Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 18.11.1966) |
Tenor
Die Revision der beigeladenen Landesversicherungsanstalt gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 18. November 1966 wird zurückgewiesen, soweit das Urteil die Beigeladenen E. und Sch. betrifft.
Die Landesversicherungsanstalt hat der Klägerin die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die früher bei der klagenden Firma (Niederlassung Hamburg-Altona) als sog. Fahrverkäufer beschäftigt gewesenen Beigeladenen in der Rentenversicherung der Arbeiter (ArV) oder in der Angestelltenversicherung (AnV) versichert waren.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatten sie innerhalb eines ihnen zugeteilten Bezirks Inhaber von Gaststätten, Einzelhandelsgeschäften, Kantinen, Trinkhallen und ähnlichen Einrichtungen aufzusuchen und ihnen das Getränk Coca-Cola, daneben auch Trinkgläser, Kühltaschen und Kühltruhen zu verkaufen. Den Kaufpreis kassierten sie in der Regel sofort, hatten Jedoch auch die Befugnis zur Vereinbarung von Zahlungsfristen, deren Einhaltung dann von ihnen zu überwachen war; die Tageskasse betrug durchschnittlich 500 bis 700 DM. Die Ware beförderten sie auf firmeneigenen, von ihnen gesteuerten, aber nicht selbst beladenen Fahrzeugen – den Umfang der täglich zu ladenden Ware bestimmten sie nach ihrem Ermessen –, übergaben sie den Käufern bei Kaufabschluß und nahmen von ihnen Leergut zurück. Sie stellten den Kunden Rechnungen und Quittungen aus und rechneten täglich über die vereinnahmten Beträge und die verkaufte Ware ab. Als Entgelt erhielten sie ein monatliches Festgehalt von 300 DM und eine Umsatzprovision; aus dem Verkauf von Trinkgläsern, Kühltruhen und Kühltaschen erzielten sie einen durchschnittlichen Monatsverdienst von 40 bis 50 DM. Alle drei Beigeladenen hatten eine kaufmännische Vorbildung; B. ein gelernter Holzkaufmann, war vorher als Brauereivertreter tätig gewesen, E. hatte eine dreijährige kaufmännische Lehre mit der Gehilfenprüfung abgeschlossen, Sch. hatte nach Erlangung der mittleren Reife im Großhandel gelernt, eine Handelsschule besucht und als Schreibmaschinenvertreter gearbeitet. Wegen dieser kaufmännischen Erfahrungen waren sie von der Klägerin eingestellt worden und erhielten von ihr darüberhinaus laufend eine intensive Beratung und Schulung über Werbemaßnahmen und Verkaufsgespräche. Da die Klägerin keine Vertreter beschäftigte und die Beigeladenen nicht auf Bestellungen hin lieferten, mußten sie sich selbst um den Verkauf der Ware bemühen. Der Umsatz hing dabei entscheidend von ihrem persönlichen Verkaufsgeschick ab. Im Durchschnitt warben sie zwei bis drei neue Kunden im Monat. Sie händigten den Kunden Werbematerial aus und gaben ihnen Empfehlungen für dessen wirksame Verwendung. Arbeitsrechtlich wurden sie von der Klägerin als Angestellte behandelt; im Krankheitsfall wurde ihnen das Gehalt für mehrere Wochen weitergezahlt, die Kündigungsfrist betrug einen Monat. Bei Auflösung der Zweigniederlassung Hamburg-Altona im Jahre 1960 schieden sie aus dem Dienst der Klägerin aus.
Nachdem sich die beklagte Krankenkasse auf Vorstellungen der Klägerin hin zunächst bereiterklärt hatte, diejenigen Fahrverkäufer in der AnV zu führen, denen – wie den Beigeladenen – ein Beifahrer zugeteilt war (Schreiben vom 26. September 1957), änderte sie später ihre Auffassung und veranlaßte bei einer Prüfung des Betriebes der Klägerin am 21. Mai 1958, daß auch für diese Fahrverkäufer wieder Quittungskarten der ArV ausgestellt, bereits erfolgte Entgelteintragungen in Versicherungskarten der AnV ungültig gemacht und für die AnV nachgewiesene Beiträge auf die ArV umgebucht wurden. Den hiergegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Bescheid vom 15. Juli 1958 zurück.
Die daraufhin von der Klägerin erhobene Aufhebungs- und Feststellungsklage hatte Erfolg; das Sozialgericht stellte im Urteil vom 10. April 1963 fest, daß die beigeladenen Verkaufsfahrer während ihrer Tätigkeit bei der Klägerin angestelltenversicherungspflichtig waren. Die Berufung der beigeladenen Landesversicherungsanstalt (LVA) wurde vom Landessozialgericht (LSG) als unbegründet zurückgewiesen: Eine feste Verkehrsanschauung, daß Fahrverkäufer der Getränkeindustrie Angestellte oder Arbeiter seien, habe sich noch nicht gebildet; ihre Versicherungszugehörigkeit richte sich deshalb danach, welche ihrer Dienstleistungen dem Beschäftigungsverhältnis das Gepräge gebe. Insofern sei zwar nicht zu verkennen, daß die von den Beigeladenen verrichteten körperlichen Arbeiten einen großen Teil ihrer Arbeitszeit und Arbeitskraft in Anspruch genommen hätten, neben der Leistung kaufmännischer Dienste seien sie jedoch nur von untergeordneter Bedeutung gewesen; die Höhe des Umsatzes habe wesentlich von ihrem Verkaufsgeschick abgehangen (Urteil vom 18. November 1966).
Gegen dieses Urteil hat die beigeladene LVA die zugelassene Revision eingelegt: Nicht die kaufmännischen, sondern die körperlichen Verrichtungen der beigeladenen Verkaufsfahrer hätten ihrer Beschäftigung das Gepräge gegeben. Daß sie kaufmännisch vorgebildet gewesen und durch die Klägerin geschult worden seien, sei für ihre sozialversicherungsrechtliche Beurteilung bedeutungslos, dafür komme es nur auf die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit an. Diese sei aber einfacher und gleichbleibender Art gewesen; sie habe, weil im wesentlichen nur einen einzigen Artikel betreffend, keine besondere Warenkenntnis erfordert; von der Tätigkeit eines Kioskverkäufers habe sie sich „nicht im geringsten” unterschieden. Zu Unrecht habe das LSG auch im Verkaufsgeschick der Beigeladenen und in den von ihnen geführten Verkaufsgesprächen ein bestimmendes Merkmal für kaufmännische Dienstleistungen gesehen. Die Verkaufsfahrer hätten auf den Umfang des Warenumsatzes keinen nennenswerten Einfluß gehabt, dieser sei allein durch die Nachfrage bestimmt worden, von einer echten Werbetätigkeit könne deshalb keine Rede sein. Als Gewerbegehilfen seien sie arbeiterrentenversicherungspflichtig gewesen. Die LVA beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die klagende Firma beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die beklagte Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) ist der Auffassung der LVA beigetreten. Die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) hat von einer eigenen Äußerung abgesehen. Die übrigen Beigeladenen sind im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
II
Da die Terminsnachricht dem Beigeladenen B. nicht zugestellt werden konnte, hat der Senat über die Revision der LVA nur insoweit entschieden, als es sich um die Versicherungszugehörigkeit der Beigeladenen E. und Sch. handelt. Die Revision ist insoweit nicht begründet. Die Vorinstanzen haben die Beigeladenen mit Recht zu den in der AnV versicherten „Angestellten für kaufmännische Dienste” (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 AVG) gerechnet.
Der Senat ist mit dem LSG davon ausgegangen, daß sich noch keine feste Verkehrsanschauung darüber gebildet hat, ob Fahrverkäufer in der Getränkeindustrie (die LVA spricht von „Verkaufsfahrern”) zum Kreis der Angestellten oder der Arbeiter gehören. Da sich die Beschäftigung solcher Fahrverkäufer aus mehreren verschiedenartigen Tätigkeiten zusammensetzt (Ausfahren, Verkaufen, Aushändigen der Ware), hat das LSG die Merkmale der einzelnen Tätigkeiten geprüft und dabei zutreffend die Verkaufstätigkeit als eine kaufmännische Dienstleistung angesehen.
Zu den kaufmännischen Diensten zählen nach Sprachgebrauch, Verkehrsauffassung und einschlägigen Rechtsvorschriften (vgl. §§ 1, 59 HGB) insbesondere Tätigkeiten, die sich auf den Umsatz von Waren beziehen, sofern nicht – wie bei ganz einfachen Verkaufsgeschäften, zu denen etwa der Verkauf von Eintrittskarten, Fahrkarten, Zeitungen, Zeitschriften und anderen standardisierten Massenerzeugnissen an Schaltern, Kiosken und dgl. gehören kann – der körperlich-mechanische Arbeitsanteil den geistigen, gedanklichen überwiegt (vgl. dazu BAG 1, 92; Grundsätzliche Entscheidungen –GE– des früheren Reichsversicherungsamts – RVA– Nrn. 3353, 3405 und 4520, veröffentlicht in AN 1929, S. IV 70 und 175, 1933 S. IV 28; Urteil des Senats vom 18. Juni 1968, 3 RK 57/65). Daß die Fahrverkäufer der Klägerin die von ihnen mitgeführten Waren selbst an die Kunden verkauft und nicht lediglich Bestellungen ausgeführt haben, mithin eine auf den Umsatz von Waren gerichtete Verkaufstätigkeit verrichtet haben, bezweifelt auch die Revisionsklägerin nicht. Sie wendet sich nur gegen die vom LSG vorgenommene Qualifizierung dieser Verkaufstätigkeit als einer kaufmännischen: Sie habe, weil im wesentlichen nur den Verkauf eines einzigen Artikels betreffend, keine besondere Warenkenntnis erfordert, sei einfacher und gleichbleibender Art gewesen und habe vor allem, entgegen der Annahme des LSG, keine „echte” Werbung erfordert.
Richtig ist, daß die beigeladenen Fahrverkäufer in der Hauptsache nur eine – standardisierte – Warengattung („Coca-Cola” in Flaschen) verkauft haben; der Vertrieb von Trinkgläsern, Kühltaschen und Kühltruhen hatte daneben nach Feststellung des LSG nur untergeordnete Bedeutung. Auch bei einer solchen Beschränkung des Warensortiments braucht indessen eine Verkaufstätigkeit nicht ohne weiteres ihren kaufmännischen Charakter zu verlieren. Andernfalls wäre eine große Zahl von Firmenreisenden, die sich auf einen einzigen oder einige wenige verwandte Artikel spezialisiert haben (zB Tabakserzeugnisse, Markenartikel), nicht mehr als kaufmännische Angestellte anzusehen. Auch das Verkaufspersonal von Warenhäusern, das oft nur ein beschränktes Sortiment oder sogar nur eine einzige Warengattung zu verkaufen hat, wäre zum größten Teil nicht mehr den kaufmännischen Angestellten zuzurechnen. Das wäre um so weniger gerechtfertigt, als die technische Entwicklung immer mehr zu einer Arbeitsteilung und Spezialisierung drängt, so daß die Typisierung der Ware geradezu Voraussetzung und Kennzeichen der modernen Selbstbedienungsläden geworden ist. Diese Entwicklung läßt auch das überkommene Berufsbild des Kaufmanns – des „Prinzipals” und seines „Handlungsgehilfen” – nicht unberührt. Während der Kaufmann früher ohne eine geregelte und all seifige kaufmännische Ausbildung die mannigfaltigen Aufgaben seines Berufes nicht sachgemäß erfüllen konnte, tritt heute an seine Stelle vielfach der auf den Vertrieb einer Warengattung „angelernte” und deshalb notwendig einseitig geschulte „Verkaufsspezialist”. Für ihn treffen die sich gegenseitig bedingenden Merkmale des Kaufmanns alter Schule (Verkauf eines umfangreichen Warensortiments, umfassende Warenkunde und kaufmännische Ausbildung) in weitem Umfange nicht mehr zu. Gleichwohl bleibt er – als Verkäufer – kaufmännischer Angestellter, es sei denn, daß seine Verkaufstätigkeit so einfacher Art ist, daß die Verkehrsanschauung sie nicht mehr als kaufmännisch wertet. Dies trifft für die Beigeladenen nicht zu.
Ihre Verkaufstätigkeit erschöpfte sich nicht darin, daß sie die von ihnen aufgesuchten Kunden nach ihren Wünschen befragten und ihnen die gewünschten Waren aushändigten. Sie mußten sich vielmehr, wie das LSG festgestellt hat, trotz der allgemeinen Werbung der Klägerin und trotz Zuweisung eines Kundenstammes, um den Verkauf der Ware bemühen, wobei der Umsatz und damit zugleich ihre Provision „entscheidend von ihrem eigenen Verkaufsgeschick” abhängig waren. Gegen diese tatsächlichen Feststellungen des LSG hat die Revisionsklägerin keine zulässigen und begründeten Verfahrensrügen erhoben. Sie hat insbesondere nicht dargelegt, inwiefern die Feststellungen etwa auf einer nicht ausreichenden Sachaufklärung oder einer fehlerhaften Beweiswürdigung (§§ 103, 128 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG–) beruhen, sondern hat lediglich die Richtigkeit der Feststellungen bestritten und vorgetragen, die Beigeladenen hätten keinen nennenswerten Einfluß auf den Umfang des Warenumsatzes gehabt, der Umsatz sei allein durch die Nachfrage bestimmt worden, von einer echten Werbetätigkeit könne keine Rede sein. Diesen, von den Feststellungen des LSG abweichenden Sachvortrag kann der Senat nicht berücksichtigen (§§ 163, 164 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Daß das persönliche Verkaufsgeschick der Beigeladenen die Höhe des Umsatzes entscheidend beeinflußte, hat das LSG mit Recht als wesentliches Indiz für den kaufmännischen Charakter ihrer Verkaufstätigkeit angesehen (vgl. BAG 1, 92, 97 f; RVA GE 3405 AN 1929, S. IV 176). Es hat insofern auch der kaufmännischen Vorbildung der Beigeladenen Gewicht beimessen dürfen, zumal die Klägerin sie nach Feststellung des LSG vor allem wegen ihrer einschlägigen beruflichen Erfahrungen angestellt hat (vgl. RVA aaO). Hinzu kommt, daß die Beigeladenen von der Klägerin auch nach der Einstellung laufend und intensiv über geeignete Werbemaßnahmen beraten und in der Führung von Verkaufsgesprächen geschult wurden, daß sie ihren Kunden Werbematerial aushändigten und ihnen Empfehlungen über deren wirksame Verwendung gaben sowie im Monat durchschnittlich zwei bis drei neue Kunden warben. Aus alledem ergibt sich, daß Gewandtheit und Verhandlungsgeschick der Beigeladenen ein für den Betrieb der Klägerin wesentliches Element der Verkaufstätigkeit war, dem die Klägerin durch entsprechende Auswahl und Schulung der Fahrverkäufer sowie durch die Art ihrer Entlohnung (Fixum und Provision) Rechnung trug. Das LSG hat deshalb ihre Verkaufstätigkeit, obwohl sie im wesentlichen nur einen Artikel betraf, unter Mitberücksichtigung gewisser schriftlicher Arbeiten zutreffend als kaufmännisch bewertet.
Der Senat folgt dem Berufungsgericht schließlich darin, daß die kaufmännischen Dienstleistungen der Beigeladenen ihrem Beschäftigungsverhältnis das Gepräge gaben. Auch wenn die gewerblichen Tätigkeiten, namentlich das Ausfahren und Aushändigen der Ware, rein zeitlich den eigentlichen Warenverkauf überwogen haben sollten, so traten sie, gemessen an ihrer Bedeutung für den Betrieb der Klägerin, hinter der Verkaufstätigkeit zurück (vgl. hierzu BAG aaO S. 97). Die Klägerin hatte die Beigeladenen nicht in erster Linie als Kraftfahrer und Transportarbeiter (wie dies bei bestimmten Bierfahrern zutreffen mag) sondern vor allem als Verkäufer ihrer Produkte angestellt; dem entsprach ihr beruflicher Werdegang, ihre betriebliche Weiterbildung und die Art ihrer Entlohnung. Als Verkäufer gehörten sie zu den Angestellten für kaufmännische Dienste und damit in die AnV.
Die Revision der LVA gegen das Urteil des LSG ist unbegründet.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Unterschriften
Dr. Langkeit, Dr. Krebs, Spielmeyer
Fundstellen