Orientierungssatz
Den Tatbestand der Ersatzzeit iS des RVO § 1251 Abs 1 Nr 1 ist auch dann erfüllt, wenn auf die Kriegsgefangenschaft nacheinander mehrere Anschlußersatzzeiten folgen, zB der Versicherte zunächst krank und unmittelbar darauf arbeitslos war (vergleiche BSG 1967-05-24 4 RJ 263/65 = BSGE 26, 274). Die Anwendung dieses Gedankens setzt jedoch voraus, daß zwischen der Primärersatzzeit - also der Kriegsgefangenschaft- und der Krankheit sowie der Arbeitslosigkeit ein ununterbrochener Zeitzusammenhang besteht. Diese zeitliche Kontinuität ist jedoch gelöst, wenn die Krankheit zugleich den Versicherungsfall in der Rentenversicherung bedingte, der Versicherte eine Zeit lang Rente bezog und infolgedessen zwischendurch weder Pflicht- noch freiwillige Beiträge wirksam entrichten konnte. Diese Zwischenzeit kann nicht als Ersatzzeit gewertet werden (vergleiche BSG 1966-11-23 11 RA 238/64 = BSGE 25, 284).
Normenkette
RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1965-06-09
Tenor
Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 31. Oktober 1968 wird aufgehoben. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 16. April 1968 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Kläger - Bezieher eines Altersruhegeldes - möchte die Zeit seiner unverschuldeten Arbeitslosigkeit von Mai 1949 bis September 1955 als Ersatzzeit angerechnet wissen.
Vor seinem Kriegsdienst war er in der Arbeiterrentenversicherung versichert. Im September 1947 wurde er aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. Danach war er zunächst infolge Krankheit arbeitsunfähig und invalide. Von April 1948 bis April 1949 wurde ihm Invalidenrente gewährt.
Bei der Berechnung seiner jetzigen Rente bewertete die Beklagte die Zeiten der Kriegsgefangenschaft und anschließenden Krankheit bis Ende März 1948 als Ersatzzeiten (§ 1251 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) sowie die Monate des Bezugs der Invalidenrente als Ausfallzeit (§ 1259 Abs. 1 Nr. 6 RVO). Die darauffolgenden Jahre der Arbeitslosigkeit ließ sie jedoch bei der Festsetzung der Rentenhöhe außer Ansatz, weil der Kläger nicht unmittelbar vorher versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei und infolgedessen in seinem Arbeitsleben keine "Unterbrechung" erfahren habe, so wie es die Regelung über Ausfallzeiten in § 1259 Abs. 1 Nr. 3 RVO voraussetze. Ersatzzeiten könnten dem Kläger für diese Jahre nicht gutgebracht werden, weil er nicht im Anschluß an seine Kriegsgefangenschaft, sondern erst nach einer Rentenbezugszeit arbeitslos geworden sei (§ 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO).
Die Klage ist im ersten Rechtszuge ohne Erfolg geblieben; das Landessozialgericht (LSG) hat ihr stattgegeben. Es hat angenommen, daß zwischen Kriegsgefangenschaft, Krankheit und Arbeitslosigkeit des Klägers ein kontinuierlicher Zeitzusammenhang bestand.
Die Beklagte hat die - vom LSG zugelassene - Revision eingelegt. Sie beantragt, das Berufungsurteil aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen. Sie meint, daß von einer Ersatzzeit wegen Arbeitslosigkeit nicht die Rede sein könne, wenn sich - wie hier - zwischen Kriegsgefangenschaft und Arbeitslosigkeit ein Zeitabschnitt geschoben habe, in dem es für den Betreffenden wegen Bezugs der Invalidenrente rechtlich unmöglich gewesen sei, Beiträge zu entrichten (vgl. BSG 25, 284).
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision der Beklagten ist begründet. Bei der Ermittlung der Rentenhöhe war die Zeit von Mai 1949 bis September 1955, in welcher der Kläger arbeitslos war, weder als Ausfallzeit noch als Ersatzzeit zu verwerten.
Eine Ausfallzeit ist nicht gegeben, weil die Arbeitslosigkeit des Klägers nicht als "Unterbrechung" (§ 1259 Abs. 1 Nr. 3 RVO) seines Arbeitslebens und Versicherungsverlaufs gewürdigt werden kann, sondern in Verbindung mit seiner vorangegangenen Kriegsgefangenschaft und Krankheit gebracht werden muß.
Der vorliegende Sachverhalt könnte eher der Vorschrift des § 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO untergeordnet und damit rechtlich als sogenannte Anschlußersatzzeit angesehen werden. Jedoch sind auch hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben. Es fehlt an dem zeitlichen Zusammenhang zwischen der Kriegsgefangenschaft des Klägers und dem durch Arbeitslosigkeit hervorgerufenen Beitragsverlust. Zwar wäre es unschädlich, daß zwischen der Kriegsgefangenschaft und der Arbeitslosigkeit die Zeit der Krankheit lag. Für die Anwendung des § 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO genügt es, daß die Anschlußersatzzeiten der Krankheit und der Arbeitslosigkeit sich lückenlos aneinanderreihten (BSG 26, 274). Im gegenwärtigen Streitfalle kommt jedoch hinzu, daß der Kläger während seines Krankseins von April 1948 bis April 1949 Invalidenrente erhielt. Für die Dauer seiner Invalidität und des Rentenbezugs hätte er weder als Pflichtversicherter noch freiwillig der Rentenversicherung angehören können. Für ihn als Rentner wäre selbst bei einer Beschäftigung der Arbeitnehmeranteil zu den Beiträgen nicht zu entrichten gewesen (Sozialversicherungsdirektive Nr. 20). Freiwillige Beiträge hätten gemäß § 1443 RVO in der bis 1956 geltenden Fassung nicht entrichtet werden dürfen. Mithin entfiel die rechtliche Möglichkeit versicherungswirksamer Beiträge überhaupt. Damit ist aber auch der etwaigen Annahme einer Ersatzzeit die Grundlage entzogen. Denn dieser Tatbestand ist nur erfüllt, wenn wegen der besonderen, im Gesetz näher umschriebenen Ersatztatsachen die Entrichtung von Beiträgen unterblieben ist. Daß das Gesetz in diesem Sinne verstanden werden muß, hat das Bundessozialgericht (BSG) aus der Bezeichnung "Ersatzzeit" und aus dem gesetzgeberischen Motiv hergeleitet, das der Regelung des § 1251 RVO zugrunde liegt (BSG SozR Nrn 8, 21 zu § 1251 RVO; BSG 25, 284). Mit dieser Interpretation hat sich das Berufungsgericht nicht auseinandergesetzt. An ihr ist festzuhalten, weil sie sich in der Rechtspraxis behauptet hat und weil dagegen durchgreifende Bedenken bislang nicht vorgebracht worden sind. Daß das Klagebegehren anders zu beurteilen wäre, wenn der Kläger seinerzeit keinen Rentenantrag gestellt und keine Invalidenrente erhalten hätte, liegt in der damaligen Rechtslage begründet, die dem Versicherungsfall zum Teil die spezifische Bedeutung genommen hatte und welche die Versicherungsfähigkeit nicht schon mit diesem Ereignis, sondern erst mit dem Rentenbezug enden ließ. Diese Besonderheit ist indessen nicht geeignet, die Auslegung der gegenwärtig geltenden Vorschrift über Ersatzzeiten maßgeblich zu beeinflussen.
Ist sonach davon auszugehen, daß der Kläger von April 1948 bis April 1949 aus Rechtsgründen keine Beitragsausfälle hätte erleiden können, dann hat die Beklagte diesen Abschnitt zutreffend auch nicht als Ersatzzeit bewertet. Damit ist zugleich die Möglichkeit entfallen, die spätere Arbeitslosigkeit und die geraume Zeit davor beendete Kriegsgefangenschaft als Glieder einer zeitlich geschlossenen Kette zu sehen. Das Merkmal der "anschließenden" Arbeitslosigkeit im Sinne des § 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO ist nicht erfüllt (ebenso BSG 25, 284, 288). Vielmehr ist der Kläger ebenso gestellt wie jeder andere Versicherte, der nach einer Zeit des Rentenbezugs nicht sogleich Arbeit gefunden hatte. Mit dem Versicherungsfall und dem darauf beruhenden Wechsel vom Versicherungsverhältnis zum Leistungsverhältnis tritt eine Zäsur ein, die es grundsätzlich nicht gestattet, zwischen einem späteren und einem davor einmal abgelaufenen Ersatz- oder Ausfallzeitgeschehen ohne weiteres eine Verbindung herzustellen. Dieser Gedanke hat auch im Gesetz seinen positiven Niederschlag gefunden. § 1259 Abs. 1 Satz 2 RVO sieht die Zusammenrechnung mehrerer unmittelbar aufeinander folgender Ausfallzeiten, zB solcher wegen Arbeitsunfähigkeit und Arbeitslosigkeit vor. Zeiten des Rentenbezugs sind in den Nrn 5 und 6 des § 1259 Abs. 1 RVO als Ausfallzeiten berücksichtigt. Solche Ausfallzeiten lassen sich aber nicht mit anderen verknüpfen; sie werden von dem Gedanken einer Verklammerung solcher Zeiten zu einer Einheit, wie er in Satz 2 des § 1259 Abs. 1 RVO ausgesprochen ist, nicht erfaßt.
Sonach erweist sich der angefochtene Bescheid der Beklagten als richtig. Das entgegenstehende Urteil des Berufungsgerichts ist daher aufzuheben und die erstinstanzliche Entscheidung wiederherzustellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen