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BSG Beschluss vom 29.09.1975 - 8 BU 64/75

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Leitsatz (amtlich)

1. "Bezeichnet" iS des SGG § 160a Abs 2 S 3 Halbs 2 ist ein Verfahrensmangel nur dann, wenn er in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan wird.

2. Die Entscheidung des BSG oder des GmS OGB, von der die Entscheidung des LSG abweichen soll, muß so bezeichnet werden, daß sie ohne große Schwierigkeiten auffindbar ist. Dies ist im allgemeinen nur dann der Fall, wenn Datum und Aktenzeichen (eventuell Parteien) oder die Fundstelle der Entscheidung genannt werden.

3. Behauptet der Beschwerdeführer eine Divergenz iS des SGG § 160 Abs 2 Nr 2 muß er darlegen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine das Berufungsurteil tragende Abweichung in dessen rechtlichen Ausführungen enthalten ist bzw inwiefern das LSG-Urteil von der BSG-Entscheidung abweichen soll.

 

Normenkette

SGG § 160a Abs. 2 S. 3 Hs. 2 Fassung: 1974-07-30, § 160 Abs. 2 Nr. 2 Fassung: 1974-07-30

 

Tenor

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nutzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 12. März 1975 - Az.: L 3 U 735/74 - wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten ist nicht formgerecht.

Die Beklagte macht zunächst geltend, das Urteil des Landessozialgerichts (LSG) verstoße gegen die Denkgesetze und will damit einen wesentlichen Mangel des Verfahrens geltend machen. Den Verstoß gegen die Denkgesetze sieht die Beklagte darin, daß sich das angefochtene Urteil im wesentlichen auf die Behauptungen des Klägers stütze, die er 50 Jahre nach dem behaupteten Ereignis aufgestellt habe und darüberhinaus auf die Aussage eines Zeugen, der nicht Augenzeuge gewesen sei sondern lediglich irgendwann zwischen dem 26. September 1921 und dem 26. September 1924 erfahren haben wolle, daß der Kläger während der Arbeit verunglückt sein soll.

Nach § 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) muß in der Nichtzulassungsbeschwerde der geltend gemachte Verfahrensmangel bezeichnet werden. Diese Voraussetzung liegt jedoch nicht vor. Schon zur früheren Vorschrift des § 164 Abs 2 Satz 2 SGG aF, nach dem die Revisionsbegründung bei gerügten Verfahrensmängeln die Tatsachen (und Beweismittel) bezeichnen mußte, die den Mangel ergeben, hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, daß dann, wenn ein Verfahrensmangel mit der Begründung geltend gemacht wird (vgl dazu jetzt § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nF), die Erwägungen des LSG zu einer entscheidenden Frage des angefochtenen Urteils seien unlogisch und verstießen gegen die Denkgesetze, es zur Erfüllung der Formerfordernisse des § 164 Abs 2 Satz 2 SGG (aF) notwendig sei, in der Revisionsbegründung die Gedankenkette des LSG zu dieser Frage wiederzugeben und auszuführen, an welcher Stelle und wodurch sich die Gedankenführung des Gerichts zu allgemeinen Denkgesetzen in Widerspruch setze. Nichts anderes gilt - unter Beachtung des ähnlichen Wortlauts der alten und neuen Vorschrift - für Bezeichnungslast nach § 160a Abs 1 Satz 3 SGG. Dies folgt auch aus dem Sinn der Nichtzulassungsbeschwerde. Es ist nämlich nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, auf Grund allgemeiner Ausführungen des Beschwerdeführers aus dem Urteil das herauszufinden, was möglicherweise sich als ein Verstoß gegen die Denkgesetze darstellen könnte. § 160a Abs 2 Satz 3 SGG ist eine Vorschrift, die der Beschleunigung des Verfahrens und der Entlastung des BSG dient. "Bezeichnet" ist der Verfahrensmangel mithin noch nicht, wenn nur ein allgemein gehaltener Hinweis gegeben wird, sondern nur dann, wenn er in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen (vgl dazu Bundesverwaltungsgericht - BVerwG - NJW 1961, 425; 426 und Buchholz, Sammel- und Nachschlagwerk der Rechtsprechung des BVerwG 310, § 132 Nr 5, 8 und 50; vgl auch BSG 1, 227, 231) substantiiert dargetan wird. Eine Begründung, die das Revisionsgericht in die Lage versetzt, sich allein an Hand der Beschwerdebegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die angegriffene Entscheidung auf einem Verfahrensmangel beruhen kann, ist daher erforderlich. (BVerwG Buchholz 310 § 132 Nrn 3 und 8). Das Beschwerdegericht soll dadurch in die Lage versetzt werden, sich bereits an Hand der Beschwerdebegründung ein Urteil darüber zu bilden, ob die geltend gemachten Tatsachen - ihre Richtigkeit unterstellt - es als möglich erscheinen lassen, daß das Urteil darauf beruhe. Der Verfahrensmangel muß also in der Beschwerdeschrift schlüssig bezeichnet werden; dies ist nur dann der Fall, wenn die Tatsachen, die den Mangel ergeben sollen im einzelnen genau bezeichnet sind. (BVerwG, Buchholz 310, § 132 Nrn 5 und 39). An diesen Voraussetzungen fehlt es hier.

Die Beschwerde macht weiter geltend, mit der oben beschriebenen Art der Beweisführung und Beweiswürdigung sei das Hessische LSG in seinem Urteil von der Rechtsprechung des BSG über Beweisführung, Beweislast und objektive Beweislosigkeit 2 RU 75/71, 2 RU 230/62, 2 RU 91/63, 2 RU 175/67) abgewichen (vgl § 160 Abs 2 Nr 2 SGG) und habe sein Urteil auf diese Abweichung begründet. Auch diese Rüge entspricht nicht den Formerfordernissen. Abgesehen davon, daß die Bezeichnung nicht so genau ist, daß die Entscheidung des BSG, von der die Entscheidung des LSG abweichen soll, ohne große Schwierigkeiten auffindbar ist - dies ist im allgemeinen dann der Fall, wenn Datum und Aktenzeichen (evtl Parteien) oder die Fundstelle der Entscheidung genannt werden -, (vgl BFH 99, 25, 26; 101, 44, 45; BAG 1, 10, 12) ist weiterhin notwendig, daß die Beschwerde dartut, worin genau die Abweichung bestehen soll. Der Beschwerdeführer muß also ausführen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine das Berufungsurteil tragende Abweichung in dessen rechtlichen Darlegung enthalten ist, bzw inwiefern das Berufungsurteil von der BSG-Entscheidung abweichen soll. (vgl BVerwG v 12,-7-1973 - II B 11.73, DVBl 1961, 382, 383 - Buchholz 310, § 132 Nr 9, BGHZ 15, 5, 9; BAG 1, 10 12). Dies gilt umso mehr, wenn es - wie hier - wesentlich auf die richterliche Beweiswürdigung ankommt, hinsichtlich der die Rüge eines Verstoßes nach § 128 Abs 1 Satz 1 SGG ausgeschlossen ist.

Auch diesen Formerfordernissen genügt die Beschwerdebegründung nicht, weshalb sie sich als unzulässig erweist.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654320

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