Leitsatz (amtlich)
Eine Besserung oder Verschlimmerung von Unfallfolgen bedeutet nur dann eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS von RVO § 622 Abs 1, wenn sich hierdurch der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit um mehr als 5 % senkt bzw erhöht (Abweichung von BSG 1967-05-31 2 RU 81/64 = SozR Nr 13 zu § 608 RVO aF und BSG 1961-07-28 2 RU 91/58 = SozR Nr 13 zu § 608 RVO aF; SozR Nr 8 zu § 608 RVO aF vergleiche auch BSG 1956-11-29 2 RU 126/54 = SozR Nr 3 zu § 559a RVO aF).
Normenkette
RVO § 622 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts für das Saarland vom 11. Dezember 1969 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Gründe
I
Der 1933 geborene Kläger erlitt bei dem Arbeitsunfall am 25. August 1960 Verletzungen der linken Hand. Als Unfallfolgen verblieben: Verlust des 4. und 5. Fingers unter Mitnahme der Köpfchen der Mittelhandknochen, Verlust des Endgliedes am 3. Finger unter Mitnahme des Mittelgliedköpfchens, Bewegungseinschränkung des 3. Fingers und dadurch behinderter Faustschluß, herabgesetzte Kraft der linken Hand. Die Beklagte gewährte dem Kläger eine vorläufige Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um zunächst 40 v. H., von Juni 1961 an um 30 v. H. In dieser Höhe stellte die Beklagte von Oktober 1962 an auch die Dauerrente fest. Im August 1963 ergab eine ärztliche Begutachtung, daß sich die Greiffunktion etwas gebessert hatte und die Zirkulationsstörungen zurückgegangen waren; die MdE wurde auf 25 v. H. geschätzt. Eine weitere Untersuchung im Juni 1964 führte zum gleichen Ergebnis; daraufhin wurde in den Unfallakten vermerkt: "Keine wesentliche Besserung. Fall außer Kontrolle setzen (Dauerzustand)." Nachdem jedoch der Kläger im August 1968 beantragte, seine Rente gem. § 607 der Reichsversicherungsordnung (RVO) abzufinden, ließ ihn die Beklagte erneut untersuchen. In dem im März 1969 erstatteten Gutachten führte der Sachverständige aus, eine gewisse Besserung sei sicher eingetreten, sie sei jedoch nicht so maßgeblich, daß eine Rentenherabsetzung um 10 v. H. dadurch bedingt werde, die MdE betrage 25 v. H. Durch Bescheid vom 24. April 1969 setzte die Beklagte die dem Kläger gewährte Dauerrente vom 1. Juni 1969 an auf 25 v. H. herab und begründete dies damit, die Greiffunktion der linken Hand sei besser geworden, die Blutumlaufstörungen seien zurückgegangen, die Druckempfindlichkeit der Stümpfe habe nachgelassen. In der langen Zeit seit dem Unfall sei auch eine gewisse Gewöhnung und Anpassung an die Unfallfolgen eingetreten. Abschließend stellte die Beklagte dem Kläger anheim, die Abfindung seiner Rente gem. § 604 RVO zu beantragen.
Der Kläger hat seine Klage gegen den Bescheid vom 24. April 1969 damit begründet, eine Änderung der unfallbedingten MdE um nur 5 v. H. reiche nicht aus, die Herabsetzung einer Rente zu rechtfertigen. Das Sozialgericht (SG) für das Saarland hat am 11. Dezember 1969 die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids verurteilt, die Dauerrente über den 31. Mai 1969 hinaus weiterzugewähren: Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse (§ 622 Abs. 1 RVO) sei seit Feststellung der ersten Dauerrente nicht eingetreten. Eine solche Änderung liege in der Regel nur vor, wenn sie eine Erhöhung oder Herabsetzung des MdE-Grades um mindestens 10 v. H. zur Folge habe. Ein geringerer Grad der Änderung berechtige die Beklagte nicht zur Neufeststellung der Rente, sofern nicht die von Rechtsprechung und Literatur anerkannten Ausnahmetatbestände vorlägen. Ein geringerer Unterschied als 10 v. H. liege innerhalb der Schwankungsbreite der jeder Schätzung innewohnenden Fehlermöglichkeiten. Die von der Rechtsprechung zugelassenen Ausnahmen entsprächen nicht dem vorliegenden Fall. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG), eine Erhöhung der MdE um 5 v. H. sei ausnahmsweise dann wesentlich, wenn dadurch die Grenze von 30 v. H. - Gleichstellung mit Schwerbeschädigten - erreicht werde (SozR Nr. 13 zu § 608 RVO a. F.), könne für den umgekehrten Fall einer Herabsetzung der MdE von 30 v. H. auf 25 v. H. nicht herangezogen werden. Auch der Umstand, daß die MdE um 30 v. H. eine für Kapitalabfindungen wichtige Grenze bilde, führe zu keiner anderen Beurteilung. Zwar sei insoweit nicht nur der Kläger am Erhalt der damit verbundenen Rechtsstellung interessiert, vielmehr habe auch die Beklagte ein ebenso legitimes Interesse, die Rente endgültig und nicht bloß auf die Dauer von 10 Jahren abfinden zu können. Diese wechselnden Interessenlagen stellten aber keine für die Zulassung einer Ausnahme hinreichende Begründung dar. - Das SG hat die Berufung zugelassen.
Gegen das am 27. Januar 1970 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 17. Februar 1970 - unter Beifügung der vom erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten des Klägers unterzeichneten Einwilligungserklärung gem. § 161 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) - Sprungrevision eingelegt. Am 16. März 1970 hat sie die Sprungrevision folgendermaßen begründet: Rechtsprechung und Praxis gingen davon aus, daß eine Änderung des MdE-Grades um wenigstens 5 v. H. immerhin medizinisch und tatsächlich erfaßbar sei; freilich sollten im Regelfall nur Änderungen um 10 v. H. berücksichtigt werden. Die von der Rechtsprechung zugelassenen Ausnahmen, bei denen schon eine Änderung um 5 v. H. nach der einen oder anderen Seite zu einer Neufeststellung berechtige, stellten es auf die Auswirkungen ab, die eine Änderung des MdE-Grades um nur 5 v. H. auf die Unfallrente und die Rechtsstellung des Versicherten nach sich ziehe. Die 30 %-Grenze sei von Bedeutung für die Gleichstellung des Rentenbeziehers mit einem Schwerbeschädigten wie auch für die Anwendung der Abfindungsvorschriften (einerseits § 604 RVO, andererseits §§ 607, 613 RVO), sie sei also ebenso wichtig wie die für die Rentenzahlung maßgebende 20 %-Grenze und weitaus wichtiger als die Schwerbeschädigtengrenze von 50 v. H. Das SG habe aus der BSG-Entscheidung vom 31. Mai 1967 (SozR Nr. 13 zu § 608 RVO aF) zu Unrecht gefolgert, eine Änderung um 5 v. H. sei ausnahmsweise nur zugunsten des Versicherten zu berücksichtigen. Es sei nicht einzusehen, weshalb sie nicht - wie beim Rückgang der MdE von 20 v. H. auf 15 v. H. (SozR Nr. 8 zu § 608 RVO a. F.) - sich auch beim Absinken der MdE von 30 v. H. auf 25 v. H. gleichermaßen zum Nachteil des Versicherten auswirken sollte (LSG Nordrhein-Westfalen, BG 1970, 279). Die Beklagte beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Sache nach § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt Zurückweisung der Revision. Er pflichtet dem angefochtenen Urteil bei und meint, es sollten keine Ausnahmen von der Regel gelten, daß § 622 Abs. 1 RVO eine Änderung der MdE um mehr als 5 v. H. voraussetze.
II
Die Sprungrevision der Beklagten ist statthaft (§ 161 Abs. 1 Satz 1 SGG iVm §§ 145 Nr. 4, 150 Nr. 1 SGG); sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 161 Abs. 1 Satz 2, 164 SGG), daher zulässig. Sie hat jedoch keinen Erfolg.
Der Senat hält das vom SG gefundene Ergebnis für zutreffend, der im angefochtenen Urteil hierfür gegebenen Begründung kann er indessen nicht beipflichten. Das SG geht von der in der Rechtsprechung bisher anerkannten Auffassung aus, daß die für die Feststellung der Leistung maßgebend gewesenen Verhältnisse sich in der Regel erst dann "wesentlich" geändert haben (§ 622 Abs. 1 RVO), wenn der vorher festgestellte MdE-Grad um mehr als 5 v. H. abgesunken oder angestiegen ist. Seinen Standpunkt, eine Änderung um nur 5 v. H. dürfe hier auch nicht ausnahmsweise berücksichtigt werden, hat das SG entscheidend darauf gestützt, daß der angefochtene Bescheid eine Rentenherabsetzung zum Gegenstand hat; das SG versteht die einschlägige Rechtsprechung (hier insbesondere SozR Nr. 13 zu § 608 RVO aF) also offenbar dahin, daß eine Durchbrechung des Grundsatzes, nach dem nur eine Änderung um mehr als 5 v. H. relevant ist, nur in Betracht kommt, wenn sie sich zugunsten des Versicherten auswirkt, indem dieser eine um 5 v. H. erhöhte Rente erhält. Daß diese Auffassung fehl geht, ist an sich bereits der Entscheidung des Senats vom 28. Juli 1961 (SozR Nr. 8 zu § 608 RVO aF) zu entnehmen, in der beim Absinken der MdE von 20 v. H. auf 15 v. H. die Rentenentziehung als rechtens erachtet worden ist. Daß dann im Urteil des Senats vom 31. Mai 1967 (SozR Nr. 13 zu § 608 RVO aF) allein eine Erhöhung der MdE von 25 v. H. auf 30 v. H. und die hiermit für den Versicherten möglichen Vergünstigungen erörtert worden sind, ist nicht von prinzipieller Bedeutung, sondern erklärt sich lediglich aus dem damals entschiedenen Sachverhalt. Der umgekehrte Fall einer Senkung der MdE von 30 v. H. auf 25 v. H. muß folgerichtig genauso entschieden werden. Für eine abweichende Beurteilung fehlt es an einer einleuchtenden Begründung; denn dem Interesse des Versicherten, durch Rentenerhöhung von 25 v. H. auf 30 v. H. die Voraussetzungen einer Gleichstellung mit Schwerbeschädigten zu erlangen, steht gleichgewichtig das Interesse des Versicherungsträgers gegenüber, einem Verletzten, dessen Unfallfolgen nur noch eine MdE von 25 v. H. bedingen, nicht länger eine Dauerrente von 30 v. H. zu zahlen (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, BG 1970, 279).
Mit einer Bezugnahme auf die bisherige Rechtsprechung des BSG läßt sich somit das angefochtene Urteil nicht aufrechterhalten. Der erkennende Senat sieht sich jedoch zu einer Prüfung der Frage veranlaßt, ob dieser Rechtsprechung weiterhin zu folgen ist. Auszugehen ist hierbei von der in der reichsgesetzlichen Unfallversicherung (UV) schon seit langem gesicherten Erkenntnis, daß ein MdE-Grad von 5 v. H. "in Rentenstreitigkeiten als eine erhebliche Größe in der Regel nicht gelten sollte" (Reichsversicherungsamt - RVA - An 1897, 267 Nr. 1582; 1906, 420 Nr. 2147), weil eine so geringe Dimension noch innerhalb der allen ärztlichen Schätzungen eigenen Schwankungsbreite liegt. Dieser Grundsatz bezieht sich auf die Zulässigkeit von Abweichungen gegenüber der in der Vorinstanz festgestellten MdE wie auch auf die zur Rentenerhöhung oder -herabsetzung führende wesentliche Änderung der Verhältnisse; nach Meinung des Senats entspricht diese Betrachtungsweise der Gleichartigkeit der in beiden Fragenbereichen bestehenden Problemstellung, die dadurch gekennzeichnet ist, daß es sich bei der Bewertung der MdE in jedem Einzelfall nur um eine Schätzung handeln kann, bei der der Grad der unfallbedingten MdE nicht völlig genau, sondern nur annäherungsweise feststellbar ist (vgl. BSG 4, 147, 149; 31, 185, 186).
Ausnahmen von der genannten Regel wurden in der RVA-Entscheidung Nr. 2147 (aaO) als "bisweilen" zulässig bezeichnet; dabei wurde es - ohne erkennbare Systematik - maßgeblich darauf abgestellt, ob nach den Verhältnissen des Einzelfalls die Nichtberücksichtigung einer Änderung um 5 v. H. eine "offenbare Unbilligkeit nach der einen oder anderen Seite bedeuten würde" (ebenso auch noch RVA EuM Bd. 22 S. 220). In der Folgezeit hat das RVA wiederholt entschieden, daß die Frage, ob wegen einer Änderung oder Abweichung um 5 v. H. dem Versicherten eine Leistung zusteht oder nicht, bei der Schätzung der MdE außer Betracht bleiben muß (vgl. EuM 15, 304; 33, 157; 39, 397; siehe auch Bayerisches LVA EuM 32, 225). Hiervon ist das RVA dann freilich in seinem Urteil vom 2. Juni 1938 (EuM 43, 117) abgewichen, jedoch enthalten weder die eigentlichen Gründe dieses Urteils noch die erläuternde Fußnote (aaO, S. 118) eine überzeugende Begründung für diesen Schritt. Trotzdem hat dieses Urteil in der Zeit nach 1945 die Rechtsprechung überwiegend beeinflußt (vgl. OVA Karlsruhe, Breithaupt 1949, 170; Bayer. LVAmt, Breithaupt 1950, 221; 1951, 1243; LSG Berlin, BG 1955, 39; LSG Niedersachsen, Niedersächsisches Ministerialblatt 1958, Rechtsprechungsbeilage Seite 94; LSG Nordrhein-Westfalen, BG 1961, 263; a. M. LSG Schleswig, BG 1954, 490).
Der erkennende Senat hielt es zu Beginn seiner Spruchpraxis gleichfalls für unbedenklich, von der Regel, daß eine MdE-Abweichung um nur 5 v. H. irrelevant sei, Ausnahmen zuzulassen (vgl. BSG 5, 222, 229; SozR Nr. 3 zu § 559 a RVO aF); die Weiterentwicklung seiner Rechtsprechung in dem Urteil vom 28. Juli 1961 (SozR Nr. 8 zu § 608 RVO aF) hat im allgemeinen Verwaltungsrecht Anklang gefunden (vgl. BVerwG 21, 282, 285). Schließlich hat man auch in der Kriegsopferversorgung bei der Definition der wesentlichen Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 Abs. 1 Satz 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) von der Regel, daß sie wenigstens 10 v. H. betragen muß, dann eine Ausnahme gemacht, wenn infolge einer geringeren Änderung die MdE 25 v. H. erreicht oder darunter sinkt (vgl. BSG 23, 192, 193; SozR Nr. 35 zu § 62 BVG; Nr. 3 Satz 1 der Verwaltungsvorschriften zu § 62 BVG).
Die mit dem RVA-Urteil vom 2. Juni 1938 (EuM 43, 117) eingeleitete Rechtsprechung führt indessen - über die letzten BSG-Entscheidungen (SozR Nr. 8 und 13 zu § 608 RVO aF) hinaus - zu bedenklichen Weiterungen. Dies zeigt sich nach Meinung des Senats an Erwägungen, die im neueren Schrifttum angestellt worden sind mit dem Ziel, eine möglichst perfekte, von Billigkeitsvorstellungen geprägte Fallgerechtigkeit zu erreichen. So ist etwa im Anschluß an das Urteil des Senats vom 28. Juli 1961 (aaO) die Auffassung vertreten worden, ein Rückgang der MdE von 20 v. H. auf 15 v. H. sei auch dann als wesentliche Änderung anzusehen, wenn er nicht zur Entziehung der Rente, sondern nur zu ihrer Herabsetzung - Sonderfall des § 581 Abs. 3 RVO - führe (vgl. Schroeder-Printzen, BG 1962, 371, 372; Lange, BG 1968, 30, 32; ebenso Hess. LSG, Urteil vom 24.4.1968, aufgehoben durch BSG-Urteil vom 2.3.1971 - 2 RU 186/68 -). Hinsichtlich der Frage, ob und inwiefern bei der MdE-Schätzung um 5 v. H. abgewichen werden darf, enthalten die Beiträge von Sprang (SGb 1967, 247) und Ricke (SGb 1968, 523) kritische Überlegungen, die das herkömmliche Gefüge von Regel und Ausnahme in Frage zu stellen geeignet sind. Ohne auf alle Einzelheiten ihrer Kontroverse einzugehen, stimmt der Senat ihren Gedankengängen insoweit zu, daß die in der Rechtsprechung bisher anerkannten Ausnahmen vom Verbot der Abweichung um 5 v. H. rechtssystematisch nicht zu begründen sind; denn diese Ausnahmefälle - Gewährung oder Nichtgewährung der Rente, Schwerbeschädigteneigenschaft bzw. Gleichstellung hiermit - erweisen sich als Tatbestände, die in ihrer Substanz keine besonderen Merkmale zeigen, welche ausnahmsweise eine MdE-Änderung um nur 5 v. H. als wesentlich kennzeichnen würden oder eine Abweichung von einer MdE-Schätzung um einen so geringen Vomhundertsatz rechtfertigen könnten. Hiernach ist kein Hinderungsgrund dafür ersichtlich, die Regel, daß eine Differenz von nur 5 v. H. bei der MdE-Schätzung irrelevant ist, noch durch weitere Ausnahmen zu durchbrechen; soweit solche Ausnahmefälle etwa primär auf Billigkeitserwägungen zugunsten der Versicherten gestützt sein sollten, wird es sich - wie bereits dargelegt - in keinem Fall vermeiden lassen, bei der gleichen Konstellation - aber in umgekehrter Richtung - auch zugunsten des Versicherungsträgers zu entscheiden und damit den Versicherten zu benachteiligen. Auf die Unsicherheit für die Rechtsuchenden, die sich bisher schon aus der Zulassung von Ausnahmen ergab, hat Sprang (aaO) zutreffend hingewiesen. Die Entwicklung dürfte nach Meinung des Senats unabweislich dahin führen, daß die von einer Vielzahl von Ausnahmen durchbrochene Regel praktisch überhaupt nicht mehr gilt, so daß allgemein Rentenerhöhungen - und damit konsequenterweise ebenso Rentenherabsetzungen - bei Änderungen der MdE um 5 v. H. vorgenommen werden könnten; es käme also dazu, daß in der gesetzlichen UV um minimale, dem medizinischen und rechtlichen Erkenntnisvermögen fast immer entzogene Streitpunkte prozessiert werden kann. Da nun in der Mehrzahl der Entschädigungsfälle die Folgen von Arbeitsunfällen sich zu bessern pflegen, würden hiervon zum weitaus überwiegenden Teil die Versicherten betroffen; daß aber Rentenempfänger regelmäßig schon bei einem Absinken der MdE um 5 v. H. eine Herabsetzung der Rente zu befürchten haben, sieht der Senat als eine für das Leistungsrecht der gesetzlichen UV untragbare Auswirkung an.
Aus diesen Gründen hält es der Senat für geboten, an dem auf jahrzehntelange unfallmedizinische Erfahrungen gestützten Prinzip, daß Abweichungen um nicht mehr als 5 v. H. bei der Bewertung der MdE außer Betracht bleiben müssen, festzuhalten und diesen Grundsatz noch dadurch zu festigen, daß Ausnahmen hiervon nicht mehr anerkannt werden. In voller Würdigung der mit der bisherigen Spruchpraxis verfolgten Bestrebungen legt der Senat somit - unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung - § 622 Abs. 1 RVO dahin aus, daß eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne dieser Vorschrift ausnahmslos nur anzunehmen ist, wenn der Grad der MdE um mehr als 5 v. H. gesunken oder gestiegen ist. Eine rechtssystematische Anknüpfung ist nach Meinung des Senats darin zu erblicken, daß das Gesetz an anderen Stellen eine MdE um 10 v. H. als die untere Grenze dessen bezeichnet, was medizinisch und wirtschaftlich meßbar ist (vgl. §§ 581 Abs. 3 Satz 2, 605 Satz 2 RVO). Gegen die überlieferte Praxis, in besonders gelagerten Fällen die Rente von 33 1/3 v. H. auf 25 v. H. herabzusetzen (vgl. z. B. Lauterbach, Gesetzliche UV, 3. Aufl., Anm. 8 c zu § 581 RVO), bestehen jedoch weiterhin keine Bedenken.
Soweit diese Auslegung des § 622 Abs. 1 RVO in den - minder zahlreichen - Fällen einer Verschlimmerung von Unfallfolgen für die Verletzten eine Erschwerung beim Erlangen einer Rentenerhöhung mit sich bringt, muß diese Folge im Interesse der Rechtssicherheit in Kauf genommen werden.
Da das angefochtene Urteil hiernach im Ergebnis zutrifft, muß die Revision der Beklagten zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen