Verfahrensgang
SG Stuttgart (Urteil vom 13.04.1994) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. April 1994 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat der Beklagten deren Aufwendungen für das Revisionsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin, eine niedergelassene Nichtkassenärztin, rechnete von ihr im organisierten ärztlichen Notfalldienst in den Quartalen II und IV/92 durchgeführte Besuche nach der Nr 27 bzw Nr 30 BMÄ/E-GO ab. Die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) wandelte die Leistungen in solche nach der – niedriger bewerteten -Nr 25 BMÄ/E-GO um. Die abgerechneten Besuchsleistungen seien, wenn sie im organisierten Notfalldienst erbracht würden, nach den vertraglichen Bestimmungen nur nach Nr 25 zu vergüten, falls der Notfalldienst nicht von einem niedergelassenen Kassenarzt oder dessen persönlichem Vertreter wahrgenommen werde (Bescheide vom 24. August 1992 und 25. Januar 1993). Die Widersprüche der Klägerin blieben erfolglos (Bescheid vom 4. Mai 1993).
Das hiergegen angerufene Sozialgericht (SG) Stuttgart hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 13. April 1994) und zur Begründung im wesentlichen ausgeführt, die maßgebliche vertragliche Bestimmung zu Abschnitt B II BMÄ/E-GO, nach der Nichtkassenärzte ihre im Rahmen des organisierten ärztlichen Notfalldienstes erbrachten Besuchsleistungen nach den Nrn 27 bzw 30 BMÄ/E-GO nur nach der Nr 25 BMÄ/E-GO vergütet erhielten, sei rechtmäßig. Insbesondere liege insoweit kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) vor. Anders als bei dem der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 8. April 1992 (BSGE 70, 240 ff = SozR 3-5533 Allg Nr 1) zugrundeliegenden Sachverhalt bestünden bei niedergelassenen Nichtkassenärzten und Kassenärzten bezüglich der Praxisvorhaltekosten keine Unterschiede. Wesentliches Differenzierungskriterium, das eine unterschiedliche Behandlung von niedergelassenen Nichtkassenärzten und Kassenärzten rechtfertige, sei aber im vorliegenden Verfahren der Umstand, daß die Kassenärzte im Bereich der Beklagten mit den Kosten für Organisation und Durchführung des Notfalldienstes belastet würden. So hätten die Kassenärzte nach § 8 Abs 4 der im Quartal II/92 gültig gewesenen Notfalldienstordnung der Beklagten eine die Kosten des Notfalldienstes deckende Ausgleichsgebühr je ambulantem kurativen Behandlungsfall zu zahlen gehabt, so daß auf die Durchschnittspraxis in diesem Quartal 76,– DM als Notfalldienst-Ausgleichsgebühr entfallen sei. Aus der Umlage sei dem am Notfalldienst teilnehmenden Arzt für jeden Notfalldiensttermin eine Pauschale von 60,– DM finanziert worden, die auch die Klägerin erhalten habe, obwohl sie an der Finanzierung der Kosten des Notfalldienstes nicht beteiligt gewesen sei. Nach § 11 der für das Quartal IV/92 maßgebenden Notfalldienstordnung sei von jedem Kassenarzt eine Sicherstellungsumlage in Höhe von 0,05 vH der über die Beklagte abgerechneten Vergütungen erhoben worden. Die Umlage habe im Quartal IV/92 rund 45,– DM betragen. Als niedergelassene Nichtkassenärztin habe die Klägerin an einem ausschließlich fremdfinanzierten System der kassenärztlichen Versorgung teilgenommen. Es sei von daher gerechtfertigt gewesen, für die Vergütung bestimmter von ihr erbrachter Leistungen abweichende Regelungen zu treffen. Soweit in einigen Bereichen der Beklagten die an der kassen-/vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte zusätzliche Sicherstellungsumlagen für besondere Einrichtungen des Notfalldienstes zu tragen hätten, erweise sich dies im Fall der Klägerin nicht als ausreichendes Differenzierungskriterium, weil im Notfalldienstbereich der Klägerin solche Umlagen nicht anfielen.
Mit der Sprungrevision macht die Klägerin geltend, die unterschiedliche Vergütung der im organisierten Notfalldienst erbrachten Besuchsleistungen, je nachdem, ob sie von Kassen- oder von niedergelassenen Nichtkassenärzten durchgeführt worden seien, verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, sofern man überhaupt von der grundsätzlichen Anwendbarkeit der Vergütungsregelungen des BMÄ/E-GO ausgehe. Die vertraglichen Regelungen seien für diejenigen Organisationsformen des Notfalldienstes geschaffen worden, bei denen der Einsatz von Notfallärzten von einer Notfallzentrale aus gesteuert werde. Sie seien aber nicht anwendbar auf die Fälle, in denen der niedergelassene Nichtkassenarzt den Notfalldienst von der eigenen Praxis aus wahrnehme. Soweit das SG zur Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung von Kassen- und Nichtkassenärzten auf die Belastung der Kassenärzte im Bereich der Beklagten mit einer Ausgleichsgebühr für den Notfalldienst abstelle, übersehe es, daß es sich bei der maßgebenden vertraglichen Ergänzung des BMÄ/E-GO um eine bundesrechtliche Regelung handele, während die Erhebung von Ausgleichsabgaben auf einzelne KÄVen beschränkt sei. Es gebe keine Rechtsnormen, welche die KÄVen generell verpflichteten, die Kosten des Notfalldienstes auf ihre Mitglieder umzulegen. So erhielten in anderen KÄV-Bereichen niedergelassene Nichtkassenärzte für Besuche im Rahmen des organisierten Notfalldienstes auch dann eine geringere Vergütung als Kassenärzte, wenn diese keine Ausgleichsabgaben oder ähnliches zu zahlen hätten. Daraus ergebe sich, daß die hier fragliche Bestimmung gegen Art 3 Abs 1 GG verstoße. Die Verfassungsmäßigkeit einer normativen Regelung könne nämlich nicht deshalb bejaht werden, weil die Anwendung der Norm unter bestimmten – im Einzelfall gegebenen – Voraussetzungen nicht mit Grundrechten kollidiere.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13. April 1994 und die Honorarabrechnungsbescheide der Beklagten mit den ergänzenden Berichtigungsbescheiden vom 24. August 1992 und 25. Januar 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 1993 für die Quartale II/92 und IV/92 aufzuheben, soweit die in Rechnung gestellten Leistungen im Notfalldienst nach den Gebühren-Nrn 30 BMÄ/E-GO und 27 BMÄ nicht vergütet worden sind, sowie die Beklagte zu verurteilen, ihr, der Klägerin, statt der vergüteten Leistungen nach der Nr 25 BMÄ/E-GO die in Rechnung gestellten Leistungen nach den Nrn 30 BMÄ/E-GO und 27 BMÄ zu vergüten,
hilfsweise,
die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.
Die Notfallbehandlung von Versicherten der Primär- und Ersatzkassen durch nicht an der kassen-/vertragsärztlichen Versorgung beteiligte Ärzte ist Bestandteil der kassen-/vertragsärztlichen Versorgung und aus der Gesamtvergütung zu honorieren (vgl BSGE 71, 117, 118 = SozR 3-2500 § 120 Nr 2). Der Vergütungsanspruch von Nichtkassen-/-vertragsärzten für entsprechende Notfallbehandlungen beträgt grundsätzlich 100 vH der Sätze der maßgeblichen Gebührenordnungen für die jeweiligen Leistungen (st Rspr des Senats; zusammenfassend Urteil vom 12. Oktober 1994 – 6 RKa 31/93 – zur Veröffentlichung vorgesehen; s auch § 2 Abs 1 Nr 8 iVm § 14 Ersatzkassenvertrag/Ärzte ≪EKV-Ärzte≫ in der ab 1. Oktober 1990 geltenden Fassung).
Ausnahmen hiervon hat der Senat aufgrund der Bestimmung zu Abschnitt B II „Besuche” des BMÄ bzw der E-GO, deren Anwendung auch hier in Frage steht, zugelassen (BSGE 70, 240 ff = SozR 3-5533 Allg Nr 1). Die Regelung lautete im streitigen Zeitraum wie folgt: „Besuche im Rahmen des organisierten Notfalldienstes sind bei Tage nach Nr 25 und bei Nacht – bestellt und ausgeführt zwischen 20.00 und 8.00 Uhr – nach Nr 27 zu berechnen, wenn der Notfalldienst nicht von einem niedergelassenen Kassenarzt (Vertragsarzt) oder dessen persönlichem Vertreter wahrgenommen wird.”
Diese vertragliche Ergänzung des BMÄ bzw der E-GO entfaltet, wie im einzelnen in der Entscheidung des Senats dargelegt, Wirkungen auch gegenüber den am kassenärztlichen/vertragsärztlichen Notfalldienst teilnehmenden Nichtkassen-/-vertragsärzten (BSGE 70, 240, 244 = SozR 3-5533 Allg Nr 1).
Die von der Klägerin nach den Nrn 27 und 30 BMÄ/E-GO abgerechneten Besuchsleistungen werden von den genannten Bestimmungen des BMÄ bzw der E-GO erfaßt. Dabei kann offenbleiben, ob sie im Quartal IV/92 zu Recht die – höher bewertete – Leistung Nr 27 BMÄ/E-GO anstelle der niedriger bewerteten Leistung Nr 30 BMÄ/E-GO in den Fällen geltend gemacht hat, in denen sie ausweislich der Behandlungsscheine die erstgenannte Leistung für am 25. Dezember 1992 tagsüber erbrachte Besuche abgerechnet hat, obwohl der hier allein in Betracht kommende Leistungsinhalt „eine Unterbrechung der Sprechstundentätigkeit” voraussetzt, mithin am 25. Dezember 1992 nicht erfüllt werden konnte.
Bei dem von der Beklagten eingerichteten Notfalldienst, an dem die Klägerin aufgrund berufsrechtlicher Vorschriften teilzunehmen verpflichtet war, handelt es sich um einen organisierten Notfalldienst iS der angeführten Bestimmungen. Der Begriff des organisierten Notfalldienstes ist entgegen der Auffassung der Revision nicht – einschränkend – dahin auszulegen, daß darunter ausschließlich die Notdienste fallen, bei denen der Einsatz der diensttuenden Ärzte durch Notfallzentralen gesteuert wird. Zutreffend ist zwar, daß hierbei wegen der zentralen Einsatzregelung für den Arzt pro Notfalldienstfahrt regelmäßig mehrere Besuche anfallen, so daß im Hinblick auf die anders gelagerte Kostensituation von nicht niedergelassenen Nichtkassen-/-vertragsärzten eine geringere Vergütung dieser Besuche im Verhältnis zum niedergelassenen Kassen-/Vertragsarzt sachlich gerechtfertigt ist (vgl BSGE 70, 240, 245 = SozR 3-5533 Allg Nr 1; allein auf diesen Gesichtspunkt abstellend: Moewes/Effer/Hess, Kölner Komm zum EBM, Stand: Oktober 1994, Anm 2 zu Nr 25 BMÄ/E-GO). Entsprechende Sachgründe für eine niedrigere Vergütung der Besuchsleistungen können aber gleichfalls bei anderen organisierten Notfalldiensten gegeben sein, auch wenn sie nicht durch Notfalldienstzentralen gesteuert werden. Aus diesem Grund ist eine generelle Reduktion des Anwendungsbereichs der vertraglichen Vorschriften nicht geboten.
Die vertragliche Ergänzung zu B II „Besuche” des BMÄ/E-GO verletzt den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG nicht. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz ist insbesondere nicht darin zu sehen, daß Kassen-/Vertragsärzte für die entsprechenden Leistungen die höhere Vergütung nach Nr 27 bzw Nr 30 BMÄ/E-GO erhalten, während sich die Vergütung der Klägerin in diesen Fällen nach Nr 25 BMÄ/E-GO bemißt. Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang zunächst, daß die Vergütung der weiteren, von Nichtkassen-/-vertragsärzten während des organisierten Notfalldienstes erbrachten ärztlichen Leistungen keinerlei Beschränkungen unterliegt, die übrigen Leistungen also nach den vollen BMÄ/E-GO-Sätzen vergütet werden. Die Vergütungskürzung wirkt sich mithin lediglich auf einen Teilbereich des Honoraranspruchs aus.
Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz liegt vor allem vor, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl zB BVerfGE 55, 72, 88 ff; 82, 126, 146 mwN). Welche Sachverhaltselemente so wichtig sind, daß ihre Verschiedenheit eine Ungleichbehandlung rechtfertigt, entscheidet regelmäßig der Normgeber selbst. Er kann grundsätzlich die Sachverhalte auswählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpfen will. Sein Spielraum endet erst dort, wo die gleiche oder ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte evidentermaßen nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten sachgerechten Betrachtungsweise vereinbar ist (BVerfGE 71, 39, 58; 71, 255, 271).
Als ein die Ungleichbehandlung rechtfertigendes Sachverhaltselement stellt sich der Umstand dar, daß Nichtkassen-/-vertragsärzte, die an dem von den KÄVen organisierten ärztlichen Notfalldienst teilnehmen, regelmäßig nicht an der Kostentragung für Organisation und Durchführung dieses Notfalldienstes beteiligt sind, diese Kosten vielmehr allein von den Kassen-/Vertragsärzten aufgebracht werden. So liegt der Sachverhalt auch hier. Nach den Feststellungen des LSG erhebt die Beklagte – neben den von allen am Notfalldienst teilnehmenden Ärzten aus der jeweiligen Notfallvergütung zu zahlenden Verwaltungskosten – zusätzlich von ihren Mitgliedern eine Ausgleichsgebühr bzw Umlage zur Finanzierung der durch die Organisation und Durchführung des Notfalldienstes entstehenden Kosten. Die Ausgleichsgebühr betrug im Quartal II/92 durchschnittlich für jedes Mitglied der Beklagten 76,– DM. Aus ihr wurden ua Notfalldienstpauschalen pro Notfalldiensttermin in Höhe von 60,– DM geleistet, die auch die Klägerin im Quartal II/92 erhalten hat. Die für das Quartal IV/92 von der Beklagten von ihren Mitgliedern einbehaltene sog Sicherstellungsumlage belief sich pro Praxis durchschnittlich auf 45,– DM.
Die Kostentragungspflicht der in dem Bereich, dem die Klägerin für den Notfalldienst zugeteilt ist, tätigen Kassen-/Vertragsärzte rechtfertigt eine unterschiedliche Behandlung im Verhältnis zur Gruppe der von dieser Verpflichtung nicht erfaßten niedergelassenen Nichtkassenärzte. Zwar können, worauf die Revision hinweist, die Belastungen für die Kosten des Notfalldienstes von KÄV zu KÄV unterschiedlich hoch sein. Das trifft sogar für die Notfalldienstkosten innerhalb verschiedener Bezirke der Beklagten zu, wie sich aus den Feststellungen des SG ergibt. Danach haben Kassen-/Vertragsärzte etwa im Notfalldienstbereich Stuttgart zusätzliche Aufwendungen für besondere Notfalldiensteinrichtungen zu tragen, die sich pro Arzt und Quartal auf durchschnittlich mehr als 300,– DM belaufen. Die Vertragspartner der vertraglichen Ergänzung des BMÄ bzw der E-GO konnten im Rahmen einer zulässigen Pauschalierung und Typisierung derartige unterschiedliche Auswirkungen in der Kostenbelastung unberücksichtigt lassen.
Da sich der Notfalldienst sowohl für Kassen-/Vertragsärzte als auch für Nichtkassen-/-vertragsärzte regelmäßig nur auf wenige Tage im Jahr erstreckt – nach den Angaben der Klägerin bei ihr im Jahre 1992 auf ca 9 Tage – und sich die Auswirkungen der Mindervergütung der Besuchsleistungen für Nichtkassen-/-vertragsärzte bei im übrigen unbeschränkter Vergütung der ansonsten erbrachten Leistungen in engen Grenzen halten, erweist sich auch unter diesem Gesichtspunkt eine unterschiedliche Behandlung der beiden Arztgruppen bei der Vergütung der Besuchsleistung nicht als evident sachwidrig (vgl zur Rechtmäßigkeit von Kostenbeiträgen der am organisierten Notfalldienst teilnehmenden Nichtkassen-/-vertragsärzte: BSG SozR 3-2500 § 81 Nr 5).
Die Revision der Klägerin war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen