Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Divergenzrüge. Berücksichtigung eines im Wege der Interpretation gewonnenen Obersatzes eines Obergerichts. Verfahrensfehler. wirksame Einverständniserklärung nach § 124 Abs 2 SGG
Orientierungssatz
1. Eine Nichtzulassungsbeschwerde, mit der eine Rechtsprechungsabweichung gerügt wird, kann nicht auf einem im Wege der Interpretation gewonnenen Obersatz eines Obergerichts gegründet werden, denn es ist nicht Gegenstand der Divergenzrüge zu entscheiden, ob ein höchstrichterlicher Rechtssatz in der von der Beschwerde vertretenen Weise auszulegen oder fortzuentwickeln ist (vgl BSG vom 14.5.2007 - B 1 KR 21/07 B = juris RdNr 10).
2. Eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren, für die keine wirksame Einverständniserklärung nach § 124 Abs 2 SGG vorliegt, verletzt regelmäßig zugleich den Anspruch des Beteiligten auf rechtliches Gehör (vgl BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 132/15 B = juris RdNr 9).
Normenkette
SGG § 62 Hs. 1, § 124 Abs. 1-2, § 160 Abs. 2 Nrn. 1-3, § 160a Abs. 2 S. 3; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 28. Januar 2021 wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I. Die 1985 geborene Klägerin, die erfolgreich eine Ausbildung zur Fachpraktikerin für Bürokommunikation, einem Ausbildungsberuf für Menschen mit Behinderung, abgeschlossen hat, begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Das SG hat ihre gegen den Bescheid der Beklagten vom 6.3.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.9.2018 gerichtete Klage nach Einholung zweier Sachverständigengutachten abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 29.4.2020). Das LSG hat ihre dagegen gerichtete Berufung mit Urteil vom 28.1.2021 zurückgewiesen, das ohne mündliche Verhandlung ergangen ist. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin, bei der aufgrund einer frühkindlichen spastischen Cerebralparese mit Beeinträchtigung der Gehirnfunktion ein GdB von 100 und die Merkzeichen B, G, aG, H sowie RF anerkannt seien und die seit dem 10. Lebensjahr Leistungen aus der Pflegeversicherung beziehe, sei bereits seit ihrem Eintritt in die gesetzliche Rentenversicherung voll erwerbsgemindert für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Bei ihr komme es zu einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen und ihr könne keine Verweisungstätigkeit benannt werden, die sie wettbewerbsfähig zu Menschen ohne Behinderung ausüben könne. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei sie schon bei den Verrichtungen des täglichen Lebens auf eine Assistenz angewiesen, sei nicht wegefähig und benötige Pausen, die über das arbeitsrechtlich vorgesehene Maß hinausgehen würden. So leide die auf den Rollstuhl angewiesene Klägerin ua an einer Spastik in sämtlichen Extremitäten mit Greiffunktions- und feinmotorischen Störungen an den oberen Extremitäten; an einer Spastik in der Kaumuskulatur; einer Muskeltonuserhöhung im Gesicht sowie an einer starken Sehstörung. Toilettengänge, An- und Auskleiden, Waschen sowie Aufstehen und Hinsetzen seien ihr nur mit Unterstützung möglich. Essen könne sie alleine, doch müsse die Nahrung ihr mundgerecht zubereitet und zerkleinert werden. Den Arbeitsweg könne sie mit keinem Fortbewegungsmittel selbstständig bewältigen. Der erfolgreiche Abschluss ihrer Ausbildung beim Integrationszentrum für cerebrale Parese stehe dieser Einschätzung nicht entgegen, weil dabei durch Hilfspersonen, zusätzliche Pausen von 15 Minuten pro Stunde und Therapien (Logopädie, Ergotherapie, Physiotherapie) während der Arbeitszeit auf die speziellen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung eingegangen worden sei. Ebenso wenig stehe der Annahme einer vollen Erwerbsminderung bereits bei Eintritt in die gesetzliche Rentenversicherung entgegen, dass die Klägerin zwischenzeitlich Arbeitslosengeld und Arbeitslosengeld II bezogen habe. Sie könne eine Erwerbsminderungsrente demnach erst nach Erfüllung der Wartezeit von 20 Jahren beanspruchen (§ 43 Abs 6 SGB VI), was noch nicht der Fall sei.
Die Klägerin hat gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung Beschwerde zum BSG eingelegt, die sie mit Schriftsatz vom 10.5.2021 begründet hat.
II. 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form begründet wird. Sie ist daher gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG zu verwerfen.
a) Die Klägerin legt die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) nicht anforderungsgerecht dar. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde mit diesem Zulassungsgrund begründet, muss in der Beschwerdebegründung dargetan werden, dass die Rechtssache eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss zur ordnungsgemäßen Darlegung dieses Revisionszulassungsgrundes daher eine Rechtsfrage benennen und zudem deren (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 31.7.2017 - B 1 KR 47/16 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 30 RdNr 4 mwN). Die Beschwerdebegründung vom 10.5.2021 wird diesen Anforderungen nicht gerecht.
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Ihr lässt sich die Frage entnehmen: |
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"Haben bei der Beurteilung der Erwerbsminderung im Sinne des § 43 SGB VI Leistungen an schwerbehinderte Menschen, welche ihre Behinderung ausgleichen, bei der Frage der Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt außer Betracht zu bleiben?" |
In der Beschwerdebegründung wird schon die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Frage nicht hinreichend dargelegt. Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn die Antwort nicht außer Zweifel steht, sich zB nicht unmittelbar und ohne Weiteres aus dem Gesetz beantworten lässt oder nicht bereits höchstrichterlich entschieden ist (BSG Beschluss vom 21.1.1993 - 13 BJ 207/92 - SozR 3-1500 § 160 Nr 8 S 17). In der Beschwerdebegründung muss deshalb unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG bzw des BVerfG zu dem Problemkreis substantiiert vorgebracht werden, dass zu diesem Fragenbereich noch keine Entscheidung getroffen wurde oder durch die schon vorliegenden Urteile und Beschlüsse die nunmehr maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet worden ist (aus jüngerer Zeit zB BSG Beschluss vom 6.4.2021 - B 5 RE 16/20 B - juris RdNr 6 mwN). Daran richtet die Klägerin ihr Vorbringen nicht aus.
Sie trägt sinngemäß vor, die gewährten Teilhabeleistungen dürften bei der Beurteilung, ob eine Erwerbsminderung vorliege, nicht zu ihren Lasten gewertet werden. Sie versäumt es jedoch darzutun, dass die aufgeworfene Rechtsfrage bislang offengeblieben sei. Insbesondere setzt sie sich nicht mit der Rechtsprechung des BSG auseinander, die zum Begriff der "üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes" in § 43 Abs 1 Satz 2 und Abs 2 Satz 2 SGB VI ergangen ist (zuletzt zB BSG Urteil vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R - BSGE 129, 274 = SozR 4-2600 § 43 Nr 22, RdNr 15 ff mwN) und zur Beurteilung einer vollen Erwerbsminderung bei Menschen mit angeborenen oder frühkindlich erworbenen schweren Behinderungen (vgl BSG Urteil vom 14.3.1985 - 5b RJ 66/84 - juris RdNr 10 zur Rechtslage unter der RVO; vgl auch BSG Urteil vom 26.2.2020 - B 5 R 1/19 R - SozR 4-2600 § 11 Nr 1 RdNr 27 mwN dazu, dass Leistungen der Rentenversicherung zur Teilhabe am Arbeitsleben darauf gerichtet sind, Versicherte zu einer Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, also außerhalb einer Werkstatt für behinderte Menschen, zu befähigen). Soweit die Klägerin pauschal vorbringt, das LSG habe die Anforderungen des SGB IX und der UN-Behindertenrechtskonvention außer Acht gelassen, konkretisiert sie nicht weiter, inwiefern daraus auf die noch ausstehende Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage geschlossen werden könne. Im Übrigen wendet sie sich mit diesem Vorbringen im Kern gegen die Beweiswürdigung des LSG. Die darin liegende Rüge, die angegriffene Entscheidung sei inhaltlich unrichtig, vermag eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht zu begründen (vgl zuletzt BSG Beschluss vom 4.3.2021 - B 5 R 308/20 B - juris RdNr 7). Das gleiche gilt, soweit die Klägerin sich mit ihrem Gesamtvorbringen gegen die Annahme des LSG wendet, sie sei bereits vor Erfüllung der allgemeinen Wartezeit erwerbsgemindert gewesen.
Zudem wird die Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen Rechtsfrage in der Beschwerdebegründung nicht hinreichend dargelegt. Diese ist gegeben, wenn das Revisionsgericht nach und aufgrund der Zulassung der Revision in der Lage ist, über die klärungsbedürftige Rechtsfrage auch sachlich entscheiden zu können (BSG Beschluss vom 14.6.1984 - 1 BJ 72/84 - SozR 1500 § 160 Nr 53 S 55 = juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a V 7/06 B - SozR 4-2600 § 118 Nr 3 RdNr 5; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 160 RdNr 9). Hingegen ist Klärungsfähigkeit im Sinne von Entscheidungserheblichkeit zu verneinen, wenn eine klärungsbedürftige Rechtsfrage im konkreten Rechtsstreit nicht notwendigerweise beantwortet werden muss, weil die Entscheidung der Vorinstanz mit anderer rechtlicher Begründung bestätigt werden kann (vgl zB BSG Beschluss vom 13.1.2017 - B 12 R 23/16 B - juris RdNr 20; BSG Beschluss vom 12.8.2020 - B 1 KR 46/19 B - juris RdNr 10). Zur Darlegung der Klärungsfähigkeit ist daher darzutun, dass das BSG im angestrebten Revisionsverfahren überhaupt über die aufgeworfene Frage entscheiden müsste. Das wird in der Beschwerdebegründung nicht hinreichend aufgezeigt.
Die Klägerin bringt hierzu nichts vor. Sie setzt sich deswegen auch nicht damit auseinander, dass das LSG das Vorliegen von Erwerbsminderung nicht allein mit der erforderlichen Unterstützung ua bei den Verrichtungen des täglichen Lebens begründet hat, sondern selbstständig tragend mit dem gesteigerten Pausenbedarf.
b) Ebenso wenig legt die Klägerin die geltend gemachte Divergenz hinreichend dar. Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zugrunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Bezogen auf die Darlegungspflicht muss die Beschwerdebegründung erkennen lassen, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht (vgl BSG Beschluss vom 14.4.2020 - B 5 RS 13/19 B - juris RdNr 4 mwN). Nicht ausreichend ist hingegen, wenn die fehlerhafte Anwendung eines als solchen nicht in Frage gestellten höchstrichterlichen Rechtssatzes durch das Berufungsgericht geltend gemacht wird (bloße Subsumtionsrüge), denn nicht die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall, sondern nur eine Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen ermöglicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz (stRspr; zB BSG Beschluss vom 8.8.2019 - B 5 R 282/18 B - juris RdNr 16 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Klägerin bringt vor, die von ihr angeführte Entscheidung des BSG (Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2) lasse sich zu dem Rechtssatz zusammenfassen, "(d)er Grundsicherungsträger oder die Bundesagentur für Arbeit stellt in eigener Kompetenz in einem endgültigen Bescheid verbindlich auch für andere Versicherungsträger fest, dass Erwerbsfähigkeit zum jeweiligen Zeitpunkt der Leistungserbringung bestanden hat". Demgegenüber lasse sich den Ausführungen des LSG zu ihrem Arbeitslosengeldbezug sinngemäß der abstrakte Rechtssatz entnehmen, "(d)ie Entscheidung der Bundesagentur für Arbeit oder eines Grundsicherungsträgers zur Erwerbsfähigkeit eines Versicherten führt zu keinerlei Bindungswirkung für die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit durch den Rentenversicherungsträger". Es kann dahinstehen, ob die Klägerin mit den umrissenen Obersätzen, die sie durch eigene Interpretation gewonnen hat, hinreichend konkrete Rechtssätze benennt. Schon die Formulierung eines im Wege der Interpretation gewonnenen Obersatzes eines Obergerichts scheidet grundsätzlich aus, denn es ist nicht Gegenstand der Divergenzrüge zu entscheiden, ob ein höchstrichterlicher Rechtssatz in der von der Beschwerde vertretenen Weise auszulegen oder fortzuentwickeln ist (vgl BSG Beschluss vom 14.5.2007 - B 1 KR 21/07 B - juris RdNr 10; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG 14. Aufl 2020, § 160a RdNr 15b mwN). Jedenfalls fehlt es an einer nachvollziehbaren Erläuterung zur Ableitung und zum Kontext der von der Klägerin formulierten Rechtssätze.
c) Die Klägerin bezeichnet auch die geltend gemachten Verfahrensmängel nicht hinreichend. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde damit begründet, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG) zunächst die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist es erforderlich darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann ein Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Den sich daraus ergebenden Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
Die Klägerin bringt vor, das LSG habe ohne mündliche Verhandlung über ihre Berufung entschieden, obwohl sie zuvor den Widerruf ihrer Einverständniserklärung erklärt habe. Die damit gerügte Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG; § 62 Halbsatz 1 SGG) wird jedoch nicht hinreichend bezeichnet. Das Gericht entscheidet nach § 124 Abs 1 SGG, soweit nichts anderes bestimmt ist, aufgrund mündlicher Verhandlung. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz der Mündlichkeit enthält § 124 Abs 2 SGG. Danach kann das Gericht mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden. Als Prozesshandlung muss die Einverständniserklärung klar, eindeutig und vorbehaltlos sein (vgl zB BSG Beschluss vom 6.10.2016 - B 5 R 45/16 B - juris RdNr 17 mwN). Eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren, für die keine wirksame Einverständniserklärung nach § 124 Abs 2 SGG vorliegt, verletzt regelmäßig zugleich den Anspruch des Beteiligten auf rechtliches Gehör (BSG Beschluss vom 17.12.2015 - B 2 U 132/15 B - juris RdNr 9 mwN). Dass das LSG ohne wirksame Einverständniserklärung der Klägerin oder sonst fehlerhaft von einer mündlichen Verhandlung abgesehen habe, lässt sich anhand der Beschwerdebegründung nicht ausreichend nachvollziehen.
Die Klägerin stellt nicht in Abrede, mit Schriftsatz vom 26.11.2020 zunächst ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt zu haben. Der Widerruf einer solchen Prozesshandlung ist nur möglich, bis die Erklärungen der übrigen Beteiligten bei Gericht eingegangen sind (vgl zB BSG Beschluss vom 17.7.2015 - B 9 SB 17/15 B - juris RdNr 8 mwN; Keller in Meyer-Ladewig/Leitherer/Keller/Schmidt, SGG, 13. Aufl 2020, § 124 RdNr 3d mwN). Dass sie den Widerruf ihrer Einverständniserklärung vor Eingang der Einverständniserklärung der Beklagten beim LSG erklärt habe, behauptet die Klägerin nicht. Soweit sie andeutet, ihre Einverständniserklärung sei möglicherweise zu keinem Zeitpunkt wirksam geworden, weil dem LSG zuvor oder gleichzeitig ihre Widerrufserklärung zugegangen sei (vgl § 130 Abs 1 Satz 2 BGB), substantiiert sie ihr Vorbringen nicht ausreichend. Sie setzt sich insbesondere nicht mit den von ihr sogar wiedergegebenen Feststellungen des LSG zum Verfahrensablauf auseinander, wonach sie die Anfrage zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung mit Schriftsatz vom 26.11.2020 bejaht und ihre Einverständniserklärung mit Schriftsatz vom 7.12.2020 widerrufen habe. Ihr allgemein gehaltener Einwand, der Eingang des Schriftsatzes vom 26.11.2020 "im schriftlichen Original" bleibe offen und es stelle sich die Frage, ob er zum Zeitpunkt des Widerrufs überhaupt vorgelegen habe, genügt hierfür nicht.
