Tenor

I Das Revisionsverfahren wird ausgesetzt.

II Dem Europäischen Gerichtshof werden gemäß Art 177 des EWG-Vertrages folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

  1. Ist eine aus Steuermitteln finanzierte Geldleistung eine Familienleistung iS des Art 1 Lit u) i) EWGV 1408/71,

    wenn der Anspruch voraussetzt, daß ein Elternteil sein Kind in dessen erster Lebensphase selbst erzieht und auf eine Vollerwerbstätigkeit verzichtet,

    wenn die als Festbetrag vorgesehene Geldleistung nur gezahlt wird, soweit das Einkommen bestimmte nach der Zahl der Familienmitglieder gestaffelte Einkommensgrenzen nicht überschreitet,

    und wenn die Geldleistung zwar als eine familienpolitische Sozialleistung die Erziehungsleistung und den Verzicht auf ein Vollerwerbseinkommen sowie den sonstigen Betreuungs- und Erziehungsaufwand ausgleichen soll, vorrangig aber darauf abzielt, als verhaltenssteuernde Norm die Hinwendung zum Kind bewirken?

  2. Wenn die Frage 1. zu bejahen ist: Ist die Geldleistung in Ansehung des Wanderarbeitnehmers iS des Art 73 EWGV 1408/71 auch dann eine Familienleistung, wenn nicht dieser das Kind erzieht und deshalb anspruchsberechtigt ist, sondern dessen Ehegatte?
  3. Gelten einzelstaatliche Rechtsvorschriften, die in einem Mitgliedstaat zugunsten seiner dort wohnhaften Staatsangehörigen einen Anspruch auf eine Geldleistung für einen Elternteil vorsehen, der sein Kind in dessen erster Lebensphase selbst erzieht und auf eine Vollerwerbstätigkeit verzichtet, nach EG-Recht, etwa nach Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68, auch für den Ehegatten eines in diesem Staat iS der EWGV 1408/71 beschäftigten Arbeitnehmers, der mit seinem Ehegatten in einem anderen Mitgliedstaat wohnt (Grenzgänger)?
 

Tatbestand

I

Streitig ist ein Anspruch auf Gewährung von Erziehungsgeld (Erzg).

Die Klägerin ist Hausfrau. Sie lebt mit ihrem Ehemann, der in Aachen als wissenschaftlicher Angestellter beschäftigt ist, und ihren Kindern O. … (geboren 1983), M. (geboren 1986) und N. … (geboren am 20. Juni 1991) nahe der deutsch-belgischen Grenze in H. … /Belgien, ca 6 km von Aachen entfernt. 1987 ist die Familie von M. … nach H. … umgezogen. Alle Familienmitglieder besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit. Die beiden älteren Kinder gehen in Aachen zur Schule. N. … besucht einen Kindergarten in Aachen.

Das beklagte Land hat die beantragte Gewährung von Erzg für N. … abgelehnt, weil die Klägerin weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort in der Bundesrepublik Deutschland habe (Bescheid vom 2. Januar 1992, Widerspruchsbescheid vom 10. April 1992). Die Klage vor dem Sozialgericht (SG) Münster blieb erfolglos (Urteil vom 19. Januar 1993). Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Erzg für ihren Sohn N. … zu zahlen. Unter Berücksichtigung des Zwecks des Erziehungsgeldrechts liege der gewöhnliche Aufenthalt einer Inländerfamilie, die im Einzugsbereich einer inländischen Stadt grenznah im Ausland wohnt, im Gebiet des Einzugsbereichs dieser Stadt und damit auch im Inland, wenn die Familienmitglieder wirtschaftlich, sozial und kulturell an diese Stadt gebunden sind. Indiz für den gewöhnlichen Aufenthalt des überwiegend mit Familienarbeit befaßten Elternteils im Inland sei der Kindergarten- und Schulbesuch von Kindern im Inland (Urteil vom 17. Juni 1994).

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten. Er meint, ungeachtet der vielfältigen Verbindungen zu Aachen liege der Schwerpunkt der Lebensführung der Klägerin am Ort der Familienwohnung in Belgien. Das LSG habe mit seiner gegenteiligen Entscheidung die Vorschriften des § 1 Abs 1 Nr 1 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) und des § 30 Abs 3 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) verletzt.

Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17. Juni 1994 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 19. Januar 1993 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,

die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Berufungsurteil.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gemäß Art 177 des EWG-Vertrages zur Vorabentscheidung vorgelegten Rechtsfragen zur Anwendung des Gemeinschaftsrechts sind entscheidungserheblich. Nach den Regelungen des BErzGG steht der Klägerin der geltend gemachte Anspruch nicht zu. Er scheitert daran, daß die Klägerin weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat, wie es § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG verlangt, und daß sie auch nicht über ein Arbeitsverhältnis in der Bundesrepublik Deutschland verfügt, was nach § 1 Abs 4 Nr 1 BErzGG für Angehörige eines Mitgliedstaats der Europäischen Union (EU) ausreichen würde. Letzteres trifft zwar auf ihren Ehemann zu; dieser hat jedoch deshalb keinen Anspruch auf Erzg, weil er seine Vollzeitbeschäftigung in Aachen nach der Geburt seines Sohnes N. … unverändert fortgesetzt hat.

Das LSG hat die Voraussetzungen eines gewöhnlichen Aufenthalts der Klägerin im Inland (Aachen) als erfüllt angesehen, weil die Kinder Schulen und Kindergärten in Aachen besuchen und nicht Erziehungseinrichtungen am ausländischen Wohnort der Familie. Dem vermag der Senat nicht zuzustimmen. Die in § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG verwendeten Begriffe „Wohnsitz” und „gewöhnlicher Aufenthalt” sind in § 30 Abs 3 SGB I definiert. Seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem bestimmten Ort oder in diesem bestimmten Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Entscheidend sind die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls. Sie sprechen auch im vorliegenden Fall gegen die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts an einem Ort oder in einem bestimmten Gebiet im Inland. Ungeachtet der vielfältigen Verbindungen nach Aachen, die möglicherweise sogar zu täglichen oder nahezu täglichen Besuchen bzw Aufenthalten in dieser Stadt führen, hat die Klägerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt am Ort ihrer Wohnung in Belgien. Solange jemand nur eine Wohnung hat, in der er auch tatsächlich ununterbrochen lebt und dort zudem den Haushalt der Familie führt, ist der gewöhnliche Aufenthalt dieser Person am Ort (politische Gemeinde) der Wohnung anzunehmen, mag sie auch aus beruflichen (zB Tagespendler zum Arbeitsplatz) oder privaten Gründen (zB Transport der Kinder zum Kindergarten oder zur Schule und Abholen der Kinder; Einkäufe; Besuche bei Verwandten und Bekannten) sich regelmäßig, vielleicht sogar täglich, für eine gewisse Zeit in einer anderen Stadt aufhalten. Zumindest dann, wenn in dieser Stadt keine Zweitwohnung unterhalten wird und eine tägliche Rückkehr in die Wohnung der Familie erfolgt, liegt der Schwerpunkt der Lebensführung am Ort des Wohnsitzes. Die Besuche in der benachbarten Stadt führen allenfalls zu einem täglichen vorübergehenden Aufenthalt in dieser Stadt und tangieren den Schwerpunkt der Lebensführung nicht. Zwar kann bei einem Tagespendler (Grenzgänger) mit einem inländischen Arbeitsplatz aus Rechtsgründen – fiktiv – ein zusätzlicher „gewöhnlicher Aufenthalt” am Ort des Beschäftigungsverhältnisses anzunehmen sein (so BSG, Urteil vom 25. Oktober 1977 – 8/12 RKg 8/77BSGE 45, 95 = SozR 5870 § 8 Nr 3 zum Kindergeldrecht). Dies trifft jedoch auf die Klägerin nicht zu, da sie keiner Erwerbstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland nachgeht.

Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin gegen die Regelungen des BErzGG teilt der Senat nicht.

Es verstößt nicht gegen Art 3 Grundgesetz (GG), daß im Ausland lebende Deutsche, solange sie kein inländisches Arbeitsverhältnis (§ 1 Abs 4 Nr 1 BErzGG) haben, grundsätzlich keinen Erzg-Anspruch erwerben können.

Die Vorschrift des § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG fußt auf dem gemäß § 30 Abs 1 SGB I allgemein im Sozialrecht geltenden Grundsatz der Anknüpfung von Rechtsfolgen an inländische Tatbestände (Territorialitätsprinzip) als Grundlage des persönlichen Anwendungsbereichs sozialrechtlicher Bestimmungen. Dieses Prinzip rechtfertigt grundsätzlich eine unterschiedliche Behandlung von Auslands- und Inlandssachverhalten bei der Gewährung von Sozialleistungen wegen Kindererziehung.

Die Klägerin ist als Ehefrau eines hier beschäftigten Arbeitnehmers auch nicht gegenüber den in § 1 Abs 2 BErzGG genannten Personengruppen und ihren mit ihnen in einem Haushalt lebenden Ehegatten in unzulässiger Weise von der Anspruchsberechtigung ausgeschlossen worden. Für die Ungleichbehandlung hatte der Gesetzgeber einen hinreichenden Grund. Die in den Nrn 1 (vom Arbeitgeber oder Dienstherrn angeordnete Entsendung, Abordnung, Versetzung oder Abkommandierung eines Beschäftigten ins Ausland zur vorübergehenden Dienstleistung) und 4 (Entwicklungshelfer) des § 1 Abs 2 BErzGG genannten Personengruppen sind dadurch gekennzeichnet, daß ihr Auslandsaufenthalt dienstlich veranlaßt ist. Die in Nr 3 erfaßte Personengruppe der im Ausland wohnenden Empfänger von Versorgungsbezügen aus öffentlichen Kassen oder von Versorgungsrenten einer Zusatzversorgungsanstalt für Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes unterscheidet sich ua dadurch, daß ein aktives Dienstverhältnis nicht mehr besteht. Es liegt im Bereich des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums zu typisierenden Regelungen, dieser Gruppe generell Erzg auch ins Ausland zu zahlen.

In Nachbarstaaten beschäftigte Angehörige der Deutschen Bundesbahn, der Deutschen Bundespost und der Bundesfinanzverwaltung brauchten nach der bis zum 31. Dezember 1993 geltenden Regelung des § 1 Abs 2 Nr 2 BErzGG ihren Wohnsitz nicht im Bundesgebiet zu haben und konnten dennoch einen Anspruch auf Erzg geltend machen. Seit dem 1. Januar 1994 ist diese Vorschrift gestrichen; die bereits erwähnte Regelung des § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 1 BErzGG gilt jedoch auch für die Beschäftigten der Deutschen Bahn AG, der ehemaligen Deutschen Bundespost – Deutsche Post AG, Deutsche Postbank AG, Deutsche Telekom AG – und auch der Bundesfinanzverwaltung. Für eine weitere Privilegierung von Arbeitnehmern und Bediensteten deutscher Unternehmen oder Behörden, die nicht nur vorübergehend ins Ausland entsandt sind, sondern dort als „Ortskräfte” beschäftigt und wohnhaft sind, hat der Gesetzgeber keinen Anlaß mehr gesehen (vgl BT-Drucks 12/5929, S 5).

Art 6 Abs 1 GG, nach dem Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen, ist gleichfalls nicht verletzt. Die Vorschrift enthält nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ua eine wertentscheidende Grundsatznorm, dh eine verbindliche Wertentscheidung für das gesamte Recht, soweit es Ehe und Familie betrifft (BVerfGE 6, 55, 72; 62, 323, 329 = SozR 2200 § 1264 Nr 6), aus der sich die Verpflichtung des Staates ergibt, die Familie auch in ihrem wirtschaftlichen Zusammenhalt durch geeignete Maßnahmen zu fördern (BVerfGE 6, 55, 76; 13, 331, 347; 55, 114, 126 = SozR 2200 § 1302 Nr 4; BVerfGE 61, 18, 25; 62, 323, 332). Diese Förderungspflicht geht jedoch nicht so weit, daß der Gesetzgeber gehalten wäre, jegliche die Familie treffende finanzielle Belastung auszugleichen (BVerfGE 23, 258, 264; 55, 114, 127). So läßt sich zB ein Anspruch auf finanzielle Entlastung des Unterhaltsleistenden aus Art 6 Abs 1 GG nicht herleiten (BVerfGE 28, 104, 113; 40, 121, 132 = SozR 2400 § 44 Nr 1; BVerfGE 43, 108, 121). Eine Förderung der Familie nach dem Maß der von den Eltern erbrachten Unterhaltsleistungen ist verfassungsrechtlich nicht zwingend vorgeschrieben. Der Gesetzgeber kann grundsätzlich im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit bestimmen, auf welche Weise er seiner Verpflichtung zur Förderung der Familie nachkommen will (BSG SozR 7833 § 3 Nr 1). Der Schutz der Familie gewährt keinen Anspruch auf bestimmte Sozialleistungen. Daher ist Art 6 Abs 1 GG nicht verletzt, wenn im Ausland lebende Deutsche ohne inländisches Arbeitsverhältnis für den Erzg-Anspruch grundsätzlich nicht berücksichtigt werden.

Das BErzGG steht somit einer zusprechenden Entscheidung des Rechtsstreits entgegen.

III

Andererseits kann der Anspruch nach Gemeinschaftsrecht begründet sein, wenn dieses den nationalen Gesetzgeber dazu zwingt, auch dann beiden Eltern das Wahlrecht einzuräumen, wer das Kind erzieht, wenn die Eltern in einem anderen Mitgliedstaat wohnen und nur ein Elternteil im Inland in einem Arbeitsverhältnis steht, oder wenn das Gemeinschaftsrecht den nationalen Gesetzgeber daran hindert, hinsichtlich des Erzg nachteilige Rechtsfolgen daran zu knüpfen, daß ein im Inland beschäftigter Arbeitnehmer seine Wohnung nicht im Inland nimmt, sondern im grenznahen Gebiet eines anderen Mitgliedstaats. Hierzu stellen sich die vorgelegten Rechtsfragen. Die Vorlage erübrigt sich nicht deshalb, weil das LSG bereits in zwei Parallelverfahren (Verfahren L 13 Kg 95/93 und L 13 Kg 92/91 des LSG Nordrhein-Westfalen) in den Beteiligten dieses Verfahrens bekannten Beschlüssen vom 17. Juni 1994 und 19. August 1994 (Breithaupt 1995, 439) ähnliche Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorgelegt hat. Die aus dem Entscheidungssatz ersichtlichen drei Fragen kommen inhaltlich den Fragen 1, 2a und 3c des LSG-Beschlusses vom 17. Juni 1994 bzw den Fragen 1, 2 und 3c des LSG-Beschlusses vom 19. August 1994 nahe. Der Senat sieht es jedoch als geboten an, die Ausführungen zu Sinn und Zweck des Erzg zu ergänzen, was eine erneute Vorlage erfordert.

Zu Frage 1:

1. Familienleistungen sind nach der Definition des Art 1 lit u) i) EWGV 1408/71 alle Sach- oder Geldleistungen, die zum Ausgleich von Familienlasten im Rahmen der in Art 4 Abs 1 lit h) EWGV 1408/71 genannten Rechtsvorschriften bestimmt sind, jedoch mit Ausnahme der in Anhang II aufgeführten besonderen Geburtsbeihilfen.

Der Senat neigt der Ansicht zu, daß es sich bei dem Erzg nicht um eine Familienleistung iS des Art 1 lit u) i) und des Art 4 Abs 1 lit h) EWGV 1408/71 handelt. Der vom LSG Nordrhein-Westfalen vertretenen entgegenstehenden Ansicht vermag der Senat nicht beizupflichten.

Das Gesetz über die Gewährung von Erzg und Erziehungsurlaub (BErzGG) vom 6. Dezember 1985 (BGBl I S 2154) ist als zentraler Bestandteil eines Pakets familienpolitischer Maßnahmen am 1. Januar 1986 in Kraft getreten. Mit ihm sind Erzg und Erziehungsurlaub eingeführt worden, und zwar für die von diesem Zeitpunkt an geborenen Kinder. Das BErzGG hat die durch das Gesetz über die Einführung eines Mutterschaftsurlaubs vom 25. Juni 1979 (BGBl I S 797) in das Mutterschutzgesetz eingefügten Vorschriften über den Mutterschaftsurlaub abgelöst. Das Mutterschaftsurlaubsgeld, das nur leibliche Mütter erhielten, die vor der Geburt des Kindes in einem Arbeitsverhältnis standen oder Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit bezogen, war eine Lohnersatzleistung. Anspruch auf Mutterschaftsurlaub und auf Mutterschaftsurlaubsgeld hatten die Mütter nach dem Mutterschutzgesetz vom Ende der Mutterschaftsfrist bis zum sechsten Lebensmonat ihres Kindes.

Erzg-berechtigte Arbeitnehmer haben Anspruch auf einen dem Mutterschaftsurlaub nachgebildeten Erziehungsurlaub (§§ 15 ff BErzGG) und sind während dieser Zeit vor einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses geschützt (§ 18 BErzGG). Die notwendigen Rahmenbedingungen, die die Inanspruchnahme von Erzg und Erziehungsurlaub absichern, finden sich in zahlreichen Vorschriften in anderen Rechtsgebieten, insbesondere im Arbeitsrecht, in den Vorschriften über die gesetzliche Krankenversicherung und im Arbeitsförderungsgesetz. Der Anspruch auf Erzg und auf Erziehungsurlaub bestand für die nach dem 31. Dezember 1985 geborenen Kinder bis zum 10. Lebensmonat des Kindes. Die Anspruchsdauer ist in der Folgezeit in mehreren Schritten verlängert worden; sie erstreckt sich derzeit auf 24 Monate (§ 4 Abs 1 BErzGG).

Das Erzg ist eine familienpolitische Sozialleistung (§ 25 Abs 2 SGB I). Das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses oder Versicherungsverhältnisses in der gesetzlichen Krankenversicherung ist nur insoweit von Bedeutung, als während des Erzg-Bezugs keine volle Erwerbstätigkeit ausgeübt werden darf (§ 1 Abs 1 Nr 4 BErzGG), entsprechende Lohnersatzleistungen den Anspruch auf Erzg ausschließen (§ 2 Abs 2 BErzGG), das für die Zeit nach der Geburt laufend zu zahlende Mutterschaftsgeld auf das Erzg angerechnet wird (§ 7 BErzGG) und im Ausland in Anspruch genommene vergleichbare Leistungen den Anspruch auf Erzg ausschließen (§ 8 Abs 3 BErzGG). Die Regelung über das Erzg bezieht alle Mütter (auch nicht berufstätige – Hausfrauen, Schülerinnen und Studentinnen – und selbständig tätige Mütter sowie Adoptiv- und Stiefmütter) und auch die Väter ein. Der Kreis der anspruchsberechtigten Personen ist damit gegenüber den Vorschriften über den Mutterschaftsurlaub erweitert worden. Insoweit kommt der vom Gesetz bezweckten persönlichen Hinwendung eines Elternteils zum Kind, die mit dem Verzicht auf eine Vollerwerbstätigkeit verbunden ist, eine besondere den Charakter der Leistung prägende Bedeutung zu, auf die später noch einzugehen ist.

Das Erzg wird neben dem Kindergeld gezahlt. Es wird bei der Berechnung einkommensabhängiger Sozialleistungen nicht angerechnet (§ 8 Abs 1 BErzGG) und berührt grundsätzlich nicht die Unterhaltsverpflichtungen (§ 9 BErzGG). Es unterliegt nicht der Einkommensteuer (§ 3 Nr 67 Einkommensteuergesetz ≪EStG≫).

Kindererziehungszeiten werden in der Rentenversicherung als Versicherungszeit, dh als rentenbegründende und rentensteigerende Zeit, angerechnet. Mütter und Väter, die sich der Kindererziehung widmen und auf eine Vollerwerbstätigkeit verzichten, sind in den 36 Monaten nach Ablauf des Geburtsmonats des Kindes rentenversichert. Die Erziehung eines Kleinkindes wird damit einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit gleichgestellt (§ 1227a Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫ aF und § 56 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch – ≪SGB VI≫). Während des Bezugs des Erzg bzw während der Inanspruchnahme des Erziehungsurlaubs bleibt der Erziehende als Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung beitragsfrei weiter versichert (§ 192 Abs 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch – Fünftes Buch – ≪SGB V≫).

Das Erzg beträgt einheitlich 600,– DM monatlich (§ 5 Abs 1 BErzGG). Das Erzg hängt nach Grund und Höhe für die Zeit ab dem siebten Lebensmonat des Kindes von der Höhe des Einkommens der Eltern ab. Das Einkommen darf für diese zweite einkommensabhängige Phase bestimmte nach der Zahl der Familienmitglieder gestaffelte Einkommensgrenzen nicht überschreiten (29.400,– DM bei Verheirateten, sonst 23.700,– DM, zuzüglich 4.200,– DM für jedes weitere Kind, § 5 Abs 2 Satz 2 BErzGG). Bis Ende 1993 wurde Erzg in den ersten sechs Monaten sogar einkommensunabhängig gewährt. Seit dem 1. Januar 1994 wird das Erzg in den ersten sechs Lebensmonaten entsprechend der Regelung des § 5 Abs 3 BErzGG gemindert, wenn das Einkommen bei Verheirateten 100.000,– DM und bei anderen Berechtigten 75.000,– DM (zuzüglich 4.200,– DM für jedes weitere Kind) übersteigt (§ 5 Abs 2 Satz 1 BErzGG).

2. Das Erzg dient als familienpolitische Sozialleistung – der Honorierung der Erziehungsleistung, – der Abmilderung finanzieller Nachteile aufgrund des Verzichts auf ein Vollerwerbseinkommen sowie – dem Ausgleich für den sonstigen Betreuungs- und Erziehungsaufwand.

Dies hat auch das LSG Nordrhein-Westfalen hervorgehoben; insoweit kann ihm gefolgt werden.

Mit dem Erzg wird der Zweck verfolgt, einem Elternteil zu ermöglichen oder zu erleichtern, sich in der für die ganze spätere Entwicklung entscheidenden ersten Lebensphase eines Kindes vorrangig dessen Betreuung und Erziehung zu widmen. Das Erzg soll in Verbindung mit dem Erziehungsurlaub Müttern und Vätern die Möglichkeit geben, ganz oder teilweise auf eine Erwerbstätigkeit bei gleichzeitigem Kündigungsschutz für das ruhende Arbeitsverhältnis zu verzichten. Andererseits kann die Mutter auch – wie bereits beim Mutterschaftsurlaub – weiter zu Hause bleiben, um sich neben der Betreuung des Kindes gesundheitlich zu regenerieren. Durch die Möglichkeit der Inanspruchnahme durch den Vater wird die Wahlfreiheit der Eltern, wer von ihnen das Kind erziehen soll, vom Gesetz anerkannt und gefördert (BT-Drucks 10/3792 S 13). Die Anerkennung der Erziehungsleistung in der Familie ist somit ein wesentlicher Zweck des Erzg. Dies kommt insbesondere auch in der Neuregelung zum BErzGG vom 6. Dezember 1991 (BGBl I S 2142) zum Ausdruck; mit ihr ist der Kreis der Anspruchsberechtigten, vor allem in Härtefällen, deutlich ausgeweitet worden. Hinzugetreten ist ferner die Anerkennung der Betreuung und Erziehung eines angenommenen oder in Adoptionspflege genommenen Kindes, auch über die Kleinkindphase hinaus, nämlich bis zur Vollendung des siebten Lebensjahres des Kindes. Durch das Erzg soll eine wichtige Hilfe für junge Familien gegeben werden. Auch für schwangere Frauen, die sich aus wirtschaftlichen Gründen in Konfliktsituationen befinden, soll das Erzg – ggf ergänzt durch andere nicht anrechenbare Sozialleistungen und durch Hilfen der Stiftung „Mutter und Kind – Schutz des ungeborenen Lebens” – die Entscheidung für das Kind erleichtern (BT-Drucks 10/3792 S 13).

Andererseits ist mit der Pflicht, während des Bezuges von Erzg auf die Aufnahme einer mehr als 19 Wochenstunden umfassenden Erwerbstätigkeit zu verzichten (§ 1 Abs 1 Nr 4, § 2 Abs 1 Nr 1 BErzGG) bzw eine bisher ausgeübte Vollerwerbstätigkeit durch die Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub vorübergehend ganz oder teilweise aufzugeben, ein finanzieller Nachteil potentiell (zB bei Hausfrauen, Arbeitslosen) oder konkret (bei Erwerbstätigen) untrennbar verbunden. Zumindest in letzterer Funktion hat das Erzg auch Züge einer Lohnersatzleistung (BSG SozR 3-4100 § 113 Nr 1). Das Erzg setzt indes nicht voraus, daß ohne die Erziehungsleistung ein Erwerbseinkommen erzielt worden wäre. Gleichwohl dient das Erzg danach auch der Abmilderung eines finanziellen Nachteils für die Familien und damit – mittelbar – dem Familienlastenausgleich.

In seiner Zweckbestimmung abzugrenzen ist das Erzg in diesem Zusammenhang vom Kindergeld. Im Gegensatz zum Erzg dient das Kindergeld als Beitrag zum Unterhalt für ein Kind; bei Zwillingen wird es demgemäß seit jeher auch für beide Kinder gezahlt. Es trägt somit zum Familienlastenausgleich bei und ist als Familienleistung iS des Art 1 lit u) i) EWGV 1408/71 unstrittig. Beim Erzg steht hingegen die Anerkennung für die Erziehungsleistung, die Hinwendung zum Kind in den ersten Lebensmonaten unter Hintanstellung beruflicher Interessen im Vordergrund. Es wird demzufolge auch – wie bereits erwähnt – zusätzlich zum Kindergeld gezahlt. Da die mit der Hinwendung zum Kind verbundene Einschränkung der Erwerbsmöglichkeit in zeitlicher Hinsicht bei der Geburt eines Kindes wie bei der Geburt von Zwillingen oder Drillingen nur einmal auftritt und das Erzg nicht den Zweck verfolgt, Unterhaltsaufwendungen zu ersetzen, wurde es bis zum 30. Juni 1989 bei Mehrfachgeburten auch nur einmal gezahlt (BSG SozR 7833 § 3 Nr 1), was verfassungsrechtlich unbedenklich war (BVerfG SozR 7833 § 3 Nr 2). Mit Rücksicht auf den vom Erzg auszugleichenden Betreuungs- und Erziehungsaufwand, der bei Mehrfachgeburten erhöht ist, hat der Gesetzgeber ab 1. Juli 1989 auch bei Mehrfachgeburten den Anspruch auf Erzg auf jedes Kind erstreckt (§ 3 Abs 1 Satz 2 BErzGG).

3. Soweit das LSG aus der Funktion des Erzg als Ausgleich für die Erziehungsleistung, für den Verzicht auf ein Vollerwerbseinkommen sowie für den sonstigen Betreuungs- und Erziehungsaufwand den Schluß zieht, bei dem Erzg handele es sich um eine Familienleistung iS des Art 1 lit u) i) EWGV 1408/71, vermag der Senat dem nicht zuzustimmen.

Denn diese Wertung läßt außer acht, daß die Regelungen zum Erzg und zum Erziehungsurlaub primär einen „verhaltenssteuernden Charakter” haben und die vorgenannten Zwecke der verschiedenen Bestimmungen des BErzGG und der begleitenden Vorschriften in anderen Gesetzen nur dem übergeordneten Zweck dienen, die verhaltenssteuernde Zielrichtung des BErzGG zu unterstützen. Vorrangiges Ziel des BErzGG und damit auch des Erzg ist die „Hinwendung zum Kind” und dessen Betreuung in den ersten Lebensmonaten (so auch Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, München 1994, S 264). Dies kommt auch in den Gesetzesmaterialien deutlich zum Ausdruck, in denen es ua heißt: „Das Erzg fördert die Betreuung und Erziehung eines Kindes in der ersten Lebensphase. Seit Jahren ist anerkannt, wie sehr die ganze spätere Entwicklung eines Kindes von der ersten Lebensphase abhängt und wie wichtig es ist, daß die Mutter oder der Vater in dieser Zeit für das Kind da sein können” (BT-Drucks 10/3792 S 13).

Alle Regelungen des BErzGG orientieren sich an diesem übergeordneten Gesichtspunkt und sind dementsprechend konzipiert. Ein Elternteil soll sich voll und ganz der Betreuung und Erziehung des Kindes in der ersten Lebensphase widmen. Die damit möglicherweise verbundenen sozialen und wirtschaftlichen Nachteile sollen weitestgehend vermieden oder ausgeglichen werden. Eine etwaige Fortsetzung der Berufstätigkeit beider Elternteile im Anschluß an die Mutterschutzfrist ist zwar möglich und erlaubt, aber familienpolitisch nicht erwünscht. Ein Elternteil soll nach dem Willen des Gesetzgebers in der ersten Lebensphase des Kindes zuhause bleiben, sich dessen Betreuung und Erziehung zuwenden und ihm als „feste Bezugsperson” dienen.

