Leitsatz (amtlich)
1. Im Revisionsverfahren wird mit der Rüge, das LSG hätte, statt die Berufung als unzulässig zu verwerfen, eine Sachentscheidung treffen müssen, ein wesentlicher Mangel des Verfahrens schlüssig behauptet.
2. Ist in einer nach SGG § 215 Abs 3 am 1954-01-01 auf das LSG Baden - Württemberg übergegangenen Sache der nach altem Verfahrensrecht eingelegte Rekurs nicht ausgeschlossen gewesen, so wird trotzdem das Rechtsmittel unzulässig, wenn in einem gleichliegenden Falle das Urteil eines SG nach SGG § 148 Nr 3 mit der Berufung nicht angefochten werden könnte und ein Ausnahmefall nach SGG § 150 nicht vorliegt.
Normenkette
SGG § 148 Nr. 3 Fassung: 1953-09-03, § 150 Fassung: 1953-09-03, § 162 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03, § 215 Abs. 3 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 8. Oktober 1954 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Das Versorgungsamt ... hat dem Kläger durch Bescheid vom 26. April 1952 wegen der als Schädigungsfolgen anerkannten Folgen eines Unfalls vom November 1946 (Wirbelsäulenverletzung) mit Wirkung vom 1. November 1950 an eine Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30% bewilligt. Auf die Berufung des Klägers hat das ... Oberversicherungsamt ... durch Urteil vom 15. Oktober 1953 den Bundesfiskus verurteilt, dem Kläger ab 1. November 1950 eine Rente nach einer MdE von 50% zu gewähren. Gegen dieses Urteil hat der Kläger rechtzeitig Rekurs beim Landesversicherungsamt ... eingelegt und die Zuerkennung einer Rente für völlige Erwerbsunfähigkeit wegen der anerkannten Schädigungsfolgen begehrt. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg, auf das die am 1. Januar 1954 noch rechtshängige Rekurssache als Berufung gemäß § 215 Abs. 3 SGG überging, hat durch Urteil vom 8. Oktober 1954 die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Die Entscheidung beruht auf der Anwendung des § 148 Nr. 3 SGG, wonach in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung Urteile mit der Berufung nicht angefochten werden können, wenn sie den Grad der MdE betreffen, soweit nicht die Schwerbeschädigteneigenschaft oder die Gewährung der Grundrente davon abhängt.
Gegen dieses am 29. November 1954 zugestellte Urteil, in welchem die Revision nicht zugelassen wurde, hat der Kläger am 13. Dezember 1954 Revision eingelegt mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Baden-Württemberg zurückzuverweisen. Die Revision wird in dem am 17. Dezember 1954 eingegangenen Schriftsatz vom 14. Dezember 1954 damit begründet, daß der nach altem Recht gegen das Urteil des ... Oberversicherungsamts zulässig eingelegte Rekurs nach dem Inkrafttreten des SGG nicht unzulässig geworden sei. Die Behandlung der Berufung als unzulässig durch das Landessozialgericht stelle einen wesentlichen Mangel des Verfahrens im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG dar. Im übrigen wird auf die Schriftsätze des Prozeßbevollmächtigten des Klägers vom 11. Oktober und 12. November 1955 Bezug genommen. Der Beklagte hat unter Hinweis auf die uneinheitliche Rechtsprechung des Bayerischen Landessozialgerichts beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Auf den Schriftsatz des Landesversorgungsamts ... vom 25. Februar 1955 wird verwiesen.
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, aber trotzdem nicht statthaft.
Für die Entscheidung des Landessozialgerichts war die Frage wesentlich, ob ein vor dem Inkrafttreten des SGG (1.1.1954) gegen das Urteil eines Oberversicherungsamts im früheren Lande Württemberg-Baden eingelegtes Rechtsmittel, das nach altem Verfahrensrecht zulässig war, dann unzulässig geworden ist, wenn die Sache nach § 215 Abs. 3 auf das Landessozialgericht übergegangen ist und das Rechtsmittel als Berufung neuen Rechts unzulässig wäre. Diese Rechtsfrage hatte unzweifelhaft grundsätzliche Bedeutung und hätte dem Landessozialgericht umso mehr Anlaß geben müssen, die Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zuzulassen, als mehrere Senate des Bayerischen Landessozialgerichts dieselbe Rechtsfrage in verschiedenem Sinne beantwortet haben und deren Entscheidungen damals schon veröffentlicht waren (vgl. Breithaupt, Sammlung der Entscheidungen 1954, Seite 415, 447, 753). Die Bezugnahme auf die "ständige Rechtsprechung des Senats" ist keine ausreichende Begründung.
Der Revisionskläger hat aber nicht diesen Mangel gerügt, sondern als wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG die Tatsache geltend gemacht, daß das Landessozialgericht die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen hat, ohne eine Sachentscheidung zu treffen. Die Statthaftigkeit der Revision hängt daher davon ab, ob das Landessozialgericht zu Unrecht die Berufung als unzulässig angesehen hat. Dies war zu verneinen.
Hätte das Landesversicherungsamt Württemberg-Baden vor dem Inkrafttreten des SGG (1.1.1954) über den Rekurs des Klägers entschieden, so hätte es eine Sachentscheidung treffen können, da ein Rekurs-Ausschließungsgrund nach dem damals geltenden Recht (vgl. § 1700 Reichsversicherungsordnung - RVO -) nicht vorlag. Würde es sich aber um die Berufung gegen ein Urteil eines Sozialgerichts gehandelt haben, so wäre die Berufung nach § 148 Nr. 3 SGG nicht zulässig; denn das angefochtene Urteil betrifft nur den Grad der MdE, die Schwerbeschädigteneigenschaft ist nach Erlaß des angefochtenen Urteils des Oberversicherungsamts nicht mehr streitig und die Gewährung der Grundrente überhaupt nicht streitig gewesen. Ein Grund, der die Berufung ausnahmsweise nach § 150 SGG zulässig macht, liegt nicht vor.
Obwohl § 215 Abs. 3 SGG eine ausdrückliche Vorschrift darüber nicht enthält, nach welchen Vorschriften die Zulässigkeit einer Berufung nach Übergang der Streitsache vom Landesversicherungsamt auf das Landessozialgericht zu beurteilen ist, kann die Antwort hierauf dem Zweck des Gesetzes entnommen werden. Das SGG hat sich zum Ziel gesetzt, die neuen Einrichtungen und Rechtsschutzmöglichkeiten den Rechtsuchenden in Sachen, die schon vor dem 1. Januar 1954 entschieden wurden, nur in beschränktem Umfange zur Verfügung zu stellen. Hieraus ist zu folgern, wie der Senat bereits in einer anderen Sache entschieden hat (Urteil vom 20.9.1955 - 9 RV 78/54 -), daß ein Rechtsmittel, das gegen eine vor dem 1. Januar 1954 erlassene Entscheidung eingelegt, aber vor diesem Stichtag nicht mehr erledigt worden ist, zweimal auf seine Zulässigkeit hin geprüft werden muß, nämlich nach altem und nach neuem Recht, und daß es schon durch eine dieser Vorschriften allein, die das Rechtsmittel ausschließt, zu Fall gebracht wird. Ein zulässig eingelegter Rekurs in einer nach § 215 Abs. 3 SGG auf das Landessozialgericht übergegangenen Sache wird daher als Berufung unzulässig, wenn ein Ausschließungsgrund nach den §§ 144 - 149 SGG vorliegt, es sei denn, daß die Berufung in sinngemäßer Anwendung des § 150 Nr. 1 zulässig ist (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts vom 16.6.1955 - 8 RV 461/54). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Das Landessozialgericht hat daher mit Recht angenommen, daß gegen das Urteil des Oberversicherungsamts vom 15. Oktober 1953 gemäß § 148 Nr. 3 SGG die Berufung nicht statthaft ist.
Da die vom Kläger vorgebrachten Tatsachen einen wesentlichen Mangel des Verfahrens nicht ergeben, war die Revision in Übereinstimmung mit dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 14. Juli 1955 - 8 RV 177/54 - als unzulässig zu verwerfen.
Die Entscheidung im Kostenpunkt beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen