Leitsatz (amtlich)

Der "Rückausgleich" des § 4 Abs 1, 2 VersorgAusglHärteG wirkt bei vorangegangener Übertragung von Rentenanwartschaften (§ 1587b Abs 1 BGB) ebenso wie bei deren Begründung (§ 1587b Abs 2 BGB) auf den Zeitpunkt der Durchführung des Versorgungsausgleichs zurück; § 67 Abs 1 S 1 AVG (= § 1290 Abs 1 S 1 RVO) ist auch nicht entsprechend anwendbar (Anschluß an und Ergänzung zu BSG vom 8.4.1987 - 5a RKn 6/86 = SozR 1300 § 48 Nr 36 und BSG vom 29.9.1987 - 5b RJ 70/86).

 

Normenkette

VersorgAusglHärteG § 4 Abs. 1-2; BGB § 1587b Abs. 1-2; AVG § 67 Abs. 1 S. 1; RVO § 1290 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

SG Mannheim (Entscheidung vom 26.05.1987; Aktenzeichen S 3 An 771/86)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, von welchem Zeitpunkt an die aufgrund des Versorgungsausgleichs geminderte Rente nach § 4 Abs 2 des Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich vom 21. Februar 1983 (BGBl I 105) - VAHRG - wieder ungemindert zu gewähren ist.

Der 1915 geborene Kläger bezieht seit 1975 von der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) Altersruhegeld. Seine Ehe wurde im November 1982 geschieden. Das Amtsgericht M.     (Familiengericht) übertrug durch den am 1. März 1984 rechtskräftig und wirksam gewordenen Beschluß vom 26. Januar 1984 vom Konto des Klägers bei der Beklagten auf das Konto der früheren Ehefrau (Ausgleichsberechtigte) bei der Landesversicherungsanstalt für das Saarland Rentenanwartschaften in Höhe von 683,95 DM, bezogen auf den 30. Juni 1981. Daraufhin kürzte die Beklagte durch Bescheid vom 16. Juli 1984 das Altersruhegeld des Klägers mit Wirkung vom monatlich 683,95 DM, bezogen auf den 30. Juni 1981. Daraufhin kürzte die Beklagte durch Bescheid vom 16. Juli 1984 das Altersruhegeld des Klägers mit Wirkung vom 1. Mai 1984 um die übertragene Rentenanwartschaft. Die Ausgleichsberechtigte, die bereits seit 1978 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezogen hatte, ist am 21.Mai 1985 verstorben.

Im Juni 1985 beantragte der Kläger die Neuberechnung seiner Rente nach § 4 Abs 2 VAHRG. Die Beklagte gewährte ihm durch Bescheid vom 11. September 1985 übertragenen Rentenanwartschaft gezahlten Leistungen von insgesamt 12.816,43 DM in monatlichen Teilbeträgen bis zur Höhe des bisherigen Zahlbetrages an. In den Gesamtbetrag bezog sie auch die Leistungen für März und April 1984 ein, die zwar der Ausgleichsberechtigten zugestanden hätten, jedoch mit befreiender Wirkung an den Kläger gezahlt worden seien. Der Widerspruch mit dem Antrag, die Rente rückwirkend ab dem 1. März 1984 auf die ursprüngliche Höhe festzusetzen, wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 3. März 1986).

Das Sozialgericht (SG) Mannheim hat die auf Abänderung der Bescheide und Gewährung des ungekürzten Altersruhegeldes ab dem 1. März 1984 (unter Anrechnung der der Ausgleichsberechtigten erbrachten Leistungen) gerichtete Klage durch Urteil vom 26. Mai 1987 abgewiesen: Das VAHRG selbst enthalte keine Regelung über den Beginn der nach § 4 Abs 2 aaO zu gewährenden ungekürzten Leistung. Zwar könne aus der Verweisung auf Abs 1 aaO geschlossen werden, daß der Ausgleichsverpflichtete auch in den Fällen des § 4 Abs 2 VAHRG so zu stellen sei, als habe kein Versorgungsausgleich stattgefunden; Bedenken gegen eine solche Interpretation bestünden jedoch deshalb, weil die dem Ausgleichsberechtigten gewährten Leistungen auf die sich aus Abs 1 aaO ergebende Erhöhung anzurechnen seien und eine Erhöhung begrifflich die Gewährung von zuvor niedrigen Leistungen voraussetze. Der Beginn des Anspruchs auf die ungekürzte Leistung folge aus § 67 Abs 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), wonach die Rente vom Ablauf des Monats gewähren sei, in dem ihre Voraussetzungen erfüllt sind; nach § 4 Abs 1 und 2 VAHRG setze die Härtekorrektur den Tod der Ausgleichsberechtigten voraus. Dieses Ergebnis entspreche den Vorstellungen des Gesetzgebers sowie dem Sinn und Zweck des VAHRG. Das SG hat die Revision im Tenor seines Urteils zugelassen.

Der Kläger hat gegen das ihm am 11. Juni 1987 zugestellte Urteil am 25. Juni 1987 Revision eingelegt mit dem Hinweis, die Beklagte habe im Schriftsatz vom 30. Mai 1986 an das SG Mannheim (dessen Akte am 7. Juli 1988 beim Bundessozialgericht -BSG- eingegangen ist) ihre Zustimmung erklärt. Er rügt die unrichtige Auslegung und Anwendung des § 4 VAHRG durch das SG. Bei dieser Vorschrift gehe es um keine Rentenerhöhung im eigentlichen Sinn. Da § 4 Abs 2 VAHRG auf Abs 1 aaO verweise, müsse der Ausgleichsverpflichtete, wenn aus dem erworbenen Anrecht Leistungen von nicht mehr als zwei Jahresrentenbeträgen gewährt worden seien, so gestellt werden, als habe keine Kürzung seiner Rente stattgefunden. Im übrigen gehe § 4 Abs 2 VAHRG als Sondervorschrift dem § 67 AVG vor, so daß letztere auch deshalb hier keine Anwendung finde.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts Mannheim den Bescheid der Beklagten vom 11. September 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. März 1986 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, das ungekürzte Altersruhegeld ab 1. März 1984 unter Anrechnung der der Ausgleichsberechtigten erbrachten Leistungen zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Nach ihrer Meinung läßt das VAHRG die Frage offen, von welchem Zeitpunkt an die Leistungskürzung rückgängig zu machen sei. Da aber die Härtekorrektur des § 4 Abs 1 und 2 VAHRG an den Tod des Ausgleichsberechtigten oder das Ende des Leistungsbezugs anknüpfe, müsse dieser Zeitpunkt auch für den Beginn der ungekürzten Leistung maßgebend sein. Für diese Auffassung spreche die Gesetzesentwicklung. Abweichend von einem ersten Entwurf sei im Entwurf vom 15. September 1982 (BT-Drucks 9/1981 S 40 zu § 1587e des Bürgerlichen Gesetzbuchs - BGB) aus Kostengründen die rückwirkende Aufhebung der Kürzung für Zeiten verneint worden, in denen die dafür erforderlichen Voraussetzungen noch nicht festgestanden hätten. Davon gehe auch ein Berechnungsbeispiel im Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages vom 13. Dezember 1982 aus (Hinweis auf BT-Drucks 9/2296 S 14). Das Ergebnis werde für den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung von der Rentenbeginnsvorschrift des § 67 Abs 1 Satz 1 AVG getragen; da der Tod des Ausgleichsberechtigten Anspruchsvoraussetzung sei, könne die Kürzung der Rente erst vom Folgemonat an, hier ab dem 1. Juni 1985, rückgängig gemacht werden. Im übrigen solle nach der Konzeption des Ersten Eherechts-Reformgesetzes der Versorgungsausgleich kostenneutral sein, weswegen es nicht darauf ankommen könne, inwieweit die dem Ausgleichsberechtigten aus dem Versorgungsausgleich gewährten Leistungen von der Rente des Verpflichteten bereits einbehalten worden seien. An dieser Rechtsauffassung halte sie - die Beklagte - auch fest, nachdem das BSG in zwei Urteilen (5a Senat vom 8. April 1987 - 5a RKn 6/86 = SozR 1300 § 48 Nr 36 -; 5b Senat vom 29. September 1987 -5b RJ 70/86) gegenteilig entschieden habe; denn im Gegensatz zu den Urteilsgründen seien keine Anhaltspunkte für den auf eine ex-tunc-Wirkung des Gesetzgebers gerichteten Willen ersichtlich, und die Vorschriften über den Rentenbeginn seien einschlägig, weil es sich bei der Rückgängigmachung der Rentenkürzung um eine Rentenleistung handele. Dieser Argumentation könne nicht mit dem Rundschreiben des Bundesministers des Inneren vom 3. August 1983 begegnet werden, zumal Renten- und Versorgungsrecht gerade auch hinsichtlich des Leistungsbeginns erheblich voneinander abwichen. Außerdem bestünden Unterschiede im Verfahrensrecht. Folge man der Ansicht des 5. Senats des BSG, so sei in manchen Fällen wegen des dann anwendbaren § 44 Abs 4 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB 10) die Kürzung nicht von Anfang an, sondern nur auf vier Jahre begrenzt rückgängig zu machen.

Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Sprungrevision des Klägers ist zulässig. Die Beklagte hat als "Gegner" iS von § 161 Abs 1 Satz 1 SGG schriftlich zugestimmt. Daß dies hier schon vor dem Erlaß des SG-Urteils und damit vor der Zulassung der Revision geschah, schadet nicht (BSG SozR 2200 § 121b Nr 9; BVerwGE 14, 259). Allerdings muß sich die schriftliche Zustimmung nicht (nur) auf die Zulassung, sondern - zumal in der Zustimmung zur Einlegung der Revision ein Verzicht auf die Berufung liegt (vgl § 161 Abs 5 SGG) - auf die Einlegung der Sprungrevision beziehen (BSG SozR 1500 § 161 Nrn 3, 5, 29). Dies trifft indessen auf die im Schriftsatz vom 30. Mai 1986 an das SG enthaltene Erklärung zu, denn dort heißt es: "Die Beklagte gibt schon jetzt ihre Zustimmung zur Sprungrevision; der Kläger wird im Interesse der Beschleunigung des Verfahrens gebeten, sich entsprechend zu verhalten und ebenfalls ausdrücklich seine Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision zu geben." Der Kläger hat darauf zunächst im Schriftsatz vom 3. Juli 1984 sein Einverständnis mit der Zulassung der Sprungrevision, auf Hinweis des Gerichts dann aber mit weiterem Schriftsatz vom 19. Juli 1986 auch zur Einlegung der Revision erklärt. Obwohl schon die Erklärung der Beklagten - auf die es hier ankommt - nach ihrem Gesamtwortlaut und Sinn die Revisionseinlegung mit erfaßt, wird dies vollends durch den zwischen den Prozeßbeteiligten sogar erreichten Konsens deutlich. Auch das Erfordernis, daß die Zustimmung der Revisionsschrift beizufügen ist (§ 161 Abs 1 Satz 3 SGG), hat der Kläger erfüllt. Die Rechtsprechung hat hierzu seit jeher auf den Sinn der Vorschrift abgestellt, wonach dem Revisionsgericht bis zum Ablauf der Revisionsfrist die Einwilligung des Rechtsmittelgegners nachgewiesen sein soll; sie hat es daher als ausreichend erachtet, wenn - wie vorliegend geschehen - in der Revisionsschrift auf die in den SG-Akten befindliche Urschrift der Zustimmung verwiesen worden ist und die Akten des SG vor Ablauf der Revisionsfrist beim BSG eingegangen sind (BSG SozR 1500 Nr 2 mwN; Nr 8).

Die Revision ist auch begründet. Dem Kläger steht rückwirkend ab dem 1. März 1984 (wieder) das ungekürzte Altersruhegeld zu, wobei allerdings - wie der Kläger selbst einräumt - die der Ausgleichsberechtigten erbrachten Leistungen aus dem Versorgungsausgleich anzurechnen sind.

Grundlage für den Anspruch des Klägers ist § 4 Abs 2 iVm § 1 VAHRG. Die Vorschrift regelt, unter welchen Voraussetzungen nach vorangegangenem Versorgungsausgleich im Wege der Übertragung von Rentenanwartschaften (sogenanntes Rentensplitting gemäß § 1587b Abs 1 BGB) oder der Begründung von Rentenanwartschaften (sogenanntes Quasi-Splitting bei Beamten und gleichgestellten Personen gemäß § 1587b Abs 2 BGB) ein "Rückausgleich" stattfindet: Hat der Ausgleichsberechtigte vor seinem Tod keine Leistungen aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht erworben, so wird die Versorgung des Verpflichteten (oder seiner Hinterbliebenen) nicht auf Grund des Versorgungsausgleichs gekürzt (§ 4 Abs 1 VAHRG); ist der Berechtigte gestorben und wurden oder werden aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht Leistungen gewährt, die insgesamt zwei Jahresbeträge eines auf das Ende des Leistungsbezuges berechneten Altersruhegeldes aus dem erworbenen Anrecht nicht überstiegen, so gilt Absatz 1 entsprechend, jedoch sind die gewährten Leistungen auf die sich aus Absatz 1 ergebende Erhöhung anzurechnen (§ 4 Abs 2 VAHRG).

Die Voraussetzungen des § 4 Abs 2 VAHRG sind erfüllt. Streitig ist der Beginn der ungekürzten Versorgung (Rente) des Klägers. Während SG und Beklagte die Auffassung vertreten, dies sei der Ablauf des Monats, in dem die Ausgleichsberechtigte verstorben ist, also der 1. Juni 1985, hat das BSG in den erwähnten beiden Urteilen (vom 8. April 1987 - 5a RKn 6/86 = SozR 1300 § 48 Nr 36 und vom 29. September 1987 - 5b RJ 70/86) entschieden, daß die nach § 4 Abs 2 VAHRG wieder erhöhte Rente dem Ausgleichsverpflichteten bereits ab Durchführung des Versorgungsausgleichs zusteht (zum Stand der Meinungen in Literatur und Praxis vgl Schmeiduch/Schmitz in AmtlMittLVA 1988, S 117 ff, 118 mN, ferner aaO S 195 ff; zuletzt Sander, Anm zum BSG-Urteil vom 8. April 1987 in DAngVers 1988, S 325 ff).

Der Senat folgt der bisherigen Rechtsprechung des BSG, wonach zwar § 4 Abs 1 und 2 VAHRG keine Zeitangabe enthält, ab wann die ungekürzten Leistungen zu gewähren sind, jedoch "erkennbar gemeint" ist, daß von vornherein keine Kürzung eintreten soll (SozR 1300 § 48 Nr 36 S 109), oder - wie es an anderer Stelle heißt (aaO S 110 f) -, daß bereits der Wortlaut der Vorschrift erkennen läßt, von welchem Zeitpunkt an die Abwicklung gelten soll; es sei der Wille des Gesetzes, die Rückabwicklung als von Anfang an geschehen (ex tunc) zu behandeln. Mit Recht hat das BSG in dem vorerwähnten Urteil deshalb, weil nach § 4 Abs 1 VAHRG die Versorgung des Verpflichteten auf Grund des Versorgungsausgleichs "nicht gekürzt wird", den Schluß gezogen: "also für keinen Zeitraum." Denn in der Tat wäre im Hinblick auf den so erklärten Willen des Gesetzes ein ergänzender Hinweis zu erwarten und geboten gewesen, wenn gleichwohl der sogenannte Rückausgleich nur für die Zukunft hätte wirksam sein sollen, das Gesetz also in dem Sinne solle verstanden werden, daß die Versorgung des Verpflichteten (nach dem Tod des Ausgleichsberechtigten) nicht mehr gekürzt werde.

Nun handelt es sich hier allerdings - wie in den vom BSG bereits entschiedenen Streitfällen - um einen dem Absatz 2 des § 4 VAHRG zuzuordnenden Sachverhalt, bei dem die Ausgleichsberechtigte aus dem im Versorgungsausgleich erworbenen Anrecht Leistungen unterhalb des im Gesetz angegebenen Grenzwertes erhalten hat. Da indessen in derartigen Fällen der genannten Vorschrift zufolge Absatz 1 entsprechend gilt mit der lediglich anknüpfenden Einschränkung, "jedoch" seien die gewährten Leistungen auf die sich aus Absatz 1 ergebende Erhöhung anzurechnen, kann dies nur bedeuten, daß im übrigen - also auch hinsichtlich des Beginns der ungekürzten Versorgung des Verpflichteten - keine anderen Rechtsfolgen eintreten als nach Absatz 1. Die gegenteilige Ansicht des SG, das die insoweit entsprechende Anwendung des Absatzes 1 verneint mit der Begründung, eine Erhöhung könne es begrifflich nur geben, wenn zuvor niedrige Leistungen erbracht worden sind, überzeugt nicht. Mit der "Erhöhung" wird keine Aussage getroffen, wann diese eintritt; der Begriff schließt auch nicht eine Rückwirkung auf den Zeitpunkt der früher vorgenommenen Kürzung aus. Im übrigen wird weder von der Beklagten noch, soweit ersichtlich, sonst die Auffassung vertreten, daß hinsichtlich des Beginns der ungekürzten Versorgung zwischen Absatz 1 und 2 des VAHRG zu unterscheiden sei.

Da das VAHRG auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 23. Februar 1980 - BvL 17/77 - (= BVerfGE 53, 257 = SozR 7610 § 1587 Nr 1) zurückgeht, sind den Gründen dieser Entscheidung Hinweise für die verfassungskonforme Auslegung des Gesetzes zu entnehmen. Das BVerfG hat in dem hier interessierenden Zusammenhang ausgeführt, daß die Rechtfertigung des Versorgungsausgleichs durch Art 6 Abs 1 des Grundgesetzes -GG- und Art 3 Abs 2 GG dann entfalle, wenn einerseits beim Verpflichteten eine spürbare Kürzung der Rentenansprüche erfolge, ohne daß sich andererseits der Erwerb eines selbständigen Versicherungsschutzes angemessen für den Berechtigten auswirke. In einem solchen Fall erbringe der Verpflichtete ein Opfer, das nicht mehr dem Ausgleich zwischen den geschiedenen Ehegatten diene; es komme vielmehr ausschließlich dem Rentenversicherungsträger, in der Sache der Solidargemeinschaft der Versicherten, zugute. Zur Vermeidung solcher ungerechtfertigten Härten müsse der Verpflichtete befugt sein, eine nachträgliche Korrektur zu beantragen (aaO S 302). Fälle, die nach rechtskräftigem Vollzug des Versorgungsausgleichs grundgesetzwidrig sein könnten, seien im Zusammenhang mit dem Vorversterben des ausgleichsberechtigten vor dem ausgleichsverpflichteten Ehegatten denkbar. Sie könnten dann gegeben sein, wenn die abgesplitteten Werteinheiten beim Berechtigten keine Rentenleistung ausgelöst hätten, den Verpflichteten hingegen wegen ihres Umfangs spürbar belasteten. Es sei ferner auch möglich, daß wegen der Kürze der Rentenleistungen an den ausgleichsberechtigten Ehegatten im Verhältnis zur Höhe der übertragenen Werteinheiten und unter Würdigung der Lage des überlebenden Ausgleichsverpflichteten der Versorgungsausgleich verfassungswidrige Auswirkungen haben könne.

Mit der Aufforderung an den Gesetzgeber, zur Vermeidung ungerechtfertigter Härten dem Ausgleichsverpflichteten eine Antragsberechtigung für eine "nachträgliche Korrektur" einzuräumen, dürfte es schwerlich vereinbar sein, einerseits die Korrektur nur für die Zukunft, nämlich im Sinne einer Änderung, wirksam werden zu lassen, auf der anderen Seite jedoch die dem Ausgleichsberechtigten aus der übertragenen oder begründeten Rentenanwartschaft gewährten Leistungen voll anzurechnen. Dies würde - worauf sinngemäß der Kläger zu Recht hinweist - im Ergebnis darauf hinauslaufen, daß nicht einmal ex nunc, sondern erst in einem in der Zukunft liegenden Zeitpunkt die Versorgung wieder ohne die mit dem GG unvereinbare Kürzung zu zahlen wäre. Außerdem würde die vom BVerfG für erforderlich gehaltene Härtekorrektur nur sehr unvollkommen und unverhältnismäßig vorgenommen, wenn der Ausgleichsverpflichtete schon lange Zeit eine Kürzung hat hinnehmen müssen (vgl hierzu auch Schmeiduch/Schmitz aaO S 118 f).

Soweit SG und Beklagte meinen, ihre Auffassung werde von den Vorschriften über den Rentenbeginn getragen, maßgebend sei § 67 Abs 1 Satz 1 AVG (= § 1290 Abs 1 Satz 1 Reichsversicherungsordnung - RVO), wonach die ungekürzte Rente (frühestens) vom Ablauf des Monats an gewährt werden könne, in dem der ausgleichsberechtigte frühere Ehegatte verstorben sei, nehmen sie auf eine Bestimmung Bezug, die im Rahmen des § 4 VAHRG weder unmittelbar noch sinngemäß anwendbar ist. Abgesehen davon, daß - worauf der 5a Senat des BSG (aaO S 110 f) bereits hingewiesen hat - der Tod des Ausgleichsberechtigten für den Ausgleichsverpflichteten kein die Anwendung der Vorschrift voraussetzender Versicherungsfall ist und die Vorschrift nur für die Fälle der erstmaligen Gewährung einer bestimmten Rente gilt, während es sich hier um einen "Erhöhungstatbestand" handelt (vgl § 67 Abs 3 AVG = § 1290 Abs 3 RVO), dessen analoge Anwendung aber auch die Beklagte nicht erwägt, schließt nach Ansicht des erkennenden Senats bereits die Grundkonzeption des § 4 VAHRG die entsprechende Anwendung rentenrechtlicher Beginnsvorschriften aus. Denn da § 4 VAHRG, wie sein Absatz 1 zeigt, auch die Begründung von Rentenanwartschaften gemäß § 1587b Abs 2 BGB erfaßt, sind auch Leistungen betroffen, die ein Träger der Beamtenversorgung oder beamtenähnlichen Versorgung zu erbringen hat. Der "Rückausgleich" bewirkt also insoweit eine Erhöhung der beamtenrechtlichen Versorgung, für die sich die Anwendung der Rentenbeginnsvorschriften verbietet. Wenn aber zum einen die Vorschriften über die Übertragung von Rentenanwartschaften auf die Begründung von Anwartschaften weitgehend entsprechend anzuwenden sind (vgl § 83b Abs 2 AVG = § 1304b Abs 2 RVO) und vor allem der Beginn der Kürzung der Versorgungsbezüge durch § 57 des Beamtenversorgungsgesetzes -BeamtVG- in der seit dem 1. Juli 1977 geltenden Fassung in den wesentlichen Grundzügen den vergleichbaren Rentenvorschriften entspricht (vgl zB das sogenannte Pensionisten-Privileg des § 57 Abs 1 Satz 2 BeamtVG und das Rentner-Privileg des § 83a Abs 4, Sätze 2 und 3 = § 1304a Abs 4 Sätze 2 und 3 AVG = § 1304a Abs 4 Sätze 2 und 3 RVO), so wäre es sinnwidrig und widerspräche dem Normenzweck des § 4 VAHRG, beim "Rückausgleich" ua durch Anwendung nicht vergleichbarer Vorschriften den Zeitpunkt der wieder ungekürzten Versorgung unterschiedlich festzusetzen. Auch in diesem Zusammenhang ist auf das Rundschreiben des Bundesministers des Inneren vom 3. August 1983 - D III 4-223 145/59 - hinzuweisen, wo es unter A I.1 heißt, daß dann, wenn die Voraussetzungen des § 4 Abs 1 oder 2 gegeben seien, die Kürzung nach § 57 BeamtVG "von Beginn an, also auch rückwirkend", entfalle. Dem anzustrebenden Ziel, den "Rückausgleich" des § 4 Abs 1 und 2 VAHRG hinsichtlich der in Abs 1 aaO nebeneinandergestellten Übertragung von Rentenanwartschaften (§ 1587b Abs 1 BGB) und deren Begründung (beim Beamten nach § 1587b Abs 2 BGB) auch gleichermaßen auf den Zeitpunkt der Durchführung des Versorgungsausgleichs zurückzubeziehen, vermag die Beklagte auch nicht überzeugend mit dem Einwand zu begegnen, der Versorgungsempfänger könne die Kürzung der Versorgungsbezüge jederzeit (durch Zahlung eines Kapitalbetrages an den Dienstherrn) abwenden (§58 BeamtVG), während dem Bezieher einer Rente wegen Berufs- bzw Erwerbsunfähigkeit diese Gestaltungsmöglichkeit nur mit Wirkung für den jeweils späteren Versicherungsfall offenstehe und einem Altersruhegeldempfänger völlig verwehrt sei (§ 83a Abs 6 AVG = § 1304a Abs 6 RVO). Die unterschiedliche Struktur der Versorgungsansprüche nach beamtenrechtlichen Gesichtspunkten einerseits und der Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung auf der anderen Seite machen derartige unterschiedliche Modalitäten unumgänglich. Umso beachtlicher aber ist, daß beim "Rückausgleich" hier ebenfalls beide Fallgruppen nicht nur unterschiedslos von derselben gesetzlichen Regelung erfaßt werden (§ 8 VAHRG; obwohl sich der Wortlaut "... zur Abwendung der Kürzung gezahlter Kapitalbetrag ..." an § 58 Abs 1 BeamtVG anlehnt, gilt die Vorschrift auch für die vorangegangene Beitragsentrichtung nach § 83a Abs 6 AVG), sondern vor allem auch, daß (unter Anrechnung der gewährten Leistung) der gezahlte Betrag - ungemindert - "zurückzuzahlen" ist, was im Ergebnis einer vollen Rückwirkung entspricht. Zwar sind die Voraussetzungen des § 8 VAHRG insofern enger als die des § 4 VAHRG, als hier feststehen muß, daß der Grenzbetrag des § 4 Abs 2 VAHRG nicht überschritten wird; indessen wird dies dadurch kompensiert, daß der Erstattungsbescheid nach § 8 VAHRG (nach § 45 SGB 10) praktisch nicht mehr abänderbar ist, während Bescheide über ungeminderte Rentenzahlung mit Zukunftswirkung aufgehoben werden können, wenn wegen weiterer Leistungen die Voraussetzungen des § 4 Abs 2 VAHRG nicht mehr vorliegen (vgl hierzu Schmeiduch/Schmitz aaO S 195 f).

Das von der Beklagten hauptsächlich vorgetragene Argument besteht darin, daß entgegen der Urteilsbegründung des 5. Senats keine Anhaltspunkte ersichtlich seien, die den Schluß erlaubten, der Wille des Gesetzgebers sei auf ex-tunc-Wirkung gerichtet. Indessen hat der 5a Senat (SozR 1300 § 48 Nr 36) mit den oben bereits wiedergegebenen Wendungen nur auf den Wortlaut oder den erklärten Willen des Gesetzes abgehoben. Zwar findet sich im Urteil des 5b Senats vom 15. Juli 1986 eine Formulierung darüber, was "der Gesetzgeber" erkennbar gewollt habe. Da diese Ausführungen aber lediglich referierend in indirekter Rede kurz das Urteil des 5a Senats wiedergeben, ist offenbar versehentlich anstatt "Gesetz" das Wort "Gesetzgeber" im Text erschienen.

Im übrigen spricht nach Ansicht des Senats und im Unterschied zur Auffassung der Vorinstanz und der Beklagten die Entwicklungsgeschichte zum VAHRG nicht gegen die rückwirkende Aufhebung der Rentenkürzung. Die verschiedenen Entwürfe sind schließlich in der Fassung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses des Bundestags (6. Ausschuß) vom 13. Dezember 1982 (BT-Drucks 9/2296) Gesetz geworden. Darin heißt es unter B (Lösung): "Die Auswirkungen des Versorgungsausgleichs auf die Versorgung des Verpflichteten werden rückgängig gemacht". Dementsprechend haben die Abgeordneten Erhard und Stiegler in ihrem Bericht ausgeführt, wenn die Grenzwerte nicht überschritten sind, "wird die Versorgung des Verpflichteten oder seiner Hinterbliebenen ebenfalls nicht gekürzt. Die an den Berechtigten gewährten Leistungen sind jedoch anzurechnen, allerdings nur bis zur Höhe der sonst maßgebenden Kürzung" (aaO S 14). Das im Anschluß daran gegebene Anrechnungsbeispiel, demzufolge anscheinend die Anrechnung auf die laufende Rente erfolgen soll, besagt nicht, daß sich die rückwirkende Beseitigung der Kürzung verbiete. In diesem Zusammenhang muß auch die Begründung zu § 13 Abs 2 VAHRG (wonach §§ 4 bis 10 mit Wirkung vom 1. Juli 1977 in Kraft treten) herangezogen werden. Dort heißt es unter Bezug auf das Inkrafttreten des Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts über den Versorgungsausgleich: "Auch das vorliegende Gesetz soll rückwirkend in Kraft treten, um klarzustellen, daß Nach- und Rückzahlungsansprüche (§§ 4 bis 8 des Entwurfs) auch für den zurückliegenden Zeitraum gelten" (aaO S 16).

Etwas anderes rechtfertigt sich auch nicht aus dem von der Beklagten ins Feld geführten Gesichtspunkt der grundsätzlichen Kostenneutralität des Versorgungsausgleichs. Abgesehen davon, daß ein solcher Grundsatz das durch Auslegung gefundene Ergebnis nicht in Frage zu stellen vermag (vgl hierzu SozR 2200 § 1304a Nr 10), ist in der bereits erwähnten Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses vom 13. Dezember 1982 (BT-Drucks 9/2296 S 3) zum Kostenpunkt gesagt, wegen der begrenzten Geltungsdauer des Gesetzes könne davon ausgegangen werden, daß sich anfallende Kosten in relativ engen Grenzen hielten und sie, soweit sie entstünden, nach dem Urteil des BVerfG unabweisbar seien. Es sind also gewisse Kosten in Kauf genommen worden (vgl auch Bericht des Haushaltsausschusses des Bundestags vom 13. Dezember 1982 - BT-Drucks 9/2297 -, wo die Mehrkosten als nicht quantifizierbar bezeichnet worden sind).

Der vorliegende Streitfall bietet keinen Anlaß zu untersuchen, ob - wie die Beklagte meint - nach § 44 Abs 4 für den Fall der rückwirkenden Aufhebung der Rentenkürzung die höheren Leistungen für einen Zeitraum von höchstens vier Jahren zu erbringen seien. Denn im vorliegenden Streitfall geht es um einen kürzeren Zeitraum. Unabhängig davon bestehen Bedenken, diese Vorschrift des SGB 10 auf § 4 VAHRG anzuwenden, weil sie nach ihrem Absatz 1 voraussetzt, daß bei Erlaß eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Ein Rentenkürzungsbescheid auf Grund des Versorgungsausgleichs ist aber zum Zeitpunkt seines Erlasses, auf den es zu seiner Beurteilung ankommt, weder objektiv unrichtig noch unter Zugrundelegung eines unrichtigen Sachverhalts ergangen, wenn erst auf Grund später eingetretener Umstände die Auswirkungen des Bescheides kraft Gesetzes beseitigt werden. Liegen aber die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 SGB 10 nicht vor, so kann auch Absatz 4 der Vorschrift nicht - auch nicht als Ausfluß eines allgemeinen Rechtsgedankens - herangezogen werden (vgl Urteil des Senats vom 26. Mai 1987 - 4a RJ 49/86 = BSGE 62, 10, 13 ff = SozR 2200 § 1254 Nr 7). Im übrigen ergäbe sich bei Anwendung des § 44 Abs 4 SGB 10 eine Abweichung von den Fällen der Begründung einer Rentenanwartschaft, was - wie dargelegt - kaum gerechtfertigt sein dürfte. Allenfalls kann § 4 Abs 1 und 2 VAHRG als Sondervorschrift zu § 48 SGB 10 angesehen werden; dies aber mit der Besonderheit, daß der Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse kraft ausdrücklicher Vorschrift zurückbezogen ist.

Im Hinblick auf die getroffene Entscheidung konnte der Senat unerörtert lassen, ob der angefochtene Bescheid der Beklagten hinsichtlich der im Ergebnis für die Monate März und April 1984 zurückgeforderten Überzahlung auch aus anderen Gründen rechtswidrig ist (vgl hierzu SozR 1300 § 48 Nr 36). Dem Revisionsantrag war nach alledem zu entsprechen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1653602

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