Verfahrensgang
SG Stade (Entscheidung vom 03.09.2018; Aktenzeichen S 28 AS 595/16) |
LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 16.03.2020; Aktenzeichen L 6 AS 847/18) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 16. März 2020 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der bezeichneten Entscheidung des LSG ist ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG), weil die Klägerin keinen der geltend gemachten Zulassungsgründe in der Begründung der Beschwerde in der gebotenen Weise dargelegt oder bezeichnet hat (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).
Nach § 160 Abs 2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), die Entscheidung des LSG von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist (Nr 3).
Die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) erfordert die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird (vgl BSG vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11). Die abstrakte Rechtsfrage ist klar zu formulieren, um an ihr die weiteren Voraussetzungen für die Revisionszulassung prüfen zu können (Krasney in Krasney/Udsching, Hdb SGG, 7. Aufl 2016, IX. Kap, RdNr 181). Es ist aufzuzeigen, dass die Klärung der Rechtsfrage im allgemeinen Interesse erforderlich (klärungsbedürftig) und die Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten (klärungsfähig) ist (vgl BSG vom 16.12.1993 - 7 BAr 126/93 - SozR 3-1500 § 160a Nr 16 S 27). Die Klärungsbedürftigkeit ist zu verneinen, wenn die Antwort unmittelbar aus dem Gesetz zu ersehen oder so gut wie unbestritten ist, wenn sie praktisch außer Zweifel steht, wenn die Rechtsfrage bereits höchstrichterlich beantwortet ist oder wenn sich für die Antwort in vorliegenden höchstrichterlichen Entscheidungen bereits ausreichende Anhaltspunkte ergeben (zusammenfassend BSG vom 2.10.2015 - B 10 LW 2/15 B - RdNr 6 mwN), weshalb sich die Beschwerdebegründung mit diesen Punkten substantiiert auseinandersetzen muss. Schließlich hat ein Beschwerdeführer zur Darlegung der Entscheidungserheblichkeit, also zur Bedeutung der Rechtsfrage für die Entscheidung innerhalb des der angefochtenen Nichtzulassungsentscheidung zugrunde liegenden Rechtsstreits (vgl dazu Becker, ASR 2014, 90, 96), den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung und dabei insbesondere den Schritt darzustellen, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (vgl BSG vom 25.10.1978 - 8/3 BK 28/77 - SozR 1500 § 160a Nr 31).
Diesen Darlegungsanforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Die Klägerin macht erstens die grundsätzliche Bedeutung folgender Frage geltend: "Macht das Nichtbeachten der Bitte des einen Antrag auf Überprüfung Stellenden auf weitere Gelegenheit zur Konkretisierung seines bisher nicht konkretisierten Überprüfungsantrags eine sich auf fehlende Konkretisierung des Überprüfungsantrags berufende Ablehnung der Überprüfung rechtswidrig und dadurch eine erneute Entscheidung über den in der Folge dann noch konkretisierten Überprüfungsantrag erforderlich?" Bezogen auf diese Frage fehlen Ausführungen zu ihrer Entscheidungserheblichkeit. Denn nach den in der Beschwerdebegründung wiedergegebenen und insoweit nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des LSG hatte die Klägerin weiteren Vortrag im Überprüfungsantrag vom 31.12.2015 bis zum 31.1.2016 angekündigt, diesen Termin verstreichen lassen und auch nach Erinnerung von Seiten des Beklagten nichts vorgetragen. Den fristwahrend eingelegten Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 13.4.2016 hatte die Klägerin binnen drei Monaten begründen wollen; diese Begründung ist nach den Feststellungen des LSG ebenfalls nicht erfolgt.
Zweitens formuliert die Klägerin die für von grundsätzlicher Bedeutung gehaltene Frage: "Erstreckt sich die Beweiskraft des Protokolls nach § 122 SGG iVm § 165 ZPO auch darauf, dass seitens des Gerichts die Bereitschaft bestanden hat, Anträge so, wie sie gestellt werden sollten, ins Protokoll aufzunehmen." Wegen dieser Frage fehlt es an einer Darlegung der Klärungsbedürftigkeit im Zusammenhang mit § 162 Abs 1 Satz 1 und 3 ZPO(Protokollierung der Genehmigung von Anträgen oder Einwänden hiergegen) und § 160 Abs 4 ZPO(Protokollierung von Beschlüssen über Anträge zur Aufnahme bestimmter Vorgänge oder Äußerungen in das Protokoll) , die über § 122 SGG entsprechend anwendbar sind.
Die Beschwerdebegründung genügt auch hinsichtlich der geltend gemachten Divergenz den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG nicht. Für die Bezeichnung einer Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) ist aufzuzeigen, mit welcher genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angefochtene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage des BSG abweicht. Die Beschwerdebegründung muss erkennen lassen, dass das LSG dem BSG widersprochen und von den bezeichneten rechtlichen Aussagen des BSG abweichende, dh mit diesen unvereinbare eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (vgl BSG vom 25.9.2002 - B 7 AL 142/02 B - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72; Krasney in Krasney/Udsching, Hdb SGG, 7. Aufl 2016, IX. Kap, RdNr 196 mwN).
Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Sie formuliert schon keinen Rechtssatz des LSG, wenn geltend gemacht wird: "Entgegen den Anforderungen des Bundessozialgerichts haben weder die Behörde bei ihrer Entscheidung im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren, noch die Gerichte bei ihrer Bewertung des Sachverhalts Wert darauf gelegt, dass der Überprüfungsantrag konkretisiert wird, wie dies von der Klägerin jederzeit verfolgt und niemals verweigert wurde."
Auch ein Verfahrensmangel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) ist mit der Beschwerdebegründung nicht hinreichend bezeichnet. Die schlüssige Bezeichnung eines Verfahrensmangels erfordert zumindest, dass in der Beschwerdebegründung die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl zu diesen Anforderungen Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16; Voelzke in jurisPK-SGG, 2017, § 160a RdNr 136). Es ist nicht Aufgabe des Beschwerdegerichts, sich den Sachverhalt, der zu dem Begehren und dem Vorbringen des Beschwerdeführers passen könnte, aus den Verfahrensakten herauszusuchen und zu ermitteln, was möglicherweise zur Begründung der Beschwerde geeignet sein könnte. Dem BSG muss es vielmehr grundsätzlich allein aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers möglich sein zu beurteilen, ob die Revision zuzulassen ist oder nicht (so Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 13e mwN). Regelmäßig ist daher in der Beschwerdebegründung auch der Sachverhalt so zu schildern, dass das Gericht dadurch ohne Weiteres in die Lage versetzt wird, ausgehend von der Rechtsansicht des Beschwerdeführers zu prüfen, ob das verfolgte Begehren durchgreifen kann (BSG vom 9.4.2015 - B 12 KR 106/14 B - RdNr 6 mwN). Soweit bestimmte Erklärungen des LSG von Bedeutung sind, ist die Aktenstelle, aus der sich diese Erklärung ergeben soll, genau anzugeben (vgl allgemein zur Bezeichnung iS von § 160a Abs 2 Satz 3 BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14 S 22).
Die Klägerin macht als Verfahrensfehler geltend: "Das Landessozialgericht stellt ohne Weiteres allein auf den Wortlaut des Protokolls des Sozialgerichts ab, obgleich die Klägerin gerade die verfahrenswidrigen Umstände des Zustandekommens dieses Protokolls geltend gemacht hat." Damit rügt sie sinngemäß die Verletzung der Bindung an das klägerische Begehren (§ 123 SGG; vgl BSG vom 20.2.2020 - B 14 AS 9/19 B - RdNr 2) durch das LSG. Zur Darlegung dieses Verfahrensfehlers gehört zwingend eine Darstellung der diesbezüglichen Argumentation des LSG, die hier im Zusammenhang mit der erhobenen Verfahrensrüge gänzlich fehlt und durch die Wiedergabe eigenen Vorbringens in den Vorinstanzen nicht ersetzt werden kann.
Daneben macht die Klägerin als Verfahrensfehler geltend, dass die Berufung entgegen der Auffassung des SG und des LSG statthaft "nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 2 SGG" gewesen sei. Wird ein Prozessurteil statt eines Sachurteils oder umgekehrt ein Sachurteil statt eines Prozessurteils erlassen, liegt ein Verfahrensmangel vor, weil es jeweils eine qualitativ andere Entscheidung ist (BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 272/07 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 19 RdNr 6 mwN). Dazu trägt die Klägerin einerseits vor, dass ihr Begehren keine auf einen bestimmten Betrag abzielende Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betreffe, weil sie die Einräumung des für ihren Überprüfungsantrag vorgesehenen Verfahrens ohne vorzeitige Unterbrechung der ihr für dieses Verfahren zustehenden Gelegenheit einer genügenden Mitwirkung zur Konkretisierung begehre. Diesbezüglich ist der Verfahrensfehler, der dem LSG bei der Bestimmung eines - zulässigen - Klagebegehrens unterlaufen sein soll, nicht hinreichend dargetan. Andererseits teilt die Klägerin mit, dass Beträge in Höhe von 535 Euro und 651,20 Euro streitig seien, sodass die Berufungsgrenze mit mehr als 1000 Euro überschritten sei. Eine Beschwer von mehr als 750 Euro iS von § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG ist damit jedoch nicht dargelegt. Zur Bestimmung des Werts des Beschwerdegegenstandes nach § 144 Abs 1 Satz 1 SGG ist nicht nur auf den Vortrag des Berufungsführers im Berufungsverfahren abzustellen, sondern dessen Antrag im Berufungsverfahren mit seinem Antrag vor dem SG zu vergleichen (BSG vom 4.7.2011 - B 14 AS 30/11 B - RdNr 4). Dass das SG eine Klage gerichtet auf Leistungen in Höhe von mehr als 1000 Euro abgewiesen hätte und dieses Begehren mit der Berufung weiterverfolgt werden sollte, ist nicht schlüssig dargetan. Vielmehr schildert die Beschwerdeführerin, das SG selbst liste in seinem Urteil Beträge in Höhe von insgesamt 535 Euro auf, "hinzu" komme "etwa der Betrag … in Höhe von 651,20 Euro". Dass der letztgenannte Betrag überhaupt Gegenstand des Urteils des SG war, ergibt sich daraus nicht. Nähere Ausführungen zu § 144 Abs 1 Satz 2 SGG enthält die Beschwerdebegründung nicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14685242 |