Verfahrensgang

LSG Hamburg (Urteil vom 27.04.1976; Aktenzeichen VI ARBf 8/76)

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 27. April 1976 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob Forderungen der Klägerin für die Monate April, Mai, September und Oktober 1973 sowie für die Zeit vom 1. bis 13. November 1973 auf Winterbau-Umlage nach § 186 a des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) iVm der Verordnung über die Umlage zur Aufbringung der Mittel für die Produktive Winterbauförderung (Winterbau-Umlagenverordnung) einschließlich des Pauschales (§ 186 a Abs. 2 Satz 3 AFG iVm § 6 Winterbau-Umlageverordnung), eines Säumniszuschlags (§ 397 a Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung –RVO– in der bis 1. Juli 1977 geltenden Fassung) und Verzugszinsen (§ 397 a Abs. 2 RVO) dem Konkursvorrecht nach § 61 Nr. 1 der Konkursordnung (KO) in der bis 19. Juli 1974 geltenden Fassung (aF) unterliegen.

Diese Forderungen in Höhe von 80.652,55 DM wurden in dem Konkursverfahren über das Vermögen der Kommanditgesellschaft (KG) Hermann D. und der Hans D. Verwaltungsgesellschaft mbH, Hamburg, deren Konkursverwalter der Beklagte ist, im Prüfungstermin des Amtsgerichts Hamburg am 9. April 1974 festgestellt und in die Konkurstabelle eingetragen. Da der Beklagte das Konkursvorrecht nach § 61 Nr. 1 KO aF bestritt, hat die Klägerin Klage mit dem Antrag erhoben, das Konkursvorrecht nach dieser Vorschrift festzustellen. Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat die Feststellungsklage abgewiesen (Urteil vom 9. November 1976). Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) Hamburg das Urteil des SG aufgehoben; es hat festgestellt, daß die in den Konkursverfahren über das Vermögen der Hermann D. KG und Hans D. Verwaltungsgesellschaft mbH im Prüfungstermin am 9. April 1974 festgestellte Förderung der Klägerin von 80.652,55 DM das Konkursvorrecht nach § 61 Nr. 1 KO aF genießt. Das LSG hat die Revision zugelassen (Urteil vom 27. April 1970).

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung des § 186 a AFG und des § 61 Nr. 1 KO aF.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben.

Die Klägerin beantragt,

die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) entscheidet.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Sie ist zurückzuweisen. Die Forderungen der Klägerin auf Zahlung von Winterbau-Umlage nach § 186 a AFG iVm der Winterbau-Umlage VO einschließlich Pauschale (§ 186 a Abs. 2 Satz 3 AFG iVm § 6 Winterbau-Umlage VO), eines Säumniszuschlages (§ 397 a Abs. 1 RVO) und Verzugszinsen (§ 397 a Abs. 2 RVO) für die Monate April, Mai, September und Oktober 1973 sowie für die Zeit vom 1. bis zum 13. November 1973 sind gemäß § 61 Nr. 1 KO aF in Höhe von insgesamt 80.652,55 DM bevorrechtigt.

Zutreffend hat das LSG für die nach § 146 Abs. 1 KO iVm § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässige Feststellungsklage (vgl. BSGE 14, 40, 43) entschieden, daß der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nach § 51 Abs. 1 SGG gegeben ist. Die Forderungen der Klägerin, um deren Konkursvorrecht gestritten wird, gehören zu den öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten der Beklagten, die den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nach § 51 Abs. 1 SGG zugewiesen worden sind. Da das Konkursvorrecht eine der Forderung innewohnende Eigenschaft und nicht ein besonderes, neben ihr bestehendes Recht ist, gehören Vorrechtsstreitigkeiten grundsätzlich vor dieselben Gerichte wie Streitigkeiten über Grund und Höhe der Forderung (BSGE 32, 263 f).

Das LSG hat auch in der Sache zu Recht entschieden. Die Forderung auf rückständige Winterbau-Umlage unterliegt nach § 3 Abs. 2 Winterbau-Umlage VO iVm § 179 Satz 1 AFG aF und § 28 Abs. 3 RVO in der bis zum 19. Juli 1974 geltenden Fassung (aF) dem Konkursrecht nach § 61 Nr. 1 KO aF. Das gleiche gilt für das Pauschale (§ 186 a Abs. 2 Satz 3 AFG) als einer mit der Umlage verbundenen Nebenforderung sowie für die durch die Säumnis entstandenen Nebenkosten (Säumniszuschlag, Verzugszinsen – vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. I S. 194 f –).

Die Vorschrift des § 3 Abs. 2 Winterbau-Umlage VO ist rechtswirksam zustandegekommen. Sie ist in einer Rechtsverordnung enthalten, die ihre Ermächtigungsgrundlage in § 186 a Abs. 3 Satz 1 AFG hat. Hiernach bestimmt der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) durch Rechtsverordnung den Vomhundertsatz der Umlage sowie das Nähere über ihre Zahlung – bis 31. Dezember 1974 ihre Fähigkeit (vgl. § 186 a Abs. 1 Satz 1 AFG in der bis zum 31. Dezember 1974 geltenden Fassung) – und Einziehung. Die Ermächtigungsnorm entspricht auch den durch das Prinzip der Gewaltenteilung gebotenen rechtsstaatlichen Erfordernissen. Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) müssen bei einem Gesetz, durch das die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen, Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden. Sofern die Bestimmtheit der Ermächtigung nicht schon in der Ermächtigungsnorm hinreichend zum Ausdruck gebracht ist, muß sie dem Sinnzusammenhang des Gesetzes entnommen werden können. Insbesondere muß der Zweck aus dem Programm des Gesetzgebers für den Verordnungsgeber deutlich erkennbar sein. Dabei kann zur Ermittlung des gesetzgeberischen Willens auf das ganze Gesetz, in das die Ermächtigungsnorm hineingestellt ist, und darüber hinaus sogar auf andere Gesetze zurückgegriffen werden (BVerfGE 24, 155, 169; 28, 66, 86; 29, 198, 210); denn auch für die Auslegung von Ermächtigungsnormen gelten die allgemeinen Auslegungsgrundsätze (BVerfGE 36, 224, 228). Die nötige Beschränkung (Ausmaß) einer Ermächtigung ist dann gegeben, wenn sie so bestimmt ist, daß vorausgesehen werden kann, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht werden wird und welchen Inhalt die aufgrund der Ermächtigung erlassene Verordnung haben kann (vgl. BVerfGE 19, 361 mwN; BSGE 20, 52, 53 f; Leibholz-Rinck, GG, 5. Aufl Art. 80, Anm. 7; Wolff-Bachof, Verwaltungsrecht I, 9. Aufl § 25, S. 129, 130; Hasskerl, AöR 94, 85, 99 ff; Wilke AöR 98, 196, 229 ff).

Die Ermächtigungsnorm des § 186 a Abs. 3 Satz 1 AFG genügt diesen Anforderungen. Sie ist nach Inhalt, Zweck und Ausmaß der Ermächtigung auch hinsichtlich der hier in Betracht kommenden Regelung der Einziehung hinreichend bestimmt. Inhaltlich ergibt sich die Bestimmtheit aus der Ermächtigungsnorm iVm § 179 AFG aF. In § 186 a Abs. 3 Satz 1 AFG heißt es, daß die Einziehung der Umlage geregelt werden soll. Unter Einziehung sind die Beitreibung und die Maßnahmen zur zwangsweisen Befriedigung ausstehender Forderungen gegen zahlungsunwillige oder zahlungsunfähige Schuldner zu verstehen, also auch die Verfolgung des Anspruchs der Bundesanstalt für Arbeit (BA) auf die Umlage im Wege der Zwangsvollstreckung und im Konkurs. Das folgt schon daraus, daß das Gesetz von Einziehung auch in § 179 Satz 1 AFG aF im Zusammenhang mit den Beiträgen spricht und dabei ausdrücklich auch auf die Vorschriften über die Beitreibung von Rückständen nach § 28 RVO aF verweist. Der Zweck der Ermächtigung ergibt sich aus dem Zusammenhang der gesetzlichen Vorschriften über die Produktive Winterbauförderung, deren Finanzierung aus dem Umlageaufkommen sichergestellt werden soll. Der hierzu gesetzlich begründete Anspruch auf die Umlage bedarf – wie jeder Anspruch gegen einen Leistungspflichtigen – einer gesetzlich geregelten Verfahrensweise für die zwangsweise Durchsetzung. Den für die Bestimmung des Ausmaßes der Ermächtigung erforderlichen deutlichen Hinweis konnte der Verordnungsgeber aus der Tatsache ableiten, daß der Gesetzgeber im AFG selbst die Beitreibung (= Einziehung) der Beiträge geregelt und hierbei den Weg der Bezugnahme auf § 28 RVO aF gewählt hatte, der seinerseits nicht auf die Beitreibung von lohnbezogenen Beiträgen beschränkt ist, sondern weitergehend die Beitreibung von Rückständen allgemein regelt. Hieraus ergeben sich die Grenzen, die der Gesetzgeber dem Verordnungsgeber für die Regelung der Einziehung gezogen hat, wonach dieser jedenfalls keine strengeren Maßstäbe als die in § 179 Satz 1 AFG aF iVm § 28 RVO aF vorgegebenen setzen durfte. Dieser vorgezeichneten Tendenz hat der Verordnungsgeber auch entsprochen. Indem er in § 3 Abs. 2 Winterbau-Umlage VO zur Regelung der Einziehung der Umlage die entsprechende Anwendung des § 179 Satz 1 AFG aF und damit des § 28 RVO aF mit dem ausdrücklichen Zusatz „soweit die Besonderheiten der Umlage nicht entgegenstehen” angeordnet hat, ist er innerhalb der von der Ermächtigung gezogenen Grenzen geblieben.

Der Umlage haften keine Besonderheiten an, die ihrer Einbeziehung in das Konkursvorrecht des § 61 Nr. 1 KO aF entgegenstehen.

Das Ergebnis läßt sich auch nicht durch die Erwägung ausräumen, die mit der Klage geltend gemachten Forderungen seien gemäß § 61 Nr. 1 KO aF deshalb nicht bevorrechtigt, weil es sich nicht um rückständige Sozialversicherungsbeiträge handele, die in einem inneren Zusammenhang mit den nach § 61 Nr. 1 KO aF bevorrechtigten Lohnforderungen stünden. Eine solche Argumentation würde übersehen, daß der Winterbau-Umlage eine innere Beziehung zum Lohn der Arbeitnehmer in der Bauwirtschaft nicht abgesprochen werden kann. Aus dem Umlage auf kommen wird nämlich auch das Wintergeld finanziert, das als pauschalierte Abgeltung der mit dem Arbeitseinsatz in der Förderungszeit witterungsbedingt entstehenden Mehraufwendungen gezahlt wird und an die geleisteten Arbeitsstunden gekoppelt ist (§ 80 AFG). Auch bemißt sich die Höhe der Umlage nach der Gesamtsumme der lohnsteuerpflichtigen Bruttoarbeitslöhne der für den Bezug von Wintergeld in Frage kommenden Arbeiter (§ 1 Winterbau-Umlage VO).

Im übrigen nötigt aber die Verweisung in § 28 Abs. 3 RVO aF auf § 61 Nr. 1 KO aF auch nicht dazu, das Konkursvorrecht auf solche Beitragsrückstände zu beschränken, die – wie etwa Pflichtbeiträge – wegen ihrer inneren Verwandtschaft den Lohnforderungen gleichgestellt werden können. Mit der Verweisung auf § 61 Nr. 1 KO aF sollte lediglich den „Rückständen” im Konkurs der gleiche Rang wie jenen Lohnforderungen gegeben werden. Ob dabei die Erwägung mitgesprochen hat, daß die Arbeitgeber bestimmte Beitragsanteile ihrer Arbeitnehmer vom Lohn einzubehalten und wie Lohnteile abzuführen haben (§§ 393 ff RVO), ist den Gesetzesmaterialien (vgl. RGZ 102, 70, 72 f) nicht sicher zu entnehmen. Jedenfalls haben solche oder ähnliche Erwägungen keinen Eingang in den Tatbestand der gesetzlichen Regelung gefunden und können deshalb für ihre Auslegung nicht entscheidend sein. Dies hat das Bundessozialgericht auch bereits bei der Einbeziehung von freiwilligen Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung in das Konkursprivileg des § 28 Abs. 3 RVO aF unter Berücksichtigung der Verweisung auf § 61 Nr. 1 KO aF ausgesprochen (BSGE 32, 263, 267). Es stand deshalb dem Gesetzgeber auch frei, die rückständige Winterbau-Umlage und die mit ihr verbundenen Nebenforderungen in das Konkursprivileg einzubeziehen. Der Verordnungsgeber hat demnach den ihm in § 186 a Abs. 3 AFG vom Gesetzgeber eingeräumten Ermächtigungsrahmen, das Nähere über die Zahlung und Einbeziehung der Umlage zu bestimmen, nicht überschritten, wenn er in § 3 Abs. 2 Winterbau-Umlage VO die entsprechende Anwendung des § 179 Satz 1 AFG aF und damit die Geltung des § 28 RVO aF vorgeschrieben hat.

Aus der Amtlichen Begründung zu der unverändert als Gesetz beschlossenen Neufassung des § 61 KO durch Art. II § 10 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IV), die am 1. Juli 1977 in Kraft getreten ist, geht im übrigen hervor, daß die Änderung „wegen Streichung des § 28 Abs. 3 RVO aF erforderlich” gewesen ist (Bundesrats-Drucks 300/75 S 41). Unter Buchstabe e) des neugefaßten § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO ist das Konkursvorrecht der Träger der Sozialversicherung und der BA auf Beiträge einschließlich Säumniszuschläge und auf Umlagen ausdrücklich aufgezählt. Es handelt sich demnach hierbei nicht um die Schaffung neuen Rechts, sondern lediglich um eine durch die Kodifizierung des Sozialrechts im SGB notwendig gewordene textliche Anpassung und Neuformulierung bestehenden Rechts.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI926377

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