Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuziehung. Rechtsanwalt. Vorverfahren
Orientierungssatz
Für die Entscheidung, die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren für notwendig zu erklären, ist maßgeblich, ob der Kläger es für erforderlich halten durfte, im Vorverfahren durch einen Rechtsanwalt unterstützt zu werden (sog Ex-ante-Sicht), und dann einen Rechtsanwalt zugezogen hat (vgl ua BSG vom 15.12.1987 - 6 RKa 21/87 = SozR 1300 § 63 Nr 12). Diese Grundsätze gelten auch für Vorverfahren bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen.
Normenkette
SGB X § 63 Abs. 2; SGB V § 106
Verfahrensgang
SG Mainz (Entscheidung vom 18.09.1996; Aktenzeichen S 1 Ka 231/95) |
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 18.03.1999; Aktenzeichen L 5 Ka 2/97) |
Tatbestand
Der Kläger ist Vertragsarzt. Gegen die Kürzungen seines Honorars für die Quartale II/1991, III/1991, III/1992 hatte er Widerspruch erhoben, gegen die Nichtkürzung des Honorars für das Quartal I/1993 hatten die Primärkassen Widerspruch erhoben. Der beklagte Beschwerdeausschuß gab nach einer persönlichen Anhörung des Klägers, zu der dieser mit seinem Prozeßbevollmächtigten erschienen war, dem Widerspruch des Klägers statt und wies den der Krankenkassen zurück. Den Antrag des Klägers aber, die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts für notwendig zu erklären und ihm die Kosten dafür zu erstatten, lehnte der Beklagte ab. Das vom Kläger angerufene Sozialgericht hat seiner Klage stattgegeben. Es hat die Zuziehung eines Rechtsanwalts für notwendig erklärt und den Beklagten verurteilt, dem Kläger die Aufwendungen des Vorverfahrens zu erstatten. Die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen.
Der Beklagte macht mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und einen Verfahrensmangel geltend (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 3 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫). Er hält für grundsätzlich bedeutsam, unter welchen Voraussetzungen die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren notwendig ist, und rügt als Verfahrensmangel, daß das LSG einem von ihm gestellten Beweisantrag nicht nachgegangen sei.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Hinsichtlich des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung ist sie zwar zulässig, denn ihre Begründung genügt den gesetzlichen Anforderungen (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG); sie ist insoweit aber unbegründet. Hinsichtlich des Zulassungsgrundes eines Verfahrensmangels ist die Beschwerde unzulässig.
Grundsätzliche Bedeutung (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) hat eine Rechtsfrage, die klärungsbedürftig und in dem mit der Beschwerde angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist. Die vom Beklagten aufgeworfene Frage, unter welchen Voraussetzungen die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren notwendig ist, ist nicht klärungsbedürftig.
In der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte (zB BSG SozR 1300 § 63 Nr 12 S 44 f betr § 63 Abs 2 Satz 2 SGB X; - BVerwG Buchholz 316 § 80 VwVfG Nr 34 S 43 und Nr 36 S 3 = BayVBl. 1994, 285 und 1996, 571, 572 betr § 80 Abs 2 VwVfG und § 162 Abs 2 Satz 2 VwGO; ebenso BVerwG VIZ 1999, 414 f; - vgl auch BFHE 119, 5, 9 betr § 139 Abs 3 Satz 3 FGO) ist geklärt, daß für die Entscheidung, die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren für notwendig zu erklären, maßgeblich ist, ob der Kläger es für erforderlich halten durfte, im Vorverfahren durch einen Rechtsanwalt unterstützt zu werden (sog Ex-ante-Sicht), und dann einen Rechtsanwalt zugezogen hat. Es mußte möglich erscheinen, daß schwierige Sach- oder Rechtsfragen eine Rolle spielen, so daß es ihm nicht zuzumuten war, das Verfahren allein zu führen (BSG aaO; BVerwG aaO). Ob der Rechtsanwalt in dem Verfahren dann auch Erklärungen im Namen des Vertretenen abgegeben hat, ist nicht entscheidend (vgl BFHE 119, 5, 9 oben).
Geklärt ist weiterhin, daß diese Grundsätze auch für Vorverfahren bei Wirtschaftlichkeitsprüfungen gelten. Der Senat hat bereits früher Kostenerstattungen für Beschwerdeverfahren anerkannt (vgl BSG SozR 3-1300 § 63 Nr 10 S 37, wenn auch ohne nähere Ausführungen; - siehe auch BSG SozR 1300 § 63 Nr 7 S 22; ferner Spellbrink, Wirtschaftlichkeitsprüfung im Kassenarztrecht, 1994, RdNrn 338 bis 340; - anders für das früher vorgeschaltete Abhilfeverfahren vor dem Prüfungsausschuß BSG SozR 1300 § 63 Nr 12 S 45, das die Zuziehung dort nur in besonderen Fällen als notwendig ansah).
Aus der Besonderheit des vorliegenden Falles, daß der Beklagte den Kläger nur zu einem persönlichen Gespräch geladen hatte und dies auf Wunsch des Klägers geschehen war, ergibt sich nichts anderes. Dieses Gespräch war eine Verhandlung im Rahmen des Vorverfahrens. Daraus läßt sich keine grundsätzliche Frage mit einer über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung ableiten, die zudem auch nicht in der Beschwerdebegründung dargelegt ist.
Ebensowenig wie mit der Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache dringt der Kläger auch nicht mit seiner Verfahrensrüge des Unterlassens der Beweiserhebung durch (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Die Zulässigkeit der Rüge, das LSG sei einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG), setzt voraus, daß der Beweisantrag noch bei den Schlußanträgen aufrechterhalten worden ist, dh im Regelfall, daß er noch in der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts - jedenfalls hilfsweise - gestellt worden ist (vgl hierzu - mit Rspr-Angaben - Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 2. Aufl 1997, Kapitel IX RdNr 208). Dies ist nicht der Fall gewesen. Im übrigen lag kein Verfahrensmangel vor. Bei Zugrundelegung der oben dargestellten Rechtsmaßstäbe hat das LSG ohnehin nicht Beweis darüber erheben müssen, ob sich der Rechtsanwalt in der Verhandlung vor dem Beklagten geäußert hatte.
Nach alledem ist die Nichtzulassungsbeschwerde mit der Kostenfolge entsprechend § 193 Abs 1 SGG zurückzuweisen.
Fundstellen