Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren: Zulassung der Revision wegen Divergenz. Nichtzulassungsbeschwerde. Rechtsfrage, Privater Krankenversicherungsvertrag. Gruppenversicherungsvertrag. Unternehmensbezogenes Geschäft. Gemeinschaftspraxis. Entscheidungserheblichkeit, Anscheinsvollmacht
Leitsatz (redaktionell)
Die aufgeworfene Rechtsfrage, ob der Abschluss eines privaten Krankenversicherungsvertrages in Form eines Gruppenversicherungsvertrages ein unternehmensbezogenes Geschäft einer Gemeinschaftspraxis darstellt, ist nicht entscheidungserheblich, da es sich bei der „Unternehmensbezogenheit” nicht um eine Tatbestandsvoraussetzung einer Anscheinsvollmacht, sondern um einen Auslegungsgrundsatz handelt, das LSG jedoch seine Entscheidung nicht auf diesen Auslegungsgrundsatz, sondern darauf gestützt hat, dass die Mitgesellschafter des Klägers die von diesem erteilte Einzugsermächtigung nach den (allgemeinen) Grundsätzen der Anscheinsvollmacht gegen sich gelten lassen müssen.
Orientierungssatz
Eine Zulassung der Revision kommt nach § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG nur dann in Betracht, wenn das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Andere Entscheidungen, auch solche eines anderen obersten Gerichtshofs des Bundes, ermöglichen keine Zulassung wegen Divergenz.
Normenkette
SGG § 160 Abs. 2 Nr. 2, § 160a Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 04.05.2016; Aktenzeichen L 24 KA 36/13) |
SG Potsdam (Aktenzeichen S 1 KA 24/10) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 4. Mai 2016 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 26 839 Euro festgesetzt.
Gründe
I
Im Streit steht die Frage, ob die beklagte KZÄV verpflichtet ist, dem Kläger von ihr einbehaltene Versicherungsprämien für eine private Krankenversicherung zurückzuerstatten.
Der Kläger ist im Bezirk der Beklagten als Zahnarzt zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen. Zunächst war er - unter der Abrechnungsnummer 2812-1 - in Einzelpraxis tätig. Durch Beschluss des Zulassungsausschusses vom 20.9.2001 wurde ihm die gemeinsame Berufsausübung mit seiner Ehefrau im Jobsharing-Verfahren genehmigt; für Abrechnungen der Gemeinschaftspraxis wurde ab dem 1.10.2001 die neue gemeinsame Abrechnungsnummer 4501-8 verwendet. Ab dem 1.7.2006 trat Dr. K. B. in die Gemeinschaftspraxis ein, welche von der Beklagten nun unter der Abrechnungsnummer 4120-0 geführt wurde.
Am 17.9.2001 hatte sich der Kläger mit dem beigeladenen privaten Krankenversicherungsunternehmen DKV in Verbindung gesetzt. Mit diesem hatte die Beklagte einen Gruppenversicherungsvertrag - mit ihr als Versicherungsnehmer - abgeschlossen, dem die ihr angehörenden Vertragszahnärzte beitreten konnten. Nach den Feststellungen des LSG gab der Kläger in diesem Zusammenhang ua die Erklärung ab, dass er den Versicherungsnehmer - also die Beklagte - ermächtige, die fällig werdenden Beiträge von seinem Honorarkonto 2812-1 abzubuchen. Ab dem Quartal I/2002 behielt die Beklagte Versicherungsbeiträge von den an die Gemeinschaftspraxis ausgezahlten Honoraren ein und führte sie an die Beigeladene ab. In den jeweiligen Honorarbescheiden waren die Beiträge jeweils als Abzugsposten mit dem Hinweis "DKV" ausgewiesen. Im Dezember 2007 wandte sich der Kläger an die Beklagte und beanstandete die Abführung von Krankenversicherungsbeiträgen an die Beigeladene; er machte geltend, er habe im September 2001 lediglich ein Gegenangebot zu den Konditionen seiner bereits bestehenden Krankenversicherung angefordert. Die Beklagte stellte die Abführung von Versicherungsbeiträgen ab dem Quartal II/2008 ein. Durch Urteil des LG Berlin vom 16.12.2010 (7 O 149/09) wurde die gegen die Beigeladene gerichtete Klage des Klägers auf Rückzahlung der Krankenversicherungsprämien rechtskräftig abgewiesen.
Nachdem die Beklagte dem Antrag des Klägers auf Überprüfung der Honorarbescheide für die Quartale I/2002 bis IV/2007 nicht entsprochen hatte, erhob dieser Klage auf Rückzahlung der einbehaltenen Beträge; er hat geltend gemacht, eine Einzugsermächtigung habe nur für die Abrechnungsnummer 2812-1 vorgelegen. Die Klage ist ebenso wie die nachfolgende Berufung erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 20.2.2013, Urteil des LSG vom 4.5.2016). Das LSG hat ausgeführt, die Beklagte habe auf der Grundlage der vom Kläger erteilten Einzugsermächtigung zu Recht die Beiträge einbehalten und an die Beigeladene abgeführt. Diese Erklärung habe sich nicht auf das Honorarkonto mit der Abrechnungsnummer 2812-1 beschränkt, da dieses bei der erstmals erfolgten Abbuchung schon nicht mehr in Verwendung gewesen sei. Es habe dem mutmaßlichen Willen des Klägers entsprochen, dass der Einbehalt der Versicherungsbeiträge von demjenigen Konto habe erfolgen sollen, auf das seine Honorare gezahlt worden seien und das funktional an die Stelle des Honorarkontos 2812-1 getreten sei. Dies müssten die weiteren Gesellschafter jedenfalls nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht gegen sich gelten lassen, da die Beitragsabführung in den Honorarbescheiden hinreichend erkennbar gewesen sei. Auch dem Einwand des Klägers, dass es an der Unternehmensbezogenheit der Angelegenheit gefehlt habe, könne nicht gefolgt werden. Die Beklagte habe die von ihm erteilte Einzugsermächtigung so verstehen müssen, dass sie sich jeweils auf die "Praxisgemeinschaft" habe beziehen sollen, der er gerade angehört habe. Insoweit betreffe die Erklärung die Honorarangelegenheiten der Gemeinschaftspraxen und damit einen Kernbereich der Rechtsbeziehungen zwischen dieser und der Beklagten. Im Übrigen sei die Versicherung aufgrund eines von der Beklagten geschlossenen Gruppenversicherungsvertrages zustande gekommen und habe somit an die Zulassung des Klägers zur vertragszahnärztlichen Versorgung angeknüpft, die er im strittigen Zeitraum in Gemeinschaftspraxen ausgeübt habe.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) sowie Rechtsprechungsabweichungen (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 2 SGG) geltend.
II
Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.
1. Soweit der Kläger rügt, das Urteil des Berufungsgerichts weiche von einer Entscheidung des BGH ab, ist die Beschwerde unzulässig.
Eine Zulassung der Revision kommt nach § 160 Abs 2 Nr 2 SGG nur dann in Betracht, wenn das Urteil des LSG von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht. Andere Entscheidungen, auch solche eines anderen obersten Gerichtshofs des Bundes, ermöglichen keine Zulassung wegen Divergenz (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 160 RdNr 11).
Im Übrigen ist Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Divergenzrüge, dass Rechtssätze aus dem LSG-Urteil und aus einer höchstrichterlichen Entscheidung einander gegenübergestellt werden und dargelegt wird, dass sie nicht miteinander vereinbar sind und das Berufungsurteil auf dieser Divergenz beruht. Der Kläger zitiert zwar einen Rechtssatz des BGH, wonach Erleichterungen für die Annahme einer Anscheinsvollmacht nur bei unternehmensbezogenen Geschäften gälten, gibt jedoch keinen Rechtssatz des LSG wieder, welcher diesem Rechtssatz widerspricht. Vielmehr kritisiert er allein, dass das Berufungsgericht - seines Erachtens - zu Unrecht darauf abgestellt habe, dass der Abschluss einer privaten Krankenversicherung (auch) ein unternehmensbezogenes Geschäft einer Gemeinschaftspraxis sei.
2. Das Vorbringen des Klägers, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu, entspricht zwar den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Die Beschwerde ist mithin zulässig. Sie ist aber unbegründet, denn nicht alle Erfordernisse für die Revisionszulassung sind erfüllt. Diese setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BVerfG ≪Kammer≫ SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14; s auch BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 19 S 34 f; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 30 S 57 f mwN). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, falls die Rechtsfrage schon beantwortet ist, ebenso dann, wenn Rechtsprechung zu dieser Konstellation zwar noch nicht vorliegt, sich aber die Antwort auf die Rechtsfrage ohne Weiteres ergibt (zur Verneinung der Klärungsbedürftigkeit im Falle klarer Antwort s zB BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38).
Die von ihm aufgeworfene Rechtsfrage, ob
der Abschluss eines privaten Krankenversicherungsvertrages in Form eines Gruppenversicherungsvertrages ein unternehmensbezogenes Geschäft einer Gemeinschaftspraxis darstellt,
ist nicht entscheidungserheblich. Bei der "Unternehmensbezogenheit" handelt es sich nicht um eine Tatbestandsvoraussetzung einer Anscheinsvollmacht, sondern um einen Auslegungsgrundsatz (vgl BGH Urteil vom 31.7.2012 - X ZR 154/11 - Juris RdNr 12 = NJW 2012, 3368). Auch der Kläger geht diesbezüglich von einer "Erleichterung" für die Annahme des Vorliegens einer Anscheinsvollmacht aus. Rechtsgeschäfte im Rahmen eines Unternehmens oder einer freiberuflichen Tätigkeit deuten regelmäßig auf ein Handeln im Namen des Inhabers (vgl BGH Teilurteil vom 18.12.2007 - X ZR 137/04 - Juris RdNr 11 = NJW 2008, 1214 mwN; s auch BGH Urteil vom 31.7.2012, aaO, RdNr 10). Die Tatsache, dass ein Geschäft unternehmensbezogen ist, spricht im Zweifel dafür, dass das Geschäft mit dem Inhaber des jeweiligen Unternehmens abgeschlossen wird (BGH Urteil vom 7.5.1998 - III ZR 268/96 - Juris RdNr 11 = NJW-RR 1998, 1342; BGH Teilurteil vom 18.12.2007, aaO, mwN).
Das LSG hat seine Entscheidung jedoch nicht auf diesen Auslegungsgrundsatz, sondern darauf gestützt, dass die Mitgesellschafter des Klägers die von diesem erteilte Einzugsermächtigung nach den (allgemeinen) Grundsätzen der Anscheinsvollmacht gegen sich gelten lassen müssen. Lediglich ergänzend ("Auch dem Einwand … kann nicht gefolgt werden") hat es zur Frage der "Unternehmensbezogenheit" Stellung genommen und diese (ebenfalls) bejaht. Zur Anwendung der Grundsätze der Anscheinsvollmacht durch das LSG sind Fragen von grundsätzlicher Bedeutung weder geltend gemacht noch ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm §§ 154 ff VwGO. Danach hat der Kläger auch die Kosten des von ihm ohne Erfolg durchgeführten Rechtsmittels zu tragen (§ 154 Abs 2 VwGO). Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
Die Festsetzung des Streitwerts entspricht den Festsetzungen der Vorinstanz vom 4.5.2016, die von keinem der Beteiligten in Frage gestellt worden ist (§ 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 GKG).
Fundstellen
Dokument-Index HI10333562 |