Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsunfähigkeit eines Fliesenlegers
Orientierungssatz
1. Zur Frage ob ein Fliesenleger, der zur Berufsgruppe der Facharbeiter gehört, auf eine Tätigkeit als Schichtenkontrolleur oder Werkstattschreiber zumutbar verwiesen werden kann.
2. Bei der Verweisung eines Versicherten kommt es auf die Tätigkeit selbst an, nicht ausschlaggebend ist dagegen die Bezeichnung, unter der sie verrichtet wird.
Normenkette
RVO § 1246 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 25.01.1982; Aktenzeichen L 2 J 326/80) |
SG Koblenz (Entscheidung vom 05.11.1980; Aktenzeichen S 6 J 198/78) |
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit zusteht (§ 1246 Reichsversicherungsordnung -RVO-).
Der im Jahre 1935 geborene Kläger war bis 1958 im erlernten Beruf als Fliesenleger tätig. Von März bis Juni 1959 erhielt er von der Beklagten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und von September 1960 bis März 1969 wegen Berufsunfähigkeit. Nachdem Versuche, in den erlernten Beruf zurückzukehren, gescheitert waren, nahm der Kläger im März 1972 eine Tätigkeit als Rolladenarbeiter auf. Wegen der Folgen eines im Oktober 1976 erlittenen Verkehrsunfalles gewährte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 22. Februar 1978 erneut Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 1. Oktober 1977 bis zum 31. Juli 1978.
Im Laufe des sozialgerichtlichen Verfahrens hat die Beklagte einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit bis zum 30. September 1978 anerkannt. Die weitergehende Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen (Urteil vom 5. November 1980). Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG geändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. Oktober 1978 Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren. Soweit der Kläger darüber hinaus Rente wegen Erwerbsunfähigkeit begehrt hat, hat es seine Berufung zurückgewiesen. Das LSG hat den Kläger als ehemaligen Fliesenleger zur Gruppe der Facharbeiter gerechnet. Es seien keine Tätigkeiten ersichtlich, die für den Kläger subjektiv zumutbar seien und für die er ein ausreichendes körperliches Leistungsvermögen, berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten sowie geistige Befähigung mitbringe oder nach einer Einweisungs- und Einarbeitungszeit von höchstens drei Monaten vorweisen könne. Die von der Beklagten genannte Verweisungstätigkeit eines Schichtenkontrolleurs komme nicht in Betracht, denn sie sei praktisch als Arbeitsmöglichkeit unbekannt (Urteil vom 25. Januar 1982).
Die Beklagte hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Sie trägt vor, soweit das Berufungsgericht der Auskunft des Landesarbeitsamtes Rheinland-Pfalz-Saarland vom 2. November 1981 entnommen habe, daß es Arbeitsplätze des Schichtenkontrolleurs nicht in nennenswerter Zahl gebe, habe das LSG dabei gegen die Denkgesetze und mithin gegen § 128 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verstoßen. Außerdem hätte es sich gemäß § 103 SGG gedrängt fühlen müssen, weitere Ermittlungen darüber durchzuführen, in welchem Umfange es Arbeitsplätze unter der Berufsbezeichnung eines Werkstattschreibers gebe. Die Feststellung des Berufungsgerichts, die Tätigkeit des Schichtenkontrolleurs stelle einen typischen Schonarbeitsplatz für leistungsgeminderte Betriebsangehörige dar, sei unter Verletzung des rechtlichen Gehörs (§§ 62, 128 Abs 2 SGG) getroffen worden. Auf den gerügten Verfahrensverstößen könne das angefochtene Urteil beruhen.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen, hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufgehoben werden mußte und der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen war. Die vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen lassen eine abschließende Entscheidung des Rechtsstreits noch nicht zu.
"Bisheriger Beruf" des Klägers ist iS des § 1246 Abs 2 RVO derjenige des Fliesenlegers, eine Facharbeitertätigkeit. Diesen Ausbildungsberuf hat er erlernt und bis 1958 ausgeübt, als er ihn aus gesundheitlichen Gründen aufgeben mußte. Da er nicht mehr als Facharbeiter eingesetzt werden kann, hängt der geltend gemachte Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit davon ab, ob der Kläger auf einen sonstigen, angelernten Ausbildungsberuf oder auf eine gleichgestellte Tätigkeit verwiesen werden kann. Die Gründe, mit denen das LSG es abgelehnt hat, ihn auf Arbeiten eines Schichtenkontrolleurs sowie auf dem Beruf des Fliesenlegers verwandte Tätigkeiten in Unternehmen des Fliesenfachhandels und des einschlägigen Großhandels zu verweisen, rechtfertigen die Annahme von Berufsunfähigkeit jedoch noch nicht.
Zu Recht rügt die Beklagte, das Berufungsgericht habe seine Amtsermittlungspflicht (§ 103 SGG) verletzt. Diese Rüge erfordert es, daß die Tatsachen bezeichnet werden, die den Mangel ergeben (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG). Dazu muß dargelegt werden, warum das LSG sich zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen und zu welchem Ergebnis diese nach Ansicht des Revisionsführers geführt hätten (vgl BSG in SozR Nr 14 zu § 103 SGG, Nr 64 zu § 162 SGG und Nr 28 zu § 164 SGG; SozR 1500 § 160a Nr 34). Die Rüge der Beklagten genügt diesen Formerfordernissen noch. Sie hat hinreichend substantiiert dargelegt, aus welchen Gründen das LSG sich von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus hätte gedrängt fühlen müssen, weitere Beweise zu erheben, die dann zu einer Verweisung auf die von ihr genannten Tätigkeiten hätten führen können.
Das LSG hat seine Auffassung, die Tätigkeit eines Schichtenkontrolleurs sei als Arbeitsmöglichkeit praktisch unbekannt, auf eine Auskunft des Landesarbeitsamtes Rheinland-Pfalz-Saarland gestützt. Danach gebe es Schichtenkontrolleure lediglich bei der Firma K.-S.-AG in B. Dort würden diese überwiegend als Werkzeugausgeber und als Werkzeugkontrolleure geführt. Das Berufungsgericht fährt sodann fort, die von der Firma K. geschilderten Arbeiten begründeten Zweifel daran, ob Schichtenkontrolleure auch in anderen Unternehmen - sofern es dort solche gebe - nach der Lohngruppe 6 des von der Beklagten zitierten Tarifvertrages für die Eisen- und Stahlindustrie in Nordrhein-Westfalen zu entlohnen wären. Derartige Zweifel und Unklarheiten hätten jedoch vor der Entscheidung des Berufungsverfahrens gerade ausgeräumt werden müssen. Den Sachverhalt hat das LSG demnach insofern nicht ausreichend aufgeklärt, als sich schon aus der von ihm wiedergegebenen Auskunft des Landesarbeitsamtes ergibt, daß die Tätigkeit des Schichtenkontrolleurs ganz oder teilweise identisch sein kann mit derjenigen etwa des Werkzeugausgebers. Bei der Verweisung eines Versicherten kommt es auf die Tätigkeit selbst an, nicht ausschlaggebend ist dagegen die Bezeichnung, unter der sie verrichtet wird. Das Berufungsgericht hätte sich daher gedrängt fühlen müssen, festzustellen, ob der Arbeitsplatz des Schichtenkontrolleurs bei der Firma K. in anderen Unternehmen Werkstattschreiber, Werkzeugkontrolleur oder Werkzeugausgeber genannt wird. Veranlassung dazu hätte auch die vom LSG zitierte Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 19. März 1981 - 4 RJ 145/79 - gegeben, in der der 4. Senat die Verweisung eines ehemaligen Fliesenlegers auf den Schichtenkontrolleur für zumutbar gehalten und ausgeführt hat, beim Werkstattschreiber und Schichtenkontrolleur handele es sich um eine Tätigkeit des Werkstattschreibers, die bei der Firma K. heute Schichtenkontrolleur genannt werde.
Die insoweit noch erforderliche weitere Sachaufklärung hat sich auch nicht durch die Ausführungen in der eingeholten Auskunft über typische Schonarbeitsplätze erübrigt, weil letztere sich nur auf die Verhältnisse bei der Firma K.-S. beziehen. Die Möglichkeit, daß es in anderen Betrieben noch einen offenen Arbeitsmarkt für im Falle des Klägers zumutbare Verweisungstätigkeiten gibt, wird dadurch nicht ausgeschlossen.
Hinsichtlich der Verweisung auf Tätigkeiten, die dem Beruf des Fliesenlegers verwandt sind, hätte das LSG sich nicht mit den Hinweis begnügen dürfen, die Benennung derartiger Verweisungsmöglichkeiten durch die Beklagte leide unter dem Mangel einer hinreichenden Kennzeichnung der wesentlichen Arbeitsmerkmale. Insoweit obliegt es dem Gericht, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären. Es kann zunächst vom Versicherungsträger Erläuterungen und Ergänzungen des diesbezüglichen Vorbringens fordern, sodann müssen aber von Amts wegen die Aufklärungsmöglichkeiten über Verweisungstätigkeiten im Umfeld des "bisherigen Berufs" ausgeschöpft werden. Diese somit erforderlichen Ermittlungen und solche darüber, ob es - außer bei der Firma K.- auch in anderen Unternehmen Einsatzmöglichkeiten etwa als Werkstattschreiber gibt, können durchaus zu dem Ergebnis führen, daß der Kläger iS des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO auf zumutbare Tätigkeiten verwiesen werden kann.
Das Berufungsgericht wird die somit noch notwendigen Feststellungen nachzuholen haben. Dabei kann es ua von der Entscheidung des BSG vom 3. November 1982 (SozR 2200 § 1246 Nr 102) ausgehen, in der der 1. Senat zusammengefaßt hat, welche Feststellungen notwendig sind, um eine Berufsunfähigkeit iS des § 1246 RVO zu verneinen und um einen Versicherten auf eine Tätigkeit zu verweisen. Damit korrespondieren bei der Zuerkennung einer solchen Rente die notwendigen Ermittlungen zum Ausschluß einer Verweisungstätigkeit. Insoweit sind Art und Umfang der erforderlichen Feststellungen vergleichbar.
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen