Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung zwischen ständiger und unständiger Beschäftigung. Versicherungsrechtliche Beurteilung von Möbeltransportarbeitern
Leitsatz (amtlich)
1. Auch wiederholte kurzfristige Beschäftigungen bei demselben Arbeitgeber können unständig iS der §§ 441 ff RVO sein, wenn die einzelnen Arbeitseinsätze nicht im voraus vereinbart sind, sondern von Fall zu Fall - entsprechend einem nicht voraussehbaren Arbeitsbedarf - erfolgen (Abgrenzung zu BSG Urteil 1982-04-28 12 RK 1/80 = SozR 2200 § 168 Nr 6).
2. Auch bei Arbeitnehmern, die sonst nicht unständig beschäftigt sind, kann die Aufnahme einer kurzfristigen Beschäftigung berufsmäßig unständig sein, wenn für den betreffenden Wirtschaftszweig der Einsatz unständiger Arbeitskräfte typisch ist (zB im Speditionsgewerbe zum Ausgleich von Auftragsspitzen) und nicht von vornherein feststeht, daß es sich um eine einmalige "Zwischenbeschäftigung" handelt (Abgrenzung zu RVA Urteil 1937-04-28 GE 5116 = AN 1937 IV 265).
Leitsatz (redaktionell)
Möbeltransportarbeiter, die stets von ein und derselben Speditionsfirma zu Arbeitseinsätzen von weniger als einer Woche herangezogen werden, sind selbst dann noch als unständig Beschäftigte iS des § 441 RVO anzusehen, wenn diese Beschäftigungen mehr als die Hälfte der durchschnittlichen monatlichen Arbeitszeit (mehr als 12 Werktage im Monat) ausmachen.
Normenkette
RVO § 441 Fassung: 1924-12-15
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 25.02.1981; Aktenzeichen L 4 Kr 28/79) |
SG Hannover (Entscheidung vom 21.05.1979; Aktenzeichen S 11 Kr 104/78) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beigeladenen zu 4) bis 21) und der verstorbene Beigeladene zu 22) in den Jahren 1976 und 1977 bei der Klägerin als Möbeltransportarbeiter ständig oder unständig beschäftigt gewesen sind.
Die Klägerin, ein internationales Möbelspeditionsunternehmen, beschäftigte im Transportbereich in den fraglichen Jahren neben etwa 40 fest eingestellten Arbeitern zur Bewältigung von Auftragsspitzen weitere Mitarbeiter, die sie sozialversicherungsrechtlich als unständig Beschäftigte iS der §§ 441 ff der Reichsversicherungsordnung (RVO) ansah. Für diese entrichtete sie Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung, nicht aber zur Kranken- und Arbeitslosenversicherung.
Nach einer Betriebsprüfung im Mai 1978 forderte die Beklagte die Klägerin auf, für die genannten Beigeladenen Kranken- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge in Höhe von 8.642,08 DM nachzuzahlen (Bescheide vom 5. Mai und 25. Juli 1978). Die Beklagte begründete dies damit, daß die Beigeladenen in den fraglichen Jahren zwar nicht durchgehend, aber doch im Monat an mehr als 12 Werktagen, dh an mehr als der Hälfte der monatlichen Arbeitstage, beschäftigt gewesen seien. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 3. Oktober 1978). Die hiergegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 21. Mai 1979 wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht (LSG) der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt und die angefochtenen Bescheide aufgehoben (Urteil vom 25. Februar 1981). Es hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Die genannten Beigeladenen seien unabhängig von der Dauer ihrer jeweiligen Beschäftigung bei der Klägerin unständig beschäftigt gewesen, weil ihr Arbeitseinsatz jeweils nur für die Durchführung eines Auftrags vereinbart worden sei. Die Anhörung des Geschäftsführers der Klägerin sowie einiger Beigeladener habe ergeben, daß die Klägerin den im Möbelspeditionsgewerbe bestehenden Auftragsschwankungen dadurch begegne, daß sie neben fest angestellten Mitarbeitern zur Bewältigung von Auftragsspitzen kurzfristig nichtständige Mitarbeiter einstelle. Diese Arbeitskräfte würden im Gegensatz zu den Stammarbeitern der Klägerin ohne schriftlichen Arbeitsvertrag nur zur Durchführung einzelner Speditionsaufträge eingestellt. Die Beigeladenen seien zwar teilweise an einer Dauerbeschäftigung bei der Klägerin interessiert gewesen, doch hätten sie eine solche nicht bekommen können, weil die Klägerin seinerzeit keine ständigen Arbeitskräfte benötigt habe. Andere Beigeladene seien aus persönlichen Gründen nur an einer kurzfristigen und unständigen Arbeit interessiert gewesen oder hätten zunächst nur ihre Leistungsfähigkeit für die schwere Transportarbeit feststellen wollen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Ihrer Ansicht nach hat das LSG die Feststellung versäumt, ob die Beigeladenen in der streitigen Zeit "berufsmäßig" unständige Beschäftigungen ausgeübt hätten. Wesentlich für die Beurteilung der "Berufsmäßigkeit" einer Beschäftigung sei das allgemeine Berufsbild des jeweiligen Arbeitnehmers. Es könne nicht jeder Angehörige der Berufsgruppe im Möbeltransportgewerbe ohne weiteres als unständig Beschäftigter angesehen werden. Vielmehr bedürfe es einer Einzelfallprüfung, um die Berufsmäßigkeit der unständigen Beschäftigung festzustellen. Hier seien die beigeladenen Arbeitnehmer nicht "berufsmäßig" unständig beschäftigt gewesen, da sie teilweise seit Beginn ihrer Tätigkeit bei der Klägerin an einer festen Anstellung interessiert gewesen seien oder aber vor und nach der Beschäftigung bei der Klägerin in festen Beschäftigungsverhältnissen gestanden hätten.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des LSG Niedersachsen vom 25. Februar 1981 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Hannover vom 21. Mai 1979 zurückzuweisen.
Die Klägerin hält das angefochtene Urteil für zutreffend: Die Beklagte verkenne den Begriff der unständigen Beschäftigung. Es komme insbesondere nicht darauf an, ob der einzelne Erwerbstätige nach seiner gesamten beruflichen Vergangenheit gleichsam lebenslang unständige Beschäftigungen ausübe, sondern darauf, ob eine bestimmte Gruppe von abhängigen Lohnarbeitern - wie hier die Beigeladenen als Transportarbeiter - einer kurzfristigen Beschäftigung nachgehe.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Außer der Klägerin hält auch die beigeladene Stadt H das angefochtene Urteil für zutreffend. Die beigeladene Bundesanstalt für Arbeit hat sich dagegen der Auffassung der Beklagten angeschlossen. Die übrigen Beigeladenen haben sich nicht geäußert und haben auch keine Anträge gestellt.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat die Revision der beklagten Krankenkasse als unbegründet zurückgewiesen, soweit er über die Revision hat entscheiden können, dh soweit das Revisionsverfahren die (mit ihren Anschriften bekannten) Beigeladenen K, Ko, M, B, Bö, E, H und W betrifft, die in den Jahren 1976 und 1977 bei der klagenden Möbelspeditionsfirma wiederholt für jeweils kurze Zeit (bis zu einer Woche) gearbeitet haben. Das LSG hat sie mit Recht zu den unständig Beschäftigten gerechnet und deshalb zutreffend eine Verpflichtung der Klägerin zur Entrichtung von Beiträgen zur Kranken- und zur Arbeitslosenversicherung verneint (§ 441 RVO; § 453 RVO idF, die bis zum 31. Dezember 1979 galt, Art 1 Nr 11 iVm Art 11 des Gesetzes vom 15. Dezember 1979, BGBl I 2241; § 169 Nr 7 Arbeitsförderungsgesetz).
Nach § 441 RVO ist eine Beschäftigung unständig, wenn sie auf weniger als eine Woche nach der Natur der Sache beschränkt zu sein pflegt oder im voraus durch den Arbeitsvertrag beschränkt ist. Diese Voraussetzungen haben bei den genannten Beigeladenen vorgelegen. Daran ändert es nichts, daß ihre Beschäftigungen nicht - wie dies in vielen Fällen einer unständigen Beschäftigung üblich ist - "bald hier, bald dort", dh bei verschiedenen Arbeitgebern, ausgeübt worden sind. Auch wiederholte kurzfristige Beschäftigungen bei demselben Arbeitgeber können unständig sein, wenn sie, wie hier, von vornherein auf weniger als eine Woche begrenzt sind (Urteil des Senats vom 31. Januar 1973, 12/3 RK 16/70, USK 7311; SozR RVO § 441 Nr 1).
Keine unständige Beschäftigung ist allerdings dann anzunehmen, wenn, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, die einzelnen Beschäftigungen sich vereinbarungsgemäß in regelmäßigen zeitlichen Abständen wiederholen (wie etwa die Arbeitseinsätze von sog Ultimo-Kräften der Sparkassen, vgl das Urteil des Senats vom 28. April 1982, 12 RK 1/80, SozR 2200 § 168 RVO Nr 6) oder wenn sog Kettenverträge zur Umgehung einer ständigen Beschäftigung geschlossen werden. Davon zu unterscheiden sind jedoch Beschäftigungen, die sich nicht aufgrund einer schon vorher getroffenen Abrede wiederholen und dann Ausfluß eines einheitlichen Beschäftigungsverhältnisses sind (SozR RVO § 441 Nr 1), sondern die sich lediglich tatsächlich - entsprechend einem nicht voraussehbaren Arbeitsbedarf - mehr oder weniger lückenlos aneinanderreihen, wie dies hier bei den Beigeladenen der Fall gewesen ist (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 57. Nachtrag Februar 1982, S 316c). Auch wenn diese Beschäftigungen mehr als die Hälfte der durchschnittlichen monatlichen Arbeitszeit (mehr als 12 Werktage im Monat) ausmachen, werden sie allein dadurch - entgegen der Ansicht der beklagten Krankenkasse - nicht zu einer ständigen Beschäftigung, mag das äußere Bild der Beschäftigung hier auch einer Dauerbeschäftigung ähneln.
Die einzelnen unständigen Beschäftigungen können auch dann nicht in eine ständige Beschäftigung umgedeutet werden, wenn der betreffende Arbeitnehmer an einer solchen Beschäftigung interessiert ist, wie dies hier bei einigen Beigeladenen der Fall gewesen sein mag. Erst wenn auch der Arbeitgeber mit einer Dauerbeschäftigung des Arbeitnehmers oder wenigstens mit einer von vornherein ins Auge gefaßten regelmäßigen Wiederholung der Beschäftigung einverstanden ist (was vor allem von der Auftragslage des Betriebs und der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers abhängen wird) oder wenn die Weigerung des Arbeitgebers, eine Dauerbeschäftigung zu vereinbaren, sich nach den Umständen des Falles als eine mißbräuchliche Umgehung des Gesetzes darstellt, können die einzelnen kurzfristigen Beschäftigungen als Bestandteile eines übergreifenden Beschäftigungsverhältnisses angesehen werden. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor.
Die einzelnen Beschäftigungen der beigeladenen Arbeitnehmer haben schließlich - entgegen der Ansicht der Beklagten - auch nicht deswegen die Eigenschaft von unständigen Beschäftigungen verloren, weil die Beigeladenen (oder ein Teil von ihnen) vor und nach Ausübung dieser Beschäftigungen in festen Arbeitsverhältnissen gestanden haben. Wenn § 442 RVO in der seit 1980 geltenden Neufassung für die Anerkennung einer unständigen Beschäftigung ausdrücklich ihre "berufsmäßige" Ausübung verlangt (und das gleiche ohne ausdrückliche Bestimmung des Gesetzes auch schon für die Zeit davor zu fordern ist), so bedeutet dies nicht, daß nur solche Arbeitnehmer zu den unständig Beschäftigten gehören, die während ihres Berufslebens ganz oder zu einem wesentlichen Teil unständig beschäftigt gewesen sind. Auch ein Arbeitnehmer, der bisher in einem festen Arbeitsverhältnis gestanden hat, kann "berufsmäßig" eine unständige Beschäftigung aufnehmen, was insbesondere dann naheliegt, wenn er in einen Beruf überwechselt, für den eine unständige Beschäftigung - wie im Transportgewerbe - typisch ist. Steht allerdings von vornherein fest, daß es sich bei der kurzfristigen Beschäftigung nur um eine einmalige "Zwischenbeschäftigung" handelt, so wird ein Arbeitnehmer, der sonst in festen Arbeitsverhältnissen gestanden hat, dadurch nicht zu einem unständig Beschäftigten, zumal wenn für die vereinzelte kurzfristige Beschäftigung die unständige Ausübung nicht berufstypisch ist (wie in dem vom Reichsversicherungsamt -RVA- in AN 1937 S IV 265 entschiedenen Fall der Beschäftigung von Arbeitslosen bei der jeweils auf wenige Tage beschränkten Aufstellung von Vermessungssignalen). Mit dem Sachverhalt dieser Entscheidung des RVA ist indessen der hier vorliegende nicht vergleichbar. Hier haben die beigeladenen Arbeitnehmer der Klägerin vielmehr jeweils mehrere kurzfristige Beschäftigungen, die sich zusammen meist auch über mehrere Monate erstreckten, ausgeübt, und zwar in einem Gewerbezweig, für den eine unständige Beschäftigung wegen der vielfach starken Auftragsschwankungen typisch ist. Ihre Beschäftigungen sind deshalb vom LSG mit Recht als unständig angesehen worden, so daß die Revision der Beklagten hinsichtlich der genannten Beigeladenen zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen