahmen von § 86a Abs 2 Nr 4, § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG vgl zB Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 86a RdNr 23; Wehrhahn in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 86a RdNr 49; Binder in Lüdtke, SGG, 3. Aufl 2009, § 86b RdNr 15). Bei der Interessenabwägung, die von der Stelle vorzunehmen ist, die den Verwaltungsakt erließ und auch für die Anordnung bzw Aussetzung von dessen sofortiger Vollziehung und ebenso für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung zuständig ist, ist vor allem zu würdigen, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des zugrunde liegenden Verwaltungsaktes bestehen und ob ein ausreichendes öffentliches Interesse für eine Vollziehung vor dessen Bestandskraft vorliegt (zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit siehe § 86a Abs 3 Satz 2, ggf iVm § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGG, und zur Interessenabwägung siehe § 86a Abs 2 Nr 5, ggf iVm § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG). Zum Gesamtfeld der Abwägung bei Beurteilung des Vollziehungsinteresses gehört auch der Einwand eines Betroffenen, die Vollziehung treffe ihn wirtschaftlich unzumutbar hart. Dabei wird nicht verkannt, dass zur Objektivierung und Verifizierung der wirtschaftlichen Situation des Arztes die Überprüfung seines Honorarkontos notwendig ist und dass diese im Regelfall nicht von den Prüfgremien, sondern allein von der KÄV geleistet werden kann. Dies steht der Pflicht der Prüfgremien zu umfassender Interessenabwägung nicht entgegen; diese müssen sich dafür nötigenfalls die entsprechenden Daten von der KÄV geben lassen (vgl § 285 Abs 1 Nr 5 SGB V; siehe dazu auch BSGE 102, 134 = SozR 4-2500 § 295 Nr 2, RdNr 23 am Ende und RdNr 27, jeweils zur Zulässigkeit der Übermittlung von Daten innerhalb des Bereichs von KÄVen und Krankenkassen, was die aus deren Vertretern paritätisch zusammengesetzten Prüfgremien für die Wirtschaftlichkeitsprüfung einschließt).
Das Vorliegen eines öffentlichen Vollziehungsinteresses ist bei gesetzlichen Regelungen, die die aufschiebende Wirkung ausschließen (hier: Art 3 § 2 Satz 4 ABAG mit Ausschluss der aufschiebenden Wirkung gegen solche Regressbescheide, die sich auf Quartale der Jahre 2002 und 2003 beziehen, vgl oben RdNr 3), - zunächst - im Sinne einer generalisierenden Interessenbewertung anzunehmen (vgl zB Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO ≪Stand Mai 2010≫, § 80 RdNr 107). Dies gilt aber nicht bei Vorliegen einer besonderen Sachlage. So kann das Vorliegen eines ausreichenden Vollziehungsinteresses dann nicht mehr ohne Weiteres angenommen werden, wenn - wie hier - über viele Jahre hinweg die gesetzlich eingeräumte Möglichkeit der Vollziehung nicht genutzt wurde, dann kann davon ausgegangen werden, dass ein Interesse an einer Vollziehung nicht bzw nicht mehr bestanden hat. Soll nach jahrelanger Nichtvollziehung doch noch die Vollziehung eingeleitet werden, so muss dafür ein rechtfertigendes öffentliches Interesse sichtbar sein (im selben Sinne Bayerisches LSG vom 20.7.2009 - L 7 AS 344/09 B ER - Juris RdNr 26 f zu einer 7-monatigen Nichtvollziehung; vgl auch Schleswig-Holsteinisches VG vom 17.1.2002 - 1 B 81/01 - Juris RdNr 30 zu 2-jähriger Nichtvollziehung; aA die ältere Entscheidung OVG Nordrhein-Westfallen vom 8.2.1991 - 1 B 3117/90 - Juris RdNr 4 zu 8-monatiger Nichtvollziehung). Ein ausreichendes öffentliches Interesse an einer Vollziehung ist im vorliegenden Fall nach derart langer Nichtvollziehung nicht ersichtlich:
