Orientierungssatz
Parallelentscheidung zu dem BSG-Urteil vom 1968-10-31 - 12 RJ 250/64 -, das vollständig dokumentiert ist.
Tenor
Dem Großen Senat werden gemäß § 43 des Sozialgerichtsgesetzes folgende Rechtsfragen zur Entscheidung vorgelegt:
1) Ist es dafür, ob ein Versicherter berufsunfähig im Sinne des § 1246 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung ist, erheblich, ob Arbeitsplätze (Arbeitsgelegenheiten), auf denen tätig zu sein ihm zuzumuten ist und die er mit seiner ihm verbliebenen Leistungsfähigkeit noch ausfüllen kann, seien sie frei oder besetzt, vorhanden sind?
2) Im Falle der Bejahung der Frage zu 1):
Ist es erheblich, in welcher Zahl solche Arbeitsgelegenheiten vorhanden sind?
3) Im Falle der Bejahung der Frage zu 2):
Darf der Versicherte auf solche Arbeitsgelegenheiten nur dann verwiesen werden, wenn sie in (zumindest) nennenswerter oder mehr als nur bedeutungsloser oder nicht ganz unerheblicher oder ausreichender oder genügender oder praktisch ins Gewicht fallender Zahl vorhanden sind?
4) Im Falle der Bejahung der Frage zu 3):
Nach welchen Grundsätzen oder Maßstäben ist die erforderliche Zahl näher zu bestimmen?
5) Im Falle der Bejahung der Fragen zu 1), 2) und 3):
Müssen die Arbeitsgelegenheiten am Wohnort des Versicherten bzw. in dessen näherer täglich zu erreichender Umgebung vorhanden sein?
6) Ist es zulässig, die Ermittlungen über das Vorhandensein von Arbeitsgelegenheiten auf Anfragen an die Arbeitsverwaltung zu beschränken?
Gründe
I
Der Kläger begehrt Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU). Zu entscheiden ist, ob er berufsunfähig im Sinne des § 1246 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) ist und ob hierfür von Bedeutung ist, ob es für die Tätigkeiten, zu denen der Kläger bei seinem eingeschränkten Leistungsvermögen noch fähig ist, entsprechend angepaßte Arbeitsplätze (Teilzeitarbeitsplätze) gibt.
Der im Jahre 1910 geborene Kläger erlernte den Beruf des Metzgers, übte diesen Beruf jedoch nur 3 Monate lang aus und war dann als Tiefbau- und Platzarbeiter, seit 1933 bei der früheren Deutschen Reichsbahn als Hilfsschlosser, Betriebsarbeiter, Werkhelfer und zuletzt seit 1938 als Aushilfsheizer versicherungspflichtig beschäftigt. Er wurde 1941 als Lok-Heizer in das Beamtenverhältnis übernommen und zum 1. Januar 1965 in den Ruhestand versetzt.
Seinen im Juli 1964 gestellten Antrag, ihm Rente wegen BU oder wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) zu gewähren, lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 27. Oktober 1964 ab, weil er nicht berufsunfähig sei. Das Sozialgericht (SG) hat die gegen diesen Bescheid erhobene Klage abgewiesen (Urteil vom 18. August 1965). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen (Urteil vom 24. Juni 1966).
Das LSG hat angenommen, der Kläger sei als Aushilfsheizer einem Versicherten mit einem anerkannten Anlernberuf gleichzustellen und müsse sich auf alle Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsfeldes mit Ausnahme derjenigen einfachster Art verweisen lassen. Er sei noch in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten vorwiegend im Sitzen in geschlossenen Räumen ohne schwere Verantwortung für die Dauer von vier bis sechs Stunden täglich regelmäßig zu verrichten. Er könne noch als Werkzeugausgeber für gewichtsmäßig leichte Werkstücke, als Montierer von leichten Gegenständen, aber auch als Zählerableser in Kontrollräumen oder als Wächter arbeiten. Diese Tätigkeiten höben sich aus dem Kreis der einfachsten Tätigkeiten hervor. Die vom Bundessozialgericht (BSG) für die Rente wegen EU i. S. des § 1247 RVO geforderte Prüfung, ob es Arbeitsplätze für die in Frage kommende zeitlich eingeschränkte Tätigkeit in zumindest nennenswerter Zahl gebe, sei bereits im Zusammenhang mit der Prüfung der EU nicht erforderlich, wie der Senat im einzelnen in seinem Urteil vom 19. Oktober 1965 (Breithaupt 1966, 224) dargelegt habe. Die dort entwickelten Grundsätze hätten in noch viel höherem Maße in den Fällen zu gelten, in denen lediglich eine Rente wegen BU begehrt werde. Denn auch hier komme es nur auf eine ursächliche Verknüpfung zwischen den Gesundheitsstörungen und der Fähigkeit zum Erwerb von mehr als der Hälfte der Einkünfte eines gesunden Versicherten an.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung der §§ 103, 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und unrichtige Anwendung des § 1246 Abs. 2 RVO. Er meint, das LSG habe dadurch gegen § 128 SGG verstoßen, daß es ohne Begründung die Tätigkeiten des Zählerablesers oder Wächters nicht als für ihn unzumutbare Arbeiten einfachster Art angesehen habe. Da es für die Beurteilung der BU auf die Verwertbarkeit der dem Versicherten noch verbliebenen Erwerbsfähigkeit ankomme (BSG 19, 147; 24, 181) hätte das LSG prüfen müssen, ob Arbeitsplätze, die seinem - des Klägers - eingeschränkten Leistungsvermögens angepaßt seien, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in nennenswertem Umfang vorhanden seien. Es sei auch nicht unmöglich, entsprechende Feststellungen mit hinreichender Sicherheit zu treffen.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 24. Juni 1966 und des SG Duisburg vom 18. August 1965 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. Oktober 1964 aufzuheben und diese zu verurteilen, ihm Rente wegen BU vom 1. Juli 1964 an zu gewähren, hilfsweise, das Urteil des LSG aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II
Die von der Revision geltend gemachten Verfahrensrügen greifen nach Ansicht des Senats nicht durch.
III
Rente wegen BU erhält gemäß § 1246 Abs. 1 RVO der Versicherte, der berufsunfähig ist, wenn die Wartezeit erfüllt ist. Da für den Kläger die Wartezeit erfüllt ist, ist nur noch darüber zu entscheiden, ob er berufsunfähig ist. Nach § 1246 Abs. 2 RVO ist berufsunfähig ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich oder geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können.
Nach den von der Revision nicht angegriffenen und deshalb für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ist der Kläger trotz der bei ihm bestehenden Gesundheitsstörungen noch in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten vorwiegend im Sitzen, in geschlossenen Räumen ohne schwere Verantwortung für die Dauer von vier bis sechs Stunden täglich regelmäßig zu verrichten. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats hat das LSG für die Feststellung des bisherigen Berufs des Klägers i. S. des § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO zutreffend angenommen, daß der Kläger, der zuletzt seit 1938 in den Diensten der früheren Deutschen Reichsbahn als Aushilfsheizer in der Rentenversicherung der Arbeiter versicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist, einem Versicherten mit einem anerkannten Anlernberuf gleichzustellen ist und daß ihm alle - auch ungelernten - Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsfeldes mit Ausnahme derjenigen einfachster Art zuzumuten sind (Urteile d. Senats vom 29. Oktober 1964 - 12 RJ 74/62 - und vom 23. September 1966 - 12 RJ 492/62 -).
Der Kläger kann, worin dem LSG ebenfalls beizupflichten ist, als Werkzeugausgeber für gewichtsmäßig leichte Werkstücke, als Montierer von leichten Gegenständen, aber auch als Zählerableser in Kontrollräumen oder als Wächter mit entsprechenden Anforderungen - so ist das angefochtene Urteil zu verstehen - arbeiten, weil diese Tätigkeiten sich aus dem Kreise der einfachsten Tätigkeiten hervorheben (Urt. d. Senats von 28. Mai 1963 in SozR Nr. 32 zu § 1246 RVO). Auf derartigen Arbeitsplätzen kann der Kläger in der ihm noch möglichen regelmäßigen Arbeitszeit von vier bis sechs Stunden täglich die für ihn maßgebende Lohnhälfte auch verdienen. Jedoch fragt es sich, ob es für den in § 1246 Abs. 2 RVO verwendeten Begriff "berufsunfähig" erheblich ist, ob derartige dem eingeschränkten Leistungsvermögen des Klägers entsprechende Arbeitsgelegenheiten (Teilzeitarbeitsplätze) auf dem allgemeinen Arbeitsfeld vorhanden sind, in welcher Zahl sie bestehen, ob ein Versicherter auf solche Arbeitsgelegenheiten nur dann verwiesen werden darf, wenn sie in zumindest nennenswerter oder mehr als nur bedeutungsloser oder nicht ganz unerheblicher oder ausreichender oder genügender oder praktisch ins Gewicht fallender Zahl vorhanden sind, ob die Arbeitsgelegenheiten am Wohnort des Versicherten oder in dessen näherer täglich zu erreichender Umgebung vorhanden sein müssen, und schließlich, nach welchen Grundsätzen oder Maßstäben die erforderliche Zahl der Arbeitsgelegenheiten zu bestimmen ist und ob es hierfür zulässig ist, die Ermittlungen auf Anfragen an die Arbeitsverwaltung zu beschränken.
In Rechtsprechung und Schrifttum wird hierzu keine einheitliche Rechtsauffassung vertreten. Selbst die Rechtsprechung des BSG zu diesen Rechtsfragen ist nicht übereinstimmend. Wegen der vom BSG, von den Instanzgerichten und im Schrifttum vertretenen unterschiedlichen Rechtsauffassungen wird auf die dem Beschluß beigefügte, "Zusammenstellung von Rechtsprechung und Schrifttum" verwiesen.
IV
Im 12. Senat des BSG gehen die Auffassungen, der Berufsrichter darüber, wie diese Rechtsfragen zu beantworten sind, gleichfalls teilweise auseinander. Übereinstimmung besteht allerdings in dem Ergebnis, daß an der Rechtsauffassung nicht mehr festgehalten werden sollte, die in dem der Rechtsprechung des 1., 4. und 5. Senats (BSG 5, 84; 8, 31; BSG Urt. v. 25.1.1961 - 1 RA 16/59 -; BSG 16, 18; BSG SozR Nr. 5 zu § 1247 RVO; BSG 18, 36) insoweit folgenden, in erster Linie zu § 1247 RVO ergangenen Urteil des 12. Senats vom 28. Mai 1963 - 12/4 RJ 142/61 - (BSG 19, 147) zum Ausdruck gelangt ist,
bei der Prüfung der Frage, ob BU i. S. des § 1246 Abs. 2 RVO vorliegt, könne der Versicherte grundsätzlich nur auf Tätigkeiten verwiesen werden, für die es Arbeitsplätze in zumindest nennenswerter Zahl überhaupt gebe.
Zur Begründung dessen, daß an dieser Rechtsauffassung nicht festgehalten werden sollte, werden im 12. Senat verschiedene Ansichten vertreten.
V
Die eine Ansicht geht dahin:
Die bei der Prüfung der Frage, ob BU vorliegt, nach dem Gesetz (§ 1246 Abs. 2 RVO) bedeutungsvolle "Erwerbsfähigkeit" eines Versicherten ist mehr als die bloße Arbeitsfähigkeit im Sinne der Fähigkeit, körperliche oder geistige Arbeiten zu verrichten. Sie ist die Fähigkeit, durch Arbeit etwas - d. h. ein Gut von wirtschaftlichem Wert - zu erwerben. Um in diesem Sinne durch Arbeit etwas zu erwerben, ist aber Voraussetzung, daß der Versicherte seine Arbeitsfähigkeit irgendwo anbringen, d. h. daß er eine entsprechende Arbeitsgelegenheit finden kann. Ein geeigneter Arbeitsplatz - besetzt oder frei - muß also jedenfalls vorhanden sein. Deshalb kann den Vertretern der sog. abstrakten Betrachtungsweise in ihrer Meinung nicht gefolgt werden, es komme überhaupt nicht darauf an, ob für vermindert Erwerbsfähige entsprechende (d. h. ihrem eingeschränkten Leistungsvermögen angepaßte) Arbeitsgelegenheiten (Teilzeitarbeitsplätze) vorhanden sind. Ein Versicherter, für den es trotz seiner Arbeitsfähigkeit Arbeitsplätze, die er ausfüllen kann, überhaupt nicht gibt, ist nicht nur berufsunfähig im Sinne des § 1246 Abs. 2 RVO sondern sogar erwerbsunfähig im Sinne des § 1247 Abs. 2 RVO. Die sogenannte abstrakte Betrachtungsweise kann auch nicht damit begründet werden, nach § 1246 Abs. 2 RVO komme es nur auf eine ursächliche Verknüpfung zwischen Gesundheitsstörungen und der Fähigkeit zum Ausüben einer Erwerbstätigkeit an, nicht aber darauf, ob Arbeitsplätze zur Verfügung ständen. Gewiß ist es richtig, daß Ursache (wesentliche, nicht alleinige Bedingung) der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) Krankheit oder andere Gebrechen oder Schwäche der körperlichen und geistigen Kräfte sein müssen; jedoch ist es eben die Erwerbsfähigkeit, die durch Krankheit oder dergleichen gemindert sein muss, nicht nur die Arbeitsfähigkeit und die Erwerbsfähigkeit des Versicherten ist gemindert oder vielmehr sogar aufgehoben, wenn überhaupt kein für ihn geeigneter Arbeitsplatz - besetzt oder frei - vorhanden ist.
Wenn es aber überhaupt Arbeitsgelegenheiten (Arbeitsplätze und Teilzeitarbeitsplätze) gibt, die der Versicherte mit seinem eingeschränkten Leistungsvermögen noch auszufüllen fähig ist, so kann die Zahl dieser Arbeitsplätze nicht entscheidend sein; denn in der Rechtsprechung besteht jedenfalls darüber Einigkeit, daß es für die Rentenversicherung bei der Prüfung, ob BU (EU) vorliegt, unerheblich ist, ob die Arbeitsplätze, die vorhanden sind, frei oder besetzt sind, und daß es Sache der Arbeitslosenversicherung ist, sich derer anzunehmen, die an sich vorhandene Arbeitsplätze deshalb nicht erhalten können, weil diese schon besetzt sind. Wird dies aber anerkannt, so kann es keinen Unterschied machen, daß der Grund dafür, daß die Arbeitsplätze schon besetzt sind, der ist, daß ihre Zahl so gering ist. Es muß deshalb als unerheblich gelten, ob die Arbeitsplätze, aus welchen Gründen auch immer besetzt sind, d. h. auf die Zahl der vorhandenen Arbeitsplätze kann es nicht ankommen.
Wegen der Begründung des weiteren wird auf die Ausführungen Bezug genommen, die der Senat in seinen Beschlüssen - u. a. zu 12 RJ 174/64 - vom 25. Juli 1968 gemacht hat und mit denen er seine Vorlagen an den Großen Senat über die Auslegung des Begriffs "erwerbsunfähig" im Sinne des § 1247 Abs. 2 RVO begründet hat. Das dort zur EU unter IV Gesagte gilt im wesentlichen auch für den Begriff "berufsunfähig".
Von den in der Beschlußformel dem Großen Senat zur Entscheidung vorgelegten Rechtsfragen sollten hiernach die Frage zu 1) bejaht, die Frage zu 2) verneint werden. Die Beantwortung der Fragen zu 3) und 4) entfällt dann. Die Fragen zu 5) und 6) sind nach der Ansicht des beschließenden Senats zu verneinen.
VI
Die andere im 12. Senat vertretene Ansicht ist folgende:
Die unter V dargelegte Auffassung, in jedem Einzelfall die Feststellung zu verlangen, daß dem eingeschränkten Leistungsvermögen des Versicherten entsprechende Arbeitsgelegenheiten "überhaupt" vorhanden sind, wird nicht geteilt. Es macht keinen grundsätzlichen Unterschied, ob verlangt wird, daß entsprechende Arbeitsgelegenheiten in (zumindest) nennenswerter oder mehr als nur bedeutungsloser oder nicht ganz unerheblicher Zahl oder aber in ausreichender oder genügender oder praktisch ins Gewicht fallender Zahl vorhanden sind, oder ob verlangt wird, daß solche Arbeitsgelegenheiten "überhaupt" vorhanden sind. Die in der Rechtsprechung der Tatsachengerichte aufgetretenen Schwierigkeiten bei der Tatsachenermittlung werden nicht ausgeräumt, wenn es darauf ankommen soll,) ob dem eingeschränkten Leistungsvermögen des Versicherten entsprechende Arbeitsgelegenheiten "überhaupt" vorhanden sind; denn besondere Feststellungen über das Vorhandensein von Arbeitsgelegenheiten wären auch dann im Einzelfall erforderlich.
Auch bei der BU ist wie bei der EU zwischen den Verhältnissen in der Person des Versicherten und den Verhältnissen, die außerhalb seiner Person liegen, zu unterscheiden.
Zu den Verhältnissen in der Person des Versicherten gehören nach § 1246 Abs. 2 RVO:
a) die Feststellung der Einschränkung der Erwerbsfähigkeit durch Krankheit, Gebrechen oder Schwäche der körperlichen oder geistigen Kräfte,
b) die Feststellung des Ausmaßes dieser Einschränkung auf weniger als die Hälfte der Erwerbsfähigkeit eines beruflich vergleichbaren gesunden Versicherten,
c) die Feststellung derjenigen Tätigkeiten, die dem Versicherten objektiv - nach seinen Kräften und Fähigkeiten (§ 1246 Abs. 2 Satz 2, 1. Halbs. RVO) - und subjektiv - unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit (§ 1246 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbs, RVO) - zumutbar sind.
Außerhalb der Person des Versicherten liegen die Verhältnisse des Arbeitsmarktes, wie Arbeitsgelegenheiten durch Teilzeitbeschäftigung für Personen ohne oder mit Einschränkung der gesundheitlichen Leistungsfähigkeit sowie ohne oder mit besonderen Berufskenntnissen, also die Verhältnisse von Seiten der Arbeitgeber. In dieser Hinsicht besagt § 76 Abs. 1 a des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) idF des Finanzänderungsgesetzes 1967, daß auch ein nicht beschäftigter gesundheitlich beschränkt einsatzfähiger Versicherter, der noch nicht berufsunfähig ist, Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhalten kann. Die Voraussetzung für Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung (ArblV), daß der Versicherte der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, wird durch eine eingeschränkte gesundheitliche Leistungsfähigkeit nicht ausgeschlossen. Dies bedeutet umgekehrt, daß bei einem Versicherten, dessen Erwerbsfähigkeit noch nicht auf weniger als die Hälfte derjenigen eines vergleichbaren gesunden Versicherten herabgesunken ist, BU nicht mit der Begründung bejaht werden kann, Arbeitsplätze für eine entsprechende Teilzeitbeschäftigung seien nicht vorhanden; denn diese Personen sind in § 76 Abs. 1 a AVAVG der ArblV zugeordnet. Diese vom Gesetz getroffene Regelung spricht dafür, daß das Vorhandensein von Arbeitsplätzen, die dem eingeschränkten Leistungsvermögen des Versicherten entsprechen, nicht ein selbständiges gesetzliches Anspruchsmerkmal für die Rente wegen BU ist.
Die Frage, ob in den Begriff "Erwerbsfähigkeit" in § 1246 Abs. 2 RVO das Erfordernis des Vorhandenseins von festzustellenden Arbeitsgelegenheiten - überhaupt, in nennenswerter Zahl u. ä. - hineingelegt werden kann, ist die gleiche wie beim Begriff "Erwerbsunfähigkeit" in § 1247 Abs. 2 RVO. Anders als bei der EU, bei der kein Beruf zu berücksichtigen ist, und bei der BU ungelernter, beruflich frei verweisbarer Versicherter kann bei beruflich differenzierter Verweisung nach § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO nicht von einer Wirklichkeit ausgegangen werden, in der bestimmte berufliche Fähigkeiten bei eingeschränkter gesundheitlicher Leistungsfähigkeit stets in einer entsprechenden Berufstätigkeit gegen Entgelt verwertet werden können. Die Verweisung bei gesundheitlich eingeschränkter Leistungsfähigkeit auf bestimmte beruflich zumutbare Tätigkeiten muß mit den dafür gegebenen Verwertungsmöglichkeiten im Erwerbsleben abgestimmt werden. Es muß eine Übereinstimmung zwischen der Verweisung auf bestimmte berufliche Tätigkeiten bei gesundheitlich eingeschränktem Leistungsvermögen und der Möglichkeit, mit der verbliebenen Leistungsfähigkeit durch solche Tätigkeiten ein Entgelt zu erzielen, bestehen. Dies dürfte aber schon zu der oben unter c) angeführten, für das Vorliegen von BU notwendigen Feststellung gehören. Die Prüfung, welche beruflichen Leistungen der Versicherte bei seiner eingeschränkten gesundheitlichen Leistungsfähigkeit noch erbringen kann, umfaßt bereits im Zusammenhang mit der Prüfung der Verweisbarkeit auch die Frage, ob die dem Versicherten gesundheitlich noch möglichen beruflichen Leistungen ihm im Erwerbsleben auch die Ausübung einer nach § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO zuzumutenden Tätigkeit gegen Entgelt on sich ermöglichen. Dazu sind Feststellungen nötig z. B. durch Sachverständige, die sowohl die beruflichen Anforderungen als auch die allgemeinen Verhältnisse im Erwerbsleben in diesem speziellen Beruf kennen, oder die Feststellungen können auch auf Grund von Erfahrungssätzen oder gerichtskundigen Tatsachen getroffen werden. Nachforschungen über das Vorhandensein von Arbeitsplätzen sind aber nicht erforderlich. Die Tatsache, daß berufliche Fähigkeiten nur in einer von einem Arbeit- oder Auftraggeber zu bezahlenden Tätigkeit oder in freier Berufstätigkeit durch Angebot der Leistung an mögliche Abnehmer gegen Entgelt verwertet werden können, ist nicht gleichbedeutend mit der Feststellung bestimmt gestalteter, näher zu beschreibender Arbeitsplätze in mehr oder weniger großer Zahl.
Die Frage der konkreten oder abstrakten Auffassung vom Begriff der BU stellt sich nach Abschluß der Ermittlungen zu oben c), wenn festgestellt ist, welche beruflichen Tätigkeiten dem Versicherten noch zumutbar sind. Dann kommt es darauf an, ob das Gesetz davon ausgeht, daß in der Wirklichkeit des allgemeinen Erwerbslebens stets die Verwertung jedweder beruflich qualifizierten Tätigkeit in einem geringeren Ausmaß als bei einem gesunden Versicherten dieser Berufe möglich ist. Dies ist aus den gleichen Gründen, wie zu § 1247 RVO ausgeführt, zu bejahen. Bereits die Prüfung zu oben c) ergibt, ob die Einzeltätigkeiten, die der Versicherte noch verrichten kann, zur Ausübung einer ihm beruflich zumutbaren qualifizierten Berufstätigkeit ausreichen. Dadurch wird schon verhindert, daß dem Versicherten im Erwerbsleben nicht ausführbare Berufstätigkeiten zugemutet werden.
Gegen die Forderung, daß bei der Entscheidung über das Vorliegen von BU im Sinne des § 1246 Abs. 2 RVO das Nichtvorhandensein oder das Vorhandensein von Arbeitsplätzen festgestellt werden müsse, spricht auch, daß die abgestuften Versicherungsfälle der BU und EU sich - abgesehen von der Berücksichtigung des Berufs bei der BU - wesentlich durch das Ausmaß der gesundheitlichen Einschränkung der Erwerbsfähigkeit unterscheiden. Wenn für die "Erwerbsfähigkeit" auf das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Arbeitsplätzen abgestellt wird, wird aber im Ergebnis nicht mehr die gesundheitliche Einschränkung der Leistungsfähigkeit des Versicherten sondern die Arbeitsmarktlage zu der wesentlichen Grundlage der Rente wegen BU und wegen EU gemacht. Der im Gesetz ausdrücklich bestimmte Unterschied zwischen BU und EU, der u. a. im Ausmaß der gesundheitlichen Einschränkung der Erwerbsfähigkeit liegt, würde beseitigt.
Wenn Umstände außerhalb der Person des Versicherten, wie die Arbeitsmarktlage, gesetzliches Merkmal des Rentenanspruchs wegen BU wären, müßte folgerichtig auch bei der Rentenentziehung eine Änderung in diesen Verhältnissen rechtserheblich sein, d. h. sie müßten unter das Merkmal des § 1286 RVO "Änderung in seinen Verhältnissen" subsumiert werden. Dies würde bedeuten, daß die Versicherungsträger laufend prüfen müßten, ob Teilzeitarbeitsgelegenheiten für gesundheitlich in ihrer Erwerbsfähigkeit eingeschränkte Versicherte vorhanden oder nicht mehr vorhanden sind. Für das Verfahren der Versicherungsträger nach der RVO fehlen aber die Voraussetzungen für eine laufende allgemeine Nachforschung nach Arbeitsgelegenheiten und für eine laufende Überwachung der vorstehend aufgezeigten Rentner. Auch dies spricht dafür, daß Umstände außerhalb der Person des Versicherten - die Arbeitsmarktlage - nicht in die Voraussetzungen der Rente wegen BU einbezogen sind.
Demnach ist schon die in der Beschlußformel zu 1) gestellte Rechtsfrage zu verneinen, so daß sich eine Antwort auf die Rechtsfragen zu 2) bis 6) erübrigt.
VII
Die in der Beschlußformel aufgeführten Rechtsfragen haben grundsätzliche Bedeutung. Die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern die Entscheidung dieser Rechtsfragen durch den Großen Senat. Der Senat hat deshalb beschlossen, die Rechtsfragen dem Großen Senat gemäß § 43 SGG zur Entscheidung vorzulegen.
Fundstellen