Leitsatz (amtlich)
Wohngeld gehört nicht zu den "Einnahmen zum Lebensunterhalt" - RVO § 180 Abs 4 - (Anschluß an BSG 1981-11-25 5a/5 RKn 18/79 und Fortführung von BSG 1981-12-09 12 RK 55/81).
Normenkette
RVO § 180 Abs 4 Fassung: 1977-06-27
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob das der Klägerin gezahlte Wohngeld bei der Bestimmung des Grundlohns nach § 180 Abs 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und damit für die Berechnung ihrer Beiträge zur Krankenversicherung zu berücksichtigen ist.
Die Klägerin ist seit 1958 freiwilliges Mitglied bei der Beklagten. Sie bezieht eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die jedoch auf nachentrichteten Beiträgen beruht, so daß weder eine Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung der Rentner besteht noch ein Beitragszuschuß gewährt wird. Die Rente betrug zu Beginn des Jahres 1978 402,60 DM.
Ab 1. Januar 1978 setzte die Beklagte den monatlichen Beitrag der Klägerin nach einem Mindesteinkommen von monatlich 750,-- DM nach der Lohnstufe 25 auf 75,-- DM fest. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 1978). Auf ihre Klage verurteilte das Sozialgericht (SG) Dortmund die Beklagte zur Einordnung in die Lohnstufe 16 unter Berücksichtigung eines Grundlohnes von monatlich 491,-- DM, der sich aus der Rente und dem Wohngeld zusammensetzte (Urteil vom 15. August 1978). Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen das Urteil des SG abgeändert und die Beklagte verurteilt, bei der Beitragseinstufung der Klägerin nur deren Renteneinkommen zu berücksichtigen (Urteil vom 15. Dezember 1980). Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt: Anders als bei den Pflichtversicherten könnten zwar bei den freiwillig Versicherten neben dem Arbeitsentgelt auch Rentenleistungen und sonstige Leistungen der öffentlichen Hand zu den sonstigen Einnahmen zum Lebensunterhalt gerechnet werden und damit den Grundlohn beeinflussen. Aus dem Normzweck und dem Gleichbehandlungsgebot seien jedoch bei der Auslegung Einschränkungen geboten. Da das Wohngeld bei Pflichtversicherten die Beitragsfestsetzung nicht beeinflusse, sollte es auch bei den freiwillig Versicherten nicht um den Vomhundertsatz der Beiträge geschmälert werden, wie es sich auch verbiete, das Wohngeld im Falle eines Krankengeldanspruchs über § 182 Abs 6 iVm § 180 Abs 4 RVO der Krankengeldberechnung zugrunde zu legen. Von den Einnahmen zum Lebensunterhalt seien solche Bezüge aus öffentlichen Mitteln auszunehmen, die wegen eines krankheitsbedingten, behinderungsbedingten oder aus anderen Gründen unabweisbaren Mehrbedarfs gewährt werden. Ein solcher persönlicher Mehrbedarf liege auch dem Wohngeld zugrunde.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 180 Abs 4 RVO. Sie vertritt die Auffassung, daß der Bezug von Wohngeld in vollem Umfang bei der Beitragsfestsetzung zu berücksichtigen sei. Es sei nicht Aufgabe des Wohngeldes, persönliche Härten auszugleichen. Die Anwendung des Art 3 des Grundgesetzes (GG) sei schon vom Ansatz her falsch, da völlig verschiedenartige Personengruppen miteinander verglichen würden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der
Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht durch einen nach § 166 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß der Beitrag, den die Klägerin als freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung zu entrichten hat, ohne Berücksichtigung des Wohngeldes festzusetzen ist.
Das Wohngeld ist als zweckbestimmte Sozialleistung nicht den Einnahmen zum Lebensunterhalt zuzurechnen. Damit gehört es auch nicht zum Grundlohn im Sinne des § 180 Abs 4 RVO, nach welchem die Beiträge auch der freiwillig Versicherten zu erheben sind. Wie der Senat im Anschluß an das Urteil des 5. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25. November 1981 - 5a/5 RKn 18/79 - und das Urteil des 3. Senats des BSG vom 21. Oktober 1980 (BSGE 50, 243, 244 = SozR 2200 § 180 Nr 5) ausgeführt hat, erfaßt § 180 Abs 4 RVO nur die Einnahmen, die dem Arbeitsentgelt gleichgestellt sind und deshalb dem allgemeinen Lebensunterhalt zur Verfügung stehen, nicht dagegen zweckbestimmte Sozialleistungen, die einen besonderen Mehrbedarf abdecken (Urteil vom 9. Dezember 1981 - 12 RK 55/81 -). Dies gilt für das Wohngeld in gleicher Weise wie für das Kindergeld.
Zweck des Wohngeldes ist nach § 1 Wohngeldgesetz (WoGG), ein angemessenes und familiengerechtes Wohnen wirtschaftlich zu sichern (vgl hierzu Stadler/Gutekunst, WoGG § 1 Anm 1). Es wird als Rechtsanspruch an Personen gewährt, die wirtschaftlich nicht imstande sind, den angemessenen Wohnraum aus eigenen Mitteln voll abzudecken. Das demnach wegen einer besonderen Bedürftigkeit - jedoch nicht als Leistung der Sozialhilfe - gewährte Wohngeld ist, wie der 5. Senat in dem oa Urteil ausgeführt hat, an einheitlichen Bedarfsmaßstäben ausgerichtet und zweckgebunden. Seine Einbeziehung in den für die Beitragshöhe maßgebenden Grundlohn hätte eine Ungleichbehandlung zur Folge, die weder mit der Funktion des Wohngeldes vereinbar wäre noch dem Prinzip der Solidargemeinschaft in der Krankenversicherung entsprechen würde. Denn der Wohngeldempfänger, der die Leistung nicht neben Arbeitsentgelt, sondern bei gleicher Bedarfslage neben sonstigen - unzureichenden - Einnahmen erhält, müßte eine wirtschaftliche Kürzung des Wohngeldes infolge des höheren Beitrags zur freiwilligen Krankenversicherung hinnehmen. Der erkennende Senat teilt diese Auffassung des 5. Senats. Wenn die Beklagte demgegenüber meint, daß derjenige, dem - bei im übrigen gleichem Einkommen - eine größere oder komfortablere oder aus sonstigen Gründen teuere Wohnung finanziert wurde, ein höheres Einkommen habe und deshalb auch höhere Beiträge zahlen müsse, so verkennt sie sowohl den Inhalt von § 180 Abs 4 RVO als auch den Zweck des Wohngeldes. Nach § 180 Abs 4 RVO soll, wie die Anknüpfung an das Arbeitsentgelt zeigt, der Beitrag am (grundsätzlich) frei verfügbaren Einkommen orientiert werden. Wohngeld verschafft dem Empfänger demgegenüber letztlich nur höhere Gebrauchsvorteile. Die Gewährung dieser Leistung beruht auf der Erkenntnis, daß der Wohnungsmarkt (zumindest zur Zeit) nicht jedem eine zugleich einkommensgerechte und seinen Bedürfnissen angemessene Wohnung zur Verfügung stellen kann. Das Wohngeldgesetz verfolgt dieses Ziel durch die Verringerung von Belastungen. Der dadurch dem Empfänger zugewandte höhere Gebrauchswert ist ihm indes nicht zuzurechnen, weil er im Grundsatz nicht auf der freien Entscheidung beruht, einen größeren Betrag des Einkommens für das Wohnen einzusetzen, sondern wesentlich durch die Lage des Wohnungsmarktes bedingt ist.
Das das Wohngeld - weil ausschließlich zur Sicherung des angemessenen Wohnbedarfs gewährt - nicht durch sozialversicherungsrechtlich Beitragsabzüge geschmälert werden darf, ergibt sich auch aus § 17 Abs 1 Nr 1 WoGG. Nach dieser Vorschrift wird bei der Feststellung des der Wohngeldgewährung zugrunde zu legenden Einkommens ein pauschaler Abzug in Höhe von 12,5 vH vorgenommen. Dieser Abzug erhöht sich auf 20 vH, wenn der Betreffende Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung oder solche laufende Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, die hinsichtlich ihrer Zweckbestimmung Pflichtbeiträgen zur Sozialversicherung entsprechen, entrichtet. Es wäre unverständlich, wenn der Gesetzgeber einerseits bei der Wohngeldgewährung ein pauschal um die - die Bedürftigkeit mitverursachenden - Ausgaben zur Daseinsvorsorge gekürztes Einkommen zugrunde legt, andererseits aber eine nachträgliche Kürzung des an der festgestellten Bedürftigkeit orientierten Wohngeldes durch Abzug anteilig erhöhter Vorsorgebeiträge hinnehmen würde.
Die Revision der Beklagten konnte deshalb keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen