Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtzulassungsbeschwerde. Darlegung der Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit. Beweislast
Orientierungssatz
1. Zu den Anforderungen an die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage.
2. Im sozialgerichtlichen Verfahren trägt der die Beweislast für die Tatsachen, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen.
Normenkette
SGG § 160a Abs 2 S 3, § 160 Abs 2 Nr 1
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 25.11.1992; Aktenzeichen L 8 Al 222/90) |
Tatbestand
Die Klägerin - ein Bauunternehmen - begehrt von der Beklagten Zuschüsse zu Vorruhestandsleistungen.
Die Klägerin war langjährige Arbeitgeberin des als Bauleiter beschäftigten O. P. , der mit Wirkung zum 1. März 1988 in den Vorruhestand trat. Bereits am 1. Oktober 1987 hatte die Klägerin den Bauingenieur F. J. A. eingestellt, der zuvor von März 1985 bis 29. September 1987 in einem tiefbautechnischen Büro beschäftigt war. Den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Zuschüssen zu den Vorruhestandsleistungen an den Arbeitnehmer O. P. lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a Vorruhestandsgesetz (VRG) seien nicht erfüllt, weil die Klägerin auf dem freigewordenen Arbeitsplatz keinen beim Arbeitsamt (ArbA) arbeitslos gemeldeten Arbeitnehmer eingestellt habe; eine Wiederbesetzung iS von § 2 Abs 1 Nr 5 Buchst a VRG liege nicht vor, wenn die Arbeitslosigkeit offensichtlich nur zum Zwecke der Erfüllung der formalen Anspruchsvoraussetzungen herbeigeführt werde (Bescheid vom 14. April 1988; Widerspruchsbescheid vom 9. August 1988). Klage und Berufung blieben erfolglos. In seiner Entscheidung führt das Landessozialgericht (LSG) aus, nach der in 1. und 2. Instanz durchgeführten Beweisaufnahme könne nicht von einem Nachweis des Vorliegens einer echten Arbeitslosigkeit des Arbeitnehmers F. J. A. vor Einstellung bei der Klägerin ausgegangen werden; nach dem Grundsatz der objektiven Beweislast führe diese Beweislosigkeit zu einer Verneinung der Anspruchsvoraussetzungen nach dem VRG (Urteil vom 25. November 1992).
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde, mit der die Klägerin das zweitinstanzliche Urteil angreift, ist unzulässig. Den von ihr genannten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz <SSG>), hat sie nicht in der erforderlichen Weise aufgezeigt.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe, muß diese in der Begründung dargelegt werden (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG). Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder -fortbildung einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Es muß anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angegeben werden, welche Rechtsfragen sich stellen, daß diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind, weshalb ihre Klärung aus Gründen der Rechtseinheit und Fortbildung des Rechts erforderlich ist und daß das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten läßt (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17 und § 160a Nrn 7, 11, 13, 31, 39, 59 und 65; Hennig/Danckwerts/König, SGG, Stand März 1993, § 160 Anm 7 und § 160a Anm 7.7; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 1990, RdNrn 106 ff; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 1991, IX. Kapitel RdNrn 180 ff; Meyer-Ladewig, SGG, 4. Aufl 1991, § 160a RdNr 14). Diesen Anforderungen ist vorliegend nicht genügt.
Es kann dahinstehen, ob die Klägerin überhaupt eine oder mehrere konkrete Rechtsfragen in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG erforderlichen Weise bezeichnet hat, über die im Revisionsverfahren zu entscheiden wäre (vgl zu dieser Voraussetzung: BVerwG Buchholz 310 § 132 VwGO Nr 62; BSG, Beschluß vom 23. Februar 1993 - 7/9b BAr 22/92 - unveröffentlicht; Kummer aaO RdNr 108). Für die Zulässigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde kommt es zwar nicht darauf an, daß das zu entscheidende Rechtsproblem in Form eines Fragesatzes zum Ausdruck gebracht wird; es muß aber deutlich erkennbar sein, was Gegenstand revisionsgerichtlicher Überprüfung sein soll. Es bestehen erhebliche Bedenken, ob der Vortrag der Klägerin, "vorliegend" sei "vor allem die Frage der Beweislastverteilung zu entscheiden" und bei Zweifeln an der "Echtheit" einer Arbeitslosigkeit liege die Beweislast "zweifellos" bei der Beklagten, diesen Anforderungen genügt.
Diese Frage bedarf jedoch keiner Vertiefung; denn jedenfalls hat die Klägerin nicht die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung ihrer vermeintlich aufgeworfenen Rechtsfrage aufgezeigt. Nicht jedes höchstrichterlich unentschiedene Problem rechtfertigt es, die Revision zuzulassen. Die Entscheidung in einem Revisionsverfahren kann in einer die Allgemeinheit berührenden Weise das Recht nur dann fortentwickeln oder vereinheitlichen, wenn sich die Rechtsfrage als solche über den Einzelfall hinaus in der Rechtspraxis in einer Vielzahl von Fällen stellt. Nicht genügend dafür ist, daß der Ausgang des Rechtsstreits auch für andere Personen von Interesse ist (BSG, Beschlüsse vom 18. und 22. Februar 1993 - 7 BAr 114/92 und 7/9b BAr 22/92 - jeweils mwN <beide unveröffentlicht>). In der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht schlüssig und substantiiert dargelegt worden, daß und aus welchen Gründen die möglicherweise aufgeworfene Rechtsfrage in der Rechtspraxis immer wieder auftritt. Die Behauptung der Klägerin, die von ihr problematisierte Frage der Beweislastverteilung stelle sich "für eine Vielzahl von Fällen", ist völlig unsubstantiiert und deshalb nicht ausreichend.
Des weiteren hat die Klägerin auch die Klärungsbedürftigkeit ihrer vermeintlichen Rechtsfrage nicht mit der notwendigen Deutlichkeit dargelegt. Dafür hätte sie unter Auswertung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum aufgezeigten Problem vortragen müssen, daß das BSG entweder noch keine Entscheidung gefällt hat oder die aufgeworfene Frage durch schon vorliegende Urteile abstrakt noch nicht beantwortet ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 65; Krasney/Udsching aaO RdNr 183). Zwar hat die Klägerin zwei Urteile des BSG zur Anwendung der VRG angeführt mit dem Hinweis, die zugrundeliegenden Sachverhalte seien völlig anders gelagert als im anhängigen Verfahren. Damit ist den Anforderungen an die Darlegung der Klärungsbedürftigkeit der hier möglicherweise aufgeworfenen Rechtsfrage der Beweislastverteilung jedoch nicht genügt. Das BSG hat die Bedeutung der objektiven Beweislast auch für das sozialgerichtliche Verfahren schon in zahlreichen Entscheidungen hervorgehoben (vgl BSGE 19, 53; 24, 27; 30, 123; 37, 117; 41, 300; 43, 112; 53, 291) und den Grundsatz aufgestellt, daß jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen. Es wäre zumindest erforderlich gewesen, sich mit der bereits gefestigten Rechtsprechung des BSG auseinanderzusetzen und darzulegen, warum ihr entweder allgemein oder jedenfalls für den Bereich des VRG nicht zu folgen ist oder welche neuen - vom BSG noch nicht erwogenen - Argumente zu beachten sind.
Schließlich fehlt es der Nichtzulassungsbeschwerde auch am notwendigen Vortrag zur Klärungsfähigkeit der vermeintlichen Rechtsfrage. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn sie für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist (BSG, Beschlüsse vom 23. Februar und 8. Juli 1993 - 7/9b BAr 22/92 und 7 BAr 134/92 - beide unveröffentlicht; Kummer aaO RdNr 128). Über die betreffende Frage muß das Revisionsgericht also - in Ergänzung zur abstrakten Klärungsbedürftigkeit - konkret-individuell sachlich entscheiden können (BSG SozR 1500 § 160 Nrn 39 und 53 sowie § 160a Nr 31). Hierzu läßt die Beschwerdebegründung der Klägerin die erforderlichen Ausführungen vermissen, weil es an einer vollständigen Sachverhaltsschilderung fehlt. Diese ist jedoch Minimalvoraussetzung für eine Prüfung der Entscheidungserheblichkeit, da erst daraus erkennbar wird, ob das Revisionsgericht nach Zulassung der Revision aufgrund der festgestellten Tatsachen über die aufgeworfene Rechtsfrage überhaupt entscheiden muß. Es ist aber nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde die maßgeblichen Tatsachen aus dem angegriffenen Urteil des LSG selbst herauszusuchen.
Soweit die Klägerin noch "ergänzend darauf hinweist", daß die Beweiswürdigung durch das LSG fragwürdig sei und Schlußfolgerungen gezogen würden, die keineswegs zwingend seien, handelt es sich um eine kraft Gesetzes (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG) ausgeschlossene Rüge der Beweiswürdigung; eine solche Rüge kann nicht zur Zulassung der Revision führen (BSG SozR 1500 § 160 Nrn 26 und 41; Kummer aaO RdNr 222f). Dasselbe gilt im Ergebnis für den Vorwurf der Klägerin, das LSG habe die Voraussetzungen des VRG verkannt und ihr zu Unrecht die Beweislast dafür aufgebürdet, daß an der Arbeitslosigkeit des Arbeitnehmers Aulbach keinerlei Zweifel geherrscht hätten. Hierbei handelt es sich um eine Kritik an der Richtigkeit der Entscheidung des LSG; Gegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde ist aber nicht, ob das Berufungsgericht in der Sache richtig entschieden hat (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
Da die Nichtzulassungsbeschwerde somit den gesetzlichen Anforderungen nicht genügt, ist sie in entsprechender Anwendung des § 169 SGG als unzulässig zu verwerfen (BSG SozR 1500 § 160a Nrn 1 und 5).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen