Entscheidungsstichwort (Thema)
Neufeststellung des Schadensausgleichs bei Anhebung des Vergleichseinkommens
Leitsatz (amtlich)
1. Das bei Nachweis eines besonderen Berufserfolgs ermittelte angemessene Vergleichseinkommen bleibt auch dann maßgebend, wenn es infolge einer Rechtsänderung jetzt auch ohne diesen Nachweis der Leistungsberechnung zugrunde gelegt werden müßte.
2. Die nach einer Rechtsänderung überflüssig gewordene Feststellung eines besonderen Berufserfolgs zwingt weder den Gesetzgeber noch die Verwaltung zu einer Regelung, die den Unterschied zu den Fällen aufrechterhält, in denen nur von einem normalen Berufserfolg ausgegangen werden kann.
Leitsatz (redaktionell)
Bei der Feststellung des Schadensausgleichs gilt die Bindungswirkung des Leistungsbescheides bezüglich eines außergewöhnlichen Berufserfolges nur iVm der zugrunde gelegten Besoldungsgruppe.
Normenkette
BVG§30Abs3u4DV § 5 Abs. 1 Fassung: 1974-04-11; BVG § 30 Abs. 3 u 4 DV § 6 Abs. 2 Fassung: 1968-02-28
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. Dezember 1977 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Frage, wie sich die Erhöhung der Vergleichseinkommen nach § 5 Abs 1 der Durchführungsverordnung (DVO) zu § 30 Abs 3 und 4 Bundesversorgungsgesetz (BVG) vom 11. April 1974 - DVO 1974 - (Bundesgesetzblatt I 927) auf die Fälle auswirkt, in denen wegen besonderen Berufserfolgs bereits das erhöhte Vergleichseinkommen nach § 6 Abs 2 der früheren DVO maßgebend war.
Der Klägerin wurde vom 1. Januar 1964 an Schadensausgleich (nach §§ 40a, 30 Abs 4 BVG, § 5 der DVO zu § 30 Abs 3 und 4 BVG vom 30. Juli 1964 - DVO 1964 -, Bundesgesetzblatt I 574) nach dem Durchschnittseinkommen eines Beamten der Besoldungsgruppe A 14 Bundesbesoldungsgesetz bewilligt. Im anschließenden Klageverfahren erließ der Beklagte den Abhilfebescheid vom 9. Mai 1967, wonach eine nachträgliche Überprüfung ergeben habe, daß der Ehemann der Klägerin in seiner Stellung als Rechtsanwalt und Notar durch seine eigene Tätigkeit ein Einkommen erzielt habe, das nach § 6 Abs 2 DVO 1964 mit den Bezügen eines Beamten der Besoldungsgruppe A 15 zu vergleichen sei. Entsprechend diesem Ergebnis werde der Schadensausgleich neu festgestellt. Die Klägerin nahm daraufhin ihre Klage zurück.
In einem weiteren Klageverfahren, in dem die Klägerin die Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 16 erstrebte, wurde vor dem Landessozialgericht (LSG) am 16. März 1976 ein Vergleich geschlossen, in dem sich der Beklagte verpflichtete zu prüfen, ob der Klägerin vom 1. Januar 1974 an Schadensausgleich aufgrund des § 6 DVO 1974 zustehe.
In Ausführung dieses Vergleichs lehnte das Versorgungsamt Mainz mit Bescheid vom 21. April 1976 eine günstigere Einstufung ab, weil dies zwar § 5 DVO 1974, nicht aber der für die Klägerin maßgebende § 6 DVO 1974 vorsehe.
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage auf Neufeststellung des Schadensausgleichs ab 1. Januar 1974 mit der Begründung stattgegeben, die Nichtanhebung der bisher nach § 6 DVO 1964 - bzw der entsprechenden Verordnung vom 28. Februar 1968, DVO 1968 (Bundesgesetzblatt I 194) - maßgebenden Besoldungsgruppe sei eine Lücke, die nur dadurch sinnvoll geschlossen werden könne, daß eine nach § 5 DVO 1974 entsprechende Anhebung - hier nach A 16 - erfolge (Urteil vom 24. November 1976). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen und ausgeführt, die Bindungswirkung des Abhilfebescheides vom 9. Mai 1967 umfasse auch die Anerkennung eines besonderen Berufserfolges und damit des Einstufungsgerüsts, von dem bei der Klägerin seitdem ausgegangen werden müsse (Urteil vom 20. Dezember 1977).
Mit der von dem LSG zugelassenen Revision rügt der Beklagte die Verletzung des § 6 Abs 2 DVO 1964/1968 und des § 6 Abs 3 der DVO 1974.
Er beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. Dezember 1977 sowie das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 24. November 1976 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die auf Antrag des Beklagten in der Revisionsinstanz beigeladene Bundesrepublik hält die Revision für begründet.
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist begründet. Das Urteil des LSG ist aufzuheben. Der Rechtsstreit ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Auffassung der Vorinstanzen, der Anspruch auf Erhöhung des Schadensausgleichs nach § 6 Abs 3 DVO 1974 unter Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 16 Bundesbesoldungsgesetz sei schon deshalb begründet, weil - unabhängig von der tatsächlichen Höhe des Vergleichseinkommens - aus Rechtsgründen unterstellt werden müsse, daß die Klägerin die Voraussetzungen für diese Erhöhung erfülle, trifft nicht zu. Die Klägerin hat keinen Anspruch, allein deshalb als Sonderfall iS des § 6 Abs 3 DVO 1974 behandelt zu werden, weil sie durch Bescheid vom 9. Mai 1967 als Sonderfall iS des § 6 Abs 2 DVO 1964 behandelt worden ist. Diese Auffassung könnte - insofern ist den Vorinstanzen rechtzugeben - nur begründet sein, wenn entweder hinsichtlich der begehrten Erhöhung eine von der Rechtsprechung auszufüllende Regelungslücke vorläge oder wenn sich aus dem Bescheid vom 9. Mai 1967 eine Bindung des Beklagten an die Beurteilung als höher einzustufender Sonderfall ergäbe. Beides ist nicht der Fall.
Voraussetzung für die Annahme einer von der Rechtsprechung auszufüllenden Regelungslücke ist, daß die Gesamtregelung von ihrer Anlage und Zielsetzung her gesehen zu der Erkenntnis zwingt, daß die Regelung einer bestimmten Fallgruppe nur übersehen und nicht planmäßig unterlassen worden ist oder wenn ein Hinweis darauf vorliegt, daß die Regelung bewußt der Rechtsprechung überlassen worden ist (vgl BSGE 39, 143, 145, 146 mwN). Hinsichtlich der Fälle der vorliegenden Art besteht keine solche planwidrige Lücke. Die Neuregelung und teilweise Erhöhung der Vergleichseinkommen durch § 5 DVO 1974 sowie der Sinn und Zweck des Berufsschadensausgleichs und des Schadensausgleichs lassen nicht erkennen, daß auch die Erhöhung der nach § 6 Abs 2 DVO 1964/1968 errechneten Vergleichseinkommen geboten ist. Das zeigt sich schon daran, daß der Verordnungsgeber jedenfalls diejenige Gruppe von Anspruchsberechtigten von der Erhöhung ausschloß, für die bereits nach früherem Recht aufgrund des § 6 Abs 2 DVO 1964/1968 die Besoldungsgruppe A 16 für maßgebend erklärt worden ist. Denn nach § 6 Abs 3 iVm § 5 DVO 1974 ist nach wie vor allein die Besoldungsordnung A maßgebend, und die höchste Besoldungsgruppe ist nach wie vor A 16 (vgl § 20 des Bundesbesoldungsgesetzes und dazu Anlage I). Da die nach § 6 Abs 2 DVO 1964/1968 am höchsten eingruppierten Beschädigten und Kriegerwitwen von der Erhöhung durch den eindeutigen Wortlaut der DVO 1974 ausgeschlossen sind, besteht jedenfalls für diesen Personenkreis auch nach Auffassung des LSG und wohl auch des SG keine Möglichkeit der Anhebung. Es besteht aber auch kein Grund, einen Teil der nach § 6 Abs 2 DVO 1964/1968 eingruppierten Berechtigten, nämlich diejenigen, die nach bisherigem Recht nicht die höchste Besoldungsgruppe erreicht haben, höher einzugruppieren, als die DVO 1974 es vorsieht.
Die sich aus dem Wortlaut der §§ 5 und 6 DVO 1974 ergebende Regelung: Anhebung nur der Normalfälle des § 5 DVO, nicht der Sonderfälle des § 6 DVO, entspricht auch dem Sinn des Berufsschadensausgleichs und des Witwenschadensausgleichs, der darauf gerichtet ist, diejenigen Schäden zu ersetzen, die sich bei Berücksichtigung eines hypothetischen Berufsverlaufs mit einiger Wahrscheinlichkeit ermitteln lassen. Da Beamte des höheren Dienstes in der Mitte bis gegen Ende des 5. Lebensjahrzehnts regelmäßig die Besoldungsgruppe A 15 erreichen dürften (vgl zu dem erweiterten Stellenkegel § 26 Bundesbesoldungsgesetz) und eine solche Entwicklung auch den Selbständigen mit abgeschlossener Hochschulbildung zugute kommen soll, ist es verständlich, daß sich der Gesetzgeber veranlaßt sah, insoweit - dh hinsichtlich der Normalfälle - eine Anhebung zu verfügen. Das bedeutet, daß diejenigen, die bisher nur durch den Nachweis besonderer Umstände erreichen konnten, daß die Besoldungsgruppe A 15 zugrunde gelegt wurde, diesen Nachweis nicht mehr zu führen brauchen.
Entgegen der Meinung des SG besteht kein Grund, für diejenigen eine Sonderregelung einzuführen, die diesen - jetzt überflüssigen - Nachweis tatsächlich führen können. Auch unter dem Gesichtspunkt der ungleichen Behandlung von ungleichen Sachverhalten bestand für den Verordnungsgeber dazu kein Anlaß. Eine Sonderregelung zugunsten der Personen, für die bisher nach § 6 Abs 2 DVO 1964/1968 die Besoldungsgruppe A 15 zugrunde gelegt worden ist, würde vielmehr die Weiterführung von Unterschieden bedeuten, die nach der Verbesserung der Einstufungen gemäß § 5 DVO 1974 überholt sind.
Eine Höherstufung kommt auch nicht für diejenigen in Betracht, die - wie die Klägerin - durch einen bindenden Bescheid bereits als Sonderfall anerkannt sind. Selbst wenn in der Anerkennung als Sonderfall eine der Bindung fähige Regelung des Bescheides - hier des Bescheides vom 9. Mai 1967 - zu sehen wäre, ist diese Regelung dahingehend zu ergänzen, daß der Sonderfall mit der angemessenen Besoldungsgruppe näher gekennzeichnet wird: Anerkannt ist demnach ein Sonderfall insofern, als die Besoldungsgruppe A 15 und nicht wie nach bisherigem Recht die Besoldungsgruppe A 14 als die angemessene Besoldungsgruppe gilt. Eine solche mit der Einstufung in die Besoldungsgruppe A 15 gekoppelte Sonderbehandlung sagt aber auch aus, daß nicht die nunmehr begehrte Besoldungsgruppe A 16 die angemessene Besoldungsgruppe ist. Etwas anderes kann auch nicht aus dem Urteil des BSG vom 17. Dezember 1974 (BSGE 39, 14) entnommen werden, auf das sich die Klägerin beruft. Die der Bindung fähige Regelung ist auch hier in der Gesamtregelung "Berufsoffizier mit Bezügen nach Besoldungsgruppen bis A 11" gesehen worden.
Die Klägerin hat auch nach der DVO 1974 nur Anspruch auf einen angemessenen Schadensausgleich. Nicht angemessen ist nach Wortlaut und Sinn der Verordnung die Forderung der Klägerin, Unterschiede zwischen den Normalfällen des § 5 DVO 1964/1968 und den Sonderfällen des § 6 Abs 2 DVO 1964/1968 auch dann aufrechtzuerhalten, wenn sie wegen Änderung des § 5 DVO tatsächlich nicht mehr vorhanden sind.
Der Vortrag der Klägerin in den Tatsacheninstanzen weist indes darauf hin, daß sie nach wie vor der Meinung ist, angesichts neuerer Auskünfte der Bundesrechtsanwaltskammer müsse in einem Zugunstenbescheid festgestellt werden, ihr verstorbener Mann habe in der maßgebenden Zeit vor seinem Tod soviel verdient, daß die Besoldungsgruppe A 16 die angemessene Besoldungsgruppe sei. Maßgebende Zeit, so meint die Klägerin offenbar, seien nicht lediglich die letzten 3 Jahre - Kriegsjahre - vor seinem Tod, sondern die letzten drei "Normaljahre". Ob die Klage unter diesem Gesichtspunkt begründet ist, wird das LSG noch festzustellen haben, und zwar unter Berücksichtigung der Grundsätze, wie sie in dem Urteil des Senats vom 22. September 1971 - 10 RV 666/69 - SozR Nr 10 zu § 6 DVO vom 30. Juli 1964 zu kriegsbedingter Einkommensminderung dargelegt worden sind.
Die Kostenentscheidung bleibt dem den Rechtsstreit abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen