Entscheidungsstichwort (Thema)
Witwerrente. überwiegender Unterhalt. Wert der Hausarbeit
Orientierungssatz
1. Bei der Berechnung der in den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand der Ehe fallenden Einnahmen können nur die Rentenbeträge berücksichtigt werden, die auf diese Zeit entfallen, weil nur diese Beiträge den Charakter von Dauerleistungen haben; sofern Rentennachzahlungen für frühere Zeiten und Rentenvorauszahlungen für künftige Monate zufällig in dieser Zeit eingehen, müssen sie bei der wirtschaftlichen Bewertung des Zeitraums außer Betracht bleiben.
2. Bei der rechtlichen Zuordnung des Wertes der Haushaltsführung im Rahmen des § 1266 RVO kann nicht allein auf die tatsächliche oder vertragliche Verteilung der Hausarbeit abgestellt werden, sondern es muß auch die familienrechtliche Verpflichtung zur Hausarbeit Beachtung finden unabhängig davon, ob und wie diese erfüllt wird (BSG-Urteil vom 1971-05-26 - 12/11 RA 40/70 = SozR Nr 10 zu § 1266 RVO).
Normenkette
RVO § 1266 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 09.07.1981; Aktenzeichen L 6 J 485/78) |
SG Wiesbaden (Entscheidung vom 14.02.1978; Aktenzeichen S 1 J 74/74) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um den Anspruch auf Witwerrente des am 11. März 1980 verstorbenen K.R. (R.) aus der Versicherung seiner am 16. Februar 1972 verstorbenen Ehefrau M.R. (Versicherte).
Aus der im Jahre 1939 geschlossenen Ehe der Versicherten mit R. sind insgesamt fünf Kinder hervorgegangen. Die am 12. Oktober 1956 geborene Tochter M. ist als Rechtsnachfolgerin des Ehemannes der Versicherten Klägerin des vorliegenden Rechtsstreits.
Im Jahre 1971 erhielt die Versicherte für die Zeit vom 30. Januar bis zum 13. September ein arbeitstägliches Krankengeld von 30,89 DM. Die Beklagte bewilligte ihr Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. April in Höhe von 265,90 DM einschließlich Kinderzuschüsse für zwei Kinder. Die Rente wurde laufend ab 1. November gezahlt. Von der Nachzahlung wurden nach Befriedigung des Ersatzanspruches des Krankenversicherungsträgers insgesamt 416,70 DM an die Versicherte angewiesen. Weiterhin erhielt die Klägerin ab 1. August 1971 eine Versorgungsrente der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder in Karlsruhe in Höhe von 189,80 DM monatlich.
Bis zu ihrem Tod wohnte die Versicherte gemeinsam mit ihrem Ehemann und zwei Töchtern in dem ihr gehörenden Haus, bestehend aus insgesamt sechs Räumen, zwei Speichern sowie einem großen Kellerraum mit einer Gesamtwohnfläche von 136,35 qm. Die Jahresrohmiete wurde im Einheitswert- und Grundsteuermeßbescheid mit 926,-- DM angegeben.
Der Ehemann der Versicherten war bis zu seiner Arbeitsunfähigkeit (9. Juli 1971) versicherungspflichtig beschäftigt. Für die Zeit vom 1. Januar bis zum 20. August 1971 erhielt er ein Nettoarbeitsentgelt von insgesamt 6.605,45 DM. In der Folgezeit erhielt er für die Dauer von 228 Tagen ein tägliches Krankengeld von 38,88 DM. Am 26. November 1971 beantragte er die Gewährung der Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. Auf seinen Antrag gewährte ihm die Beklagte Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. November 1971 in Höhe von 506,70 DM monatlich einschließlich der Kinderzuschüsse für zwei Kinder. Die Rente wurde laufend ab 1. September 1972 gezahlt.
Die Versicherte befand sich vom 5. Januar bis zum 2. Februar 1972 in stationärer Behandlung. Am 16. Februar 1972 verstarb sie an den Folgen ihres Geschwulstleidens.
Den Antrag auf Witwerrente lehnte die Beklagte ab mit der Begründung, die Versicherte habe nicht den überwiegenden Unterhalt bestritten (Bescheid vom 8. November 1973). Die Klage war in den Vorinstanzen erfolgreich (Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden -SG- vom 14. Februar 1978; Urteil des Hessischen Landessozialgerichts -LSG- vom 9. Juli 1981). Das LSG kam zu dem Ergebnis, daß die Versicherte in der Zeit vom 14. September bis zum 31. Dezember 1971 (letzter wirtschaftlicher Dauerzustand) den Familienunterhalt überwiegend bestritten habe. Hierbei ging es davon aus, daß die Versicherte 75 % der anfallenden Hausarbeiten verrichtet habe, weil ihr Ehemann aus gesundheitlichen Gründen nicht zur Verrichtung von Hausarbeiten imstande gewesen sei. Den Gesamtwert der Haushaltsführung bewertete das LSG mit 1.862,-- DM. Als weitere Familieneinkünfte rechnete das LSG hinzu: den Gebrauchsvorteil des der Versicherten gehörenden Wohnhauses in Höhe von 270,-- DM, die Versorgungsrente der Versicherten in Höhe von 1.328,-- DM, die Erwerbsunfähigkeitsrente der Versicherten in Höhe von 948,50 DM, das Krankengeld des Ehemannes in Höhe von 2.993,76 DM. Hieraus errechnete das LSG einen Gesamtbetrag für die Familie von 7.402,86 DM. Von diesem Betrag entfalle mehr als die Hälfte auf die Versicherte, nämlich 1.396,50 DM auf die geleistete Hausarbeit, 270,-- DM als Gebrauchsvorteil des Wohnhauses, 1.328,-- DM Versorgungsrente und 948,50 DM an Versichertenrente. Den Gesamtbetrag für die Versicherte errechnete das LSG mit 3.943,60 DM.
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision wendet sich die Beklagte gegen die Rechtsauffassung des LSG. Sie trägt vor, das LSG hätte das Ende des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes nicht auf den 31. Dezember 1971 festlegen dürfen, sondern auch noch die Zeit vom 1. Januar bis zum 16. Februar 1972 (Krankenhausaufenthalt der Versicherten vor ihrem Tode) mitberücksichtigen müssen. Hierdurch hätte sich ein wesentlich niedrigerer Beitrag der Versicherten zum Familienunterhalt ergeben. Weiterhin habe das LSG den Anteil an der Haushaltsführung der Versicherten mit 75 % angesetzt, dabei jedoch die restlichen 25 % unberücksichtigt gelassen, anstatt sie dem Ehemann der Versicherten zuzurechnen. Hierdurch hätte sich dessen Beitrag zum Familieneinkommen erhöht.
Die Beklagte beantragt, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet.
Nach § 1266 der Reichsversicherungsordnung (RVO), der noch als mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar anzuwenden ist (BVerfGE 39, 169 = SozR 2200 § 1266 Nr 2), erhält ein Ehemann nach dem Tode seiner versicherten Ehefrau Witwerrente, wenn diese den Familienunterhalt überwiegend bestritten hat. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Die Versicherte hat im letzten maßgebenden wirtschaftlichen Dauerzustand vor ihrem Tode nicht überwiegend zum Familienunterhalt beigetragen.
Hinsichtlich der zeitlichen Festlegung des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes ist dem LSG beizupflichten. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG- (vgl Urteil vom 30. Mai 1978 - 1 RA 71/77 = SozR 2200 § 1266 Nr 7 mwN aus der Rechtsprechung) kann es unbillig sein, eine Erkrankung, die in verhältnismäßig kurzer Zeit zum Tode geführt und somit gleichermaßen die "Vorstufe des Todes" dargestellt hat, in den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand miteinzubeziehen. Dies gilt auch für stationäre Behandlungen vor dem Tode der Versicherten. Hierzu hat das LSG im angefochtenen Urteil ausgeführt, der Krankenhausaufenthalt der Versicherten im Jahre 1972 bis zu ihrem Tode habe nur einen relativ kurzen Zeitraum umfaßt und sich nach dem Inhalt der ärztlichen Berichte eindeutig als Vorstufe des durch das Geschwulstleiden hervorgerufenen Todes dargestellt. Wenn das LSG aus diesen Gründen den Krankenhausaufenthalt der Versicherten in den letzten wirtschaftlichen Dauerzustand nicht einbezogen hat, so steht diese Auffassung im Einklang mit der Rechtsprechung des BSG. Die stationäre Behandlung der Versicherten war ein besonderer Abschnitt im Ablauf ihrer Erkrankung, der auch versicherungsrechtlich gesondert gewertet werden konnte.
Nicht zu folgen ist dem LSG jedoch darin, daß die Versicherte in dem vom LSG angenommenen letzten wirtschaftlichen Dauerzustand den Familienunterhalt überwiegend bestritten habe.
Das LSG hat zur Berechnung des Beitrages der Versicherten zum Familienunterhalt einmal den Umfang ihrer Haushaltsführung auf 75 % veranschlagt und zum anderen die im Dezember 1971 für August 1971 bis Februar 1972 gewährte Versorgungsrente der VBL in voller Höhe dem Familienunterhalt zugeordnet.
Die vom LSG vorgenommene Zuordnung der Hausarbeit zu dem von der Versicherten geleisteten Familienunterhalt begegnet Bedenken.
Die rechtliche Zuordnung des Wertes der Haushaltsführung im Rahmen des § 1266 RVO muß nicht allein von den Arbeiten abgeleitet werden, die ein Ehegatte bei den bestehenden Familienverhältnissen tatsächlich verrichtet hat. Die Aufteilung der Hausarbeit wird von den Ehegatten in gegenseitigem Einvernehmen geregelt (§ 1356 Abs 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB-). So können die Ehegatten ohne weiteres dahin übereinkommen, daß ein Teil allein sämtliche anfallenden Hausarbeiten verrichtet, obwohl auch der andere durchaus in der Lage wäre, sich an der Hausarbeit angemessen zu beteiligen. Für den Anspruch auf Witwerrente könnte diese Aufteilung der Hausarbeit von wesentlicher Bedeutung werden: Übernimmt der Ehemann allein die Führung des Haushaltes, so kann sein Anspruch auf Witwerrente daran scheitern, daß er durch den Wert der ihm zurechenbaren Hausarbeiten den Familienunterhalt überwiegend bestritten hat. Übernimmt dagegen die Ehefrau alle Hausarbeiten, so kann durch den ihr zuzurechnenden Wert dieser Arbeiten der Witwerrentenanspruch erst begründet werden. Auf diese Weise könnte zumindest im Ergebnis durch eine privatrechtliche (familienrechtliche) Vereinbarung ein Rentenanspruch begründet oder aufgehoben werden. Unter dem Aspekt des § 1266 RVO stünde es in der Verfügungsmacht einer Versicherten, durch eine Vereinbarung mit ihrem Ehemann über die Haushaltsführung den Rentenversicherungsträger - und damit die Solidargemeinschaft der Versicherten - zur Zahlung einer Rente zu verpflichten. Deswegen kann nicht allein auf die tatsächliche oder vertragliche Verteilung der Hausarbeit abgestellt werden, sondern es muß auch die familienrechtliche Verpflichtung zur Hausarbeit Beachtung finden unabhängig davon, ob und wie diese erfüllt wird (BSG-Urteil vom 26. Mai 1971 - 12/11 RA 40/70 = SozR Nr 10 zu § 1266 RVO).
Will man den Anspruch auf Witwerrente nicht von der Aufteilung der Hausarbeit durch die Ehegatten abhängig machen, so bietet sich an, im Normalfall von einer beiderseitigen gleichwertigen Haushaltsführung durch beide Ehegatten auszugehen. Dies ist immer dann gerechtfertigt, wenn beide Ehegatten nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in gleichem Umfang die Hausarbeiten ausführen können, wie dies vielfach zB bei Ehepaaren mit gleicher beruflicher Belastung (vgl BSG-Urteil vom 3. Februar 1977 - 11 RA 38/76 = SozR 2200 § 1266 Nr 5 S 28) oder bei Rentnerehepaaren der Fall sein wird. Diese gemeinsame Haushaltsführung hätte zur Folge, daß sich der Wert der Hausarbeit der beiden Ehegatten gegenseitig aufhebt und deswegen im Ergebnis nicht zur Begründung eines Rentenanspruches beiträgt. Demgegenüber können zwar andere Möglichkeiten der Verteilung der Hausarbeit nicht ausgeschlossen werden (vgl § 1356 Abs 1 BGB), für die Bewertung im Rahmen des § 1266 RVO bedarf es dazu jedoch des Vorliegens verständiger Gründe. So ist es als durchaus sachgerecht anzusehen, wenn bei einem rentenbeziehenden Ehemann und einer pflegebedürftigen Ehefrau der Wert der Hausarbeit zum weitaus überwiegenden Teil oder auch voll dem Ehemann zugerechnet wird (vgl BSG-Urteil vom 29. November 1979 - 4 RJ 47/79 ).
Das LSG hat festgestellt, daß der Ehemann der Versicherten wegen seines Gesundheitszustandes außerstande war, sich an der Haushaltsführung zu beteiligen. Hierbei hat allerdings das LSG nicht berücksichtigt, daß die Versicherte wegen der bei ihr während des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes bestehenden schweren Erkrankung - sie bezog Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit und ist wenige Wochen nach Beendigung des vom LSG angenommenen letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes verstorben - an der Führung eines Haushaltes gesundheitlich ebenfalls außerordentlich stark gehindert war. Von da aus gesehen fehlt es an einem einleuchtenden Grund, der Versicherten 75 % des Wertes der Hausarbeit wirtschaftlich zuzuordnen. Bei derartigen Aufteilungen ist überdies zu bedenken, daß auch eine Schätzung, wie sie vom LSG vorgenommen wurde, tatsächliche Feststellungen erfordert, welche Hausarbeiten die Versicherte verrichtet hat und warum diese 75 % der gesamten Haushaltsführung ausmachen.
Selbst wenn man aber für den vorliegenden Fall davon ausgeht, daß die Versicherte 75 % der Hausarbeit verrichtet habe, stand ihrem Ehemann keine Witwerrente zu. Das LSG hat bei seiner Aufstellung die Versorgungsrente der Versicherten unrichtig angerechnet. Es hat sie in voller Höhe der einmaligen Zahlung im Dezember 1971 der Versicherten zugeordnet. Die Nachzahlung umfaßte jedoch sieben Monate, während der letzte wirtschaftliche Dauerzustand nur dreieinhalb Monate (14. September bis 31. Dezember 1971) betrug. Soweit die einmalige Zahlung der VBL für Zeiträume außerhalb des letzten wirtschaftlichen Dauerzustandes gewährt wurde, muß sie für die Berechnung des Familienunterhaltes außer Ansatz bleiben. Als Vorauszahlung für die Monate Januar und Februar 1972 war sie nicht schon zum Verbrauch im Dezember 1971 bestimmt; als Nachzahlung für die Zeit vom 1. August bis 13. September 1971 hatte sie der nachträglichen Deckung des damaligen Familienunterhaltes zu dienen. Erst hierdurch ergibt sich ein vollständiges, von Zufällen freies Bild von einem wirtschaftlichen Dauerzustand.
Ausgehend von den übrigen Feststellungen des LSG hätten somit nur dreieinhalb Monatsrenten der VBL, also DM 664,30, für den Familienunterhalt angesetzt werden dürfen. Hiernach ergibt sich ein Gesamteinkommen der Familie in Höhe von DM 6.738,56 (Haushaltsführung DM 1.862,--, Mietwert des Hauses DM 270,--, VBL-Rente DM 664,30, Erwerbsunfähigkeitsrente DM 948,50, Krankengeld DM 2.993,76), davon die Hälfte DM 3.369,28. Der Beitrag der Versicherten betrug insgesamt DM 3.279,30 (Haushaltsführung DM 1.396,50, Mietwert des Hauses DM 270,--, VBL-Rente DM 664,30, Erwerbsunfähigkeitsrente DM 948,50), also weniger als die Hälfte des Familieneinkommens. Schon hiernach besteht kein Anspruch auf Witwerrente.
Nach alledem waren auf die Revision der Beklagten die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen