Entscheidungsstichwort (Thema)

Analoge Anwendung bürgerlich-rechtlicher Verjährungsvorschriften auf öffentlich-rechtliche Erstattungsansprüche

 

Orientierungssatz

Bei den Erstattungsansprüchen des G 131 § 72 Abs 11 handelt es sich um regelmäßig wiederkehrende Leistungen des öffentlichen Rechts, auf welche die entsprechende Anwendung des BGB § 197 geboten ist.

 

Normenkette

G131 § 72 Abs. 11; BGB § 197 Fassung: 1896-08-18, § 198 Fassung: 1896-08-18, § 201 Fassung: 1896-08-18

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 13. Februar 1974 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte - B. - aufgrund des § 72 Abs 11 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen (G 131) der Klägerin - Bundesversicherungsanstalt für Angestellte - einen Betrag von 6.140.32 DM zu erstatten hat.

Durch Bescheid vom 29. August 1956 gewährte die Klägerin der Witwe des am 3. November 1945 verstorbenen Versicherten F. F. Hinterbliebenenrente, die teilweise auf einer Nachversicherung gemäß § 72 G 131 beruht. Mit der Sammelanforderung vom 1. Dezember 1970 verlangte die Klägerin von der Beklagten die anteilige Erstattung ihrer Leistungen für die Zeit vom 1. April 1960 bis 31. Dezember 1969 in Höhe von insgesamt 20.001,46 DM. Die Beklagte überwies der Klägerin jedoch lediglich 13.861,14 DM, weil nach ihrer Meinung der Erstattungsanspruch für die Zeit vom 1. April 1960 bis 31. Dezember 1963 verjährt sei. Sie berief sich dabei auf § 197 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).

Im Klageverfahren vertrat die Klägerin die Ansicht, der Erstattungsanspruch nach § 72 Abs 11 G 131 verjähre in analoger Anwendung des § 195 BGB erst in 30 Jahren. Das Sozialgericht (SG) verpflichtete die Beklagte zur Zahlung des streitigen Restbetrages (Urteil vom 19. Dezember 1972).

Auf die Berufung der Beklagten hob das Landessozialgericht (LSG) die erstinstanzliche Entscheidung auf und wies die Klage ab. Es war der Auffassung, daß der Erstattungsanspruch des Versicherungsträgers gegen den Träger der Versorgungslast nach § 72 Abs 11 G 131 letztlich seinen Rechtsgrund in der monatlich wiederkehrenden Rentenleistung habe, die dem Versicherten oder Hinterbliebenen gewährt werde. Dies rechtfertige die entsprechende Anwendung der vierjährigen Verjährung, wie sie in § 197 BGB für die dort im einzelnen bezeichneten Ansprüche und alle anderen regelmäßig wiederkehrenden Leistungen bestimmt sei. Da der Erstattungsanspruch der Klägerin für das Jahr 1963 gemäß Nr 14 Abs 8 der zu § 72 Abs 11 G 131 erlassenen Verwaltungsvorschriften (VV) in der hier maßgeblichen Fassung vom 5. Januar 1961 (Beilage zum Bundesanzeiger Nr 9/1961) bis zum 31. März 1964 geltend zu machen gewesen sei, habe die Verjährungsfrist unter Berücksichtigung des § 201 BGB am 1. Januar 1965 begonnen und sei am 31. Dezember 1968 abgelaufen. Bei der erstmaligen Geltendmachung des Ersatzanspruches am 1. Dezember 1970 seien somit alle Leistungen für die Zeit vor dem 1. Januar 1964 verjährt gewesen. Die Beklagte habe demnach die Zahlung des für die Zeit vom 1. April 1960 bis 31. Dezember 1963 geforderten Betrages in Höhe von 6.140,32 DM verweigern können (Urteil vom 13. Februar 1974).

Die Klägerin hat die vom LSG zugelassenen Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung der auf Erstattungsforderungen aus § 72 Abs 11 G 131 anzuwendenden Verjährungsvorschriften (§§ 195, 197 BGB) durch das Berufungsgericht.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Berlin vom 19. Dezember 1972 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II

Die durch Zulassung statthafte Revision ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil des LSG läßt keinen Rechtsfehler erkennen.

Der Senat hat bereits mit Urteil vom 14. Mai 1975 - 1 RA 11/74 - entschieden, daß es sich bei den Erstattungsansprüchen des § 72 Abs 11 G 131 um regelmäßig wiederkehrende Leistungen des öffentlichen Rechts handelt, auf welche die entsprechende Anwendung des § 197 BGB geboten ist. Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Revision besteht kein Anlaß, hiervon abzuweichen.

Wie der Senat in dem genannten Urteil näher ausgeführt hat, sind die Erstattungsansprüche des § 72 Abs 11 G 131 nach den Kriterien ausgestaltet, die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (vgl SozR Nr 21 und Nr 26 zu § 144 SGG mit weiteren Nachweisen) für regelmäßig wiederkehrende Leistungen maßgeblich sind. Dies folgt insbesondere aus der auf der gesetzlichen Ermächtigung des § 72 Abs 11 Satz 2 G 131 beruhenden und damit für die beteiligten Versicherungs- und Versorgungs*-lastträger verbindlichen Regelung in Nr 14 Abs 8 der VV in der hier geltenden Fassung vom 5. Januar 1961 (GMBl 1961, 62), wonach die Träger der Rentenversicherung den ihnen zu erstattenden Anteil an Versicherungsleistungen und Verwaltungskosten für jedes Kalenderjahr bis zum Ende des dritten Monats des folgenden Kalenderjahres bei den Versorgungsdienststellen nach den Formblättern der Anlagen 6 und 7 anzufordern haben. Daraus erhellt, daß die Erstattungsansprüche sich regelmäßig zu bestimmten Terminen wiederholen. Sie weisen außerdem die gleiche Grundstruktur auf, weil sie auf den fortlaufenden Leistungen an die Versicherten beruhen.

Da von der Klägerin seit Erlaß des Bescheides vom 29. August 1956 - monatlich wiederkehrend - Rente gezahlt wird, kann im vorliegenden Fall die regelmäßige Wiederholung der Erstattungsleistungen an von vornherein festgelegten Terminen nicht zweifelhaft sein. Der Haupteinwand der Revision, daß sich die Erstattungsansprüche nach § 72 Abs 11 G 131 auch auf die Kosten für Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit (§§ 13 Abs 1, 14 Abs 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -) beziehen können und dies einmalige Leistungen seien, betrifft somit nicht hier die streitige Erstattungsforderung.

Im übrigen ist das BSG der Auffassung der Revision, bei den Kosten für Heilmaßnahmen handele es sich immer um einmalige Leistungen, in der Entscheidung vom 29. Februar 1972 - 4 RJ 237/71 (SozR Nr 29 zu § 144 SGG) gerade nicht gefolgt. Danach haftet der einem Rentenversicherungsträger obliegenden Heilbehandlung nicht der Wesenszug des Einmaligen an. Sie ist - wie das BSG in dieser Entscheidung betont - weder nach ihrer natürlichen Beschaffenheit zeitlich fixiert noch begriffsnotwendig von kurzer Dauer. Auch in jenem - hier nicht vorliegenden - Fall würde demnach der Erstattungsanspruch in der Regel auf einer wiederkehrenden Leistung des Versicherungsträgers beruhen, die für ihn charakteristisch ist. Insoweit darf nicht unbeachtet bleiben, daß Erstattungsansprüche die Kehrseite von Ansprüchen auf die entsprechenden Leistungen darstellen. Aus dieser engen Wechselbeziehung hat bereits das Reichsversicherungsamt (RVA) den Schluß gezogen, daß der Erstattungsanspruch derselben Verjährungsfrist unterliegt wie der ihm zugrunde liegende Leistungsanspruch. Dies hat auch bereits das BSG bewogen, bei Ersatzansprüchen zwischen Versicherungsträgern die vierjährige Verjährungsfrist des § 29 Abs 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) analog anzuwenden (vgl BSG in SozR Nr 21 zu § 29 RVO mit weiteren Nachweisen; vgl auch BVerwG 35, 355, 356). Die gleichen Gründe rechtfertigen es aber, worauf der erkennende Senat bereits in der Entscheidung vom 14. Mai 1975 aaO hingewiesen hat, für den Erstattungsanspruch gegen die Träger der Versorgungslast nach § 72 Abs 11 G 131 die ebenfalls vierjährige Verjährungsfrist des § 197 BGB entsprechend eingreifen zu lassen.

Unter Zugrundelegung der somit hier geltenden Verjährung "in vier Jahren" im Sinne des § 197 BGB ist die Zahlungspflicht der Beklagten bezüglich des noch streitigen Erstattungsbetrages für die Zeit bis zum 31. Dezember 1963 vom Berufungsgericht zutreffend verneint worden. Da die Klägerin nach der für die Beteiligten verbindlichen Regelung in Nr 14 Abs 8 der VV die Erstattung ihrer im Jahre 1963 erbrachten Leistungen erst innerhalb von drei Monaten des Folgejahres verlangen konnte, begann die Verjährung gemäß den §§ 198, 201 Satz 2 BGB mit dem Ablauf des Kalenderjahres 1964 am 1. Januar 1965. Die vierjährige Verjährung des § 197 BGB war somit bei der erstmaligen Geltendmachung des Anspruchs im Dezember 1970 bereits eingetreten. Die Beklagte war deshalb berechtigt, die Leistung zu verweigern (§ 222 Abs 1 BGB).

Der Revision der Klägerin muß nach alledem der Erfolg versagt bleiben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654415

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