Entscheidungsstichwort (Thema)
Rehabilitationsmaßnahmen. Mitwirkung bei einer Rehabilitationsmaßnahme. Ermessensausübung. Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers. rechtliches Gehör. Grenzen der freien Beweiswürdigung
Leitsatz (amtlich)
Der nach § 1531 RVO aF erhobene Erstattungsanspruch eines Sozialleistungsträgers richtet sich nach § 104 SGB 10, wenn er auch nach dem Inkrafttreten dieser Vorschrift (1.7.1983) noch Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens ist.
Leitsatz (redaktionell)
Die Krankenkasse kann Behandlung in Kur- und Spezialeinrichtungen iS des § 184a RVO nur gewähren, wenn der Rentenversicherungsträger diese Leistung nicht erbringen könnte. Fehlt es wegen Erfolglosigkeit der Maßnahme an der Leistungsvoraussetzung für den Rentenversicherungsträger, kommt auch eine Leistung gemäß § 184a RVO nicht in Betracht.
Orientierungssatz
1. Die für Art 2 § 37 Abs 1 des SGB 10 vom 18.9.1980 vom BSG entwickelten Auslegungsgrundsätze, daß nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung das in der Überleitungsvorschrift zum SGB 10 - 1. und 2. Kapitel - erwähnte Verfahren nicht schon mit dem Erlaß des Verwaltungsaktes, sondern erst mit dem Eintritt der Bindungswirkung (§ 77 SGG) abgeschlossen ist, (vgl ua BSG Großer Senat vom 1982-12-15 GS 2/80 = BSGE 54, 223 = SozR 1300 § 44 Nr 3) müssen auch für die Anwendung des Art 2 § 21 SGB 10 vom 4.11.1982 gelten.
2. Die in § 1236 Abs 1 S 1 RVO geforderten Voraussetzungen für die Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen werden nicht vom Ermessen des Rentenversicherungsträgers erfaßt; es handelt sich hierbei um bestimmte Rechtsbegriffe, die aufgrund eines festgestellten Sachverhaltes der gerichtlichen Nachprüfung zugänglich sind (vgl BSG 1980-06-24 1 RA 51/79 = SozR 2200 § 1237 Nr 15).
3. Der Versicherungsträger verkennt die Voraussetzungen des § 1236 Abs 1 S 1 RVO nicht, wenn er bei dem Fehlen einer positiven Einstellung des Versicherten zum Ziel der Rehabilitation (Motivation) die Erfolgsaussichten verneint und deshalb die Durchführung weiterer Maßnahmen ablehnt. Die Mitwirkung des Versicherten ist sowohl für die Einleitung als auch für den Sinn jeder Rehabilitationsmaßnahme unerläßlich.
4. Waren die Versicherungsakten des beklagten Versicherungsträgers Gegenstand des Verfahrens und hatte der Kläger Gelegenheit, sich mit dem Inhalt dieser Akten vertraut zu machen, so hat das LSG das rechtliche Gehör (§§ 62, 128 Abs 2 SGG) nicht verletzt, wenn es dem Kläger nicht speziell die Aktenteile bekanntgegeben hat, die es für besonders bedeutsam hielt. Vielmehr konnte das LSG den gesamten Inhalt dieser Akten und damit auch einzelne Bestandteile seinem Urteil zugrunde legen.
5. Ein Verstoß des LSG gegen § 128 Abs 1 SGG liegt nicht vor, wenn es sich für die Feststellung der Erfolgsaussichten einer Entziehungskur für einen Versicherten, der entsprechende Kuren wiederholt abgebrochen hat, auf eine Würdigung des Inhalts der Akten des beklagten Versicherungsträgers beschränkt hat.
Normenkette
SGB 10 § 104 Fassung: 1982-11-04; SGB 10 Art. 2 § 21 Fassung: 1982-11-04; RVO §§ 1531, 1236 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1974-08-07, § 184a Fassung: 1984-08-07; SGG § 62 Fassung: 1953-09-03, § 128 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03, Abs. 1 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 20.09.1982; Aktenzeichen L 9 J 1515/81-3) |
SG Stuttgart (Entscheidung vom 16.06.1981; Aktenzeichen S 6 J 2640/80) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um den Erstattungsanspruch des Klägers für seine Aufwendungen aus Anlaß der dem Beigeladenen G (Versicherter) gewährten Entwöhnungsbehandlung.
Der Versicherte ist seit Juli 1978 im wesentlichen Mitglied der beigeladenen Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) gewesen und hat zwischen dem 10.Juli 1978 und dem 2. Februar 1979 insgesamt acht Beiträge für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung entrichtet. Seit November 1978 ist der Versicherte drogenabhängig (Heroin). Deswegen gewährte ihm die Beklagte ab Juni 1979 mehrere stationäre Rehabilitationsmaßnahmen, die vorzeitig abgebrochen wurden. Mit Bescheid vom 28. November 1979 bewilligte die Beklagte dem Versicherten eine dreimonatige Rehabilitationsmaßnahme und wies gleichzeitig darauf hin, daß sie zum letzten Mal die Kosten hierfür übernehme. Hierauf wurde der Versicherte im "G A" am 30. November 1979 aufgenommen. Von dort wurde er wegen fortdauernder Therapieunwilligkeit am 26. Dezember 1979 entlassen. Einen weiteren Antrag des Versicherten auf Bewilligung von Rehabilitationsleistungen vom 2. Juni 1980 lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 9. Juni 1980 ab mit der Begründung, eine wesentliche Besserung der Erwerbsfähigkeit sei nicht zu erwarten, für eine Entziehungsbehandlung fehle es an der notwendigen Krankheitseinsicht. Dieser Bescheid ist bindend geworden.
Vom 13. Juni bis 19. November 1980 befand sich der Versicherte auf Kosten des Klägers zur Drogenentwöhnungsbehandlung in der Einrichtung D in H. Diese Maßnahme brach er ab und begab sich vom 25. November 1980 bis 6. April 1981 in eine weitere Entwöhnungsbehandlung bei der Einrichtung D in O. Von dort wurde er wegen eines Normverstoßes entlassen.
Mit seiner Klage begehrte der Kläger die Erstattung dieser Kosten in Höhe von 28.250.-- DM von der Beklagten, hilfsweise von der beigeladenen AOK. Seine Klage blieb in den Vorinstanzen ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 16. Juni 1981, Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. September 1982). In seiner Begründung führt das Landessozialgericht (LSG) aus, der vom Kläger geltend gemachte Erstattungsanspruch bestehe nicht, weil die Beklagte nicht zur Gewährung dieser Entziehungsbehandlung als Rehabilitationsmaßnahme verpflichtet gewesen sei. Mit Recht sei sie davon ausgegangen, daß durch diese Maßnahme eine Besserung der Erwerbsfähigkeit des Versicherten nicht eintreten werde. Insoweit sei für eine Ermessensausübung kein Raum. Die beigeladene AOK sei nicht nach § 184a Reichsversicherungsordnung (RVO) leistungsverpflichtet, weil sie nach der zwischen dem Bundesverband der Ortskrankenkassen und dem Verband Deutscher Rentenversicherungsträger geschlossenen Suchtvereinbarung nur zuständig sei, wenn die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung durch den Rentenversicherungsträger nicht vorlägen. Weiterhin könnten Leistungen nach § 184a RVO nur dann gewährt werden, wenn sie erforderlich und zweckmäßig seien. Diese Voraussetzung sei hier nicht erfüllt.
Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision wendet sich der Kläger gegen diese Rechtsauffassung.
Er erblickt eine Verletzung des Artikels 3 Grundgesetz (GG) darin, daß die Beklagte entgegen ihren eigenen Rehabilitationsrichtlinien mehrere Entziehungskuren bewilligt habe und deswegen nicht von dieser Verwaltungspraxis im Falle des Versicherten habe abweichen dürfen. Weiterhin verletze das angefochtene Urteil § 1236 RVO, weil das LSG den Begriff der Erfolgsaussicht verkannt habe. Auch eine abgebrochene Entziehungskur bringe insofern einen Erfolg, als sie zur Reifung des Drogenabhängigen beitrage. Schließlich verletzte das angefochtene Urteil § 184a RVO. Diese Vorschrift unterscheide sich grundlegend von § 1236 RVO. Komme es bei dieser Vorschrift wesentlich auf die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit an, so genüge für den von § 184a RVO erfaßten Bereich der Krankenversicherung schon eine Besserung, Linderung oder Verhütung der Verschlimmerung einer Krankheit. In diesem Sinne sei die vom Kläger durchgeführte Maßnahme erforderlich gewesen.
Als wesentliche Verfahrensmängel rügt der Kläger, das LSG habe das rechtliche Gehör verletzt und die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten. Die Verletzung des rechtlichen Gehörs liege darin, daß das LSG seinem Urteil ärztliche Berichte zugrundegelegt habe, die dem Kläger nicht bekannt gewesen seien. Die Grenzen der freien Beweiswürdigung habe das LSG dadurch überschritten, daß es in unzulässiger Weise statistische Angaben über die Erfolgsaussichten von Entziehungskuren verwertet habe. Weiterhin habe das LSG die vom Kläger beantragte Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Erfolgsaussicht der Entziehungskur abgelehnt. Der Bericht einer Rehabilitationseinrichtung sei nicht entsprechend seinem sprachlichen Wortlaut ausgelegt worden. Schließlich habe das LSG den Erfahrungssatz außer Acht gelassen, daß in der Drogenbekämpfung eine abgebrochene Therapie die Motivation des Drogenabhängigen bessere und damit positive Voraussetzungen für einen wiederholten Versuch der Entziehung schaffe.
Der Kläger beantragt, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte, hilfsweise die beigeladene AOK B zu verurteilen, ihm 28.520,- DM zu erstatten Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die beigeladene AOK beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie trägt vor, daß kein anderer Rehabilitationsträger leistungsverpflichtet sei, wenn sich das Rehabilitationsziel wegen mangelnder Erfolgsaussicht voraussichtlich nicht erreichen lasse. Eine Leistungszuständigkeit der Krankenversicherung komme nur in Betracht, wenn die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Leistungspflicht des Rentenversicherungsträgers nicht erfüllt seien.
Der Beigeladene R G ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Mit Recht hat das LSG den vom Kläger auf § 1531 RVO gestützten Erstattungsanspruch verneint, weil weder die Beklagte nach § 1236 RVO noch die beigeladene AOK B nach § 184a RVO zur Gewährung einer Entziehungskur für den Versicherten verpflichtet waren. Diese Entziehungskur war nach den vom LSG getroffenen Feststellungen erkennbar nicht erfolgversprechend.
Die für den Erstattungsanspruch ursprünglich maßgebende Vorschrift des § 1531 RVO ist mit Wirkung vom 1. Juli 1983 von den durch Gesetz vom 4. November 1982 (BGBl I 1450) eingefügten § 102 ff SGB X abgelöst worden. Nach Art II § 21 dieses Gesetzes sind bereits begonnene Verfahren nach den Vorschriften dieses Gesetzes zu Ende zu führen. Der Wortlaut des Art II § 21 stimmt überein mit der Vorschrift des Art II § 37 Abs 1 des Gesetzes vom 18. August 1980 (BGBl I 1469), die für die §§ 1 bis 85 SGB X gilt. Die Frage, ob Art II § 37 Abs 1 dieses Gesetzes lediglich für noch laufende Verwaltungsverfahren oder darüber hinaus auch für noch anhängige Rechtsstreitigkeiten aufgrund früherer Verwaltungsverfahren gilt, hat der erkennende Senat in seinen Urteilen vom 16. September 1981 (4 RJ 107/78 = BSGE 52, 98, 100 = SozR 1200 § 51 Nr 11 S 25ff; 4 RJ 63/80 - nicht veröffentlicht) dahin beantwortet, daß nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung das in der Überleitungsvorschrift zum SGB X - 1. und 2. Kapitel - erwähnte Verfahren nicht schon mit dem Erlaß des Verwaltungsaktes, sondern erst mit dem Eintritt der Bindungswirkung (§ 77 SGG) abgeschlossen ist. Diese Auffassung vertritt auch der Große Senat des BSG in seinem Beschluß vom 15. Dezember 1982 (GS 2/80 = BSGE 54, 223, 226 = SozR 1300 § 44 Nr 3).
Diese für Art II § 37 Abs 1 des Gesetzes vom 18. September 1980 entwickelten Auslegungsgrundsätze müssen auch für die Anwendung des hier maßgebenden Art II § 21 des Gesetzes vom 4. November 1982 gelten. Die Rechtsprechung des erkennenden Senates war zwar noch nicht im Zeitpunkt des Regierungsentwurfes (BR-Drucks 526/80), jedoch im Zeitpunkt der Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat (BR-Drucks 256/82 vom 16. Juli 1982) bekannt. Im Vermittlungsverfahren wurden verschiedene Vorschriften des Gesetzes geändert, die wörtliche Übereinstimmung des Art II § 21 SGB X 3. Kapitel mit Art II § 37 Abs 1 SGB X 1. und 2. Kapitel blieb jedoch erhalten. Schon hiernach ist davon auszugehen, daß der Gesetzgeber eine von der Rechtsprechung des erkennenden Senats abweichende Regelung nicht beabsichtigte. Weiterhin ist zu beachten, daß der Gesetzgeber eine zeitliche Abgrenzung für die Anwendung des neuen Rechts in Art II § 22 des Gesetzes vom 4. November 1982 vorgenommen hat. Sie beschränkt sich allerdings darauf, anzuordnen, daß die §§ 116 bis 119 SGB X nur auf Schadensfälle anzuwenden sind, die sich nach dem 30. Juni 1983 ereignen. Daraus ist zu schließen, daß die neue Kodifizierung auf alle sonstigen Fälle, dh ohne zeitliche Beschränkung, anzuwenden ist. Schließlich hat der Große Senat des BSG in seinem Beschluß vom 15. Dezember 1982 (aaO) ua ausgeführt, der Gesetzgeber könne aus verfassungsrechtlichen Gründen das Verwaltungsverfahren nicht als beendet gelten lassen, wenn sich in einem anschließenden Gerichtsverfahren die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes herausstelle. Hiernach könne ein Verwaltungsverfahren nur dann als abgeschlossen gelten, wenn eine für die Beteiligten bindende Verwaltungsentscheidung vorliege.
Nach alldem sind auf den vorliegenden Fall die §§ 102ff SGB X anwendbar. Diese normieren eigenständige Erstattungsansprüche (vgl BR-Drucks 526/80 S 24). Insoweit wird die bislang zu § 1531 RVO bestehende Rechtsauffassung bestätigt. Durch diese Vorschriften des SGB X werden die vorher in verschiedenen Gesetzen aufgeführten Erstattungsansprüche (§ 1531 RVO, § 44 Abs 3 SGB I, § 6 Abs 3 Reha-Gesetz) vereinheitlicht. Die einzelnen Regelungen der §§ 102ff SGB X unterscheiden sich nach ihren Anwendungsbereichen. So gilt § 102 SGB X für vorläufige Leistungen im Sinne des § 43 SGB 1 und des § 6 Reha-Gesetz. Schon der Regierungsentwurf sah vor, daß diese Regelung an die Stelle der alten Vorschriften treten sollte (BR-Drucks 526/80 S 31, BT-Drucks 9/95 S 30f). Dementsprechend wurden sie auch durch Art II § 10 Nr 1 und § 15 Nr 1a des Gesetzes vom 4. November 1982 aufgehoben. Die Vorschrift § 103 SGB X betrifft die Fälle, in denen ein Sozialleistungsträger aufgrund eines bestehenden Anspruches Sozialleistungen erbracht hat, auf die der Anspruch nachträglich ganz oder teilweise entfallen ist. Die Vorschrift des § 104 SGB X regelt die Erstattungspflicht in den Fällen, in denen ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat. Diese Regelung ist an die Stelle des früheren § 1531 RVO getreten (BR- und BT-Drucks aaO S 30, Art II § 3 Nr 1 des Gesetzes vom 4. November 1982). Sie bezieht sich nach ihrem Wortlaut nicht nur auf Erstattungsverpflichtungen zwischen Trägern der Sozialversicherung und der Sozialhilfe, sondern umfaßt alle Bereiche, in denen ein Sozialleistungsträger leistungspflichtig wird, weil ein vorrangiger Leistungsanspruch gegenüber einem anderen Sozialleistungsträger nicht besteht oder von diesem nicht erfüllt wird. Eine Sondervorschrift für Träger der Sozial- und Jugendhilfe sowie der Kriegsopferfürsorge enthält § 104 Abs 1 Satz 4 SGB X. In § 105 SGB X sind die Erstattungsansprüche für die Fälle geregelt, in denen ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat.
Auf den vorliegenden Erstattungsanspruch ist § 104 SGB X anwendbar. Es handelt sich um einen Erstattungsanspruch, der ursprünglich nach § 1531 RVO zu beurteilen war. Der Nachrang der vom Kläger erbrachten Leistung gegenüber den Sozialleistungen der Beklagten und der beigeladenen Krankenkasse ergibt sich aus § 2 BSHG. Es bedarf im vorliegenden Falle nicht der Erörterung aller einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 104 SGB X, denn für den Erstattungsanspruch nach § 104 Abs 1 Satz 1 iVm Satz 4 SGB X kommt es darauf an, ob und in welchem Umfang der Leistungsberechtigte - hier der Versicherte G- gegenüber der Beklagten oder der Allgemeinen Ortskrankenkasse für den Kreis B einen Anspruch auf Rehabilitation hatte. Diesen Anspruch haben die Vorinstanzen mit Recht verneint.
Bei der Entziehungskur handelte es sich um eine Rehabilitationsmaßnahme, die nach § 1236 Abs 1 Satz 1 RVO vom Rentenversicherungsträger nur gewährt werden darf, wenn hierdurch die Erwerbsfähigkeit des Versicherten wesentlich gebessert oder wiederhergestellt werden oder wenn bei einer bereits geminderten Erwerbsfähigkeit durch diese Leistungen der Eintritt der Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit abgewendet werden kann. Erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, bestimmt der Rentenversicherungsträger nach § 1236 Abs 1 letzter Satz RVO im Einzelfall Art, Umfang und Durchführung der Leistungen nach pflichtgemäßem Ermessen. Nach diesem Aufbau des Gesetzes werden die Voraussetzungen für die Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen nicht vom Ermessen des Rentenversicherungsträgers erfaßt; es handelt sich hierbei um unbestimmte Rechtsbegriffe, die aufgrund eines festgestellten Sachverhaltes der gerichtlichen Nachprüfung zugänglich sind (vgl BSG Urteil vom 29. Februar 1968 - 4 RJ 423/66 = BSGE 28, 18, 19; Urteil vom 24. Juni 1980 - 1 RA 51/79 = SozR 2200 § 1237 Nr 15 S 19).
Die Beklagte verkennt die Voraussetzungen des § 1236 Abs 1 Satz 1 RVO nicht, wenn sie bei dem Fehlen einer positiven Einstellung des Versicherten zum Ziel der Rehabilitation (Motivation) die Erfolgsaussichten verneint. Die Mitwirkung des Versicherten ist sowohl für die Einleitung als auch für den Sinn jeder Rehabilitationsmaßnahme unerläßlich (vgl § 4 Reha-Gesetz, Jung-Preuss, Rehabilitationsgesetz 2. Auflage, 1975, Erläuterungen zu § 4). Diese Bereitschaft zur Mitwirkung war im vorliegenden Falle beim Versicherten ersichtlich nicht vorhanden. Die Beklagte hatte auch keine hinreichenden Gründe zu der Annahme, daß der Versicherte seine Einstellung künftig ändern werde. Mit Recht hat sie deshalb die Durchführung weiterer Maßnahmen abgelehnt.
Die Beklagte hat bei der Ablehnung weiterer Maßnahmen nicht ihr Ermessen ausgeübt, sondern vielmehr zutreffend die gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen als Grundlage für die Ermessensausübung verneint. Deswegen kommt es im vorliegenden Falle auf die Frage, ob und inwieweit die Beklagte eine Entscheidung des Klägers, die in ihren Ermessensbereich eingreift, gegen sich gelten lassen muß (vgl BSG Urteil vom 2. Februar 1978 - 8 RU 78/77 = BSGE 45, 290, 295), nicht mehr an. Dies hat das LSG zutreffend ausgeführt. Ebensowenig hat die Beklagte, wie der Kläger meint, gegen Artikel 3 GG verstoßen. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte dem Versicherten früher zu Unrecht Rehabilitationsmaßnahmen gewährt hatte, denn selbst wenn das der Fall gewesen wäre, ergäbe sich daraus weder ein Anspruch des Versicherten auf Fortsetzung des rechtswidrigen Handelns noch gar ein Anspruch des Klägers darauf, daß sich die Beklagte auch ihm gegenüber unrechtmäßig verhalten müsse.
Die AOK ist ebenfalls nicht zur Kostenerstattung verpflichtet. Im vorliegenden Fall handelte es sich nicht um eine stationäre Behandlung nach § 184 RVO, sondern um eine Rehabilitationsmaßnahme iSd § 184a RVO, der durch das Reha-Gesetz vom 7. August 1974 (BGBl I 1881) eingefügt wurde. Hiernach war die Maßnahme nicht erforderlich, weil sie ebensowenig wie eine Maßnahme der Beklagten zu einer Eingliederung des Versicherten in Arbeit, Beruf und Gesellschaft (§ 1 Reha-Gesetz) geführt hätte. Die Zuständigkeit der AOK für eine solche Maßnahme kommt nur in Betracht, wenn die Beklagte als Rentenversicherungsträger diese Leistung nicht gewähren könnte (vgl BSG-Urteil vom 24. März 1983 - 8 RK 2/82). Dies trifft im allgemeinen nur dann zu, wenn in der Rentenversicherung die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 1236 RVO) nicht erfüllt sind. Im vorliegenden Fall aber konnte die Beklagte Rehabilitationsleistungen gewähren, sofern diese erforderlich waren.
Die Verfahrensrügen des Klägers greifen nicht durch.
Das LSG hat das rechtliche Gehör (§§ 62, 128 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) nicht verletzt. Seine Feststellungen über den Gesundheitszustand des Versicherten und den Verlauf der bisherigen Entziehungsbehandlungen hat es den Verwaltungsakten der Beklagten entnommen. Diese lagen bereits im sozialgerichtlichen Verfahren vor und wurden dort ausgewertet. Ausweislich des Tatbestandes des angefochtenen Urteils des LSG lagen die Verwaltungsakten der Beklagten auch diesem Gericht vor und waren Gegenstand des Verfahrens. Hierdurch hatte der Kläger Gelegenheit, sich mit dem Inhalt dieser Akten vertraut zu machen. Das LSG war nicht verpflichtet, den Kläger speziell die Aktenbestandteile bekanntzugeben, die es für besonders bedeutsam hielt. Vielmehr konnte das LSG den gesamten Inhalt dieser Akten und damit auch einzelne Bestandteile seinem Urteil zugrunde legen. Im übrigen hatte der Kläger im Verfahren vor den Tatsacheninstanzen ausreichend Gelegenheit, sich zu dem Inhalt der Akten der Beklagten zu äußern.
Die Vorschrift des § 128 Abs 1 SGG wurde vom LSG nicht verletzt. Es hat die Grenzen der freien Beweiswürdigung nicht überschritten. Der vom Kläger gerügte statistische Erfahrungssatz wird zwar im angefochtenen Urteil erwähnt, jedoch hat das LSG deutlich zum Ausdruck gebracht, daß es diesen Erfahrungssatz seinem Urteil nicht zugrundelegen wolle. Im übrigen hat sich das LSG für die Feststellung der Erfolgsaussichten einer Entziehungskur auf eine Würdigung des Inhalts der Akten der Beklagten beschränkt. Hierin allein liegt kein Überschreiten der Grenzen der freien Beweiswürdigung. Dem LSG mußte sich nicht die Überzeugung aufdrängen, daß dieser Akteninhalt unvollständig oder unrichtig ist. Unter dieser Voraussetzung konnte es aufgrund seiner eigenen Beweiswürdigung, nämlich der Überzeugungsbildung aus den Verwaltungsakten der Beklagten, von einer weiteren Aufklärung des Sachverhaltes absehen. Selbst wenn es Erfahrungssätze geben sollte, daß eine abgebrochene Therapie günstige Voraussetzungen für den wiederholten Versuch der Entziehung schaffen könnte, so mußte das LSG nicht davon überzeugt sein, daß dies auch im Falle des Versicherten gilt. Alle Anzeichen deuteten vielmehr auf das Gegenteil, weil der Versicherte wiederholt Entziehungskuren abgebrochen hatte, ohne daß die danach erneut bewilligten Entziehungsbehandlungen erfolgreicher verlaufen wären. Deswegen konnte das LSG auch im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung zu dem Ergebnis kommen, daß bei dem Versicherten eine hinreichende Motivation für die Entziehung nicht vorhanden war.
Nach alldem war die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
BSGE, 69 |
Breith. 1984, 386 |