Für ein öffentliches Vollziehungsinteresse reicht es insbesondere nicht aus, dass das LSG Rheinland-Pfalz in seiner Entscheidung vom 25.10.2010 (L 5 KA 45/10 B ER - Juris RdNr 13) die Vereinbarung einer Nichtvollziehung als unwirksam erachtet hat. Das LSG hat zutreffend ausgeführt, dass die Ergänzende Vereinbarung zur Prüfvereinbarung vom 22.6.2009, nach der die Umsetzung von Regressen, die die Quartale bis IV 2004 betreffen, erst nach Bestandskraft der Prüfentscheidung erfolgen solle (Abschnitt I Nr 1 der Ergänzenden Vereinbarung), den gesetzlichen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in der höherrangigen gesetzlichen Vorschrift des Art 3 § 2 Satz 4 ABAG nicht außer Kraft setzen könne. Auch § 52 Abs 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte, wonach die Vertragspartner der Prüfvereinbarung nähere Regelungen über die Erfüllung von Schadenersatzfeststellungen der Prüfgremien treffen können, ermöglicht keine Abweichung von einer höherrangigen bundesgesetzlichen Vorschrift wie Art 3 § 2 Satz 4 ABAG. Indessen kann der gerichtlichen Erkenntnis der Unwirksamkeit einer Regelung, die die Vertragspartner der Prüfvereinbarung in ihrem Verhältnis zueinander vereinbart hatten, keine ausschlaggebende Bedeutung für das Außenverhältnis zum Arzt zukommen.
In einem Fall, in dem - wie hier - nach jahrelanger Nichtvollziehung doch noch die Vollziehung eingeleitet wird, bedarf es vielmehr anderer Umstände, auf die sich ein spezifisches öffentliches Interesse an der Vollziehung gründen kann: Unter Berücksichtigung der noch zu erwartenden Verfahrensdauer muss abgewogen werden, ob das bisherige Zuwarten noch weiter bis zur abschließenden Entscheidung erstreckt werden kann oder ob es mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist, den Bescheid nunmehr zu vollziehen. Diese Abwägung müsste in einem Fall wie hier zu Gunsten des Arztes ausfallen: Neu aufgetretene Gesichtspunkte in der Sphäre des Klägers, wie zB Anzeichen für einen drohenden Zahlungsausfall im Falle weiteren Zuwartens, sind nicht ersichtlich; zudem ist der Regressbetrag recht hoch (hier: ca 38 000 Euro); und im Vergleich zur bisherigen Zuwartensdauer ist die zusätzliche weitere Zeitdauer bis zum Verfahrensabschluss gering (hier: weniger als ein Jahr). In einer solchen Lage ist eine Vollziehung vor Bestandskraft unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten zu beanstanden - sodass dem Antrag des Klägers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung stattgegeben worden wäre.
2. Die aus dem Obsiegen des Klägers resultierende Kostenlast trifft den Beklagten. Er ist derjenige, den der Senat, bei dem der Kläger zu Recht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung beantragt hat (§ 86b Abs 1 Satz 1 SGG: "Gericht der Hauptsache"), zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung verpflichtet hätte. Der Beklagte dringt nicht mit seinen Einwendungen durch, dass die Zurückstellung der Vollstreckung von der zu 1. beigeladenen KÄV ausgegangen und diese auch ohnehin für die Vollstreckungsfragen zuständig sei sowie auch nur sie - und nicht er, der Beschwerdeausschuss - die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen anhand des sogenannten Honorarkontos beurteilen könne.
Die Zuständigkeit für die Vollziehungsentscheidungen liegt nach den gesetzlichen Regelungen bei der Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen hat (siehe § 86a Abs 2 Nr 5 und § 86a Abs 3 Satz 1 SGG). Diese Zuständigkeit gilt jedenfalls für alle diejenigen Einwendungen, die in den Regelungen der §§ 86a, 86b Abs 1 SGG angesprochen sind, mithin jedenfalls für Einwendungen dahingehend, es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des zugrunde liegenden Verwaltungsaktes und es gebe kein ausreichendes öffentliches Interesse für eine Vollziehung vor dessen Bestandskraft (so schon oben in RdNr 11 angegeben: siehe § 86a Abs 3 Satz 2, ggf iVm § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGG und § 86a Abs 2 Nr 5, ggf iVm § 86b Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG). Nur wenn Gesichtspunkte eine Rolle spielen bzw spielen würden, die nicht zum originären Regelungsprogramm der §§ 86a, 86b Abs 1 SGG gehören, ist unter Umständen eine Zuständigkeit der KÄV zu erwägen; dies könnte möglicherweise bei einer Aufrechnung mit einem Honoraranspruch der Fall sein, für die eine Zuständigkeit der KÄV in Betracht kommen und die als Verwaltungsakt zu qualifizieren sein könnte (zur Möglichkeit des Erlasses eines Verwaltungsakts - jedenfalls im Bereich von SGB und SGG - vgl BSG ≪Großer Senat≫ vom 31.8.2011 - GS 2/10 - SozR 4-1200 § 52 Nr 4; kein Verwaltungsakt im Sinne des Rechtsschutzsystems von § 31 SGB X, § 54 SGG und von § 35 Verwaltungsverfahrensgesetz, § 42 VwGO sind hingegen die Anordnungen der sofortigen Vollziehung selbst und ebenso wenig die Anordnung bzw Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, so allgemeine Meinung, vgl zB Keller aaO § 86a RdNr 17a; Wehrhahn aaO § 86a RdNr 33; ebenso zB Schoch aaO § 80 RdNr 140, 182; Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl 2011, § 80 RdNr 78). Einwendungen gegen Aufrechnungsakte der KÄV würden evtl richtigerweise ihr gegenüber geltend zu machen sein; dies bedarf hier aber keiner abschließenden Klärung, denn der Kläger hat solche Einwendungen nicht erhoben.
Der Kläger führt für sein Begehren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung allein Gesichtspunkte an, die von den §§ 86a, 86b Abs 1 SGG erfasst sind und zu deren Beurteilung und Bewertung die Stelle, die den Verwaltungsakt erlassen hat - hier also der Beklagte -, berufen ist: Der Kläger bezweifelt die Rechtmäßigkeit des zu vollziehenden Verwaltungsaktes und das Vorliegen eines ausreichenden Vollziehungsinteresses.
Im Übrigen könnten die Kosten des Verfahrens, entgegen dem Begehren des Beklagten, noch aus einem weiteren Grund nicht der zu 1. beigeladenen KÄV - statt ihm - auferlegt werden: Im vorliegenden Verfahren ist die KÄV lediglich beigeladen und hat sich nicht aktiv im Verfahren beteiligt; insbesondere hat sie keinen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung oder auf Ablehnung des Anordnungsantrages gestellt. Dies wäre aber Voraussetzung für eine Auferlegung oder Erstattung von Kosten (§ 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm mit einer entsprechenden Anwendung des § 162 Abs 3 VwGO, vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).
Nach alledem gibt es keinen Gesichtspunkt, der es rechtfertigen könnte, den Beklagten von der Kostenlast zu verschonen.
C. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten ist auch bei den übrigen Beigeladenen nicht veranlasst; auch sie haben im Revisionsverfahren keinen Antrag gestellt (§ 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm mit einer entsprechenden Anwendung des § 162 Abs 3 VwGO, vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).
Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Seine Bemessung auf ein Viertel des Regressbetrags entspricht der sonstigen gerichtlichen Handhabung bei Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (vgl Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit, NZS 2009, 427, 429 unter Nr 7.1 und Nr 7.2 zu Verfahren gemäß § 86a Abs 2 Nr 1 und § 86b Abs 2 SGG; Streitwertkatalog der Verwaltungsgerichtsbarkeit, NZS 2006, 350, 351 unter Nr 7.1).
Fundstellen