Leitsatz (amtlich)
1. Zur echten und unechten Rückwirkung von Gesetzen. RVO § 397a Abs 2 idF des AFG § 246 ist nicht verfassungswidrig.
2. Die Pflicht zur Zahlung von Verzugszinsen nach RVO § 397a Abs 2 trifft auch Arbeitgeber, die zur Zeit des Inkrafttretens dieser Vorschrift (1969-07-01) bereits länger als 3 Monate in Verzug sind.
3. Die Zinspflicht nach RVO § 397a Abs 2 wird durch die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers nicht berührt (KO § 63 Nr 1): Zinsforderungen für Zeiten nach Konkurseröffnung werden außerhalb des Konkursverfahrens gegen den Arbeitgeber geltend gemacht.
Leitsatz (redaktionell)
Die Berechnung von Verzugszinsen nach RVO § 397a Abs 2 setzt nicht voraus, daß dem Beitragsschuldner (Arbeitgeber) eine Zahlungsaufforderung zugegangen ist.
Normenkette
RVO § 397a Abs. 2 Fassung: 1939-12-12; KO §§ 3, 6, 63 Nr. 1; GG Art. 20 Fassung: 1968-06-24; AFG § 246 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1969-06-25
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 9. März 1971 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, vom Kläger Verzugszinsen nach § 397 a Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aus rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen für eine Zeit zu erheben, während der er sich im Konkurs befunden hat.
Der Kläger schuldete der Beklagten Sozialversicherungsbeiträge aus der Zeit von November 1968 bis 10. Januar 1969 in Höhe von 17.021,78 DM. Am 10. Januar 1969 wurde über das Vermögen des Klägers das Anschlußkonkursverfahren eröffnet. Die Beklagte erhielt vom Konkursverwalter am 3. und 11. März 1970 je 8.510,89 DM. Mit Schreiben vom 18. Dezember 1969 forderte die Beklagte vom Kläger Verzugszinsen von zunächst 534,21 DM für die Zeit vom 1. Juli 1969 bis 30. November 1969 und schließlich mit Schreiben vom 12. März 1970 für die Zeit vom 1. Juli 1969 bis 11. März 1970 von insgesamt 902,12 DM zuzüglich 9,80 DM Kosten für eine Pfändungsverfügung vom 5. Februar 1970. Die Schreiben enthielten keine Rechtsmittelbelehrung. Die dagegen eingelegten Widersprüche wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 10. Juli 1970).
Das Sozialgericht (SG) hat den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 10. Juli 1970 "samt der durch ihn bestätigten Zinsforderung aufgehoben" (Urteil vom 6. Januar 1971). Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat die Revision zugelassen (Urteil vom 9. März 1971). Gegen dieses Urteil hat der Kläger Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung des § 397 a Abs. 2 RVO und des § 6 der Konkursordnung (KO). Der Kläger begründet seine Revision damit, § 397 a RVO idF des Arbeitsförderungsgesetzes vom 25. Juni 1969 sei auf seinen Fall weder mit der Argumentation der ersten noch der zweiten Instanz anzuwenden. Es gehe nicht um eine unechte Rückwirkung. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) habe eine unechte Rückwirkung nur dort angenommen, wo der Gesetzgeber auf gegenwärtige, noch in der Abwicklung befindliche Sachverhalte einwirke. Diese unechte Rückwirkung enthalte kein eigentliches Rückwirkungsproblem, sondern sei rechtsstaatlich unbedenklich. Die Beitragsforderung sei aber bereits vor dem Inkrafttreten des § 397 a RVO entstanden. Sicherlich habe sie Nachwirkungen. Es sei aber unzulässig, sie mit einem Dauerschuldverhältnis gleichzusetzen. Es handele sich hier nur um einen einmaligen Vorgang, also um einen Sachverhalt, der der Vergangenheit angehöre. Auch die Argumentation des Erstrichters sei unzutreffend. Die Vorschrift des § 397 a Abs. 2 RVO habe am Anfang nur solche Schuldverhältnisse erfassen können, die am 1. Juli 1969 entstanden seien. Säumniszuschläge hätten demgemäß erst nach dem 1. Oktober 1969 erhoben werden können. Hilfsweise möchte sich die Revision die Ansicht des Erstrichters über das Vertretenmüssen zu eigen machen. Verzugszinsen könnten bei öffentlich-rechtlichen Forderungen ohnehin nur erhoben werden, wenn dies gesetzlich angeordnet sei, so daß das Verfügungsverbot des § 6 KO - anders als im bürgerlichen Recht - absolut zu beachten sei. Es müßten hier die Grundsätze über den fehlerhaften Verwaltungsakt Anwendung finden, wonach das Verwaltungshandeln seine Schranke an dem rechtlichen Unvermögen des Klägers finden müsse.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 9. März 1971 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 6. Januar 1971 zurückzuweisen.
Die Beklagte und die Beigeladenen beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen.
Zu Recht hat das Berufungsgericht der Beklagten für die während der Zeit vom 1. Juli 1969 bis 11. März 1970 vom Kläger geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge aus den Monaten November/Dezember 1968 und Januar 1969 Verzugszinsen gemäß § 397 a Abs. 2 RVO zuerkannt. Nach dieser Vorschrift hat die Krankenkasse von Arbeitgebern, "die mit der Zahlung der Beiträge länger als drei Monate in Verzug sind", Zinsen zu erheben. Diese Voraussetzungen sind vom Inkrafttreten der Vorschrift am 1. Juli 1969 an (§§ 246 Abs. 1 Nr. 2, 251 Arbeitsförderungsgesetz - AFG -, BGBl I 1969, 582, 627 f) erfüllt. Der Kläger war am 1. Juli 1969 länger als drei Monate in Verzug. Da öffentlich-rechtliche Vorschriften zum Beitragsverzug fehlen, ist auf die bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen der §§ 284 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zurückzugreifen. Zutreffend hat das LSG den Schuldnerverzug des Klägers aus § 284 Abs. 2 Satz 1 BGB hergeleitet. Danach kommt der Schuldner ohne Mahnung in Verzug, wenn für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist und er nicht zu der bestimmten Zeit leistet. Der Kläger hatte die geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge gemäß §§ 393, 1400 RVO 122 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG), 179 AFG in Verbindung mit § 30 der Satzung der Beklagten vom 26. Januar 1955 in der Fassung des 10. Nachtrags vom 28. Dezember 1966 bis zum fünften Tage des dem Beitragsmonat folgenden Monats zu entrichten. Daher befand er sich mit der Erfüllung der gesamten Beitragsforderungen mit Ablauf des 5. Februar 1969 - am 1. Juli 1969 also länger als 3 Monate - in Verzug, so daß er von diesem Tage an Verzugszinsen für die geschuldeten Beiträge zu zahlen hat.
Die Revision möchte dieses Ergebnis nicht hinnehmen. Indes sind ihre Einwände nicht stichhaltig.
In erster Reihe stellt die Revision in Abrede, daß § 397 a Abs. 2 RVO überhaupt anzuwenden sei, indem sie die Vorschrift für vor ihrem Inkrafttreten bereits entstandene Beitragsforderungen nicht gelten lassen will, weil ihr sonst eine verfassungswidrige Rückwirkung beigemessen werde. Sie verkennt damit das Wesen der Rückwirkung von Gesetzen.
Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist es "wegen Verstoßes gegen das im Rechtsstaatsprinzip enthaltene Gebot der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes regelmäßig verfassungswidrig", wenn belastende Gesetze in "schon abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreifen und dadurch echte Rückwirkungen entfalten" (so BVerfG Beschluß v. 23.3.1971, DVBl 1971, 654, BVerfGE 11, 139, 145 f; 13, 261, 271; 14, 288, 297; 18, 135, 142; 22, 241, 248; 27, 375, 385; BSG 24, 285, 288). Im Unterschied zu einer solchen "echten" Rückwirkung handelt es sich bei der Anwendung des § 397 a RVO hier - wie das LSG richtig erkannt hat - jedoch nur um einen Fall der sog. "unechten" Rückwirkung, bei der nach der Rechtsprechung des BVerfG eine Norm "zwar nicht auf vergangene, aber auch nicht nur auf zukünftige, sondern auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt" und dadurch die betroffene Rechtsposition nachträglich verschlechtert (BVerfG DVBl 1971, 654, DÖV 1971, 604; BVerfGE 11, 139, 146; 14, 288, 297; 15, 313, 324; 22, 241, 248; 25, 142, 154; 25, 269, 290; BSG 24, 285, 288). So ist es hier. Zwar sind die Beitragsforderungen und der Schuldnerverzug bereits vor dem Inkrafttreten des § 397 a Abs. 2 RVO, von diesem Zeitpunkt aus gesehen also in der Vergangenheit, entstanden. Das rechtfertigt aber nicht den von der Revision gezogenen Schluß, damit sei der die Zinspflicht begründende Sachverhalt in der Vergangenheit abgeschlossen. Wenn § 397 a Abs. 2 RVO als Tatbestandsmerkmal eine Beitragsforderung und den Schuldnerverzug fordert, bedeutet dies nicht, daß die Vorschrift ihre Entstehung mit der Zinspflicht belegt. Vielmehr knüpft die Vorschrift an den Fortbestand dieser Voraussetzungen über mehr als drei Monate an. Der rechtlich bedeutsame Sachverhalt liegt nicht in der Entstehung von Forderung und Verzug als solchen, sondern in dem mangels Erfüllung der Forderung vorhandenen Zinsschuldverhältnis (vgl. auch RGZ 46, 74; Staudinger, Komm. z. BGB, 10. Aufl., Art. 170 EGBGB, RdNr. 18). Hier war das Schuldverhältnis zwar schon vor dem 1. Juli 1969 begründet, es war aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgewickelt. In diese Rechtsbeziehungen zwischen dem Kläger und der Beklagten greift § 397 a Abs. 2 RVO mit seinem Inkrafttreten am 1. Juli 1969 ein und verändert die Rechtslage des Klägers - mangels einer anderslautenden Übergangsregelung von diesem Tage an - zu dessen Nachteil.
Verfassungsrechtliche Hinderungen stehen dem nicht entgegen. Allerdings sind auch der "unechten" Rückwirkung eines Gesetzes Grenzen gesetzt, die sich aus dem Gebot der Rechtssicherheit und des daraus folgenden Vertrauensschutzes ergeben. Während die "echte" Rückwirkung - von Ausnahmen abgesehen - nur dann nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG zulässig ist, wenn zwingende, dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnete Gründe des gemeinen Wohls sie rechtfertigen (so BVerfG DÖV 1971, 604; BVerfGE 13, 261, 271 f), ist bei einem Gesetz mit "unechter" Rückwirkung "das Vertrauen des Einzelnen auf den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung mit der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit abzuwägen. Nur wenn eine solche Abwägung ergibt, daß das Vertrauen auf die Sicherheit der bestehenden Lage den Vorrang verdient, erweist sich die Rückwirkung als unzulässig" (so BVerfG DÖV 1971, 604; vgl. BVerfGE 13, 274, 278). Ergibt diese Abwägung unter Berücksichtigung des Ausmaßes des Vertrauensschadens dagegen, daß der Einzelne für sein Vertrauen "auf den Fortbestand einer bestimmten gesetzlichen Regelung eine Rücksichtnahme durch den Gesetzgeber billigerweise nicht beanspruchen kann", ist die "unechte" Rückwirkung eines Gesetzes verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfGE 24, 220, 230; 14, 288, 300; BSG 24, 285, 288). Letzteres trifft hier zu:
Die am 1. Juli 1969 in Kraft getretene Vorschrift des § 397 a Abs. 2 RVO dient, wie § 397 a RVO insgesamt, zunächst dem Zweck, der Säumnis bei der Erfüllung von Beitragspflichten entgegenzuwirken. Der nach § 397 a Abs. 1 RVO mögliche Säumniszuschlag in Höhe von zwei Prozent der rückständigen Beiträge kann nur einmal erhoben werden und wird ergänzt durch die nach § 397 a Abs. 2 RVO dem Arbeitgeber aufzuerlegende Zinslast (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 18. Nachtrag, Seite 372 h). Weiterhin wird mit der Vorschrift die Möglichkeit, daß säumige Arbeitgeber aus zurückgehaltenen Beiträgen Zinsgewinne erzielen, zeitlich begrenzt und ein Zinsverlust der Versicherungsträger nach 3 Monaten Schuldverzug ausgeglichen. Gegenüber dem sachlich gerechtfertigten gesetzgeberischen Anliegen, auf den Eingang der von den Versicherungsträgern zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigten Beiträge hinzuwirken und zu verhindern, daß einzelne Arbeitgeber auf Kosten der Versichertengemeinschaft Vorteile genießen, verdient das Vertrauen eines säumigen Beitragsschuldners - wie hier des Klägers - auf den Fortbestand der Zinsfreiheit keinen Vorrang. Ein vorrangiger Vertrauensschutz etwa deswegen, weil die von der Vorschrift Betroffenen im Hinblick auf die bisherige Rechtslage Dispositionen getroffen haben, scheidet aus. Wenn ein Schuldner wegen der bisherigen Zinsfreiheit bewußt Beiträge zurückgehalten haben sollte, wäre dies eine pflichtwidrige Ausnutzung der Rechtslage und sein Vertrauen darauf, daß die günstigen Folgen des pflichtwidrigen Tuns in der Zukunft unverändert bleiben, wäre nicht schutzwürdig (vgl. BVerfGE 27, 231, 239). Soweit die Beitragszahlung aus anderen Gründen unterblieb, etwa weil der an sich zahlungspflichtige Schuldner sie aus Nachlässigkeit oder wirtschaftlichen Gründen nicht leistete, kann sein Vertrauen auf eine künftige Zinsfreiheit eine Rücksichtnahme durch den Gesetzgeber ebenfalls billigerweise nicht beanspruchen, weil ihr Wegfall keine Änderung darstellt, mit der die Betroffenen nicht rechnen konnten (vgl. BVerfGE 27, 231, 238; 14, 288, 297 f mit weiteren Nachweisen). Ein Vertrauensschutz dahin, daß zunächst vorhandene gesetzliche Möglichkeiten zu Lasten anderer Vorteile zu genießen, in der Zukunft weiterbestehen werden, ist sachlich nicht gerechtfertigt. Vielmehr muß der Staatsbürger in solchen Fällen damit rechnen, daß der Gesetzgeber die Rechtslage ändert. Für die Verzinsung der Sozialversicherungsbeiträge gilt das um so mehr, als sie nach § 1400 Abs. 3 RVO und § 122 Abs. 3 AVG in der Rentenversicherung bereits vor dem 1. Juli 1969 möglich war. Diese Möglichkeit nutzten die Krankenkassen im allgemeinen nur deshalb nicht, weil die Sozialversicherungsbeiträge aus allen Versicherungszweigen in einem Betrage bei ihnen als Einzugsstelle eingehen und nicht getrennt verbucht werden (vgl. Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 21.2.1959 - IV b 2 - 4351 - 6350/58, DOK 1959, 154). Die darauf beruhenden praktischen Schwierigkeiten sind durch die Änderung des § 397 a in Verbindung mit §§ 1400 RVO, 122 AVG, 169 in der Fassung des § 246 AFG (BGBl 1969, Seite 582, 627) zum 1. Juli 1969 beseitigt worden. Zudem trifft die Zinspflicht aus § 397 a Abs. 2 RVO keineswegs jeden Beitragsschuldner, vielmehr nur denjenigen, der seine Schuld nicht pflichtgemäß begleicht.
Soweit die Revision meint, eine Verzinsung der Beitragsschuld könne allenfalls zum 1. Oktober 1969 nach dreimonatigem Verzug seit Inkrafttreten des § 397 a Abs. 2 RVO am 1. Juli 1969 einsetzen, kann ihr auch nicht gefolgt werden. Hierbei handelt es sich nicht um eine Frage, die in Zusammenhang mit der "unechten" Rückwirkung der Vorschrift steht. Welche Sachverhalte § 397 a Abs. 2 RVO von wann an erfaßt, ist dem Tatbestand der Bestimmung selbst zu entnehmen. Nach deren Wortlaut sind zinspflichtig Arbeitgeber, die "länger als drei Monate in Verzug sind". Wenn das - wie hier - beim Inkrafttreten der Vorschrift am 1. Juli 1969 der Fall gewesen ist, mußte die Zinspflicht mit diesem Tage beginnen.
Der Ansicht der Revision, der Verzinsung der Beitragsforderung stehe entgegen, daß am 10. Januar 1969 über das Vermögen des Klägers das Konkursverfahren eröffnet worden ist, kann ebenfalls nicht beigepflichtet werden.
Für die rechtliche Beurteilung ist hier zu unterscheiden zwischen den Beitragsforderungen für die Monate November und Dezember 1968, für die der Schuldnerverzug bereits vor Konkurseröffnung eingetreten war, und der Beitragsforderung für den Monat Januar 1969, mit der der Schuldner erst mit Ablauf des 5. Februar, also nach Eröffnung und während der Laufzeit des Konkurses, in Verzug geriet.
Verzugszinsen wegen der Beitragsforderungen aus November und Dezember 1968 wären dann nicht zu erheben, wenn der insoweit bereits eingetretene Schuldnerverzug des Klägers mit der Konkurseröffnung weggefallen wäre. Die KO bestimmt dies nicht, insbesondere nicht, wie das LSG richtig erkannt hat, § 63 Nr. 1 KO. Nach dieser Vorschrift können seit der Eröffnung des Konkursverfahrens laufende Zinsen im Verfahren nicht geltend gemacht werden. Damit ist nicht ausgeschlossen, daß Zinsforderungen entstehen können, sondern es ist nur bestimmt, daß sie keine Konkursforderungen sind. Das gilt auch für Verzugszinsen (Böhle-Stamschräder, Konkursordnung, 10. Aufl., § 63 Anm. 2; OLG Hamburg, MDR 1959, 221 f; OLG Düsseldorf, MDR 1969, 759 mit weiteren Nachweisen; vgl. Heinzel, Verzugszinsen nach § 397 a Abs. 2 RVO im Konkursfall, Die Beiträge 1971, 161 ff; aA Jaeger-Lent, Konkursordnung, 8. Aufl., § 63 RdNr. 2). Nach allgemeinen Regeln endet der Schuldnerverzug außer durch - hier fehlende - Leistungsbewirkung (§ 362 BGB), wenn die Leistung nicht mehr nachholbar und deshalb unmöglich wird (vgl. § 275 BGB), wenn der Gläubiger in Annahmeverzug gerät (vgl. § 293 BGB) oder darauf verzichtet, die Rechtsfolgen des Verzuges geltend zu machen (Esser, Schuldrecht, 4. Aufl. Band I, Seite 347; Fikentscher, Schuldrecht, 3. Aufl., Seiten 189, 212; Nastelski in BGB-RGRK, 11. Aufl., § 284 Anm. 33; Soergel-Siebert-Schmidt, Kommentar zum BGB, 10. Aufl., § 284 RdNr. 11). Die Eröffnung des Konkurses erfüllt keine dieser Voraussetzungen für die Beendigung des Schuldnerverzuges (vgl. Staudinger, Komm. z. BGB, 10./11. Aufl., § 284 RdNr. 43).
Der Verzug endet nicht wegen Unmöglichkeit der Leistung. Zwar verliert der Schuldner mit der Eröffnung des Konkurses gemäß § 6 KO die Befugnis, Forderungen aus seinem zur Konkursmasse gehörigen Vermögen zu erfüllen. Die Konkursgläubiger - hier die Beklagte - können Befriedigung nur noch im Rahmen des gesetzlichen Verteilungsverfahrens verlangen (§§ 12, 149 ff KO). Ob diese Beschränkungen durch das Konkursverfahren ein Leistungshindernis abgeben, das der rechtlichen Unmöglichkeit zur Leistung aus einem gesetzlichen Zahlungsverbot vergleichbar ist (OLG Düsseldorf, MDR 1969, 759), kann dahinstehen; denn sie wirken grundsätzlich nur vorübergehend für die Laufzeit des Verfahrens. Nach der Aufhebung des Konkursverfahrens (§ 163 KO) können die nicht befriedigten Forderungen wieder unbeschränkt gegen den Schuldner geltend gemacht werden (§ 164 KO). Vorübergehende Leistungshindernisse stehen rechtlich nur unter besonderen Voraussetzungen der (endgültigen) Unmöglichkeit gleich, insbesondere, wenn die verspätete Leistung den Zweck, für den sie bestimmt war, nicht mehr erfüllen kann oder ihre Annahme dem Gläubiger aus anderen Gründen nicht mehr zumutbar ist (vgl. Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Allgemeiner Teil, 10. Aufl., Seite 224 f, Nastelski, aaO, § 275, Anm. 25). Eine solche besondere Sachlage fehlt, wenn es sich um Geldforderungen gegen einen im Konkurs befindlichen Schuldner handelt.
In der Teilnahme am Konkursverfahren liegt kein den Schuldnerverzug beseitigender Verzicht der Gläubiger auf die Rechte aus dem Verzug, weil es dazu gesonderter rechtsgeschäftlicher Erklärungen der Gläubiger bedürfte. Eine der Erfüllung der Forderung oder dem Gläubigerverzug gleichstehende Rechtslage schaffen die Konkurseröffnung oder der Beitritt zum Verfahren ebenfalls nicht, vielmehr stellen sie nur den Beginn des Befriedigungsverfahrens dar, dessen Ausgang zudem nicht gewiß ist (vgl. OLG Hamburg, MDR 1959, 221, 222). Schon deswegen kann aus der Tatsache, daß mit der Konkurseröffnung ein gesetzliches Befriedigungsverfahren beginnt, nicht geschlossen werden, die daran teilnehmenden Gläubiger hätten den damit verbundenen Erfüllungsaufschub folgenlos hinzunehmen (so aber Jaeger-Lent, aaO, § 63, Anm. 2). Darüber hinaus würde ein solches Ergebnis dem Rechtsgedanken des § 287 BGB widersprechen: Wenn der in Verzug befindliche Schuldner für die durch Zufall eintretende dauernde Unmöglichkeit verantwortlich ist, so muß er auch für - z. B. während des Konkurses-zeitweilig vorhandene Leistungshindernisse einstehen, ohne sich auf das nachträgliche Eintreten eines Entschuldigungsgrundes berufen zu können (vgl. BGH LM Nr. 3 zu § 286 Blatt 2 aE BGB = MDR 1955, 462, 463 aE).
Mit der Erfüllung der Beitragsforderung aus dem Monat Januar 1969 war der Kläger bei Konkurseröffnung am 10. Januar 1969 noch nicht in Verzug; diese Rechtsfolge trat aber gemäß § 284 Abs. 2 Satz 1 BGB mit Ablauf des 5. Februars 1969 trotz des Konkursverfahrens ein. Abweichend von der Regel des § 284 BGB kommt ein Schuldner nach § 285 BGB nur dann nicht in Verzug, wenn und solange die Leistung infolge eines Umstandes unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat. Der Konkurs stellt einen solchen Umstand nicht dar. Bei Geldschulden hat der Schuldner, solange die Leistung aus der Gattung Geld möglich ist, sein Unvermögen auch dann zu vertreten, wenn ihn kein Verschulden trifft (§ 279 BGB). Für seine Zahlungsunfähigkeit hat er stets einzustehen.
Dies gilt auch nach der Konkurseröffnung. Sie setzt gerade voraus, daß der Schuldner zahlungsunfähig ist (§ 102 Abs. 1 KO). und ist damit Ausdruck und rechtliche Ausformung der vom Schuldner zu vertretenden Tatsache, daß er nicht zahlen kann (OLG Hamburg, MDR 1959, 221, 222). Zwar treten während des Konkursverfahrens zur tatsächlichen Zahlungsunfähigkeit des Schuldners die sich aus §§ 6, 12, 149 ff KO ergebenden rechtlichen Beschränkungen als weitere Hindernisse für die Begleichung der Schuld durch ihn und die Geltendmachung der Forderung gegen ihn hinzu. Das rechtfertigt aber nicht, den Gemeinschuldner abweichend von der Regel des § 279 BGB von einem während des Konkurses eintretenden Verzug freizustellen. Die Bestimmungen der §§ 6, 12, 149 ff KO dienen der Verteilung des Vermögens auf die Konkursgläubiger und nicht dem Schutz des Gemeinschuldners. Wenn die Gläubiger wegen der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners auf das Konkursverfahren angewiesen sind, so wäre es widersprüchlich und unbillig, den Gemeinschuldner aus diesem Grunde zu ihrem Nachteil besser zu stellen als einen anderen Schuldner (OLG Düsseldorf, MDR 1969, 759, 760).
Entgegen der Auffassung der Revision und des SG verstößt es also nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), wenn die Beklagte Verzugszinsen aus § 397 a Abs. 2 RVO geltend macht. Vom Kläger wird auch nicht etwas rechtlich Unmögliches verlangt. Die Beklagte hat Verzugszinsen geltend gemacht. Die Verzugszinsen zu begleichen war der Kläger rechtlich nicht gehindert. Der Konkurs ergreift sie nicht nach § 63 Nr. 1 KO. Sie können gegen den Gemeinschuldner persönlich durchgesetzt werden (Böhle-Stamschräder, aaO, § 63 Anm. 1, mit Nachweisen; vgl. BGHZ 25, 395, 397). Er kann sie aus seinem konkursfreien Vermögen, etwa aus Arbeitsverdienst begleichen.
Das LSG hat als Letztes ausgesprochen, daß der Kläger verpflichtet ist, die notwendigen Pfändungskosten zu tragen. Auch insoweit hat es richtig entschieden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
BSGE, 78 |
NJW 1973, 774 |
MDR 1973, 345 |