Bei Mehrlingsgeburten ist das gesetzgeberische Anliegen nach der Hinwendung zum Kind deshalb auch verstärkt vorhanden; es bezieht sich auf jedes der Kinder. Demgemäß wird das Erzg seit dem 1. Juli 1989 auch für jedes Kind gezahlt (§ 3 Abs 1 Satz 2 BErzGG), obwohl der Verzicht auf die Aufnahme bzw auf die Fortsetzung der Vollerwerbstätigkeit bei Mehrlingsgeburten in seinen finanziellen Auswirkungen nicht schwerer wiegt als bei Einzelgeburten.

Der Zahlung des Erzg für jedes Kind und der – wenn auch für die ersten sechs Monate und für die Folgezeit verschieden ausgestalteten – Einkommensabhängigkeit dieser Geldleistung kommt für die Wertung als „sozialer Zuschlag” für die Familie und als Familienleistung iS des Art 1 lit u) i) EWGV 1408/71 keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Erzg wird auch dann nicht gewährt, wenn beide Eltern vollerwerbstätig sind, kein die Freibeträge übersteigendes Einkommen erzielen können und durch die Inanspruchnahme bezahlter Hilfe für die Betreuung des Kindes noch zusätzlich belastet sind. In Ansehung des Gleichheitssatzes wird die erstrebte persönliche Hinwendung zum Kind als ein der Bedarfslage übergeordneter sachlicher Gesichtspunkt anerkannt. Die Hinwendung zum Kind muß für den ganzen Bezugszeitraum vorliegen. Das erlaubt eine einheitliche Bewertung des Erzg für die ganze Bezugszeit. Eine Berücksichtigung des Erzg als Familienleistung nur für die einkommensabhängige Phase würde der Einheitlichkeit des Leistungskonzepts nicht gerecht.

Verhaltenssteuernde Normen darf ein Gesetzgeber grundsätzlich nur den im Inland wohnenden Bürgern auferlegen, wobei es auf die Frage der Staatsangehörigkeit der Bürger in der Regel nicht ankommt. Soweit sich das bezweckte Verhalten auf ein Arbeitsverhältnis bezieht, genügt ein inländisches Arbeitsverhältnis. Dem ist der Gesetzgeber durch die entsprechende Regelung in § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG nachgekommen. Er hat auf die Ausdehnung der Verhaltenssteuerung auf nicht im Inland lebende Personen und damit auf eine Maßnahme, die von anderen Staaten als indirekter Eingriff in ihre Hoheitsgewalt verstanden werden könnte, bewußt verzichtet. Dem steht auch nicht die Regelung in § 1 Abs 4 Nr 1 BErzGG entgegen, nach der die in der Bundesrepublik Deutschland als Grenzgänger arbeitenden Arbeitnehmer aus den Mitgliedstaaten der EU ebenfalls einen Anspruch auf Erzg haben, wenn sie die auch für die im Inland lebenden Personen geltenden Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Nrn 2 bis 4 BErzGG erfüllen. Mit Rücksicht auf das Gebot der Freizügigkeit für alle Angehörigen der Mitgliedstaaten der EU und das Verbot der Diskriminierung der Wanderarbeitnehmer innerhalb des Gebiets der EU war der Gesetzgeber gehalten, die hier arbeitenden, aber nicht hier lebenden Angehörigen der Mitgliedstaaten der EU (Grenzgänger) hinsichtlich des Anspruchs auf Erziehungsurlaub den im Inland lebenden Arbeitnehmern gleichzustellen. Das bedingt eine Gleichstellung auch hinsichtlich des Erzg. Die Gleichstellung der hier auch lebenden Angehörigen der Mitgliedstaaten der EU mit Deutschen ist demgegenüber aufgrund der alleinigen Anknüpfung an den Wohnsitz bereits durch § 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG erfolgt. Von einer Gleichstellung der im Ausland lebenden Ehepartner der Grenzgänger hat der Gesetzgeber dagegen wegen des fehlenden inländischen Anknüpfungspunktes bewußt abgesehen (BT-Drucks 10/3792 S 15) und so die unzulässige globale Verhaltenssteuerung in anderen Mitgliedstaaten vermieden.

Nach alledem dürfte das Erzg nicht als Familienleistung nach Art 1 lit u) i) EWGV 1408/71 anzusehen sein. Um eine Familienbeihilfe iS des Art 1 lit u) ii) EWGV 1408/71 handelt es sich beim Erzg nicht, da es nicht „ausschließlich nach Maßgabe der Zahl und ggf des Alters von Familienangehörigen” gewährt wird (BSG SozR 3-7833 § 1 Nr 5). Es handelt sich auch nicht um eine „Leistung bei Mutterschaft „nach Art 4 Abs 1 lit a) EWGV 1408/71, da die Leistung nicht an Schwangerschaft und Geburt anknüpft, sondern an die von beruflichen Verpflichtungen weitgehend unbeeinträchtigte Erziehung des Kindes in den ersten 24 Lebensmonaten.

Zu Frage 2:

Falls das Erzg aber grundsätzlich eine Familienleistung sein sollte und deshalb die Frage 1 zu bejahen ist, kommt es auf die weitere Frage an, ob die Klägerin sich als Ehefrau eines in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigten Arbeitnehmers auf Art 73 EWGV 1408/71 berufen kann und die Geldleistung auch dann eine Familienleistung ist, wenn nicht der Arbeitnehmer das Kind erzieht und deshalb anspruchsberechtigt ist, sondern dessen Ehegatte.

Der Senat neigt dazu, auch diese Frage zu verneinen.

Zum persönlichen Geltungsbereich der EWGV 1408/71 sagt Art 2 Abs 1, daß diese Verordnung auf Arbeitnehmer und Selbständige anzuwenden ist, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene.

Nach Art 73 EWGV 1408/71 hat der Arbeitnehmer am Beschäftigungsort einen Anspruch auf Familienleistungen für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnen, nach den Vorschriften des Beschäftigungsstaats, als ob die Familienangehörigen im Gebiet des Beschäftigungsstaates wohnten.

Der EuGH legt diese Vorschriften in ständiger Rechtsprechung so aus, daß der Familienangehörige eines Arbeitnehmers die im Beschäftigungsstaat vorgesehenen Ansprüche auf Familienleistungen stets dann – aber auch nur dann – geltend machen kann, wenn es sich um Ansprüche handelt, die er gerade als Familienangehöriger des Arbeitnehmers erworben hat und von der arbeits- oder sozialrechtlichen Stellung des Arbeitnehmers abzuleiten sind. Dagegen gilt Art 73 EWGV 1408/71 nach wiederholten Entscheidungen des EuGH nicht für originäre, nicht abgeleitete Ansprüche und Leistungen, die einem Familienangehörigen eines Arbeitnehmers aufgrund seiner persönlichen Lage und nicht wegen seiner Eigenschaft als Familienangehöriger gewährt werden (EuGH Urteile vom 23. November 1976 – Rechtssache ≪Rs≫ 40/76 – EuGHE 1976, 1669; vom 20. Juni 1985 – Rs 94/84 – EuGHE 1985, 1873 = SozR 6050 Art 2 Nr 8; vom 8. Juli 1992 ≪Rs≫ C-243/91 – Slg I 1992, 4401; vom 16. Juli 1992 ≪Rs≫ C-78/91 – Slg I 1992, 4839; vom 27. Mai 1993 ≪Rs≫ C-310/91 – Slg I 1993, 3011; vom 20. April 1994 ≪Rs≫ C-58/93 – Slg I 1994, 1353). Diese Rechtsprechung betraf aber, soweit ersichtlich ist, stets Ansprüche von Familienangehörigen, die von ihrer Zweckbestimmung her von vornherein nur auf diese Person abzielten oder deren Voraussetzungen nur von dieser Person und nicht von dem Arbeitnehmer erfüllt werden konnten und erfüllt wurden. Betroffen waren stets nur zwei Personen, der Arbeitnehmer und dessen Angehöriger. Im Unterschied dazu liegt hier die Besonderheit vor, daß das Erzg von seiner Konzeption her von beiden Elternteilen eines Kindes beansprucht werden kann. Es handelt sich um einen originären Anspruch sowohl des Vaters wie der Mutter, der allerdings nur einmal geltend gemacht werden kann, wobei den Eltern ein Wahlrecht zusteht (§ 3 Abs 1 Satz 1 BErzGG). Die rechtliche Besonderheit liegt darin, daß hier nicht zwei, sondern drei Personen betroffen sind (der Arbeitnehmer, dessen Ehegatte und das Kind) und zwei Personen einen originären Anspruch auf Gewährung von Erzg haben können (Vater und Mutter), wobei aber nur eine Person den Status als Arbeitnehmer (Wanderarbeitnehmer) besitzt, der für das Verbot der Diskriminierung maßgeblich ist.

Der Gesetzgeber hat dies, wie bereits angedeutet, berücksichtigt und nur die in der Bundesrepublik Deutschland lebenden oder hier arbeitenden Angehörigen der Mitgliedstaaten der EU mit Deutschen gleichgestellt (§ 1 Abs 1 Nr 1 und § 4 Nr 1 BErzGG) und gleichstellen wollen.

Lebt ein Elternteil im Ausland, sei es nun in einem Mitgliedstaat der EU oder in einem Drittstaat, ohne in der Bundesrepublik Deutschland zu arbeiten, so kann nur der hier beschäftigte andere Elternteil den Anspruch auf Erzg geltend machen (§ 1 Abs 4 Nr 1 BErzGG). Es kommt insoweit nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland (Beschäftigungsstaat) seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat oder ob er, wie der Ehemann der Klägerin, grenzüberschreitender Tagespendler ist. Den Tagespendlern aus Mitgliedstaaten der EU sind die Grenzgänger aus angrenzenden Drittstaaten gleichgestellt (§ 1 Abs 4 Nr 2 BErzGG). Die Versagung der elterlichen Wahlfreiheit in all jenen Fällen, in denen der Ehepartner des in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigten Elternteils in einem Mitgliedstaat der EG lebt, ist nach alledem gewollt, erscheint sachlich begründet und dürfte mit Blick auf das Verbot der Anknüpfung verhaltenssteuernder Normen an nicht inländische Tatbestände sogar geboten sein.

Die familienpolitische Konzeption, den Eltern ein Wahlrecht einzuräumen, ist auch im übrigen nicht uneingeschränkt verwirklicht worden. Die Wahlfreiheit gilt zB nicht für Eltern, die beide in der Bundesrepublik Deutschland ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben (§ 1 Abs 1 Nr 1 BErzGG), wenn ein Elternteil Deutscher ist oder eine Aufenthaltsberechtigung oder eine Aufenthaltserlaubnis hat und der andere Elternteil Angehöriger eines Nichtmitgliedstaats ist und keine Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis hat (§ 1 Abs 1a BErzGG). Dann kann nur der erstgenannte Elternteil Erzg bei der Erziehung des Kindes beanspruchen.

Zu Frage 3:

Die Frage 3 wird relevant, wenn das Erzg keine Familienleistung ist (Frage 1) oder wenn Art 73 EWGV 1408/71 auf den geltend gemachten Anspruch der Klägerin nicht anwendbar ist (Frage 2).

Auch die Frage 3 dürfte nach Ansicht des Senats zu verneinen sein.

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH umfaßt der Begriff der „sozialen Vergünstigung” in Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68 alle Vergünstigungen, die – ob sie an ein Arbeitsverhältnis anknüpfen oder nicht – den inländischen Arbeitnehmern im allgemeinen hauptsächlich wegen deren objektiver Arbeitnehmereigenschaft oder auch nur wegen ihres Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts im Inland gewährt werden und deren Ausdehnung auf die Arbeitnehmer, die Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats sind, deshalb geeignet erscheint, deren Mobilität innerhalb der EU zu erleichtern (EuGH, Urteile vom 31. Mai 1979 – Rs 207/78 – EuGHE 1979, 2019 = SozR 6050 Art 4 Nr 7; vom 12. Juli 1984 – Rs 261/83 – EuGHE 1984, 3199 = SozR 6048 Art 7 Nr 2; vom 27. März 1985 – Rs 249/83 – EuGHE 1985, 973 = SozR 6050 Art 4 Nr 17; vom 27. März 1985 – Rs 122/84 – EuGHE 1985, 1027 = SozR 6050 Art 4 Nr 18). Diese Kriterien erfüllt das Erzg uneingeschränkt. Das Erzg dürfte daher eine soziale Vergünstigung iS des Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68 darstellen. Der Gedanke der Förderung der Freizügigkeit aller Arbeitnehmer im EU-Raum hat, wie bereits ausgeführt, in § 1 Abs 1 Nr 1 und Abs 4 Nr 1 BErzGG seinen Niederschlag gefunden, der den Leistungsanspruch auf in der Bundesrepublik Deutschland lebende Arbeitnehmer und deren Ehegatten aus allen Mitgliedstaaten der EU sowie auch auf die hier nur erwerbstätigen Arbeitnehmer aus allen Mitgliedstaaten ausweitet.

Bei den sozialen Vergünstigungen nach Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68 kommt es auch nicht darauf an, ob es sich um von der arbeits- oder sozialrechtlichen Stellung des Arbeitnehmers abgeleitete oder um originäre Rechte des Familienangehörigen handelt (EuGH, Urteil vom 20. Juni 1985 – Rs 94/84 – EuGHE 1985, 1873 = SozR 6050 Art 2 Nr 8; vom 27. Mai 1993 – Rs C-310/91 -Slg I 1993, 3011; vom 20. April 1994 – Rs C-58/93 – Slg I 1994, 1353). Der jeweils originäre Anspruch des Vaters oder der Mutter eines Kindes auf Erzg dürfte deshalb von der Regelung des Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68 erfaßt sein.

Der Anwendung des Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68 steht nicht entgegen, daß der Ehemann der Klägerin und daß die Klägerin selbst Deutsche sind, daß also die Nichteinbeziehung derjenigen Ehegatten hier erwerbstätiger Arbeitnehmer aus den Mitgliedstaaten der EU (§ 1 Abs 4 Nr 1 BErzGG) in den Kreis der Anspruchsberechtigten, die in der Bundesrepublik Deutschland weder leben noch arbeiten, einen Ehegatten trifft, der Staatsangehöriger des Beschäftigungsstaats ist. Der Zweck der Diskriminierungsverbote und der Gebote zur Förderung oder Erleichterung der Freizügigkeit im EG-Raum dürfte zwar in erster Linie darin zu sehen sein, ausländische Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen mit inländischen gleichzubehandeln und an die Staatsangehörigkeit anknüpfende Differenzierungen im arbeits- und sozialrechtlichen Bereich zu unterbinden. Der Schutzzweck der gemeinschaftsrechtlichen Normen umfaßt aber grundsätzlich auch das hier betroffene Verhältnis eines Mitgliedstaats zu seinen eigenen Staatsangehörigen, soweit das nationale Recht nachteilige Folgen an das Wohnen in einen anderen Mitgliedstaat als dem Beschäftigungsstaat knüpft. Die Klägerin ist nicht wegen ihrer Staatsangehörigkeit, sondern wegen ihres ausländischen Wohnsitzes betroffen und „benachteiligt”. Von daher wird man bei der Definition des Schutzzwecks des Art 7 Abs 2 EWGV 1612/88 der Tatsache, daß die Betroffenen die Staatsangehörigkeit des Beschäftigungsstaats besitzen, keine entscheidende Bedeutung beimessen können.

Damit stellt sich die Frage, ob der Beschäftigungsstaat aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Regelungen verpflichtet ist, dem in einem anderen Mitgliedstaat und gerade nicht im Beschäftigungsstaat (so aber der Sachverhalt in der Rs 94/84 – EuGHE 1985, 1873 = SozR 6050 Art 2 Nr 8, der Rs C-310/91 – Slg I 1993, 3011 – und der Rs C-58/93 – Slg I 1994, 1353 –) lebenden Familienangehörigen eines Arbeitnehmers einen als soziale Vergünstigung zu qualifizierenden Anspruch zu gewähren, der einem Familienangehörigen im Beschäftigungsstaat aufgrund seiner persönlichen Lage und nicht deshalb gewährt wird, weil er Familienangehöriger eines Arbeitnehmers ist, und der Ausfluß einer verhaltenssteuernden Normsetzung ist. Dies dürfte aufgrund der obigen Ausführungen zur grundsätzlichen Unzulässigkeit grenzüberschreitender verhaltenssteuernder Vorschriften zu verneinen sein. Für eine solche Auslegung des Art 7 Abs 2 EWGV 1612/88 spricht auch die Überlegung, daß diese Vorschrift die europäische Freizügigkeit nicht weitgehender schützen will, als die Mitgliedstaaten ihre innerstaatliche Freizügigkeit schützen.

Nach deutschem Recht muß derjenige, der innerhalb des Staatsgebiets aus der Großstadt, in der er beschäftigt ist, in eine Randgemeinde umzieht, und der die damit verbundenen Vorteile genießt (zB niedrigere Grundstückspreise und Mieten; geringere Lebenshaltungskosten; bessere Umweltbedingungen), auch etwaige rechtliche Nachteile der freien Wohnortwahl in Kauf nehmen (zB Einschränkungen bei der Wahl des Kindergartens und der Schule am Beschäftigungsort; höhere kommunale Gebühren für einzelne Dienstleistungen; höhere kommunale Steuern und Abgaben). Nichts anderes kann aber bei einem Umzug in einen grenznahen ausländischen Ort, der im Einzugsgebiet einer deutschen Großstadt liegt, gelten. Gemeinschaftsrechtliche Regelungen der EU können im grenzüberschreitenden Bereich von ihrem Schutzzweck her nicht dazu führen,

daß etwaige mit der freien Wahl des Wohnortes verbundenen rechtlichen Nachteile beseitigt werden, obgleich diese bei vergleichbarer Lage im Inland hinzunehmen sind.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173281

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