Leitsatz (redaktionell)
Als ständige Familienwohnung iS von RVO § 550 S 2 gilt eine Wohnung, die für sich allein geeignet und dazu bestimmt ist, dem häuslichen Wirkungskreis zu dienen.
Unterhält der Versicherte 2 Wohnungen gleicher Qualität, so ist diejenige die Familienwohnung iS des RVO § 550 S 2, die dem Ort der beruflichen Tätigkeit am nächsten liegt; bei der Fahrt zwischen der Familienwohnung in diesem Sinne und der weiter entfernt liegenden Wohnung handelt es sich um einen (unversicherten) Weg von der einen Wohnung zur anderen.
Ein Weg, dessen Ziel die Arbeitsstätte ist, steht nicht unter Versicherungsschutz nach RVO § 550 S 2, wenn es sich um den Rückweg von einer dem unversicherten persönlichen Lebensbereich angehörenden Tätigkeit handelt.
Normenkette
RVO § 550 Abs. 2 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 21. Februar 1968 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Ehemann der Klägerin zu 1) und Vater der Kläger zu 2), A G (G.), war selbständiger Bademeister und Masseur und als Unternehmer bei der Beklagten versichert. Die Eheleute G. betrieben von 1950 bis 1955 als Pächter das Kneippbad in V. Dann pachteten sie das Städtische Kneipp- und Saunabad in T. Dort wohnten sie in der R-straße ... zur Miete. Das Kneippbad war dienstags bis samstags von 6.30 bis 18.00 Uhr geöffnet. Im Jahre 1960 bauten sich die Eheleute G. in V neben dem dortigen Kneippbad ein Haus. Nach dem Auslaufen des Pachtvertrags in T zum Ende des Jahres 1966 wollten sie in ihrem Haus Badegäste aufnehmen und behandeln. Bis dahin hatten sie ihr Haus zum größten Teil vermietet; eine Küche, zwei Schlafzimmer und ein Wohnzimmer hatten sie für sich behalten. Die Eheleute G. fuhren regelmäßig am Samstagabend oder Sonntagvormittag nach V, um das Wochenende in ihrem Haus zu verbringen. Die Rückreise nach dem etwa 250 km entfernten T erfolgte meist am Montagabend. Ihre beiden Kinder befanden sich in einem Internat in W und gingen dort zur Schule; ihre Ferien verbrachten sie meist mit einem Elternteil im eigenen Haus in V. Eltern und Kinder waren nur in T polizeilich gemeldet.
In der Nacht zum 27. Juni 1965 (einem Sonntag) fuhr der Ehemann der Klägerin zu 1) allein von T nach V, weil diese sich bereits seit 14 Tagen dort befand. Am Vormittag des 28. Juni 1965 besprachen die Eheleute G. mit einem Bauunternehmer, wie die Schäden ihres Hauses zu beheben und welche baulichen Veränderungen im Erdgeschoß vorzunehmen seien, damit das Haus für seinen nach Beendigung des Pachtvertrags in T ins Auge gefaßten Zweck geeignet sei. Der Ehemann der Klägerin zu 1) trat an diesem Tag um 20.00 Uhr die Rückfahrt nach T an. Gegen 23.00 Uhr verunglückte er auf der Autobahn bei S tödlich.
Die Beklagte versagte durch Bescheid vom 24. Februar 1966 die begehrten Hinterbliebenenentschädigungen, weil der Weg, auf dem sich der Verkehrsunfall ereignet habe, mit der versicherten Tätigkeit nicht ursächlich zusammenhänge.
Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 15. November 1966, Urteil des Landessozialgerichts - LSG - Rheinland-Pfalz vom 21. Februar 1968).
Das Berufungsgericht hat sein Urteil im wesentlichen wie folgt begründet:
Der Verunglückte habe auf dem Weg von V nach T nicht nach § 550 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) unter Versicherungsschutz gestanden, weil damals die Wohnung in V nicht die Familienwohnung im Sinne dieser Vorschrift gewesen sei. Der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse habe sich am Ort der betrieblichen Tätigkeit befunden, wo die Eheleute G. eine vollständig eingerichtete Wohnung besaßen und - was entscheidend sei - ihren Wohnsitz gehabt hätten. Wenn auch die Bindung an das eigene Haus in V eng gewesen sei, die Hauptwohnung und damit der Wohnsitz hätte sich in T befunden, ohne daß in V ein weiterer Wohnsitz begründet worden sei.
Die Familie G. sei nicht dort, sondern allein in T polizeilich gemeldet gewesen. Die erhebliche Entfernung zwischen beiden Orten spreche ebenfalls dagegen, daß der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse auch noch das eigene Haus in V gewesen sei.
Es bestehe auch kein Versicherungsschutz nach § 550 Satz 1 RVO, weil der Ehemann der Klägerin zu 1) auf dem Rückweg von einem privaten Wochenendaufenthalt verunglückt sei. Ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit ergebe sich auch nicht dadurch, daß die Eheleute G. am Vormittag des 28. Juni 1965 mit einem Bauunternehmer eine Besprechung geführt hätten. Diese habe, wie die Klägerin zu 1) im Rentenfeststellungsverfahren angegeben habe, nur bei Gelegenheit des Wochenendaufenthalts in V stattgefunden; der Ehemann der Klägerin zu 1) sei nicht wegen dieser Besprechung nach V gefahren, sondern um dort das Wochenende zu verbringen. Im übrigen hänge diese Besprechung innerlich nicht mit der versicherten Tätigkeit des Ehemannes der Klägerin zu 1) zusammen.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Kläger haben dieses Rechtsmittel eingelegt und es im wesentlichen wie folgt begründet: Zu Unrecht habe das LSG angenommen, daß die Eheleute G. nicht auch in V ihren Wohnsitz gehabt hätten. Die vom LSG aus dem Umstand, daß in Vallendar keine polizeiliche Anmeldung erfolgt sei, gezogenen rechtlichen Schlußfolgerungen seien nicht Rechtens. Der Versicherungsschutz sei aber auch nach § 550 Satz 1 RVO im Hinblick auf den Zweck der am 28. Juni 1965 durchgeführten Besprechung ungeachtet des Umstandes zu bejahen, daß der Ehemann der Klägerin zu 1) die Rückfahrt nicht sofort im Anschluß daran, sondern erst am Abend angetreten habe.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Kläger beantragen,
unter Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und des Bescheides der Beklagten diese zu verurteilen, Hinterbliebenenentschädigung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II
Die Revision ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat mit Recht sowohl die Voraussetzungen des § 550 Satz 1 RVO als auch des Satzes 2 dieser Vorschrift verneint.
Die vom LSG für den Versicherungsschutz nach § 550 Satz 2 RVO als rechtserheblich angesehene Frage, ob die Eheleute G. ihren Wohnsitz nur in T hatten, kann allerdings auf sich beruhen. Wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, ist entscheidend, daß die Eheleute G. ihre Familienwohnung im Sinne dieser Vorschrift im Zeitpunkt des Unfalls nicht in V hatten. Sie besaßen nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG sowohl in T als auch in V eine vollständig eingerichtete Wohnung und hielten sich abwechselnd in beiden Wohnungen auf, in der Regel von Montagabend bis Samstagabend in T, im übrigen in V. Daher kann, was § 550 Satz 2 RVO jedoch voraussetzt, nicht davon ausgegangen werden, daß der Ehemann der Klägerin zu 1) in T lediglich eine Unterkunft hatte und der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse der Eheleute G. sich in V befand. Dem steht entgegen, daß beide Eheleute als Pächter das Städtische Kneipp- und Saunabad in T leiteten, sie also im allgemeinen dort fast die ganze Woche beruflich gebunden waren.
Die Wohnverhältnisse der Eheleute G. im Zeitpunkt des Unfalls waren auch nicht so, daß sie als zwei Teilbereiche eines einzigen häuslichen Wirkungskreises anzusehen waren (vgl. das Urteil des erkennenden Senats in SozR Nr. 44 zu § 543 RVO aF). Eine solche Betrachtungsweise verbieten schon die zwischen beiden Wohnungen bestehende erhebliche Entfernung (etwa 250 km) sowie der Umstand, daß jede Wohnung für sich allein geeignet und dazu bestimmt war, dem häuslichen Wirkungskreis vollständig zu dienen, also nicht etwa wie in der früher vom erkennenden Senat entschiedenen Streitsache das zum Wohnen bzw. Schlafen Wesentliche jeweils dem einen Teil fehlte und dem anderen zu eigen war.
Die Wohnung in Vallendar war auch nicht deshalb im Sinne von § 550 Satz 2 RVO zur Familienwohnung geworden, weil die Klägerin zu 1) sich zur Zeit, als sich der tödliche Unfall ereignete, bereits zwei Wochen in dieser Wohnung aufgehalten hatte und dort weiterhin verbleiben wollte, so daß ihr Ehemann am 28. Juni 1965 wieder allein nach T zurückfuhr. Besitzt eine Familie zwei Wohnungen, so ist es natürlich, daß sich die Ehefrau auch in derjenigen, welche nicht so häufig benutzt wird, einmal etwas länger aufhält. Im Hinblick darauf, daß der Pachtvertrag erst in 1 1/2 Jahren ablief, und angesichts der erheblichen Entfernung zwischen T und Vallendar spricht nichts dafür, daß schon damals nur das eigene Haus in V der Mittelpunkt der Lebensverhältnisse der Familie G. war.
Der Ehemann der Klägerin zu 1) hat zur Zeit seines tödlichen Unfalls auch nicht nach § 550 Satz 1 RVO unter Versicherungsschutz gestanden. Als er zuvor in der Nacht von Samstag auf Sonntag von T nach V fuhr, um dort das Wochenende zu verbringen, hat er sich nicht auf dem Heimweg von der Arbeitsstätte zu seiner Wohnung, sondern auf dem Weg von der einen Wohnung zur anderen befunden. Diese Tätigkeit gehört dem unversicherten persönlichen Lebensbereich an. Für denselben Weg zurück nach T, den der Ehemann der Klägerin am 28. Juni 1965 abends um 20.00 Uhr angetreten hat, kann somit nichts anderes gelten; nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats sind für die Frage des inneren Zusammenhangs Hin- und Rückweg in der Regel als Einheit zu behandeln (BSG 1, 171, 173; 8, 53, 55; BG 1967, 115; 1969, 195). Der Ehemann der Klägerin zu 1) war im Zeitpunkt des drei Stunden später eingetretenen Unfalls also nicht auf dem Weg zur Arbeitsstätte, sondern zu seiner am Ort seines Unternehmens gelegenen Wohnung. Seine versicherte Tätigkeit wollte er erst am folgenden Tag beginnen.
Die Rechtslage ist nicht deshalb anders zu beurteilen, weil die Eheleute G. am Vormittag des 28. Juni 1965 in V mit einem Bauunternehmer ein Gespräch geführt haben, durch welche baulichen Maßnahmen ihr Haus dem ihm künftig zugedachten Zweck, dort nach Beendigung des Pachtvertrags in T ein eigenes Unternehmen zu betreiben, genügen würde. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Besprechung eine rechtlich wesentliche Beziehung zum Unternehmen der Eheleute G. gehabt hat. Nach den auf die Angaben der Klägerin zu 1) gestützten tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts war diese Besprechung nicht der Grund dafür, daß der Ehemann der Klägerin zu 1) nach V gefahren war, er wollte dort vielmehr wie üblich das Wochenende verbringen. Diese Zielsetzung ist auch für die Frage des Versicherungsschutzes auf der Rückfahrt rechtlich bedeutsam.
Die für den Ehemann der Klägerin zu 1) tödlich endende Fahrt von V nach T stand sonach nicht in einem inneren Zusammenhang mit seiner versicherten Tätigkeit als Unternehmer. Daher war die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 SGG.
Fundstellen