Verfahrensgang
SG Köln (Entscheidung vom 08.02.2017; Aktenzeichen S 9 KR 724/14) |
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 25.10.2018; Aktenzeichen L 5 KR 284/17) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. Oktober 2018 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin ist mit ihrem Begehren auf Versorgung mit einer Operation zur Reduktion von Hautüberschüssen nach vorausgegangener großer Gewichtsabnahme (80 kg) infolge einer Magenbypass-Operation bei der Beklagten erfolglos geblieben. Das SG hat die Beklagte verurteilt, die Kosten einer stationären Krankenhausbehandlung für ein Bodylift nach Lockwood zu übernehmen. Das LSG hat auf die Berufung der Beklagten das SG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen: Die bei fortbestehender Adipositas vorhandenen Hautüberschüsse der Klägerin an den Extremitäten und am Bauch stellten keine mittels Bodylift-Operation behandlungsbedürftige Krankheit dar. Sie verursachten keine nennenswerten Funktionseinschränkungen des Stütz- und Bewegungsapparates. Die durch sie hervorgerufenen Entzündungen der Haut seien nicht schwerwiegend, zudem seien diese medikamentös beherrschbar. Das Selbstwertgefühl betreffende psychische Belastungen seien psychotherapeutisch zu behandeln. Es liege auch keine Entstellung im bekleideten Zustand vor (Urteil vom 25.10.2018).
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.
II
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 Satz 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
1. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Um einen Verfahrensmangel in diesem Sinne geltend zu machen, müssen die Umstände bezeichnet werden, die den entscheidungserheblichen Mangel ergeben sollen (vgl zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 36). Daran fehlt es.
a) Die Klägerin rügt, das LSG hätte den Sachverhalt medizinisch weiter aufklären müssen. Sie meint, dass im Falle der Annahme, "dass eine schwerwiegende Hauterkrankung nicht vorliegt, weitere gutachterliche Feststellungen erforderlich gewesen ≪wären≫, die das Landessozialgericht aufgrund der ihm obliegenden Amtsermittlungspflicht und der fehlenden eigenen Sachkunde hätte anstellen müssen".
Dieses Vorbringen genügt nicht den dargestellten gesetzlichen Voraussetzungen. Wer sich auf eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht nach § 103 SGG stützt, muss insbesondere einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen (stRspr, vgl zB BSG Beschluss vom 20.7.2010 - B 1 KR 29/10 B - RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 1.3.2011 - B 1 KR 112/10 B - juris RdNr 3 mwN; BSG Beschluss vom 14.10.2016 - B 1 KR 59/16 B - juris RdNr 5). Hierzu gehört die Darlegung, dass ein anwaltlich oder sonst rechtskundig vertretener Beteiligter im Verfahren formelle Beweisanträge gestellt hat, die er vor der abschließenden Entscheidung des LSG bei den Schlussanträgen zumindest hilfsweise aufrechterhalten hat (vgl zB BSG Beschluss vom 14.6.2005 - B 1 KR 38/04 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 25.10.2017 - B 1 KR 18/17 B - juris RdNr 7). Ist ein Prozessbeteiligter - wie hier - rechtskundig vertreten, gilt sein schriftsätzlich während des Verfahrens gestellter Beweisantrag nur dann als bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten, wenn er als solcher zur Niederschrift der mündlichen Verhandlung wiederholt oder im Urteil des LSG erwähnt wird (stRspr, vgl zB BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Der Tatsacheninstanz soll dadurch nämlich vor Augen geführt werden, dass der Betroffene die gerichtliche Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt ansieht. Der Beweisantrag hat Warnfunktion (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 67; BSG Beschluss vom 10.4.2006 - B 1 KR 47/05 B - juris RdNr 9 mwN; BSG Beschluss vom 10.7.2019 - B 1 KR 52/18 B - juris RdNr 8). Daran fehlt es.
Die Klägerin benennt bereits keinen Beweisantrag, den sie bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt oder aufrechterhalten hätte. Sie verweist nur darauf, das LSG hätte sich „nicht ohne weiteres über die Sachkunde des Sachverständigen ≪gemeint ist der erstinstanzlich nach § 109 SGG bestellte Sachverständige Dr. S (Gutachten vom 18.9.2015 mit ergänzender Stellungnahme vom 5.12.2016)≫ hinwegsetzen dürfen“. Sie rügt damit lediglich die Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung. Sie beachtet nicht, dass ein Verfahrensmangel nach der dargelegten ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung grundsätzlich nicht auf eine Verletzung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung gestützt werden kann. Dies gilt selbst dann, wenn offensichtliche Widersprüche zwischen der Folgerung des Gerichts und der Aussage des Sachverständigen vorliegen (vgl BSG Beschluss vom 25.10.2017 - B 1 KR 18/17 B - juris RdNr 5). Es gehört hingegen zu den Kernaufgaben der richterlichen Beweiswürdigung, medizinische Unterlagen im Hinblick darauf zu prüfen, ob diese wegen Widersprüchen, logischer Brüche, nicht fundierter Aussagen oder ähnlicher Mängel nicht zu überzeugen vermögen (vgl BSG Beschluss vom 29.5.2015 - B 13 R 129/15 B - juris RdNr 14; BSG Beschluss vom 11.7.2018 - B 1 KR 94/17 B - juris RdNr 8).
b) Soweit die Klägerin mit ihrem Vortrag sinngemäß auch einen Gehörsverstoß in Gestalt einer Überraschungsentscheidung rügen sollte, legt sie diesen nicht hinreichend dar.
Nach § 128 Abs 2 SGG darf ein Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten haben äußern können. Die Regelung erfasst einen Teilbereich des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG, Art 47 Abs 2 Charta der Grundrechte der EU, Art 6 Abs 1 Europäische Menschenrechtskonvention ≪EMRK≫; vgl BSGE 117, 192 = SozR 4-1500 § 163 Nr 7, RdNr 23; BSGE 125, 91 = SozR 4-1500 § 120 Nr 3, RdNr 11 f mwN; Hauck in Zeihe/Hauck, SGG, Stand März 2019, § 128 Anm 10a). Die Vorschrift soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten. Ein Urteil darf nicht auf tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte gestützt werden, die bisher nicht erörtert worden sind, wenn dadurch der Rechtsstreit eine unerwartete Wendung nimmt (vgl BVerfG ≪Kammer≫ NJW 2003, 2524; BSG Beschluss vom 3.2.2010 - B 6 KA 45/09 B - juris RdNr 7 mwN; BSG Beschluss vom 7.2.2013 - B 1 KR 68/12 B - juris RdNr 8). Das Gericht muss die Beteiligten über die für seine Entscheidung maßgebenden Tatsachen und Beweisergebnisse vorher unterrichten, ihnen insbesondere auch Gelegenheit geben, sich zu äußern (vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12 S 19). Wer die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß § 128 Abs 2 SGG rügt, muss hierzu ausführen, zu welchen vom Gericht zugrunde gelegten Tatsachen und Beweisergebnissen sich der Rechtsuchende nicht hat äußern können, welches Vorbringen des Rechtsuchenden dadurch verhindert worden ist und inwiefern das Urteil auf diesem Sachverhalt beruht (vgl allgemein zu den Anforderungen an die Darlegung eines Gehörsverstoßes zB BSG SozR 1500 § 160a Nr 36; BSG Beschluss vom 10.3.2011 - B 1 KR 134/10 B - RdNr 6 mwN; BSG Beschluss vom 3.11.2014 - B 12 KR 48/14 B - juris RdNr 13).
Die Klägerin genügt diesen Anforderungen nicht. Die Beschwerdebegründung versäumt es darzulegen, welche (fach)medizinischen Kenntnisse sich das Berufungsgericht angemaßt habe und inwiefern die angefochtene Entscheidung auf der fehlenden medizinischen Erkenntnis- und Beurteilungskompetenz der Berufungsrichter beruhen kann. Vielmehr trägt die Klägerin selbst vor, das LSG stütze sich auf Ausführungen des Dr. R (Bescheinigung vom 3.11.2010), des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Gutachten vom 16.2.2011 und vom 9.12.2013), des Hospitals (Entlassungsbericht vom 29.4.2011), des Dr. B (Gutachten vom 19.6.2012), der Dr. K (Befundbericht vom 20.4.2018) sowie des Dr. S (Gutachten vom 18.9.2015) und habe die ärztlichen Stellungnahmen dahingehend ausgewertet, dass sich diesen weit überwiegend zumindest längere erscheinungs- bzw entzündungsfreie Phasen ihres Hautbildes entnehmen ließen. Welche Schlussfolgerungen das Gericht aus ärztlichen Stellungnahmen ziehen wird, muss es vorab nicht mitteilen. Es gibt keinen allgemeinen Verfahrensgrundsatz, der das Gericht verpflichten würde, die Beteiligten vor einer Entscheidung auf eine in Aussicht genommene Beweiswürdigung hinzuweisen oder die für die richterliche Überzeugungsbildung möglicherweise leitenden Gründe zuvor mit den Beteiligten zu erörtern (vgl nur BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1 S 3; BSG Beschluss vom 1.2.2017 - B 1 KR 90/16 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 7.8.2018 - B 1 KR 15/18 B - juris RdNr 11; Hauck in Zeihe/Hauck, SGG, Stand März 2019, § 105 Anm 9a mwN). Die Klägerin wendet sich letztlich auch hier nur dagegen, dass das LSG dem Sachverständigen Dr. S nicht gefolgt ist. Sie greift in rechtlich unbeachtlicher Weise (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) nur die Beweiswürdigung des LSG an.
2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13535301 |