Leitsatz (amtlich)
Hat der Versicherte bis zu diesem Tode (1966) eine sogenannte Sonderzuschußrente (ArVNG Art 2 § 36) bezogen, so ist die vor der Vollendung des 55. Lebensjahrs liegende Rentenbezugszeit in die Berechnung der Witwenrente nach RVO § 1268 Abs 2 S 1 und Abs 3 (iVm RVO § 1253 Abs 2 S 3 idF des RVÄndG) als Zurechnungszeit ohne festen Wert zu übernehmen (Anschluß an BSG 1970-11-17 1 RA 95/70 = BSGE 32, 90).
Normenkette
RVO § 1268 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1957-02-23, Abs. 3 Fassung: 1957-02-23; ArVNG Art. 2 § 36 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1253 Abs. 2 S. 3 Fassung: 1965-06-09
Tenor
Die Revisionen der Klägerin und der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. Januar 1970 werden zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist die Höhe der Witwenrente, die der Klägerin aus der Versicherung ihres im Oktober 1966 verstorbenen Ehemannes J S zusteht.
Der im Juli 1907 geborene Versicherte hatte von der Beklagten eine Invalidenrente bezogen, die auf einem am 10. Oktober 1949 eingetretenen Versicherungsfall beruhte. Die Zahlung der Rente hatte - nach Wegfall des Krankengeldes - am 22. Mai 1950 begonnen. Die Rentenumstellung nach Art. 2 §§ 31 ff des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) zum 1. Januar 1957 ergab keine Erhöhung der Rente gegenüber der für Dezember 1956 gezahlten Rente: Deshalb wurde der bisherige Rentenzahlbetrag nach Art. 2 § 36 ArVNG um den Betrag von 21 DM erhöht (Sonderzuschußrente).
Der Streit der Beteiligten geht darum, wie die vor Vollendung des 55. Lebensjahres liegende Rentenbezugszeit des Versicherten bei der Berechnung der Witwenrente nach § 1268 Abs. 2 und Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung - RVO - (i.V.m. § 1254 Abs. 2 Satz 2 und § 1253 Abs. 2 Sätze 3 bis 5 RVO) anzurechnen ist. Die Beklagte berücksichtigte 153 Monate Zurechnungszeit (November 1949 bis Juli 1962) mit einem monatlichen Wert von 2,04; diesen entnahm sie der Umstellungsrente des Versicherten gemäß § 4 der Ruhensverordnung vom 9. Juli 1957 (BGBl I 704). Das Sozialgericht (SG) hielt die Berechnungsweise der Beklagten für zutreffend. Demgegenüber war das Landessozialgericht (LSG) der Auffassung, die Rentenbezugszeit des Versicherten von Mai 1950 bis zur Vollendung des 55. Lebensjahres im Juli 1962 (147 Monate) sei als Ausfallzeit nach § 1259 Abs. 1 Nr. 5 RVO anzurechnen (Urteil vom 14. Januar 1970).
Gegen das Urteil des LSG haben beide Beteiligten die - zugelassene - Revision eingelegt. Die Beklagte will an ihrer bisherigen Berechnung festhalten, die Klägerin erstrebt die Berechnung der Hinterbliebenenrente in der Weise, daß bei der Ermittlung des Wertes der zu übernehmenden Zurechnungszeit von einer Rente ausgegangen wird, die sich errechnet hätte, wenn die Versichertenrente im Jahre 1957 durch Neuberechnung nach der neuen Rentenformel - wie eine Wanderrente mit knappschaftlichen Leistungsteilen - umgestellt worden wäre.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 14. Januar 1970 dahin zu ändern und die Beklagte entsprechend zu verpflichten.
Außerdem beantragt sie die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Außerdem beantragt sie die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
II
Die durch Zulassung statthaften Revisionen der Klägerin und der Beklagten sind nicht begründet.
Zwar kann die vor Vollendung des 55. Lebensjahres liegende Rentenbezugszeit des Versicherten bei der Berechnung der Witwenrente der Klägerin entgegen der Meinung des LSG nicht als Ausfallzeit nach § 1259 Abs. 1 Nr. 5 RVO angerechnet werden. Das LSG hat seine Entscheidung auf das Urteil des 1. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 9. Mai 1967 (BSG 26, 247) gestützt, das sich indes nur auf Versichertenrenten bezieht. Für den Fall der Feststellung einer Hinterbliebenenrente nach einer gemäß Art. 2 §§ 30, 31 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - AnVNG - (= §§ 31, 32 ArVNG) umgestellten Versichertenrente hat der 1. Senat dagegen entschieden, daß die in dieser Rente bisher angerechnete Zurechnungszeit als solche bei der nach § 45 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - (= § 1268 Abs. 2 RVO) berechneten fiktiven Versichertenrente im gleichen Umfang wie bisher zu berücksichtigen ist (Urteil vom 17.11.1970 = BSG 32,90). Dem folgt der erkennende Senat nach eigener Prüfung auch für den vorliegenden Streitfall, in dem der Versicherungsfall nach dem Inkrafttreten des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes - RVÄndG - (1.7.1965) eingetreten und § 1253 Abs. 2 Satz 3 RVO in der seit 1. Januar 1966 geltenden Fassung anzuwenden ist (Art. 5 § 10 Abs. 1 Buchst. d RVÄndG). Demzufolge kommt die Anrechnung einer Ausfallzeit i.S. von § 1259 Abs. 1 Nr. 5 RVO nicht in Betracht. Diese Vorschrift ist vielmehr nur anzuwenden, wenn eine früher gewährte Rente weggefallen und danach erneut eine Rente zu gewähren ist. Von einem Wegfall kann aber nicht gesprochen werden, wenn - wie hier - zwischen dem Ende der vom Versicherten bezogenen Rente und dem Beginn der Witwenrente bzw. der zu ihrer Festsetzung zu errechnenden fiktiven Versichertenrente (BSG 13, 251) kein Zwischenraum liegt.
Die Witwenrente der Klägerin ist nach § 1268 Abs. 2 und 3 RVO als Teilbetrag der fiktiven Versichertenrente so zu berechnen, als sei der Versicherte zum Zeitpunkt seines Todes erwerbsunfähig geworden. Dabei ist nach § 1253 Abs.2 Satz 3 RVO idF des RVÄndG eine bisher angerechnete Zurechnungszeit (§ 1260 RVO) im gleichen Umfang und mit gleichem Wert anzurechnen. Bei den nach Art. 2 §§ 31 ff ArVNG umgestellten Versichertenrenten war eine Zurechnungszeit bis zur Vollendung des 55. Lebensjahres berücksichtigt (vgl. BSG 32, 90, 92 mit weiteren Nachweisen). Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats gilt dies auch für die Versicherten, die sog. Sonderzuschußrenten i.S. von Art. 2 § 36 ArVNG bezogen haben (vgl. die Urteile des BSG vom 31.8.1967 - Az.: 12 RJ 538/62 - und vom 29.3.1968 - Az.: 12 RJ 436/64). Da somit dem Versicherten in seiner nach Art. 2 § 31 i.V.m. § 36 ArVNG umgestellten Rente die Zeit vom Rentenbeginn (Mai 1950) bis zur Vollendung des 55. Lebensjahres (Juli 1962) als Zurechnungszeit gutgebracht worden war, muß sie nach § 1253 Abs. 2 Satz 3 RVO in diesem Umfang auch bei der Hinterbliebenenrente berücksichtigt werden.
Allerdings geht § 1253 Abs. 2 RVO idF des RVÄndG von fest bewerteten beitragslosen Zeiten aus und dementsprechend verlangt Satz 3 der Vorschrift die Anrechnung einer bisherigen Zurechnungszeit nicht nur im gleichen Umfang, sondern auch "mit gleichem Wert". Einer Umstellungsrente kann indes ein fester Wert der Zurechnungszeit nicht entnommen werden. Er kann daher auch nicht in die Berechnung der Witwenrente aus einem Versicherungsfall nach dem 1. Juli 1965 übernommen werden.
Der Umstand, daß die Berechnungsanweisung des § 1253 Abs. 2 Satz 3 idF des RVÄndG in den Fällen, in denen der bisher angerechneten Zurechnungszeit kein fester Wert zugrunde lag, ins Leere geht, gebietet jedoch weder eine ausdehnende Auslegung der Vorschrift im Sinne des Klagebegehrens noch die von der Beklagten angestrebte entsprechende Anwendung des § 4 der Ruhensverordnung. Die von der Klägerin beanspruchte Berechnung unter Zugrundelegung einer zum 1. Januar 1957 nach der neuen Rentenformel berechneten Versichertenrente würde zu einer im Gesetz nicht vorgesehenen weiteren fiktiven Rentenberechnung führen und sich damit zu weit von den bestehenden rechtlichen Gegebenheiten entfernen. Gleiches gilt für die von der Beklagten vertretene entsprechende Anwendung der Ruhensverordnung. Eine solche würde vergleichbare Tatbestände zwischen der Feststellung der neuen Bezugswerte für die Anwendung der Ruhensvorschriften der §§ 1278 bis 1280 RVO nF bei der Rentenumstellung zum 1. Januar 1957 und der Ermittlung des Wertes der Zurechnungszeit i.S. des § 1253 Abs. 2 Satz 3 RVO voraussetzen. Daran fehlt es aber bereits im Hinblick auf den eng begrenzten Anwendungsbereich der Ruhensverordnung.
Mit der Rechtsauffassung des 1. Senats im Urteil vom 17. November 1970 aaO sieht auch der erkennende Senat in den Vorschriften der §§ 1268 Abs. 2 und 3, 1253 Abs. 2 Satz 3 RVO eine Regelung zur Wahrung des Besitzstandes, die verhindern soll, daß eine einmal angerechnete Zurechnungszeit bei der Berechnung der Hinterbliebenenrente wieder wegfällt. Ist bei der Versichertenrente nur eine Zurechnungszeit ohne festen Wert zugrunde gelegt worden, so beschränken sich der Sinn und der Zweck der Vorschriften darauf, der Witwe diese in der Versichertenrente ohne festen Wert berücksichtigte Zeit zu erhalten. Danach ist die Rentenbezugszeit des Versicherten bis zur Vollendung des 55. Lebensjahres als Zurechnungszeit ohne Wert anzurechnen. Sie hat damit nur Bedeutung für die Zahl der Versicherungsjahre.
Dies führt aber im vorliegenden Fall zu der gleichen Rentenhöhe, die sich nach der Berechnung entsprechend den Ausführungen des LSG (Berücksichtigung des genannten Zeitraums als Ausfallzeit) ergibt. Durch das angefochtene Urteil wurde somit der Klägerin im Ergebnis die Hinterbliebenenrente in der richtigen Höhe zugesprochen. Deshalb mußte sowohl die Revision der Klägerin, als auch die Revision der Beklagten zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen