Leitsatz (redaktionell)

Die Vorschrift des AVG § 146 (= RVO § 1424) gilt auch im Rahmen des G131.

Dem Versicherten steht der Rückforderungsanspruch nur zu, soweit er die Beiträge selbst getragen hat. Im übrigen hat der Arbeitgeber einen eigenen Rückforderungsanspruch. Dieser erlischt nur dann, wenn dem Arbeitgeber der Beitrag, soweit er ihn getragen hat, ersetzt wird.

 

Normenkette

AVG § 146 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1424 Fassung: 1957-02-23; G131

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Januar 1965 aufgehoben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10. September 1963 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, für den Kläger entrichtete Beitragsanteile an die Beigeladene zurückzuzahlen.

Der Kläger - am 8. Mai 1945 Beamter auf Widerruf - war vom 1. Dezember 1958 bis zum 31. August 1960 bei der Beigeladenen als Verwaltungsangestellter beschäftigt und bei der Beklagten pflichtversichert. Am 10. Juli 1960 erhielt er einen Unterbringungsschein nach dem Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen (G 131); mit Wirkung vom 30. Mai 1961 wurde er unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zum Regierungsassistenten ernannt. Die Beigeladene beantragte daraufhin, ihr die Arbeitgeberanteile der für den Kläger zur Angestelltenversicherung entrichteten Pflichtbeiträge zurückzuzahlen. Der Kläger widersprach der Rückzahlung, weil er keinen Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht gestellt habe und die Beiträge für eine spätere Rente bei der Beklagten belassen wolle. Mit Schreiben vom 16. April 1962 teilte ihm die Beklagte mit, der Beigeladenen stehe der Rückforderungsanspruch zu, weil er - der Kläger - in der fraglichen Zeit kraft Gesetzes versicherungsfrei gewesen sei. Sie empfehle ihm, sich die Arbeitnehmeranteile ebenfalls erstatten zu lassen, weil er kein Recht zur freiwilligen Weiterversicherung habe. Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg (Bescheid vom 19. Juli 1962). Die Klage, mit der er die Aufhebung des Bescheides vom 16. April 1962 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 1962 sowie die Feststellung beantragte, daß eine Rückerstattung der Beiträge von Dezember 1958 bis August 1960 nicht zulässig sei, wurde in erster Instanz abgewiesen (Urteil vom 10. September 1963).

Auf die Berufung des Klägers hob das Landessozialgericht (LSG) das erstinstanzliche Urteil und den angefochtenen Bescheid auf. Der Bescheid der Beklagten vom 16. April 1962 sei rechtswidrig, weil der Beigeladenen nach § 73 Abs. 5 i. V. m. § 73 Abs. 1 und 4 G 131 ein von dem Rückforderungsrecht des Klägers unabhängiger Rückzahlungsanspruch nicht zustehe. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung solle es der freien Entscheidung des Arbeitnehmers überlassen bleiben, ob er von dem Recht der Rückforderung der geleisteten Beiträge Gebrauch machen oder aus den Beiträgen später eine Rente beantragen wolle. Diese Wahlmöglichkeit werde aber zunichte gemacht, wenn man dem Arbeitgeber einen selbständigen Anspruch auf Auszahlung der Arbeitgeberanteile zubillige (Urteil vom 20. Januar 1965).

Mit der - zugelassenen - Revision beantragt die Beklagte,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10. September 1963 zurückzuweisen.

Sie hält die Vorschriften des § 73 Abs. 1 und 5 G 131 sowie des § 146 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) für verletzt. Zu Unrecht habe das LSG eine Akzessorietät zwischen dem Rückforderungsanspruch des Versicherten und dem des Arbeitgebers angenommen. Die Regelung des § 146 AVG, nach der beiden unabhängig voneinander das Recht zustehe, den von ihnen zu Unrecht geleisteten Beitragsanteil zurückzuverlangen, gelte auch im Rahmen des § 73 G 131. Die Erwägungen des LSG zielten dagegen auf eine Doppelversorgung des Beamten, die der Gesetzgeber nicht beabsichtigt habe, wie die Anrechnung von Rententeilen auf die beamtenrechtlichen Versorgungsbezüge nach § 115 Abs. 2 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) zeige. Die Beschäftigung als Angestellter im öffentlichen Dienst werde außerdem nach § 181 Abs. 3 BBG bei der Berechnung des Ruhegeldes in vollem Umfang berücksichtigt. Die Überlegungen des LSG träfen im übrigen im vorliegenden Fall auch schon deshalb nicht zu, weil der Kläger die Voraussetzungen für eine freiwillige Weiterversicherung nicht erfüllt habe. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. August 1964 - 4 RJ 441/61 - (SozR G 131 § 73 Bl. Aa 4 Nr. 5) bestätige ihre Rechtsauffassung.

Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

II.

Die Revision ist zulässig und begründet.

Zu Unrecht hat das LSG das Klagebegehren als gerechtfertigt angesehen. Soweit es dabei lediglich über die vom Kläger erhobene Anfechtungsklage entschieden, jedoch den gleichfalls gestellten Feststellungsantrag übergangen hat, ist der Senat nicht gehindert, die Entscheidung über die Feststellungsklage nachzuholen. Da die Beklagte im Revisionsverfahren die Wiederherstellung des über beide Klaganträge ergangenen erstinstanzlichen Urteils erstrebt, ist der gesamte Streitstoff Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden (vgl. BSG Urt. 6. Sen. v. 25. September 1962 - Az.: 6 RKa 21/58 - SozR § 54 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG - Bl. Da 29 Nr. 96).

Gegen die Zulässigkeit sowohl der Anfechtungs- als auch der Feststellungsklage bestehen keine Bedenken. Zwar könnte es zweifelhaft sein, ob das Schreiben vom 16. April 1962 dann als anfechtbarer Verwaltungsakt, d. h. als Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts anzusehen wäre, wenn darin lediglich die Bereitschaft der Beklagten erklärt worden wäre, der Beigeladenen demnächst die Arbeitgeberanteile auszuzahlen. Unter solchen Umständen wäre es wohl nur als die Ankündigung eines zukünftigen Verwaltungsaktes zu verstehen. Hier aber enthielt das Schreiben zugleich eine Entscheidung über die Versicherungsfreiheit des Klägers in der Zeit seiner Beschäftigung bei der Beigeladenen. Der sich beschwert fühlende Kläger konnte sich hiergegen mit der Anfechtungsklage wenden (§ 54 Abs. 1 SGG).

Nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG konnte er auch in der Form einer (negativen) Feststellungsklage das Recht der Beklagten bestreiten, über die in der Zeit von Dezember 1958 bis August 1960 entrichteten Beiträge durch Rückzahlung zu verfügen.

Der Anfechtungs- und der Feststellungsantrag sind jedoch nicht begründet.

Die Beklagte hat den Kläger in seiner Beschäftigung bei der Beigeladenen zu Recht als versicherungsfrei angesehen.

Frühere Beamte auf Widerruf (a. W.), die aus einem neuen Dienstverhältnis eine Anwartschaft auf Alters- und Hinterbliebenenversorgung erworben haben, sind ebenso wie Beamte zur Wiederverwendung (z. W.) nach § 73 G 131 in einer nach dem 8. Mai 1945 als Angestellte im öffentlichen Dienstverbrachten Beschäftigung als versicherungsfrei kraft Gesetzes anzusehen. Des in § 73 Abs. 1 G 131 genannten Befreiungsantrages bedarf es in diesen Fällen nicht. Für die Beamten z. W. ergibt sich dies aus einem Vergleich der Absätze 1 und 4 der genannten Vorschrift: Während Absatz 1 eine Beschäftigung außerhalb des öffentlichen Dienstes voraussetzt und insoweit die Möglichkeit schafft, auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit zu werden, geht die Regelung des Absatzes 4 von einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst aus und erklärt den Absatz 1 nur für die Rückforderung der Beiträge - nicht aber auch für die Befreiung von der Versicherungspflicht - für entsprechend anwendbar. Es wird demnach die gesetzliche Versicherungsfreiheit (vgl. § 1229 Abs. 1 Ziff. 3 der Reichsversicherungsordnung - RVO -; § 6 Abs. 1 Nr. 3 AVG) vorausgesetzt (vgl. BSG Urt. v. 26. Oktober 1965 - 11/1 RA 98/63 - SozR G 131 § 73 Nr. 7 Bl. Aa 6).

Das gleiche ist für die in § 73 Abs. 5 G 131 genannten früheren Beamten a. W. anzunehmen, die nach dem G 131 keine Anwartschaft oder keinen Anspruch auf Alters- und Hinterbliebenenversorgung haben, aber eine solche Anwartschaft aus einem neuen Dienstverhältnis erwerben und für die die Absätze 1 bis 4 des § 73 G 131 "entsprechend gelten". Diese Auffassung hat bereits der 4. Senat des BSG in dem von der Beklagten genannten Urteil vom 19. August 1964 vertreten. Der erkennende Senat hat keine Bedenken, sich dieser Auslegung des § 73 Abs. 5 G 131 anzuschließen. Zwar können die für die Beamten z. W. maßgeblichen Vorschriften nicht schematisch auf die Beamten a. W. übertragen werden. Es entspricht aber dem Sinn und Zweck der Regelung, auch bei den Beamten a. W. zwischen der Beschäftigung im öffentlichen Dienst und der außerhalb des öffentlichen Dienstes zu unterscheiden. Denn ihre Stellung ist hinsichtlich der ausgeübten an sich versicherungspflichtigen Beschäftigung bei dem späteren Erwerb der Anwartschaft auf Versorgung nicht wesentlich anders als die der Beamten z. W., deren Rechtsstellung erst nachträglich festgestellt worden ist. Der Gesetzgeber will aber beide Beamtengruppen bei einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst weitgehend so stellen, als ob die Laufbahn niemals eine durch das Kriegsende bedingte Unterbrechung (hier: Entlassung nach § 6 G 131) erfahren hätte. Dafür spricht auch die Regelung des § 181 Abs. 3 BBG, nach der die Beschäftigungszeiten als Angestellter im öffentlichen Dienst bei diesen Beamten - anders als die Beschäftigung außerhalb des öffentlichen Dienstes - in vollem Umfange als ruhegehaltsfähig angesehen werden. Unter diesen Umständen sind auch die Beamten a. W. des § 73 Abs. 5 G 131 für Beschäftigungszeiten im öffentlichen Dienst rückwirkend kraft Gesetzes als versicherungsfrei zu betrachten. Die Beklagte hat dies in dem angefochtenen Bescheid zu Recht angenommen. Die für den Kläger während der Beschäftigungszeit bei der Beigeladenen entrichteten Pflichtbeiträge sind danach rückwirkend als zu Unrecht entrichtete Beiträge zu behandeln.

Entgegen der Ansicht des Klägers können die zur Beklagten entrichteten Beiträge anteilmäßig sowohl vom Arbeitnehmer als auch unabhängig von diesem vom Arbeitgeber zurückgefordert werden.

Wem der Rückforderungsanspruch zusteht, ist zwar in § 73 G 131 nicht ausdrücklich geregelt. Entgegen der Auffassung von Brosche (Gesetz zu Art. 131 GG, Komm. 3. Aufl. 1962 §§ 73, 74 Anm. 17) enthält die Vorschrift auch nichts über ein vom Rückforderungsanspruch getrenntes Antragsrecht. Es ist danach von der allgemeinen Vorschrift des § 146 Abs. 4 AVG auszugehen, nach der dem Versicherten der Rückforderungsanspruch nur zusteht, soweit er die Beiträge selbst getragen hat und im übrigen der Arbeitgeber einen eigenen Rückforderungsanspruch hat. Dieser erlischt nur dann, wenn dem Arbeitgeber der Beitrag, soweit er ihn getragen hat, ersetzt wird. In gleicher Weise sehen auch die Verwaltungsvorschriften zur Durchführung der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften des G 131 vom 5. Januar 1961 (Beilage zum BAnz Nr. 9 vom 13. Januar 1961) in Nr. 7 zu § 73 G 131 den Arbeitgeber als berechtigt an, den von ihm getragenen Beitragsanteil zurückzufordern, es sei denn, er werde ihm ersetzt (so auch Anders "Gesetz zu Artikel 131 GG", Komm. 4. Aufl. 1959 § 73 Anm. 5 S. 379; Odendahl in "Beiträge zur Sozial- und Arbeitslosenversicherung" 1964 S. 65 ff, 71; Drögemeyer in "Der Sozialversicherungsbeamte" 1961 S. 100 ff, 102).

Der gegen diese Auffassung gerichtete Einwand des LSG, die Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers über die Rückforderung der Beiträge dürfe nicht durch einen selbständigen Anspruch des Arbeitgebers eingeschränkt werden, vermag nicht zu überzeugen. Mit ähnlichen Überlegungen hat sich bereits der 4. Senat des BSG in der o. a. Entscheidung auseinandergesetzt. Dabei hat er ebenfalls einen eigenen, unabhängigen Rückforderungsanspruch des Arbeitgebers bejaht und darauf hingewiesen, daß wegen der Berücksichtigung der Beschäftigungszeit als ruhegehaltsfähig in der Regel kein Bedürfnis für die Aufrechterhaltung der Sozialversicherung aus dieser Zeit bestehe. Eine Doppelversorgung werde vom Gesetzgeber nicht für erforderlich gehalten, wie die in § 115 Abs. 2 BBG vorgesehene Anrechnung von Rentenleistungen auf die beamtenrechtlichen Versorgungsbezüge zeige.

Dieser Ansicht ist im Ergebnis zuzustimmen. Bedenken bestehen gegen einen unabhängigen Rückforderungsanspruch des Arbeitgebers um so weniger, als der Arbeitnehmer den Eingriff in das Versicherungsverhältnis durch Erstattung des Beitragsanteils an den Arbeitgeber abwenden und danach die Beiträge als freiwillige Beiträge stehen lassen kann, sofern er zur freiwilligen Weiterversicherung berechtigt ist.

Das Begehren des Klägers, die Rückzahlung der Arbeitgeberanteile an die Beigeladene für unzulässig zu erklären, ist danach nicht gerechtfertigt. Auf die Revision der Beklagten ist daher das klagabweisende erstinstanzliche Urteil wieder herzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2340597

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?