Entscheidungsstichwort (Thema)

Unfall auf dem Weg von der PKW-Inspektion zur Arbeitsstätte

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein PKW ist im Regelfall nur dann als Arbeitsgerät iS des RVO § 549 anzusehen, wenn er seiner Zweckbestimmung nach hauptsächlich für die Tätigkeit im Unternehmen gebraucht wird.

2. Ein Beschäftigter steht auf einem Weg, der der Vorbereitung des Weges von der oder zur Arbeitsstätte dient, im allgemeinen nicht unter Versicherungsschutz. Bei Beschäftigten, die mit eigenem Fahrzeug zur Arbeitsstätte zu fahren pflegen, ist nicht jede zur Erhaltung der Fahrbereitschaft erforderliche Verrichtung unfallgeschützt.

3. Ein Weg, dessen Ziel die Arbeitsstätte ist, steht nicht unter Versicherungsschutz (RVO § 550 S 1), wenn es sich um den Rückzug von einer Verrichtung handelt, die mit der versicherten Tätigkeit nicht innerlich zusammenhängt.

 

Orientierungssatz

Zur Frage, wann ein Personenkraftwagen als Arbeitsgerät iS von RVO § 549 anzusehen ist.

Das Verbringen des Personenkraftwagen zur Inspektion (Werkstatt) ist dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen.

 

Normenkette

RVO § 549 Fassung: 1963-04-30, § 550 S. 1

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 10. Dezember 1969 wird aufgehoben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 28. Oktober 1968 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger war bei der F G e. G. m. b. H. in M/Pfalz als Betriebsleiter und stellvertretender Geschäftsführer tätig. Am 21. Januar 1966 - einem Freitag - fuhr er wie gewöhnlich mit seinem Pkw von seinem Wohnort G nach M, um dort um 7.15 Uhr seine Beschäftigung aufzunehmen. Gegen 8.00 Uhr brachte er sein Fahrzeug zur Inspektion in eine Werkstätte nach Bad D. Nach Geschäftsschluß am Nachmittag holte der Kläger dort seinen Pkw ab. Er fuhr jedoch nicht nach Hause, sondern zurück in das Geschäft, um als Vertreter des abwesenden Geschäftsführers die Rückkehr von Betriebsfahrzeugen abzuwarten und mit den Fahrern abzurechnen. Außerdem wollte er Jahresabschlußarbeiten erledigen. Auf dieser Fahrt stieß dem Kläger ein Verkehrsunfall zu. Dadurch kam es zu einer Erblindung des linken sowie einer Splitterverletzung des rechten Auges.

Die Beklagte versagte durch Bescheid vom 24. Februar 1967 die begehrte Unfallentschädigung, weil der Kläger auf dem Rückweg von einer dem privaten Lebensbereich zuzurechnenden Verrichtung verunglückt sei.

Das Sozialgericht (SG) Speyer hat durch Urteil vom 28. Oktober 1968 aus denselben Erwägungen die Klage abgewiesen.

Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat durch Urteil vom 10. Dezember 1969 die Entscheidung des SG sowie den Bescheid der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, dem Kläger Unfallentschädigung zu gewähren.

Zur Begründung hat es ausgeführt:

Der Kläger habe auf dem zur Inspektion seines Fahrzeugs von der Arbeitsstätte nach Bad D zurückgelegten Weg unter Versicherungsschutz gestanden, weil es sich um eine sogenannte gemischte Tätigkeit gehandelt habe. Zwar habe der Kläger seinen Pkw überwiegend zu privaten Zwecken benutzt, das Fahrzeug habe jedoch auch dem Unternehmen wesentlich gedient, weil der Kläger für Betriebsfahrten jährlich etwa 5000 km zurückgelegt und dafür ein Km-Geld von 0,20 DM erhalten habe. Die Inspektion habe den Zweck gehabt, die Betriebssicherheit des Fahrzeugs zu überprüfen und erforderlichenfalls wieder herzustellen. Dadurch werde ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit des Klägers nach § 648 der Reichsversicherungsordnung (RVO) hergestellt.

Selbst wenn die Kfz-Inspektion als eigenwirtschaftliche Tätigkeit anzusehen sei, sei der Versicherungsschutz nach § 550 RVO gegeben. Der Kläger habe vorgehabt, über die normale Arbeitszeit hinaus bis gegen 20.00 Uhr Überstunden zu leisten. Er habe sich nach Beendigung der regulären Arbeitszeit nach Bad D begeben, um vor Schließung der Reparaturwerkstatt seinen Pkw abzuholen. Aus betrieblichen Gründen sei er dann aber nicht nach Hause, sondern zur Arbeitsstätte zurückgefahren. Unter diesen Umständen handele es sich nicht um den Rückweg von einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit. Es sei vielmehr gerechtfertigt, diesen Weg allein nach seiner Zielrichtung zu beurteilen; er sei durch die Absicht geprägt gewesen, die versicherte Tätigkeit wieder aufzunehmen.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und es im wesentlichen wie folgt begründet:

Der vom Kläger benutzte Pkw sei kein Arbeitsgerät im Sinne von § 549 RVO. Infolgedessen habe die Kfz-Inspektion allein den Interessen des Klägers gedient. Eine gemischte Tätigkeit liege daher nicht vor. Der Hin- und Rückweg zur Werkstatt sei sowohl am Vormittag als auch am Nachmittag zu eigenwirtschaftlichen Zwecken erfolgt. Die Rechtsnatur dieses Weges sei nicht schon deshalb anders zu beurteilen, weil der Kläger auf dem Rückweg am Nachmittag zur Arbeitsstätte habe fahren wollen. Wenn die Rechtsauffassung des LSG, daß eine gemischte Tätigkeit vorliege, zuträfe, hätte das Berufungsgericht den Sachverhalt näher aufklären müssen.

