Leitsatz (redaktionell)

Das Recht auf Befreiung von der Angestelltenversicherungspflicht nach AnVNG Art 2 § 1 idF des FinÄndG 1967 ist für solche Personen ausgeschlossen, die bereits aufgrund des AVG § 8 Abs 1 von der Versicherungspflicht befreit sind.

 

Normenkette

AVG § 8 Abs. 1 Fassung: 1965-06-09; AnVNG Art. 2 § 1 Fassung: 1967-12-21; RVO § 1231 Abs. 1 Fassung: 1965-06-09

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. Mai 1971 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung.

Der 1914 geborene Kläger war von 1962 bis 30. Juni 1968 Hauptgeschäftsführer einer Industrie- und Handelskammer; sein regelmäßiger Jahresarbeitsverdienst überschritt die Jahresarbeitsverdienstgrenze. Wegen Gewährleistung der Anwartschaft auf lebenslängliche Versorgung und auf Hinterbliebenenversorgung nach beamtenrechtlichen Grundsätzen wurde er auf einen am 28. Dezember 1967 bei dem Ministerium für Wirtschaft und Verkehr Rheinland-Pfalz eingegangenen Antrag seiner Arbeitgeberin mit Bescheid vom 7. Februar 1968 nach § 8 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) von der Versicherungspflicht befreit. Die Beklagte lehnte es deshalb ab, ihn auch nach Art. 2 § 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) in der Fassung des Finanzänderungsgesetzes vom 21. Dezember 1967 (FinÄndG; BGBl I S. 1259) zu befreien (Bescheid vom 1.7.1969; Widerspruchsbescheid vom 9.9.1969). Seine Klage blieb in beiden Vorinstanzen erfolglos (Urteile des Sozialgerichts -SG- Köln vom 15.6.1970 und des Landessozialgerichts -LSG- Nordrhein-Westfalen vom 12.5.1971). Nach Ansicht des LSG hat es an dem erforderlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Wegfall der Jahresarbeitsverdienstgrenze und dem Eintritt der Versicherungspflicht gefehlt, weil der Kläger am 1. Januar 1968 bereits nach § 8 AVG von der Versicherungspflicht befreit gewesen sei. Diese Regelung widerspreche nicht dem Gleichheitsgrundsatz.

Mit der zugelassenen Revision beantragt der Kläger (sinngemäß)

die vorinstanzlichen Urteile sowie die Bescheide der Beklagten aufzuheben und diese zu verurteilen, ihn nach Art. 2 § 1 AnVNG idF des FinÄndG von der Versicherungspflicht zu befreien,

hilfsweise,

den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger meint, solange er wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze versicherungsfrei gewesen sei, habe der Befreiungsbescheid vom 7. Februar 1968 nicht wirksam werden können. Er sei deshalb am 1. Januar 1968 infolge des Wegfalls der Jahresarbeitsverdienstgrenze "für eine logische Sekunde", versicherungspflichtig geworden; er erfülle mithin alle Voraussetzungen für die beantragte Befreiung von der Versicherungspflicht. Die Ablehnung seines Antrags bedeute eine willkürliche Ungleichbehandlung, denn er habe sich bei Inkrafttreten des FinÄndG in derselben Lage befunden wie andere Angestellte, die infolge der Aufhebung der Jahresarbeitsverdienstgrenze versicherungspflichtig geworden seien.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Die Revision ist nicht begründet; die Beklagte hat den Befreiungsantrag des Klägers zu Recht abgelehnt.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat sich schon wiederholt mit der Auslegung von Urt. 2 § 1 Abs. 1 AnVNG befaßt (vgl. SozR Nr. 7 zu Art. 2 § 1 AnVNG). Es hat stets betont, diese Vorschrift sei eine Übergangsvorschrift und regele lediglich die Auswirkungen der Änderungen des VG durch das FinÄndG auf versicherungsrechtliche Verhältnisse, die zur Zeit des Inkrafttretens des letzteren am 1. Januar 1968 bestanden haben und in die das FinÄndG unmittelbar eingreift, ohne daß sich die tatsächlichen Verhältnisse des durch die Rechtsänderung Betroffenen geändert haben (vgl. Urteil vom 30.6.1971 - 12/11 RA 266/70). Von dieser Vorschrift werden deshalb nur solche Personen erfaßt, in deren versicherungsrechtliche Stellung das FinÄndG mit seinem Inkrafttreten unmittelbar eingreift. Das ist hier nicht der Fall. Es kann dahinstehen, ob der Befreiungsbescheid des rheinlandpfälzischen Ministeriums für Wirtschaft und Verkehr - wie der Kläger meint - erst am 1. Januar 1968 wirksam werden konnte, weil für den Kläger bis dahin wegen Überschreitung der Jahresarbeitsverdienstgrenze ohnehin nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 AVG Versicherungsfreiheit bestanden hat. Der Kläger ist entgegen seiner Auffassung nicht ab 1. Januar 1968 auf Grund des FinÄndG versicherungspflichtig geworden, sondern nun jedenfalls nach § 8 Abs. 1 AVG von der Versicherungspflicht befreit gewesen; die Streichung des § 4 Abs. 1 Nr. 1 AVG hatte mithin auf seine versicherungsrechtliche Stellung keinen Einfluß. Wie das BSG schon wiederholt entschieden hat, kann derjenige, der bereits versicherungsfrei ist, nicht noch zusätzlich von der Versicherungspflicht befreit werden (vgl. BSG 26, 280, 282 und Urteil vom 26.5.1971 - 12/11 RA 190/70-).

Der von der Revision geltend gemachte Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 des Grundgesetzes -GG-) liegt nicht vor. Entgegen seiner Auffassung hat sich der Kläger am 1. Januar 1968 nicht in derselben Lage befunden wie jene Angestellten, die vor dem 1. Januar 1968 lediglich wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze nicht versicherungspflichtig waren und auf Grund des FinÄndG versicherungspflichtig wurden. Der Kläger ist vielmehr auf Grund dieses Gesetzes am 1. Januar 1968 nicht versicherungspflichtig geworden, weil er nach § 8 AVG von der Versicherungspflicht befreit worden und deshalb auch weiterhin versicherungsfrei geblieben ist. Es ist nicht ersichtlich, wieso es willkürlich sein könnte, daß er wegen der bereits vorliegenden Befreiung von der Versicherungspflicht anders behandelt wird als ein Angestellter, für den eine derartige Befreiung nicht bestand.

Nach alledem ist die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669834

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