Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 28.04.2021; Aktenzeichen L 5 KA 4289/18)

SG Stuttgart (Entscheidung vom 24.10.2018; Aktenzeichen S 5 KA 7041/16)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. April 2021 wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen zu tragen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 60 000 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I

Die Klägerin ist als praktische Ärztin und als Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Nachdem die zu 1. beigeladene Kassenärztliche Vereinigung dem Zulassungsausschuss (ZA) mitgeteilt hatte, dass die Klägerin im Quartal 2/2012 keine Honorarabrechnungen bei ihr eingereicht und dies mit einer Ausnahmesituation in ihrer Praxis aufgrund von Sabotage erklärt habe, veranlasste der ZA eine Begutachtung der Klägerin als deren Ergebnis der dringende Verdacht auf eine wahnhafte Störung diagnostiziert wurde. Daraufhin ordnete der ZA das Ruhen der Zulassung zunächst vom 20.11.2012 bis zum 31.3.2013, anschließend bis zum 17.7.2013 und schließlich bis zum 31.8.2013 an. Ein weiteres im Juli 2013 erstattetes Gutachten ergab dagegen keine Hinweise auf relevante psychopathologische Auffälligkeiten bei der Klägerin. Im März 2015 teilte die Beigeladene zu 1. dem ZA mit, dass die Klägerin auch nach dem Ende des Ruhenszeitraums bis einschließlich zum Quartal 4/2014 keine Abrechnungen eingereichte habe. Daraufhin entzog der ZA der Klägerin die Zulassung. Den Widerspruch der Klägerin wies der beklagte Berufungsausschuss zurück (Beschluss vom 22.6.2016/Bescheid vom 15.11.2016). Klage und Berufung der Klägerin blieben ohne Erfolg.

Mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG macht die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sowie Verfahrensfehler (Zulassungsgründe gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 und 3 SGG) geltend.

II

A. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig und deshalb zu verwerfen.

1. Es ist bereits fraglich, ob die Beschwerde innerhalb der Frist von einem Monat nach Zustellung des Urteils des LSG, gegen das sich die Beschwerde richtet, eingelegt worden ist. Wenn die Klägerin Herrn Rechtsanwalt S für ihre Vertretung vor dem LSG bevollmächtigt hätte, wäre ihr das Urteil des LSG am 17.5.2021 wirksam zugestellt worden und die Frist wäre durch die am 21.7.2021 beim BSG eingegangene Beschwerde ihres neuen Prozessbevollmächtigten nicht gewahrt. Falls eine Bevollmächtigung des Rechtsanwalts S nicht erfolgt sein sollte, würde das an der Unzulässigkeit der Beschwerde bezogen auf die geltend gemachten Verfahrensfehler jedoch nichts ändern, weil diese in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht in der erforderlichen Weise bezeichnet werden.

a) Die an das BSG gerichtete E-Mail der Klägerin von Freitag, dem 18.6.2021, erfüllt bereits nicht die nach § 160a Abs 1 Satz 3 SGG erforderliche (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 4 mwN) Schriftform (zu den an die Einreichung in elektronischer Form nach § 65a SGG zu stellenden Anforderungen vgl zB BSG Beschluss vom 29.2.2020 - B 1 KR 12/19 BH - juris RdNr 5 mwN). Ob ein an das LSG Stuttgart gerichtetes, am 17.6.2021 beim Amtsgericht Stuttgart eingegangenes Schreiben der Klägerin als Nichtzulassungsbeschwerde ausgelegt werden kann, kann dahingestellt bleiben. Nach § 160a Abs 1 Satz 2 SGG muss die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils beim BSG eingelegt werden. Die Einlegung beim Amtsgericht oder beim LSG wahrt die Frist deshalb nicht (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 3). Das LSG hat das Schreiben der Klägerin an das BSG weitergeleitet; es ist am Freitag, dem 25.6.2021, und damit mehr als einen Monat nach der Zustellung des Urteils des LSG an die Rechtsanwälte R beim BSG (17.5.2021; zur Frage der Wirkung dieser Zustellung vgl nachfolgend b, RdNr 6) eingegangen. Unabhängig davon konnte die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde durch keines der genannten Schreiben der Klägerin gewahrt werden, weil diese vor dem BSG nicht postulationsfähig ist. Vor dem BSG müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen (§ 73 Abs 4 Satz 1 SGG). Die Klägerin, die nicht zu dem Kreis der zugelassenen Prozessbevollmächtigten gehört, konnte die Nichtzulassungsbeschwerde deshalb nicht selbst einlegen. Die durch Rechtsanwalt W und damit einen postulationsfähigen Rechtsanwalt eingelegte Beschwerde der Klägerin ist am Mittwoch, den 21.7.2021, und damit nicht innerhalb eines Monats nach der og Zustellung des Urteils des LSG beim BSG eingegangen.

b) Die Klägerin macht geltend, dass die Frist durch die am 21.7.2021 beim BSG eingegangene Beschwerde gewahrt sei, weil sie die Rechtsanwälte R und damit auch den in dieser Kanzlei tätigen Rechtsanwalt S nie bevollmächtigt habe, sodass das Berufungsurteil diesem auch nicht wirksam habe zugestellt werden können. Damit habe der Lauf der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde auch nicht am 17.5.2021 begonnen. Sie habe das Urteil erst am 21.6.2021 vollständig erhalten, sodass die Monatsfrist durch die am 21.7.2021 beim BSG eingegangene Beschwerde gewahrt sei. Demgegenüber hat der vom Senat um Stellungnahme gebetene Rechtsanwalt S mitgeteilt, dass er davon ausgegangen sei, bereits vor der Verhandlung des LSG, die am 28.4.2021 durchgeführt worden sei, mündlich bevollmächtigt worden zu sein, auch wenn eine schriftliche Bevollmächtigung schließlich nicht zustande gekommen sei. Vor diesem Hintergrund habe er am 27.4.2021 gegenüber dem LSG seine "ordnungsgemäße Bevollmächtigung" versichert und die Aufhebung des für den Folgetag vorgesehenen Verhandlungstermins beantragt.

Ob die Auffassung der Klägerin oder die Auffassung des Rechtsanwalts S zutrifft, kann dahingestellt bleiben, weil die Nichtzulassungsbeschwerde, soweit ein Verfahrensfehler geltend gemacht wird, unabhängig davon unzulässig ist. Wenn die Klägerin Rechtsanwalt S - ihrem Vorbringen folgend - nie bevollmächtigt hätte, und das Urteil des LSG diesem deshalb nicht wirksam zugestellt werden konnte, wäre die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde zwar gewahrt. Die Beschwerde wäre aber gleichwohl unzulässig, weil die nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG an die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zu stellenden Anforderungen nicht erfüllt würden.

Die nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erforderliche Bezeichnung des Verfahrensmangels macht es erforderlich, dass in der Beschwerdebegründung diejenigen Tatsachen, aus denen sich der Mangel ergeben soll, substantiiert und schlüssig dargestellt werden (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160a RdNr 16).

Wenn die Angabe der Klägerin zutreffen würde, dass sie Rechtsanwalt S weder vor dem Verhandlungstermin noch zu einem späteren Zeitpunkt anwaltlich bevollmächtigt habe, wäre nicht nur die Zustellung des Urteils des LSG an diesen unwirksam, sondern ebenso dessen am 27.4.2021 gestellter Antrag, den Verhandlungstermin vor dem LSG am 28.4.2021 aufzuheben. Nach den im Urteil des LSG getroffenen Feststellungen, denen die Klägerin insoweit nicht entgegengetreten ist, hat sie in der Verhandlung vor dem LSG nicht zu erkennen gegeben, "dass sie an dem Verlegungsantrag festhält". Damit gibt es erst recht keine Hinweise darauf, dass die Klägerin einen neuen Verlegungsantrag gestellt haben könnte. Vor diesem Hintergrund hätte die Klägerin in der Beschwerdebegründung darlegen müssen, dass überhaupt ein Verlegungsantrag wirksam gestellt worden ist, der das LSG zur Terminsverlegung hätte veranlassen können.

Darüber hinaus wäre das LSG - die Existenz eines Terminsverlegungsantrags unterstellt - zur Terminsverlegung nur verpflichtet, wenn dafür erhebliche Gründe iS des § 202 SGG iVm § 227 ZPO vorgelegen hätten. Auch dazu fehlt es an ausreichenden Darlegungen der Klägerin. Zwar kann das rechtliche Gehör (§ 62 Halbsatz 1 SGG, Art 103 Abs 1 GG) eines Klägers dadurch verletzt werden, dass einem neuen Prozessbevollmächtigten wegen der Ablehnung eines Terminsverlegungsantrags zu wenig Zeit verbleibt, um sich in den Prozessstoff einzuarbeiten. In diesem Zusammenhang kommt aber auch der Frage Bedeutung zu, aus welchem Grunde eine neue Bevollmächtigung erst kurz vor einem Verhandlungstermin erfolgt ist (zu einer vom Kläger zu vertretenden Bestellung eines Bevollmächtigten erst zwei Tage vor dem Verhandlungstermin vgl BSG Urteil vom 27.10.1955 - 4 RJ 6/54 - BSGE 1, 280 = juris RdNr 24; vgl auch BSG Beschluss vom 24.10.2017 - B 13 R 19/17 BH - juris RdNr 7; für den Fall eines kurzfristigen Wechsels des Bevollmächtigten vgl BSG Urteil vom 11.12.2002 - B 6 KA 8/02 R - juris RdNr 24; B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 110 RdNr 5a). Zu den danach maßgeblichen Umständen trägt die Klägerin in ihrer Nichtzulassungsbeschwerde nichts vor. Rechtsanwalt S hat in seiner vom Senat eingeholten Stellungnahme vom 10.2.2022 mitgeteilt, dass er bereits am 18.3.2021 von einem Steuerberater der Klägerin gefragt worden sei, ob er den Termin vor dem LSG am 28.4.2021 wahrnehmen könne. Dies habe er am 24.3.2021 - also mehr als einen Monat vor dem Verhandlungstermin - gegenüber dem Steuerberater bejaht. Aus welchen Gründen eine Bevollmächtigung des Rechtsanwalts S dennoch offenbar in den nächsten Wochen nicht erfolgte und aus welchen Gründen er schließlich an der Wahrnehmung des Verhandlungstermins am 28.4.2021 gehindert gewesen sein soll, ist nicht ersichtlich und kann weder der Beschwerdebegründung noch der Stellungnahme entnommen werden, die die Klägerin zu der Stellungnahme des Rechtsanwalts S vom 10.2.2022 abgegeben hat.

c) Zur Begründung eines Verfahrensfehlers macht die Klägerin im Übrigen geltend, dass das LSG seine Entscheidung nicht nachvollziehbar begründet habe und dass die Entscheidung des LSG aus näher bezeichneten Gründen unzutreffend sei. Diese Rügen betreffen bereits keine Verfahrensfehler iSd § 160 Abs 2 Nr 3 SGG. Soweit die Klägerin rügt, dass erforderliche Ermittlungen nicht durchgeführt worden seien, fehlt es an Darlegungen zu einem von ihr gestellten Beweisantrag, denn nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensfehler auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Unabhängig davon werden die Begründungsanforderungen auch deshalb nicht erfüllt, weil die Klägerin nicht dargelegt hat, aus welchen Gründen sich das LSG zu weiteren Beweiserhebungen hätte gedrängt fühlen müssen. Ihrem Vorbringen sind auch keine konkreten Angaben zu entnehmen, welche entscheidungserheblichen Fragen durch die "Einholung von (speziellen) Sachverständigengutachten (z.B. Strahlenspezialisten) und oder Zeugenaussagen" hätten aufgeklärt werden können. Selbst wenn der angesprochene "Strahlenspezialist" zB Annahmen der Klägerin zu gegen sie ausgeübter "Sabotage und Terror" ua in Gestalt von "Elektrosmogterror … inklusive Anwendung von militärischen Frequenzwaffen …" (vgl dazu zB S 2 der Berufungsbegründung, Bl 32 LSG-Akte) bestätigt hätte, wäre die Entscheidungserheblichkeit nicht ohne Weiteres ersichtlich, weil das LSG seine Entscheidung darauf gestützt hat, dass die Klägerin ihre vertragsärztliche Tätigkeit seit Jahren nicht mehr ausgeübt hat und dass der Beklagte zum Zeitpunkt seiner Entscheidung nach den - im Urteil näher bezeichneten - Umständen annehmen durfte, dass die Klägerin nicht mehr den Willen zur kontinuierlichen Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung hat. Auf die Vorwerfbarkeit des Verhaltens der Klägerin im Sinne eines Verschuldens hat das LSG dabei ausdrücklich nicht abgestellt (Urteilsumdruck S 14) und im Übrigen ist auch nach ständiger Rechtsprechung des Senats die Entziehung der Zulassung nicht von einem Verschulden des Arztes abhängig (BSG Urteil vom 21.3.2012 - B 6 KA 22/11 R - BSGE 110, 269 = SozR 4-2500 § 95 Nr 24, RdNr 50 f; BSG Beschluss vom 11.2.2015 - B 6 KA 37/14 B - juris RdNr 11, jeweils mwN).

2. Die Beschwerde ist auch unzulässig, soweit die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend macht. Auch insoweit werden die an die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde zu stellenden Anforderungen nicht erfüllt.

Für die Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache muss in der Beschwerdebegründung eine konkrete Rechtsfrage in klarer Formulierung bezeichnet und zudem aufgezeigt werden, inwiefern diese in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich), klärungsbedürftig sowie über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (stRspr; zB BSG Beschluss vom 30.8.2004 - B 2 U 401/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 5 RdNr 2 ff; BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 5; BSG Beschluss vom 12.9.2018 - B 6 KA 12/18 B - juris RdNr 5, jeweils mwN). Es muss aus der Beschwerdebegründung ersichtlich sein, dass sich die Antwort auf die Rechtsfrage nicht ohne Weiteres aus dem Gesetz oder der bisherigen Rechtsprechung ergibt; hierzu bedarf es der Auseinandersetzung mit den vorinstanzlichen Entscheidungen und sonstiger einschlägiger Rechtsprechung. Diese Anforderungen, die allerdings nicht überspannt werden dürfen, sind verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG ≪Kammer≫ Beschluss vom 14.4.2010 - 1 BvR 2856/07 - SozR 4-1500 § 160a Nr 24 RdNr 5 ff; BSG Beschluss vom 20.2.2020 - B 6 KA 12/19 B - juris RdNr 8). Den genannten Anforderungen wird die Beschwerde der Klägerin nicht gerecht.

Die Klägerin macht die grundsätzliche Bedeutung der Fragen geltend,

"ob zur Quantitäts-/Strukturqualitätssicherung die Verpflichtung zum Nachweis der (quantitativen, unterdurchschnittlichen) Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung wegen bevorstehenden (Nicht)Erreichens der geforderten Patienten-Untergrenze bei deren kassenärztlicher Aufhebung normativ festgelegt wird, so dass im Ergebnis bei ärztlich unterschreitender Versorgung der KI. gemäß den durchschnittlichen Fallzahlen dies zur Nichtausübung der ärztlichen Tätigkeit führen muss - und dies dem normativem Wortlaut gleichsteht- und zur ultimativen Verpflichtung der 'vollen' Zulassungsentziehung und zur regelmäßigen Existenzvernichtung des unterdurchschnittlich versorgenden Vertragsarztes führt"

"ob § 17 BMV-Ä Untergrenzen festhält, die für die Zulassungsentziehung im Sinne der bundeseinheitlichen normativen Regelung des § 95 Abs. 6 Satz 1 SGB V maßgeblich und oder überhaupt erheblich sind"

"wenn § 17 BMV-Ä (Landesrecht) Untergrenzen festhält, die für die Zulassungsentziehung im Sinne der bundeseinheitlichen normativen Regelung des § 95 Abs. 6 Satz 1 SGB V maßgeblich sind, folgt dann daraus, dass zunächst disziplinarische Massnahmen im Sinne des § 81 Abs. 5 SGB V ('weniger einschneidend'), zu ergreifen gewesen wären, bevor dem Vertragsarzt die Zulassungsentziehung droht"

"ob die - landesrechtlich normierten - Unterschreitungen der regionalen Fallzahlen normativ gleichzusetzen sind mit den Begriffen Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit und der gröblichen Pflichtverletzung im Sinne des § 95 Abs. 6 S. 1 SGB V mit der Rechtsfolge der verpflichtenden Zulassungsentziehung."

"ob die zeitliche und oder durchgeführte abrechnungstechnische Unterschreitung der durchschnittlichen Fallzahlen des jeweiligen ärztlichen Fachklientels stets als grober Pflichtverstoß zu sehen ist mit der erheblichen Folge des 'Zulassungsentzuges'."

Soweit die Klägerin in einer der Rechtsfragen ("… wenn § 17 BMV-Ä ≪Landesrecht≫ Untergrenzen festhält, …") und auch zur Begründung ihrer Beschwerde ausdrücklich geltend macht, dass die Entscheidung des LSG Landesrecht verletze ("Die Frage kann auf der Grundlage der bestehenden landesrechtlichen Vorschriften des § 17 BMV-Ä und der Rechtsprechung des Senats bislang nicht einheitlich und klar beantwortet werden."), erscheint bereits fraglich, ob darin die Rüge revisiblen Rechts (§ 162 SGG) gesehen werden kann. Allerdings ist die zugrunde liegende Annahme der Klägerin, es würde sich bei dem Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) um Landesrecht handeln, nicht zutreffend.

Unabhängig davon legt die Klägerin nicht in der erforderlichen Weise dar, dass die genannten Fragen in dem angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sind. Nach den vom LSG getroffenen, auch in dem angestrebten Revisionsverfahren für den Senat bindenden Feststellungen hat die Klägerin nicht nur die durchschnittlichen Fallzahlen ihrer Arztgruppe oder "regionale Fallzahlen" unterschritten, sondern ihre vertragsärztliche Tätigkeit bereits seit dem 1.10.2013 eingestellt. Dabei ist das LSG davon ausgegangen, dass eine Einstellung der vertragsärztlichen Tätigkeit nicht nur in dem Fall gegeben ist, dass überhaupt keine Patienten mehr behandelt werden, sondern es hat als ausschlaggebend angesehen, dass die Klägerin jedenfalls keine vertragsärztlichen Leistungen mehr abgerechnet hat. Zur Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit gehöre es, die an den gesetzlich Versicherten erbrachten Leistungen abzurechnen. Nach den für den Senat ebenfalls bindenden Feststellungen zum Landesrecht war die Klägerin verpflichtet, die außerhalb des organisierten Notdienstes erbrachten Leistungen mittels EDV abzurechnen, soweit keine Ausnahmegenehmigung erteilt worden ist. Die Klägerin hat eine solche Ausnahmegenehmigung nach den Feststellungen des LSG nicht beantragt, eine solche ist ihr auch nicht erteilt worden und die Klägerin hat seit dem Quartal 4/2013 überhaupt keine Leistungen mittels EDV abgerechnet. Selbst wenn händische Aufzeichnungen der Klägerin zu erbrachten Leistungen berücksichtigt würden, ergäben sich nach den Feststellungen des LSG in keinem Quartal Fallzahlen von wenigstens 10 % des Fachgruppendurchschnitts. Auch eine so geringfügige Erbringung vertragsärztlichen Tätigkeit ist nach Auffassung des LSG als Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit zu werten. In der Begründung ihrer Nichtzulassungsbeschwerde legt die Klägerin von den Feststellungen des LSG abweichende tatsächliche Umstände zugrunde, indem sie geltend macht, dass das geforderte Sprechstundenangebot für einen vollen Versorgungsauftrag erfüllt würde und dass sie "Patienten in nicht unerheblicher Zahl" behandelt habe. Sie legt jedoch nicht dar, dass sich die formulierten Rechtsfragen auch unter Zugrundelegung der im Urteil des LSG getroffenen Feststellungen zur Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit durch die Klägerin stellen würden.

Zudem fehlt es vollständig an der erforderlichen Befassung mit der einschlägigen bereits vorliegenden Rechtsprechung zur Frage der Zulassungsentziehung bei Nichtausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit (vgl zB BSG Beschluss vom 10.5.2017 - B 6 KA 8/17 B - juris; BSG Beschluss vom 16.2.2021 - B 6 KA 19/20 B - juris RdNr 11, jeweils mwN) und dem Erfordernis auch der Abrechnung erbrachter vertragsärztlicher Leistungen (vgl dazu zB BSG Beschluss vom 11.3.2021 - B 6 KA 41/20 B - juris, vorinstanzlich: LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 9.9.2020 - L 11 KA 32/19 - juris RdNr 36 f, mwN). Entsprechendes gilt für das angesprochene Verhältnis von Disziplinarmaßnahmen zur Zulassungsentziehung. Wie der Senat zuletzt in einem Beschluss vom 11.9.2019 (B 6 KA 14/19 B - SozR 4-2500 § 95 Nr 37 RdNr 13; vgl auch BSG Urteil vom 3.4.2019 - B 6 KA 4/18 R - BSGE 128, 26 = SozR 4-2500 § 95 Nr 36, RdNr 37) ausgeführt hat, ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass kein strikter Vorrang einer disziplinarischen Ahndung vor der Beantragung der Entziehung der Zulassung besteht. Auch mit dieser Rechtsprechung befasst sich die Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung nicht.

B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt die Klägerin die Kosten des von ihr erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO). Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen ist nicht veranlasst, da sie keine Anträge gestellt haben (§ 162 Abs 3 VwGO).

C. Die Festsetzung des Streitwertes hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 2, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Maßgebend ist in Zulassungsstreitigkeiten die Höhe des aus der vertragsärztlichen Tätigkeit bzw deren Fortsetzung zu erzielenden Gewinns in einem Zeitraum von drei Jahren. Dabei kann bei einer Klage gegen die Zulassungsentziehung auf die konkret erzielten Umsätze der Arztpraxis (abzüglich des Praxiskostenanteils) bzw, soweit konkrete Umsatzzahlen nicht vorliegen, auf die durchschnittlichen Umsätze der jeweiligen Arztgruppe abgestellt werden (vgl BSG Beschluss vom 25.9.2005 - B 6 KA 69/04 B - juris RdNr 1; BSG Beschluss vom 12.10.2005 - B 6 KA 47/04 B - juris RdNr 2). Wenn allerdings die durchschnittlichen Umsätze der Arztgruppe nicht das wirtschaftliche Interesse des klagenden Arztes widerspiegeln, ist für jedes Quartal des maßgeblichen Dreijahreszeitraumes iS des § 42 Abs 1 GKG der Regelstreitwert von 5000 Euro anzusetzen (vgl BSG Beschluss vom 12.9.2006 - B 6 KA 70/05 B - SozR 4-1920 § 47 Nr 1 RdNr 4; BSG Beschluss vom 10.5.2017 - B 6 KA 8/17 B - juris). Da hier nähere Anhaltspunkte für das konkrete wirtschaftliche Interesse der Klägerin fehlen und die Klägerin bereits seit mehreren Jahren keine vertragsärztlichen Leistungen mehr abgerechnet hat, hält der Senat den Ansatz des Auffangstreitwertes von 5000 Euro für jedes Quartal des Dreijahreszeitraumes für sachgerecht (vgl BSG Beschluss vom 16.2.2021 - B 6 KA 19/20 B - juris RdNr 15).

Rademacker                          Just                                  Loose

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15177671

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