Der Kläger hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die von der Revision als nicht genügend aufgeklärt angesehenen Umstände seien für die Entscheidung des Rechtsstreits unerheblich. Ein verantwortungsvoller Fahrer halte sein Kfz in Ordnung und gehe jedem Risiko aus dem Wege; insoweit dürfe in seine Entscheidungsfreiheit nicht eingegriffen werden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers zurückzuweisen,

hilfsweise,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

II.

Die Revision ist begründet.

Das LSG geht davon aus, der Kläger sei bei einer sogenannten gemischten Tätigkeit (vgl. BSG 3, 240) verunglückt, denn er habe seinen Pkw zwar nicht überwiegend, aber wesentlich zu betrieblichen Zwecken benutzt. Diese Erwägung des Berufungsgerichts betrifft jedoch die Frage, ob die Inspektion des Kfz, welche - wie das LSG festgestellt hat - der Grund dafür war, daß der Kläger am 21. Januar 1966 von seiner Arbeitsstätte aus zweimal den Weg nach Bad D zurückgelegt hat, als Instandhaltung eines Arbeitsgeräts (§ 549 RVO) anzusehen ist. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (BSG 24, 243) kann ein Pkw ein Arbeitsgerät im Sinne dieser Vorschrift sein. Dies setzt jedoch im Regelfall voraus, daß er seiner Zweckbestimmung nach hauptsächlich für die Tätigkeit im Unternehmen gebraucht wird. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG ist dies hier jedoch nicht der Fall. Der auf die Benutzung für betriebliche Zwecke entfallende Anteil ist im Verhältnis zur gesamten Verwendung zwar nicht unerheblich. Dies genügt aber nach der Rechtsprechung des Senats trotz des Interesses des Arbeitgebers des Klägers, daß dieser sein Fahrzeug auch für Geschäftsfahrten gebraucht und dafür vom Arbeitgeber eine Entschädigung erhält, nicht, den Pkw des Klägers als Arbeitsgerät im Sinne von § 549 RVO anzusehen (BSG 24, 243, 246; VersR 1970, 900 = KRV Leistungsrecht 1971, 26).

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Versicherungsschutz auch nicht nach § 550 Satz 1 RVO begründet. Der Kläger hat am Nachmittag des 21. Januar 1966 seinen Pkw aus der Werkstatt abgeholt, um damit nach Beendigung seiner voraussichtlich bis 20.00 Uhr dauernden Überstundentätigkeit nach Hause zu fahren. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats steht ein Beschäftigter auf einem Weg, welcher der Vorbereitung des Weges von der oder zur Arbeitsstätte dient, im allgemeinen nicht unter Versicherungsschutz (vgl. z. B. BSG 7, 255). Insbesondere ist der Senat der Auffassung entgegengetreten, daß bei Beschäftigten, welche mit dem eigenen Fahrzeug zur Arbeitsstätte zu fahren pflegten, jede zur Erhaltung der Fahrbereitschaft erforderliche Verrichtung unfallgeschützt sei (BSG 16, 77, 78; SozR Nr. 72 zu § 542 RVO aF). Einen der den Versicherungsschutz insoweit rechtfertigenden Ausnahmefälle (vgl. BSG 16, 245, 247; SozR Nr. 26 zu § 543 RVO aF) hat das LSG nicht festgestellt, der Kläger auch nicht geltend gemacht. Das Verbringen des Pkw zur Inspektion ist somit dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen.

Allein der Umstand, daß der Kläger von der Werkstatt wieder ins Geschäft gefahren ist, vermag den Versicherungsschutz nicht zu begründen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats steht ein Weg, dessen Ziel die Arbeitsstätte ist, nicht unter Versicherungsschutz nach § 550 Satz 1 RVO, wenn es sich um den Rückweg von einer Verrichtung handelt, die mit der versicherten Tätigkeit nicht innerlich zusammenhängt (BSG 1, 170, 172; 8, 53, 55; BG 1967, 115; 1969, 195). Dies ist hier der Fall gewesen.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat diese Fahrt somit durch ihre Zielrichtung nicht das rechtliche Gepräge erhalten (vgl. auch SozR Nr. 46 zu § 543 RVO aF).

Die Revision ist somit begründet. Eines Eingehens auf die von der Beklagten allein bei Billigung des vom Berufungsgerichts angenommenen Rechtsstandpunktes, daß der Kläger bei einer gemischten Tätigkeit verunglückt sei, erhobenen Verfahrensrügen bedarf es nicht.

Das angefochtene Urteil war sonach aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1670428

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