Dass die zunächst wirksame Einverständniserklärung im Lauf des Verfahrens unwirksam geworden sei, wird mit der Beschwerdebegründung nicht aufgezeigt. Eine Einverständniserklärung iS des § 124 Abs 2 SGG verliert ihre Wirksamkeit, wenn sich nach ihrer Abgabe die bisherige Tatsachen- oder Rechtsgrundlage und damit die Prozesssituation wesentlich ändert. Das ist zB der Fall, wenn Zeugen vernommen, Beteiligte angehört, Auskünfte eingeholt oder Akten beigezogen werden. Dasselbe wird für den Fall angenommen, dass ein Schriftsatz des Rechtsmittelgegners mit erheblichem neuen Vorbringen oder neuen Beweismitteln oder Anträgen eingereicht wird (vgl BSG Beschluss vom 6.10.2016 - B 5 R 45/16 B - juris RdNr 18 mwN; BSG Beschluss vom 2.7.2019 - B 2 U 156/18 B - juris RdNr 8; BSG Beschluss vom 16.7.2019 - B 12 KR 102/18 B - juris RdNr 6). Mit der Beschwerdebegründung sind keine Umstände dargetan, die eine solche wesentliche Änderung der Prozesslage begründen würden. Die Klägerin bringt dazu letztlich nur vor, dem LSG mit Schriftsatz vom 7.12.2020 mitgeteilt zu haben, sie wolle, dass dieses sich im Rahmen der mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von ihr und ihren körperlichen Einschränkungen verschaffe. Damit ist aber insbesondere keine wesentliche Änderung der entscheidungserheblichen Tatsachengrundlage zwischen der Abgabe der Einverständniserklärung und der Berufungsentscheidung dargetan. Soweit die Klägerin vorbringt, damit im Schriftsatz vom 7.12.2020 einen Beweisantrag gestellt zu haben, mangelt es an substantiiertem Vortrag zu dessen Inhalt, insbesondere zum konkreten Beweisthema. Falls die Klägerin mit diesem Vorbringen zugleich einen Verstoß gegen die tatrichterliche Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen (§ 103 Satz 1 Halbsatz 1 SGG) rügen will, wird ein solcher Verfahrensmangel nicht anforderungsgerecht bezeichnet (vgl zu den maßgeblichen Darlegungsanforderungen für die Sachaufklärungsrüge zB BSG Beschluss vom 14.4.2020 - B 5 RS 13/19 B - juris RdNr 11 mwN).
Ein denkbarer Ermessensfehler des LSG, das sich trotz des Vorbringens der Klägerin nach Abgabe der Einverständniserklärung für ein Vorgehen nach § 124 Abs 2 SGG entschieden hat, wird in der Beschwerdebegründung nicht hinreichend aufgezeigt. Die Klägerin bringt insoweit lediglich vor, das LSG habe kein Ermessen ausgeübt, sondern sei erkennbar davon ausgegangen, dass keinerlei Ermessen zu beachten sei. Dieses Vorbringen ist schon nicht schlüssig angesichts der von der Klägerin selbst mitgeteilten Ausführungen im Berufungsurteil, wonach ohne mündliche Verhandlung entschieden werden "konnte".
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 SGG.
Fundstellen
Dokument-Index HI14892296 |