Leitsatz (amtlich)
1. In die Handwerksrolle eingetragene Handwerker, die für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit für weniger als 216 Kalendermonate Beiträge entrichtet haben, gehören auch dann dem Grunde nach der Handwerkerversicherung als einem Zweig der gesetzlichen RV an, wenn sie nach den Bestimmungen des HwVG versicherungsfrei oder auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit sind.
2. Sie können daher weder nach RVO § 1227 Abs 1 S 1 Nr 9 in der RV der Arbeiter noch nach AVG § 2 Abs 1 Nr 11 in der RV der Angestellten auf Antrag versicherungspflichtig werden.
3. Die Regelung des AVG § 2 Abs 1 Nr 11 verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des GG Art 3 Abs 1, wenn ihr durch Auslegung die gleiche Sperrwirkung für die Rückkehr der nach dem HwVG versicherungsfreien Handwerker in die gesetzliche RV beigemessen wird, wie sie in RVO § 1227 Abs 1 S 1 Halbs 2 für RVO § 1227 Abs 1 S 1 Nr 9 normiert ist.
Normenkette
AVG § 2 Abs. 1 Nr. 11 Fassung: 1972-10-16; RVO § 1227 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 Fassung: 1972-10-16; HwVG § 1 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1960-09-08, § 6 Abs. 3 Fassung: 1960-09-08; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; RVO § 1227 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 Fassung: 1960-09-08; AnVNG Art. 2 § 49a Abs. 1 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art. 2 § 51a Abs. 1 Fassung: 1972-10-16
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 29.06.1976; Aktenzeichen L 18 An 31/75) |
SG Aachen (Entscheidung vom 27.01.1975; Aktenzeichen S 11 An 115/74) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 29. Juni 1976 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger als selbständiger Erwerbstätiger der Pflichtversicherung in der Angestelltenversicherung (AnV) nach § 2 Abs 1 Nr 11 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) beitreten und freiwillig Beiträge gemäß Art 2 § 49a Abs 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) nachentrichten kann.
Der am 6. August 1910 geborene Kläger ist als selbständiger Bäcker und Konditor erwerbstätig und seit 1945 in die Handwerksrolle eingetragen. Er hat nach eigenen Angaben niemals Beiträge zu den gesetzlichen Rentenversicherungen entrichtet und ist wegen ausreichender Lebensversicherungsverträge von der Versicherungspflicht in der Handwerkerversicherung befreit.
Am 31. Juli 1973 stellte er bei der Beklagten Antrag auf Versicherungspflicht nach § 2 Abs 1 Nr 11 AVG und Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen nach Art 2 § 49 a AnVNG für die Zeit vom 1. Januar 1956 bis zum 31. Dezember 1964. Dies lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, daß die Befreiung von der Versicherungspflicht nach dem Handwerkerversorgungsgesetz (HVG) und dem Handwerkerversicherungsgesetz (HwVG) einen Eintritt in die Pflichtversicherung ausschließe und demzufolge auch ein Nachentrichtungsrecht nicht gegeben sei (Bescheid vom 2. November 1973). Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 12. März 1974; Urteil des Sozialgerichts - SG - Aachen vom 17. Januar 1975).
Das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 29. Juni 1976). Es hat zur Begründung ua ausgeführt: Selbständigen Handwerkern sei durch § 2 Abs 1 Nr 11 AVG der Beitritt zur Pflichtversicherung der Selbständigen zumindest solange nicht eröffnet, als sie noch von den Vorschriften des HwVG erfaßt seien. Zu diesem Kreis gehörten auch die nach dem HwVG versicherungsfreien Handwerker. Bei ihnen sei die Versicherungspflicht zur Handwerkerversicherung nicht beendet, sondern nur suspendiert. Nur wenn für einen selbständigen Handwerker für insgesamt 216 Kalendermonate Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet worden seien, ende seine Versicherungspflicht nach dem HwVG. Erst dann scheide er aus dem Kreis derer aus, die vom HwVG erfaßt werden. Die rentenversicherungsrechtlichen Rechte und Pflichten der Handwerker hätten in den Bestimmungen des HwVG eine umfassende und abschließende Regelung gefunden. Es habe daher schlechthin keine Notwendigkeit für eine besondere Öffnung der Pflichtversicherung zur gesetzlichen Rentenversicherung bestanden. Ein Verstoß gegen den in Art 3 des Grundgesetzes (GG) normierten allgemeinen Gleichheitssatz scheide aus. Die Zulassung der Handwerker, die nach Entrichtung von Beiträgen für 216 Kalendermonate aus der Handwerkerversicherung ausgeschieden sind, zur Pflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Nr 11 AVG beruhe auf einem anderen Sachverhalt als dem beim Kläger vorliegenden.
Der Kläger hat die - vom LSG zugelassene - Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung des § 2 Abs 1 Nr 11 AVG iVm § 6 Abs 3 HwVG sowie des Art 3 GG. Er dürfe nicht anders behandelt werden als ein Handwerker, der nach Entrichtung von 216 Beiträgen aus der Handwerkerversicherung ausgeschieden sei. Er sei durch entsprechende Beitragsleistungen an eine Lebensversicherung ebenfalls aus der Handwerkerversicherung ausgeschieden.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. November 1973 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. März 1974 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihn in die Pflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Nr 11 AVG aufzunehmen und ihm die Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen nach Art 2 § 49 a Abs 1 AnVNG zu gestatten.
Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Alle Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.
Der Kläger ist nicht berechtigt, der Pflichtversicherung zur AnV nach § 2 Abs 1 Nr 11 AVG beizutreten und als auf diese Weise versicherungspflichtig gewordener selbständig Erwerbstätiger freiwillig Beiträge nach Art 2 § 49 a Abs 1 AnVNG nachzuentrichten. Dies haben die Vorinstanzen und die Beklagte zu Recht entschieden.
Der Kläger gehört nicht zum Personenkreis, dem die Antrags-Pflichtversicherung für selbständig Erwerbstätige nach § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 9 der Reichsversicherungsordnung (RVO) oder nach § 2 Abs 1 Nr 9 AVG offensteht. Dieser Beitrittsmöglichkeit steht entgegen, daß er nach den Vorschriften des HwVG versicherungsfrei in der Handwerkerversicherung ist. Während dieser Umstand in dem durch das Rentenreformgesetz (RRG) vom 16. Oktober 1972 geänderten § 1227 Abs 1 Satz 1 Halbsatz 2 RVO als negatives Tatbestandsmerkmal ausdrücklich normiert wurde, fehlt im Wortlaut des ebenfalls durch das RRG geänderten § 2 Abs 1 AVG eine entsprechende Bestimmung. Hieraus kann aber nicht gefolgert werden, daß selbständige Handwerker zwar nicht nach § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 9 RVO, jedoch nach § 2 Abs 1 Nr 11 AVG trotz ihrer selbst gewählten Versicherungsfreiheit in die Versicherungspflicht der gesetzlichen Rentenversicherung zurückkehren können. Eine nur am Wortlaut der Vorschrift haftende Auslegung reicht zum Verständnis des § 2 Abs 1 Nr 11 AVG nicht aus. Sinn und Zweck dieser Regelung sollte es sein, auch solchen Selbständigen, die bisher nicht als Pflichtversicherte den Rentenversicherungen angehörten, auf ihren Antrag die Pflichtversicherung zu ermöglichen (Urteil des erkennenden Senats vom 1. Dezember 1977 - 12 RK 21/76 -, zur Veröffentlichung bestimmt). Wie der Senat ausgeführt hat, sollte umgekehrt für solche Personen, die als Selbständige dem Grunde nach bereits den Rentenversicherungen angehörten, keine neue oder andere Pflichtversicherung innerhalb der Rentenversicherung geschaffen werden. Dieser der Öffnung der Rentenversicherung für Selbständige zugrunde liegende Gedanke trifft auch auf selbständige Handwerker zu. Selbständige Handwerker gehören in die für sie geschaffene und auf sie beschränkte Sonderform der Handwerkerversicherung nach dem HwVG, deren Durchführung den Trägern der Arbeiterrentenversicherung obliegt. Der Kläger gehört als in die Handwerksrolle eingetragener Handwerker der Handwerkerversicherung an. Dem steht nicht entgegen, daß er nach § 6 Abs 3 HwVG in der Handwerkerversicherung versicherungsfrei ist. Diese Versicherungsfreiheit setzt nämlich begrifflich voraus, daß dem Grunde nach Versicherungspflicht besteht und deshalb die Zugehörigkeit zur rentenversicherungsrechtlichen Sonderform der Handwerkerversicherung begründet ist. Demnach unterliegt ein nach § 6 Abs 3 HwVG von der Versicherungspflicht freier Handwerker gleichwohl dem rechtlichen Herrschaftsbereich des HwVG. Weil das HwVG die Rechtsbeziehungen der Handwerker zur gesetzlichen Rentenversicherung ausschließlich regelt, ist für die nach den §§ 2, 6 und 7 HwVG versicherungsfreien oder von der Versicherungspflicht befreiten Handwerker die Begründung der Versicherungspflicht wie nach § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 9 RVO auch nach § 2 Abs 1 Nr 11 AVG ausgeschlossen.
Diese an der Vorschrift des § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 9 iVm Halbsatz 2 RVO orientierte Auslegung des § 2 Abs 1 Nr 11 AVG verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG. Der Gleichheitssatz gebietet dem Gesetzgeber, vergleichbare Sachverhalte grundsätzlich mit der gleichen Rechtsfolge auszustatten; er ist jedoch weitgehend frei, die Merkmale der Vergleichspaare zu bestimmen, die für Gleichheit oder Ungleichheit der gesetzlichen Regelung maßgeblich sein sollen. Der Gleichheitssatz ist erst dann verletzt, wenn für die gesetzliche Unterscheidung keine sachlich einleuchtenden Gründe vorliegen, die Regelung also willkürlich ist (BVerfGE 35, 272). Da der Gesetzgeber mit dem RRG die Öffnung der Rentenversicherung für diejenigen Selbständigen vorgenommen hat, die ihr bisher nicht als Pflichtversicherte angehörten, ergibt sich schon hieraus ein sachlich einleuchtender Grund dafür, die nach dem HwVG versicherungsfreien Handwerker von der neugeschaffenen Antrags-Pflichtversicherung auszunehmen, weil dieser Personenkreis eben schon bisher dem Grunde nach im Rahmen der Handwerkerversicherung der gesetzlichen Rentenversicherung angehörte. Die Regelung des § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 9 iVm Halbsatz 2 RVO und die hieran orientierte Auslegung des § 2 Abs 1 Nr 11 AVG sind demnach weder systemwidrig noch willkürlich.
Auch in der vom Kläger behaupteten Verwaltungsübung der Rentenversicherungsträger, die nach Entrichtung von Pflichtbeiträgen für mindestens 216 Kalendermonate "aus der Handwerkerversicherung entlassenen" Handwerker in die Antrags-Pflichtversicherung aufzunehmen, kann kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz erblickt werden. Es handelt sich nämlich insoweit um tatsächlich und rechtlich verschiedene Sachverhalte, die eine gleiche Behandlung nicht gebieten. Handwerker, die für 216 Kalendermonate Pflichtbeiträge entrichtet haben und deshalb nach § 1 HwVG nicht mehr zum versicherungspflichtigen Personenkreis der Handwerkerversicherung gehören, unterscheiden sich von denen, die nach § 6 HwVG versicherungsfrei sind, dadurch, daß bei ihnen nicht wie bei diesen die Versicherungsfreiheit auf eigenes Betreiben, sondern ohne ihr Zutun kraft Gesetzes eingetreten ist. Wenn daher im Schrifttum die Auffassung vertreten wird, daß Handwerker, die für mehr als 216 Kalendermonate Beiträge entrichtet haben, von der Versicherungspflicht nach § 1227 Abs 1 Nr 9 RVO Gebrauch machen können (Verbands-Komm aaO; Jantz/Zweng aaO; Eicher/Haase/Rauschenbach aaO), so kann dieser Auslegung jedenfalls nicht unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitssatzes des Art 3 Abs 1 GG widersprochen werden. Die vom Kläger an die Lebensversicherungen gezahlten Beiträge sind in diesem Zusammenhang unbeachtlich. Sie haben nicht die Wirkung, daß sie nach einer Beitragszeit von 216 Monaten zum Wegfall der Zugehörigkeit zur Handwerkerversicherung dem Grunde nach führen, so daß ein vergleichbarer Sachverhalt fehlt.
War sonach für den Kläger der Beitritt zur Pflichtversicherung nach § 2 Abs 1 Nr 11 AVG ausgeschlossen, so fehlte es auch an der Voraussetzung des Art 2 § 49 a Abs 1 Satz 1 Buchst b AnVNG (die Alternative nach Buchst a ist ohnehin unstreitig nicht gegeben) mit der Folge, daß der Kläger keinen Anspruch auf Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach dieser Vorschrift hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen