Orientierungssatz

Das "Postuniversitäre Programm" des Europäischen Instituts für Unternehmensführung - INSEAD - in Fontainebleau bei Paris (INSEAD-Programm) stellt mangels ausreichender Zugangsvoraussetzungen insgesamt keine Bildungsmaßnahme dar, deren Besuch nach AFG § 41 Abs 1 förderungsfähig ist.

 

Normenkette

AFG § 41 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 3. Juni 1975 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Förderung seiner Teilnahme am "Postuniversitären Programm" des Europäischen Instituts für Unternehmensführung - INSEAD - in Fontainebleau bei P (INSEAD-Programm).

Der 1944 geborene Kläger hat Betriebswirtschaft studiert und die Diplomprüfung für Kaufleute abgelegt. Danach war er mehrere Jahre im Ausland tätig. Vom 13. Februar bis 31. Juli 1973 bezog er Arbeitslosenhilfe (Alhi). Vom 3. August 1973 bis 19. Juni 1974 nahm der Kläger am INSEAD-Programm teil, erwarb das Abgangsdiplom und wurde anschließend als Unternehmensberater im Angestelltenverhältnis in F tätig. Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) bietet das INSEAD-Programm eine einjährige Ausbildung in internationaler Unternehmensführung und wendet sich an Teilnehmer im Alter zwischen 24 und 30 Jahren, die am Anfang ihrer Managementlaufbahn stehen, in der Regel einen akademischen Grad und eine gewisse Berufserfahrung in einem bestimmten Fachgebiet besitzen, das zumeist im Zusammenhang mit ihrem Universitätsstudium steht. Die Ausbildung dient der Vorbereitung auf die vielseitigen Anforderungen einer Führungsposition in der Wirtschaft. Die Teilnehmer des INSEAD-Programms werden jeweils durch ein Zulassungsverfahren bestimmt. Regelzulassungsbedingung ist u. a. neben einer ein- bis zweijährigen Berufserfahrung ein abgeschlossenes Hochschulstudium. Ausgenommen sind hiervon nur Bewerber, die eine Berufserfahrung von mehr als fünf Jahren besitzen und zuletzt in einer leitenden Position tätig waren.

Den Antrag des Klägers vom 1. August 1973 auf Förderung seiner Teilnahme an dem INSEAD-Lehrgang lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 7. Dezember 1973 mit der Begründung ab, daß sie die Teilnahme an Maßnahmen außerhalb des Geltungsbereichs des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) nur fördern könne, wenn dafür innerhalb des Geltungsbereichs des Gesetzes kein den arbeitsmarktpolitischen Bedürfnissen entsprechendes berufliches Bildungsangebot vorliege. Im Inland sei aber ein entsprechendes Bildungsangebot vorhanden (z. B. Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft in Bad H Kolleg für Unternehmensführung an der Akademie M in M, Fachhochschule für Verfahrenstechnik in H). Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 1974; Urteil des Sozialgerichts - SG - Osnabrück vom 4. September 1974). Im Verfahren über die Berufung des Klägers berief sich die Beklagte auf ein in einer Parallelsache verkündetes Urteil des LSG (Urteil vom 29. Oktober 1974 - L 7 Ar 19/74 -). Abschriften des erwähnten Urteils wurden dem Kläger durch Verfügungen des LSG vom 20. Januar bzw. 24. Februar 1975 zur Kenntnis und Stellungnahme übersandt.

Durch Urteil vom 3. Juni 1975 hat das LSG die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es hat zur Begründung im wesentlichen ausgeführt: Der Anspruch des Klägers scheitere an der Regelung des § 6 Abs. 5 der Anordnung des Verwaltungsrates der BA über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung vom 9. September 1971 (ANBA S. 797 - AFuU 1971). Der dort bestimmte Vorrang inländischer Bildungsveranstaltungen stehe im Einklang mit höherrangigem Recht. Was das Recht der Europäischen Gemeinschaft betreffe, so bestimme dies lediglich, daß Staatsangehörige der Mitgliedstaaten beim Besuch inländischer Bildungseinrichtungen nicht benachteiligt werden dürften. Die Teilnahme an Fortbildungsmaßnahmen außerhalb des Geltungsbereichs des AFG werde in diesem Recht nicht geregelt. Die Beklagte sei aber zu einer entsprechenden Regelung gemäß § 39 AFG ermächtigt gewesen. Die Bestimmung des § 6 Abs. 5 AFuU 1971 führe zwar dazu, daß sich bedürftige Fortbildungswillige gegebenenfalls mit dem schlechteren inländischen Bildungsangebot zufrieden geben müßten, während finanziell Bessergestellte das gute oder sehr gute ausländische Bildungsangebot in Anspruch nehmen und sich damit einen Wettbewerbsvorteil im beruflichen Aufstieg verschaffen könnten. Diese Auswirkung stehe aber der Zielsetzung der Fortbildungsförderung des AFG nicht dermaßen entgegen, daß daraus die Rechtsunwirksamkeit der Anordnung folgte.

Ein Bildungsangebot im Geltungsbereich des AFG entspreche arbeitsmarktpolitischen Bedürfnissen, wenn es ausreiche, das Bildungsziel zu erreichen. Das sei hier der Fall. Für die Frage, ob ein ausreichendes inländisches Bildungsangebot im Sinne des § 6 Abs. 5 AFuU 1971 vorhanden ist, komme es nämlich nicht auf einen qualitativen Vergleich der Bildungsangebote oder darauf an, welches Bildungsangebot schneller zu dem erstrebten Berufsaufstieg führe, sondern allein auf die Geeignetheit des inländischen Angebots, das Bildungsziel zu erreichen. Für den Aufstieg von Akademikern in Führungspositionen der Wirtschaft müsse bei der Beurteilung dieser Frage zwischen zwei Bildungsgängen unterschieden werden. Der erste Weg führe nach Abschluß des Studiums über praktische Berufserfahrung - unterbrochen durch kurzfristige Unternehmerseminare oder ähnliche Fortbildungslehrgänge - zum Top-Management. Bei dem anderen Weg werde diese längere Zeit der Berufserfahrung weitgehend durch eine praxisnahe, aber doch in Unterrichtsform gebotene Fortbildung - wie z. B. beim INSEAD - wesentlich verkürzt. Nach dem zum Gegenstand des Verfahrens gewordenen Ergebnis der Beweisaufnahme in dem parallelen Rechtsstreit liege ein ausreichendes Bildungsangebot im Inland zwar nicht bezüglich des zweiten Zugangsweges zum Top-Management (überwiegend Unterricht - geringe Berufserfahrung), wohl aber bezüglich des ersten Zugangsweges (größere Berufserfahrung - kürzere Ausbildung durch Unterricht) vor. Daß insoweit dem inländischen Unterrichtsangebot die internationale Ausrichtung fehle, sei unbeachtlich, weil die nicht vermittelten Kenntnisse während der beruflichen Bewährung, z. B. bei einer vorübergehenden Verwendung im Ausland, erworben werden könnten. Ferner habe die Beweisaufnahme nicht ergeben, daß Industrie und Handel den zweitgenannten Bildungsweg (geringe Berufserfahrung - längerer international ausgerichteter Unterricht) als unerläßlich ansehen und nur so ausgebildete Führungskräfte zum Top-Management aufsteigen lassen würden. Das gelte gleichermaßen für multinationale Unternehmen.

Der Hilfsantrag des Klägers, ihm Leistungen zumindest in Höhe der Ausbildungskosten für den Besuch der Akademie in M zu bewilligen, sei schon deshalb unbegründet, weil nach § 41 Abs. 1 AFG nur die Teilnahme an einer Maßnahme gefördert werden könne, der Kläger jedoch die vorbezeichnete Akademie nicht besucht habe.

Für seinen weiteren Antrag, die Beklagte zu verpflichten, ihm nach der Rechtsauffassung des Gerichts einen neuen Bescheid zu erteilen, sei deshalb kein Raum, weil die Bestimmungen der §§ 41 AFG, 6 Abs. 5 AFuU 1971 einen Rechtsanspruch auf Förderung begründeten und diese nicht in das Ermessen der Bundesanstalt für Arbeit (BA) stellten. Mithin sei im vorliegenden Fall nur zu prüfen, ob dem Kläger in Anwendung der in § 6 Abs. 5 AFuU 1971 enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe ein Förderungsanspruch zustehe.

Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Er führt insbesondere aus: Das angefochtene Urteil beruhe auf einer Verletzung der §§ 62 und 128 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), weil es sich auf ihm - dem Kläger - unbekannte Tatsachen und Beweismittel stütze. Das LSG habe zwar sein in der Parallelsache verkündetes Urteil, nicht aber die in jenem Verfahren verwerteten Akten der Beklagten und andere Urkunden sowie Sachverständigenäußerungen übermittelt, auf welche die angefochtene Entscheidung Bezug nehme. Die Übersendung des Urteils könne nicht die fehlende Übermittlung der Urkunden und Gutachten ersetzen, weil diese im Urteil nur in Form einer kurzen Würdigung wiedergegeben seien und er anhand des Urteilstextes nicht habe feststellen können, ob die Urkunden und Gutachten richtig wiedergegeben und gewürdigt worden seien. Er hätte seinen Vortrag überzeugender gestalten können, wenn er die dem vorbezeichneten Urteil zugrunde liegenden Fakten und Beweismittel gekannt hätte.

In unzulässiger Weise habe das LSG ferner in dem angefochtenen Urteil die von der Beklagten in der zweiten Instanz nachgeschobenen Gründe verwertet. Der Ablehnungsbescheid sei zunächst damit begründet worden, daß die Bildungsangebote in Harzburg und Meersburg der INSEAD-Ausbildung gleichwertig seien. Diese Begründung sei in der zweiten Instanz fallen gelassen und durch die Behauptung ersetzt worden, es komme nur darauf an, daß Weiterbildungsmöglichkeiten für lang gediente Betriebsangehörige vorhanden seien. Das Nachschieben von Gründen sei aber unzulässig, wenn - wie hier - eine rechtswidrige Begründung zurückgezogen und dadurch die Rechtsverteidigung des Klägers beeinträchtigt werde.

Abgesehen davon, daß das angefochtene Urteil nicht erkennen lasse, worauf die Überzeugung gestützt werde, daß bei den deutschen Bildungsmöglichkeiten auch die für viele Führungspositionen notwendigen Kenntnisse über internationale Rechts-, Steuer-, Wirtschafts- und EWG-Fragen erworben werden könnten, habe sich das LSG bei Anwendung des § 6 Abs. 5 AFuU 1971 zu Unrecht auf eine Wertung des Bildungsangebotes beschränkt. Es hätte außerdem in eine Überprüfung der Arbeitsmarktlage eintreten und u. a. klären müssen, ob die deutsche Wirtschaft seinerzeit über genügend Betriebsangehörige verfügt habe, die gewillt und fähig gewesen seien, die deutschen Bildungsangebote zu nutzen und zu Führungspositionen aufzusteigen. Angebotene Beweise seien ohne Begründung übergangen worden. Das LSG hätte seine unrichtigen Vorstellungen über die damaligen arbeitsmarktpolitischen Bedürfnisse korrigieren müssen, wenn die beantragten Auskünfte des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, des Bundesverbandes der Deutschen Arbeitgeberverbände und des INSEAD-Stellenvermittlungsbüros eingeholt und der Sachbearbeiter der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung als Zeuge gehört worden wären.

Ferner habe das LSG nicht zu der Überlegung Stellung genommen, daß AFG und AFuU 1971 nicht die Förderung inländischer Bildungsstätten, sondern allein die Förderung der Bildungswilligen bezweckten. Da die INSEAD-Ausbildung unbestreitbar eine Bildungsmaßnahme im Sinne des AFG sei und eine Einschränkung der Förderung nach dem Wortlaut der Vorschriften nur auf Kostengründen beruhen könnte, erscheine die Auslegung fehlerhaft, daß Förderungsbeträge, die bei Ausnutzung eines inländischen Bildungsangebots angefallen wären, nicht für die Ausnutzung eines ausländischen Bildungsangebots gewährt werden dürften.

Im übrigen, sei die Formulierung in § 6 Abs. 5 AFuU 1971 "ein den arbeitsmarktpolitischen Bedürfnissen entsprechendes Bildungsangebot" als Ermessensdirektive zu werten. Demgemäß hätte der Ablehnungsbescheid aufgehoben werden müssen, weil er nicht erkennen lasse, ob die Beklagte ihr Ermessen richtig ausgeübt habe.

Unter Bezugnahme auf die Berufungsbegründungsschrift beantragt der Kläger sinngemäß,

die vorinstanzlichen Urteile (LSG Niedersachsen vom 3. Juni 1975 und SG Osnabrück vom 4. September 1974) sowie den Bescheid vom 7. Dezember 1973 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. Januar 1974 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Teilnahme des Klägers am INSEAD-Programm vom 3. August 1973 bis 19. Juni 1974 zu fördern,

hilfsweise,

die Beträge zu zahlen, die er bei der Teilnahme an einem 10-Wochen-Kursus der Akademie M 1973/1974 erhalten hätte,

hilfsweise,

einen neuen Bescheid unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen,

weiter hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat des LSG zu verweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für richtig und führt ergänzend aus: Die Rüge, daß sich das angefochtene Urteil auf Tatsachen und Beweismittel stütze, die dem Kläger nicht bekannt gewesen seien, greife nicht durch. Rechtliches Gehör sei gewährt worden, weil der Kläger die in dem fraglichen Urteil des LSG verwerteten Akten, Urkunden und Sachverständigenäußerungen auf entsprechendes Ersuchen hätte einsehen können. Zwar seien diese Unterlagen nicht ausdrücklich zum Gegenstand des Verfahrens erklärt worden; ihr Vorhandensein ergebe sich jedoch aus dem Urteil selbst. Der Kläger habe nie Akteneinsicht begehrt, sondern sich vielmehr ohne weiteres mit dem genannten Urteil sachlich auseinandergesetzt.

Ebensowenig sei sein Einwand begründet, daß sie - die Beklagte - in der zweiten Instanz Gründe nachgeschoben habe, die in dem angefochtenen Urteil in unzulässiger Weise verwertet worden seien. Abgesehen davon, daß bereits in dem Ablehnungsbescheid den arbeitsmarktpolitischen Bedürfnissen entsprechende Bildungsangebote im Inland beispielhaft aufgezählt worden seien, werde darin nicht behauptet, daß die Bildungsangebote H und M der INSEAD-Ausbildung objektiv gleichwertig seien.

Der weitere Vortrag des Klägers, daß der Ablehnungsbescheid keine Beurteilungsgrundlagen enthalte, anhand deren festgestellt werden könne, ob sie - die Beklagte - ihr Ermessen richtig gehandhabt habe, sei unbeachtlich, weil sie durch § 6 Abs. 5 AFuU 1971 nicht ermächtigt werde, über die Gewährung von Leistungen zur individuellen Förderung der beruflichen Bildung nach ihrem Ermessen zu entscheiden.

Abgesehen davon könne die Revision aus einem anderen Grunde nicht durchdringen, der in den Vorinstanzen nicht herangezogen worden sei. Im vorliegenden Falle fehle es nämlich an den Voraussetzungen des § 41 Abs. 1 AFG, wonach Maßnahmen der beruflichen Fortbildung nur dann förderungsfähig seien, wenn sie eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine angemessene Berufserfahrung voraussetzten. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats müsse es sich hierbei um objektive, von allen Teilnehmern zu erfüllende Voraussetzungen handeln. Die vom LSG festgestellten Regelzulassungsbedingungen für Bewerber des INSEAD-Programms entsprächen den Anforderungen des § 41 Abs. 1 AFG nicht, weil jedenfalls nach deutschem Recht ein abgeschlossenes Hochschulstudium nicht stets mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung gleichgesetzt werden könne. Eine Berufserfahrung von nur ein bis zwei Jahren ersetze eine abgeschlossene Berufsausbildung im akademischen Bereich nicht und könne daher nicht als angemessen im Sinne des § 41 Abs. 1 AFG angesehen werden. Teilnehmer, die subjektiv die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllten, hätten gleichwohl keinen Förderungsanspruch.

Der Kläger sieht den Vortrag der Beklagten über die Anspruchsvoraussetzungen des § 41 Abs. 1 AFG als neues Vorbringen an, das verspätet und in der Revisionsinstanz unzulässig sei. Ferner sei das Vorbringen unzutreffend, weil die Voraussetzungen Berufsausbildung und Berufserfahrung nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats lediglich alternativ vorliegen müßten und hierfür ein Jahr ausreiche.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

Vom Kläger wirksam gerügte Verfahrensfehler, die den erkennenden Senat an einer Sachentscheidung hinderten, liegen nicht vor.

Der Kläger behauptet zwar ausreichend substantiiert (§ 164 Abs. 2 Satz 3 SGG), daß ihm vom LSG das rechtliche Gehör versagt worden sei. Läge dieser Verfahrensmangel vor und ließe sich nicht ausschließen, daß das LSG anderenfalls der Berufung des Klägers stattgegeben hätte, so wäre der erkennende Senat an einer Sachentscheidung gehindert (vgl. BSGE 5, 165; Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 13. März 1975 - 2 RU 267/73 -). Diese Rüge greift indessen nicht durch. Der Senat hat in Anlehnung an die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) die Bedeutung des Grundrechts auf rechtliches Gehör dahin umschrieben, daß einer gerichtlichen Entscheidung nur solche Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden dürfen, zu welchen den Beteiligten Gelegenheit gegeben war, Stellung zu nehmen. Eine Verletzung dieses Grundrechts liegt hingegen nicht vor, wenn ein Verfahrensbeteiligter die vorhandenen prozessualen Möglichkeiten, sich das rechtliche Gehör zu verschaffen, nicht ausgeschöpft hat (vgl. BSGE 7, 209, 211). Das trifft hier zu, weil der Kläger mit Verfügungen vom 20. Januar 1975 und 24. Februar 1975 Ausfertigungen des in dem Parallelverfahren ergangenen Urteils vom 29. Oktober 1974 erhalten und keinen Antrag auf Akteneinsicht gestellt hat.

Das LSG hat das Klagebegehren im Ergebnis zu Recht abgelehnt. Die Teilnahme des Klägers am INSEAD-Programm ist von der Beklagten nicht zu fördern.

Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß die Bildungsmaßnahme für den Kläger als Diplomkaufmann inhaltlich eine berufliche Fortbildung im Sinne von § 41 AFG darstellt; sie war darauf ausgerichtet, Kenntnisse und Fertigkeiten in internationaler Unternehmensführung zu erweitern und den Teilnehmern nach erfolgreichem Abschluß mit dem INSEAD-Diplom einen Aufstieg zu Managern zu ermöglichen. Manager sind Führungskräfte großer Wirtschaftsunternehmen, die als Betriebswirte, Betriebsingenieure und Kaufleute in besonderen Lehrgängen wirtschaftlicher Institute weitergebildet wurden, anschließend in Führungsstellen aufgerückt sind und entscheidenden oder mitentscheidenden Einfluß auf die Geschäfte des Großunternehmens nehmen (vgl. dazu Molle, Wörterbuch der Berufs- und Berufstätigkeitsbezeichnungen, Wolfenbüttel 1975, S. 507). Die Förderung des INSEAD-Programms als Fortbildungsmaßnahme scheitert aber daran, daß die Teilnahme an dieser Bildungsmaßnahme weder eine abgeschlossene Berufsausbildung noch eine angemessene Berufserfahrung im Sinne des § 41 Abs. 1 AFG voraussetzte. Hierauf hat die Beklagte im Ergebnis zutreffend hingewiesen. Entgegen der Auffassung des Klägers hat der erkennende Senat dieses Vorbringen zu berücksichtigen, weil die Beklagte damit keine neuen Tatsachen, sondern lediglich eine von den Vorinstanzen bisher nicht vertretene Rechtsauffassung vorgetragen hat. Hierzu sind die Beteiligten auch noch nach Ablauf der Äußerungsfrist der §§ 104 Satz 3, 153, 165 SGG berechtigt. Die Beteiligten werden bei Überschreitung dieser Frist mit ihrem rechtlichen Vorbringen grundsätzlich nicht ausgeschlossen (vgl. Peters/Sautter/Wolff, Komm. z. SGG § 104 Anm. 4 S. II/74 - 24 f -). Im übrigen handelt es sich bei den Zugangsvoraussetzungen des § 41 Abs. 1 AFG um materiell-rechtliche Voraussetzungen für den geltend gemachten Anspruch, deren Vorliegen das Gericht auch ohne Vortrag der Beteiligten zu prüfen hat.

Daß es für die Förderungsfähigkeit einer Maßnahme der beruflichen Fortbildung nicht genügt, wenn der Antragsteller über eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine angemessene Berufserfahrung verfügt, sondern daß der Maßnahmeträger diese Qualifikation vielmehr allgemein und objektiv als Zugangsvoraussetzung verlangen muß, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 41 AFG. Nach dem Sinn dieser Vorschrift soll die Teilnahme an solchen Bildungsmaßnahmen gefördert werden, die auf dem bisherigen Berufswissen der Teilnehmer aufbauen und deren Ausbildungsgänge unter Nutzung des vorhandenen Berufswissens entsprechend gestrafft sind (vgl. Urteile des Senats vom 5. Juni 1973, BSGE 36, 50; SozR Nr. 1 zu § 41 AFG; vom 15. Juni 1976 - 7 RAr 11/75 - mit weiteren Nachweisen). So liegen die Verhältnisse bei Bildungsveranstaltungen, die ausschließlich einem Personenkreis mit abgeschlossener Berufsausbildung oder angemessener Berufserfahrung vorbehalten sind. Demgegenüber bieten Lehrgangsveranstaltungen, die - wie im vorliegenden Fall - auch Bewerbern ohne diese Vorqualifikation offenstehen, nicht ohne weiteres die Gewähr dafür, daß es sich bei ihnen um entsprechend ausgestaltete Bildungsveranstaltungen handelt.

Die Bewerber für das INSEAD-Programm mußten nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) folgende Regelzulassungsbedingungen erfüllen:

abgeschlossenes Hochschulstudium,

 fließend in zwei der drei Arbeitssprachen (Englisch,

 Französisch, Deutsch) zu sprechen,

 Lebensalter zwischen 24 und 30 Jahren,

 ein bis zwei Jahre Berufserfahrung,

 Ableistung aller militärischer Verpflichtungen.

Eine Berufsausbildung ist im Sinne des § 41 Abs. 1 AFG abgeschlossen, wenn in ihr Kenntnisse und Fähigkeiten erworben wurden, die den Ausgebildeten zur ordnungsgemäßen Ausübung des Berufs befähigen (vgl. dazu Schönefelder-Kranz-Wanka, Komm. z. AFG, Anm. 8 zu § 41, S. 271). Diese Voraussetzung ist nicht bei allen Hochschulabsolventen erfüllt. Z. B. verfügen Antragsteller, die die vorgeschriebene Semesterzahl studiert und das Studium nicht mit einem Staatsexamen, sondern mit einer Promotion beendet haben, über einen akademischen Grad, nicht aber über eine abgeschlossene Berufsausbildung (graduierte Hochschulabsolventen; für die Zulassung von Studenten der Mathematik vgl. z. B. Blätter zur Berufskunde, Band 3 - IX A O 3 S. 18, für Politologen Band 3 - IV A O 2 S. 18; entsprechende Möglichkeiten zur Erlangung eines Universitätsgrades vor Abschluß des vollen Studiums mit der dafür vorgesehenen Prüfung sind auch für andere Studieneinrichtungen bekannt). Der Senat hat auch für den Bereich der Förderung der beruflichen Umschulung in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß das für die Regelausbildung zum Volksschullehrer erforderliche Studium an einer Pädagogischen Hochschule noch nicht zu einem für die Aufnahme einer auf dem Arbeitsmarkt verwertbaren Berufstätigkeit ausreichenden beruflichen Abschluß führt, sondern daß dieses Ziel erst durch den erfolgreichen Abschluß des schulpraktischen Vorbereitungsdienstes erreicht wird (vgl. insbesondere BSGE 37, 223 = SozR 4100 § 47 Nr. 2).

Daß der Maßnahmeträger die Zulassungsbedingung des abgeschlossenen Hochschulstudiums auch bei graduierten Hochschulabsolventen als erfüllt ansah, ergibt sich aus den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG und dem in Bezug genommenen Inhalt des INSEAD-Prospekts. Hiernach besitzt der typische INSEAD-Absolvent bereits einen akademischen Grad und zwei bis drei Jahre Berufserfahrung in einem bestimmten Fachgebiet wie beispielsweise ein Diplomingenieur mit einer zweijährigen Erfahrung in der technischen Abteilung einer Firma oder ein Absolvent einer wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät, der drei Jahre in einer Werbeagentur gearbeitet hat (S. 53 des Prospekts). Interessenten aus dem englischen Sprachraum wurde das Programm zudem ausdrücklich als "Post Graduate Program" mit dem Hinweis darauf angeboten, daß es beispielsweise für graduierte Hochschulabsolventen der Geisteswissenschaftlichen Fakultäten Philosophie, Geschichte und Sprachen geeignet sei, die eine aus einer dreijährigen Tätigkeit in einer Werbeagentur resultierende Berufserfahrung hätten; "examples would be an engineer with two years in an engineering department of a firm, er a liberal art graduate with three years of experience working for a advertising agency" (S. 35 des Prospekts). So wurde nach dem Prospekt (S. 53) auch ein 22-jähriger Universitätsabsolvent zugelassen "ohne Berufserfahrung aber mit offensichtlicher Begabung zur Betriebsführung ...".

Ebensowenig kann die für das INSEAD-Programm geforderte Berufserfahrung einer angemessenen Berufserfahrung im Sinne des § 41 Abs. 1 AFG gleichgesetzt werden. Der erkennende Senat hat bereits entschieden, daß hierfür im Hinblick auf die Gleichwertigkeit der in dieser Vorschrift für den Förderungsanspruch statuierten Bedingungen eine praktische Berufstätigkeit Voraussetzung ist, die zumindest denselben Wissens- und Kenntnisstand vermittelt, wie er durch eine vergleichbare abgeschlossene Berufsausbildung erworben wird. Teilnehmer an einer Fortbildungsmaßnahme besitzen eine angemessene Berufserfahrung im Sinne des § 41 Abs. 1 AFG demgemäß nur dann, wenn sie eine einschlägige berufliche Tätigkeit über einen bestimmten längeren Zeitraum ausgeübt haben. Dieser richtet sich nach der Dauer der entsprechenden Ausbildung und muß grundsätzlich mindestens genauso lang sein wie diese (vgl. BSG SozR 4100 § 41 Nr. 21; Urteil vom 15. Juni 1976 - 7 RAr 11/75 -).

Welche Tätigkeiten bei der hier in Frage stehenden Zulassungsbedingung "ein bis zwei Jahre Berufserfahrung" zugrunde gelegt wurden, könnte sich zwar aus den erwähnten Erläuterungen des Maßnahmeträgers zur Vor-Qualifikation des typischen INSEAD-Absolventen (Bl. 53 des Prospekts) ergeben. Die ein- bis zweijährige Tätigkeit in der Technischen Abteilung eines Industriebetriebes vermittelt aber ebensowenig den Wissens- und Kenntnisstand, der aufgrund eines Studiums an einer Technischen Hochschule, obligatorischer Praktika und der bestandenen Diplomprüfung erworben wird, wie die ein- bis zweijährige Tätigkeit in einer Werbeagentur die Qualifikation, die ein Hochschulabsolvent aufgrund eines wirtschaftswissenschaftlichen Studiums und der bestandenen Diplomprüfung besitzt. Im übrigen erhellen die Maßnahmebedingungen nicht einmal, daß der fachliche Zusammenhang zwischen Studienrichtung und Berufserfahrung zwingend ist. Eine andere Beurteilung ist auch nicht deshalb geboten, weil zum INSEAD-Programm auch Bewerber ohne Hochschulstudium mit mehr als fünfjähriger Berufserfahrung zugelassen werden konnten, die zuletzt in leitender Position tätig waren; denn hierbei handelt es sich nicht um eine allgemeine Zulassungsbedingung des Maßnahmeträgers, sondern um eine Ausnahmeregelung.

Ob die Bestimmung des § 6 Abs. 5 AFuU 1971 ermächtigungskonform und hier anzuwenden ist, kann offen bleiben, weil das INSEAD-Programm mangels ausreichender Zugangsvoraussetzungen insgesamt keine Bildungsmaßnahme darstellt, deren Besuch nach § 41 Abs. 1 AFG förderungsfähig ist. Demgemäß war auch nicht darüber zu entscheiden, ob das LSG, was der Kläger formgerecht gerügt hat, bei seinen Feststellungen bezüglich der Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 AFuU 1971 die Vorschriften der §§ 103, 128 Abs. 1 SGG verletzt und in unzulässiger Weise das Vorbringen der Beklagten verwertet hat; das angefochtene Urteil ist bereits aus einem anderen Grunde zutreffend (§ 170 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Mangels Förderungsfähigkeit der Bildungsmaßnahme kann auch den Hilfsanträgen nicht stattgegeben werden. Die Klärung der Frage, ob dem Kläger die Kosten der Teilnahme an einem entsprechenden 10-Wochen-Kursus der Akademie M als notwendige Kosten im Sinne des § 45 AFG zu erstatten sind, erübrigt sich.

Ebensowenig kann der Kläger mit seinem zweiten Hilfsantrag durchdringen, die Beklagte zum Erlaß eines neuen Bescheides unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verurteilen. Zutreffend hat das LSG darauf verwiesen, daß der Antragsteller bei Erfüllung der Voraussetzungen der §§ 41 und 43 AFG einen Rechtsanspruch auf Bildungsförderung hat; es handelt sich hierbei nicht um Ermessensleistungen der Beklagten. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats und hat gleichermaßen für die Förderung der Teilnahme an Bildungsveranstaltungen außerhalb des Geltungsbereichs des AFG zu gelten.

Nach alledem ist die Revision des Klägers unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1650673

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