Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 28.09.2022; Aktenzeichen L 19 R 320/20)

SG Würzburg (Entscheidung vom 11.05.2020; Aktenzeichen S 2 R 842/18)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. September 2022 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine Kosten zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger, der zuletzt seit 2007 als Elektromotorenbauer beschäftigt war, beansprucht eine Rente wegen Erwerbsminderung. Sein im Mai 2018 beim beklagten Rentenversicherungsträger gestellter Antrag ist ohne Erfolg geblieben (Bescheid vom 27.7.2018, Widerspruchsbescheid vom 4.10.2018, Gerichtsbescheid des SG vom 11.5.2020). Zur weiteren Aufklärung der vom Kläger hauptsächlich als Grund für seine Beschwerden angeführten Elektrohypersensibilität hat das LSG von der Fachärztin für Öffentliches Gesundheitswesen und Umweltmedizin T ein medizinisches Gutachten erstellen lassen. Die Sachverständige gelangte nach einem Hausbesuch am 6.7.2021 zu der Beurteilung, dass der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Tätigkeiten unter Beachtung gewisser qualitativer Einschränkungen arbeitstäglich noch mehr als sechs Stunden verrichten könne; die Wegefähigkeit sei nicht eingeschränkt. Demgegenüber war Ergebnis des auf Kosten des Klägers von der Allgemeinmedizinerin K nach § 109 SGG angefertigten Gutachtens vom 8.7.2022, dass der Kläger elektrohypersensibel sei. Da auf dem üblichen Arbeitsmarkt elektrosmogfreie Arbeitsbedingungen nicht vorhanden seien, sei er als erwerbsunfähig zu betrachten.

Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 28.9.2022). Es sei nicht nachgewiesen, dass der Kläger nur noch weniger als sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne. Der Einschätzung von Frau K sei nicht zu folgen. Ihren Ausführungen fehle es an einer einzelfallbezogenen Darlegung der beim Kläger bestehenden Funktionseinschränkungen; ihr Rückschluss von einer nachgewiesenen Elektrohypersensibilität auf eine vollständig entfallende Leistungsfähigkeit sei zu undifferenziert. Dem Antrag des Klägers, Frau K ergänzend zu hören, habe der Senat nicht entsprechen müssen, weil nicht aufgezeigt worden sei, über welche im Einzelnen bezeichneten Punkte und mit welchem Ziel weiter Beweis habe erhoben werden sollen.

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG hat der Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt. Er rügt einen Verfahrensmangel.

II

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Der Kläger hat einen Verfahrensmangel nicht hinreichend bezeichnet. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die Umstände, aus denen sich der Verfahrensfehler ergeben soll, substanziiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

Sofern ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht geltend gemacht wird, muss die Beschwerdebegründung hierzu folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren, bis zum Schluss aufrechterhaltenen prozessordnungsgemäßen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen müssen, (3) Darlegung der von dem betreffenden Beweisantrag berührten Tatumstände, die zu weiterer Sachaufklärung Anlass gegeben hätten, (4) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme und (5) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5 mwN; BSG Beschluss vom 16.11.2022 - B 5 R 112/22 B - juris RdNr 17; Meßling in Krasney/Udsching/Groth/Meßling, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 8. Aufl 2022, Kap IX RdNr 321).

Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung des Klägers, der allein eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht (vgl § 103 SGG) geltend macht, nicht gerecht. Er trägt vor, nur die Sachverständige K habe seine Elektrosensibilität ausreichend untersucht. Da sich die allgemeine medizinische Wissenschaft zu diesem Krankheitsbild noch uneinig sei, hätte das Berufungsgericht "die Gutachterin nochmals anhören müssen, da sie eine Expertise dahingehend aufweist". Er - der Kläger - habe nach Erhalt der Stellungnahme der Beklagten (M) zum Gutachten von Frau K mit Schreiben vom 23.8.2022 ihre ergänzende Anhörung beantragt. Es "sollte zu den offenen Fragen medizinisch Stellung genommen werden können". Zudem hätte das LSG weitere Sachaufklärung betreiben müssen, wenn es die Beurteilung von K als zu undifferenziert angesehen habe. Es sei nicht auszuschließen, dass das LSG nach vollständiger Aufklärung zu einer anderen Gesamtwürdigung oder zur Annahme der Notwendigkeit weiterer Beweisaufnahme gelangt wäre.

Aus diesem Vortrag ergibt sich nicht, dass der Kläger gegenüber dem LSG einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag zu konkret bezeichneten, noch weiter aufklärungsbedürftigen Punkten (vgl § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 403 ZPO) angebracht und in der mündlichen Verhandlung bis zum Schluss aufrechterhalten hat (zum notwendigen Inhalt eines Beweisantrags in Streitverfahren um eine Erwerbsminderungsrente, wenn bereits mehrere Gutachten vorhanden sind, vgl BSG Beschluss vom 8.11.2022 - B 5 R 155/22 B - juris RdNr 7 mwN). Den genannten Anforderungen an einen Beweisantrag genügt auch der im LSG-Urteil wiedergegebene Hilfsantrag, "die Sachverständige K nach § 109 SGG ergänzend zu hören", nicht. Welche Fragen noch "offen" waren, zu denen die Sachverständige "medizinisch" hätte Stellung nehmen sollen, vermag der Kläger in der Beschwerdebegründung nicht zu benennen; erst recht ist nicht ersichtlich, dass er - wie erforderlich - solche konkreten Fragen bereits gegenüber dem LSG geltend gemacht hat.

Sofern das Vorbringen des Klägers zudem sinngemäß als Rüge einer Verletzung seines Fragerechts gegenüber der Sachverständigen K anzusehen sein sollte (vgl § 116 Satz 2, § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO), fehlt es auch insoweit an der Darstellung, dass er gegenüber dem LSG erläuterungsbedürftige Punkte zu ihrem Gutachten hinreichend konkret bezeichnet hat (s dazu BSG Beschluss vom 21.10.2021 - B 5 R 148/21 B - juris RdNr 6 f).

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 183 iVm § 193 Abs 1 und 4 SGG.

Düring                                    Hahn                                     Gasser

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15615642

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