Entscheidungsstichwort (Thema)

Verzinsung einer Rentennachzahlung. Herstellungsanspruch

 

Orientierungssatz

1. Die Verzinsung einer Rentennachzahlung kann erst nach der Beitragsnachentrichtung und nach einer 6-Monats-Frist seit Eingang des vollständigen Rentenantrags beginnen (Fortführung von BSG 1982-09-09 5b RJ 68/81 = SozR 1200 § 44 Nr 5).

2. Ein Leistungsantrag ist vollständig, wenn er alle Tatsachen enthält, die der Antragsteller zur Bearbeitung seines Antrages angeben muß und kann.

3. Ein auf Verzinsung gerichteter Herstellungsanspruch des Versicherten wird durch die lex specialis des § 44 SGB 1 verdrängt.

 

Normenkette

SGB 1 § 44 Abs 1 Fassung: 1975-12-11; SGB 1 § 44 Abs 2 Fassung: 1975-12-11

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 10.12.1982; Aktenzeichen L 14 J 218/81)

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 11.12.1981; Aktenzeichen S 13 J 85/80)

 

Tatbestand

Der im Jahr 1918 geborene Kläger beantragte im Mai 1974 bei der Beklagten ua die Zulassung der Nachentrichtung von Beiträgen nach dem Gesetz zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) und die Gewährung von Rente wegen Erwerbs- bzw Berufsunfähigkeit. Nachdem die Beklagte den Antrag zunächst abgelehnt und der Kläger dagegen Klage erhoben hatte, anerkannte sie das Recht auf Beitragsentrichtung nach § 10 WGSVG. Sie erließ am 24. Mai 1980 einen entsprechenden Bescheid und forderte den Kläger auf, die Nachentrichtung "genau zu spezifizieren".

Mit Bescheid vom 21. Oktober 1980 gewährte die Beklagte dem Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit für die Zeit vom 1. Juni 1975 an; die Nachzahlung gab sie mit 17.448,40 DM an. Mit Bescheid vom 22. Juli 1981 setzte sie dann 1.885,92 DM Zinsen fest, die auch alsbald an den Kläger ausgezahlt wurden.

Mit einem am 28. Oktober 1980 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben zeigte der Kläger Anzahl, Höhe und Geltungsmonat der Beiträge an, die er nachentrichten wolle. Die Beklagte ließ mit Bescheid vom 15. Dezember 1980 diese Nachentrichtung zu. Der Nachentrichtungsbetrag ging nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) am 25. Januar 1981 bei der Beklagten ein.

Die Beklagte berechnete im Bescheid vom 9. Juni 1981 die Rente auf Grund der Nachentrichtung neu. Sie errechnete einen Nachzahlungsbetrag von 32.689,00 DM; dieser ging am 19. Juni 1981 bei dem Bevollmächtigten des Klägers ein.

Der Kläger, der im November 1980 bei dem Sozialgericht (SG) in Düsseldorf Klage wegen der Verzinsung einer anderen Rentennachzahlung erhoben hatte, hat im Juli 1981 den Klageantrag auf die Verzinsung der aus dem Bescheid vom 9. Juni 1981 geschuldeten Geldleistung erstreckt; hinsichtlich der anderen Rentennachzahlung hat er späterhin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Das SG hat mit Urteil vom 11. Dezember 1981 die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Auf die Berufung des Klägers hin hat das LSG mit Urteil vom 10. Dezember 1982 die Entscheidung des SG geändert, die Beklagte verurteilt, 108,96 DM Zinsen an den Kläger zu zahlen, und im übrigen die Berufung als unbegründet zurückgewiesen. Es hat die Revision zugelassen. In den Entscheidungsgründen des LSG ist ausgeführt: Der Anspruch des Klägers auf die erhöhte Rente sei erst mit dem Eingang des Nachentrichtungsbetrages bei der Beklagten fällig iS des § 44 Abs 1 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) geworden. Die Sechs-Monats-Frist des § 44 Abs 2 SGB I habe erst mit der Spezifizierung des Nachentrichtungsbetrages durch den Kläger im Oktober 1980 begonnen; die Frist habe am 30. April 1981 geendet. Vom 1. Mai 1981 an sei die Nachzahlung zu verzinsen, wobei die Verzinsung mit dem Ablauf des Kalendermonats vor der Auszahlung des Nachzahlungsbetrages an den Kläger ende, also mit dem 31. Mai 1981. Die Beklagte müsse dem Kläger für Mai 1981 Zinsen in Höhe von 108,96 DM zahlen. Der Kläger habe über diesen Betrag hinaus auch nicht etwa einen Herstellungsanspruch gegen die Beklagte. Es sei nicht feststellbar, ob die im Verfahren eingetretenen Verzögerungen für den späteren Beginn der Zinszahlung ursächlich gewesen seien.

Mit der Revision trägt der Kläger vor: Die Beklagte habe verursacht, daß er, der Kläger, die Spezifizierung der Nachentrichtung erst im Oktober 1980 habe vornehmen können. Die Beklagte hätte bereits im Jahr 1974 die früheren Beiträge berücksichtigen müssen, dann wäre die Nachentrichtung auch schon früher erfolgt. Auf ein Verschulden der Beklagten komme es nicht an.

Der Kläger beantragt, die Urteile der Vorinstanzen sowie den Bescheid der Beklagten vom 9. Juni 1981 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, "die Rentennachzahlung aus dem Bescheid vom 9.6.1981 mit 4 vH vom 1.1.1978 an zu verzinsen."

Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.

Auf ihren Schriftsatz vom 27. April 1983 wird Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht die beantragte Verzinsung - vom Mai 1981 abgesehen - verweigert.

Die am 1. Januar 1978 in Kraft getretene Vorschrift des § 44 SGB I sieht in Absatz 1 vor, daß Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit 4 vH zu verzinsen sind. Nach Absatz 2 beginnt die Verzinsung frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrages beim zuständigen Leistungsträger.

Der Kläger möchte seinen Rentennachzahlungsanspruch aus dem Bescheid vom 9. Juni 1981 verzinst erhalten, und zwar vom 1. Januar 1978 an. Die Voraussetzungen für den Zinsanspruch liegen dem Grunde nach vor: Der Kläger hat einen Anspruch auf eine Geldleistung, die fällig geworden, aber erst einige Zeit nach Fälligkeit befriedigt worden ist. Da die Befriedigung im Laufe des Monats Juni 1981 erfolgt ist, ist auch das Ende der Verzinsung eindeutig zu bestimmen; es ist der 31. Mai 1981. Der Streit geht darum, wann die Verzinsungsperiode begonnen hat.

Der Zinsanspruch beginnt nach § 44 Abs 1 SGB I nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt der Fälligkeit. Fälligkeit ist in § 41 SGB I mit dem "Entstehen" des Anspruches auf Sozialleistungen beschrieben, der Begriff Entstehen ist mit dem Vorliegen der im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen erläutert (§ 40 Abs 1 SGB I).

Voraussetzung für "Renten an Versicherte" ist der Eintritt des Versicherungsfalles und die Erfüllung der Wartezeit. Voraussetzung dafür, daß die Rente eine bestimmte Höhe erreicht oder daß - wie hier - eine schon festgesetzte Rente erhöht wird, ist im wesentlichen die Entrichtung von Beiträgen.

Da der für die Neufeststellung der Rente maßgebende - nachentrichtete - Beitrag am 25. Januar 1981 bei der Beklagten eingegangen und damit entrichtet ist, kann der Anspruch des Klägers auf die höhere Rente erst an diesem Tag entstanden sowie fällig geworden und der etwaige Zinsanspruch des Klägers frühestens am 1. März 1981 entstanden sein. Mit der Frage, von wann an die Rente zu zahlen ist (vgl Art 4 § 2 Abs 2 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Vorschriften über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung vom 22. Dezember 1979, BGBl I, 1846) und ob die Beiträge auch für die Vergangenheit wirken (§ 10 WGSVG), hat das nichts zu tun.

Aus § 44 Abs 2 SGB I ergibt sich keine für den Kläger günstigere Möglichkeit. Dieser Absatz modifiziert den in Abs 1 begründeten Zinsanspruch: Er fordert zunächst einmal einen vollständigen Leistungsantrag und läßt sodann die Verzinsung erst nach Ablauf von sechs Kalendermonaten einsetzen.

Die Sechs-Monats-Frist des § 44 Abs 2 Halbs 1 SGB I beginnt mit dem Eingang des vollständigen Leistungsantrages beim zuständigen Leistungsträger. Ein Leistungsantrag ist vollständig, wenn er alle Tatsachen enthält, die der Antragsteller zur Bearbeitung seines Antrages angeben muß und kann (vgl § 60 Abs 1 Nr 1 iVm § 65 SGB I; Hauck/Haines, SGB I, Anm 6 zu § 44). Dazu hat der 5. Senat im Urteil vom 9. September 1982 - 5b RJ 68/81 - (SozR 1200 § 44 Nr 5) entschieden, daß im Fall der Beitragsnachentrichtung nach § 10 WGSVG die vom Versicherten vorgenommene Spezifizierung der von diesem beabsichtigten Nachversicherung nach Zeiträumen und Beitragsklassen zur Vollständigkeit des Leistungs-(Renten-)Antrages einerseits erforderlich sei - so daß die bloße Bereiterklärung ohne Spezifizierung nicht genüge -, andererseits aber auch ausreiche - so daß die tatsächliche Entrichtung der Beiträge (im Hinblick auf die Vollständigkeit des Leistungsantrages) nicht notwendig sei -. Dieser Rechtsauffassung tritt der erkennende Senat bei.

Der Kläger kann die Verzinsung auch nicht dadurch erreichen, daß er einen (sozialrechtlichen) Herstellungsanspruch geltend macht. Ein solcher Anspruch ist hier möglicherweise schon deshalb nicht gegeben, weil er, worauf der 5. Senat aa0 hinweist, nicht auf finanzielle Entschädigung, sondern auf Vornahme einer Amtshandlung gerichtet ist. Wesentlich ist aber, daß ein auf Verzinsung gerichteter Herstellungsanspruch des Versicherten durch die lex specialis des § 44 SGB I verdrängt wird. Den Schaden, den ein Versicherter dadurch erleidet, daß er auf die Erfüllung eines fälligen Anspruches länger als zumutbar warten muß, will das Gesetz gerade und nur durch die Bewilligung eines Zinsanspruches nach § 44 SGB I ausgleichen.

Da das LSG somit zu Recht dem Kläger eine Verzinsung für die Zeit vor dem 1. Mai 1981 verweigert hat, war die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662167

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge