Entscheidungsstichwort (Thema)
Satzungsautonomie der Ersatzkassen. Solidaritätsprinzip in der KV
Leitsatz (amtlich)
Eine Ersatzkasse ist nicht verpflichtet, die Höhe der Beiträge der Mitgliedergruppen allein nach dem auf die jeweilige Gruppe entfallenden Leistungsaufwand zu bemessen (Äquivalenzprinzip). Insbesondere darf sie Leistungsstärkere Gruppen zur Entlastung leistungsschwächerer Gruppen stärker belasten (Solidaritätsprinzip).
Leitsatz (redaktionell)
Zur Satzungsautonomie der Ersatzkassen - Solidaritätsprinzip in der KV:
1. Die Grundsätze der gleichmäßigen Behandlung und der Solidarität aller Versicherten sind von den Ersatzkassen auch bei der Gestaltung der Versicherungsbedingungen für versicherungspflichtige Mitglieder zu beachten.
2. Die Ersatzkassen sind berechtigt, die Beiträge für nichtversicherungspflichtige Mitglieder so zu bemessen, daß damit Mehrausgaben für Mitgliedergruppen, denen ein kostendeckender Beitrag nicht zumutbar ist, ausgeglichen werden können.
3. Die nichtversicherungspflichtigen Mitglieder einer Ersatzkasse haben keinen Anspruch darauf, Leistungen zu den gleichen Bedingungen wie die versicherungspflichtigen Mitglieder zu erhalten.
Normenkette
GG Art. 3 Fassung: 1949-05-23; RVO § 506 Fassung: 1935-12-24
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 28. Oktober 1969 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger ist als Beamter freiwilliges Mitglied der Beklagten in der Gruppe C, Beitragsklasse 70 F. Der Beitrag betrug bis zum 31. August 1968 monatlich 75,- DM und aufgrund des Siebten Nachtrags zu den Versicherungsbedingungen (VB) ab 1. September 1968 monatlich 90,- DM (§ 9 Abs. 5 VB). Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, er sei mit der Erhöhung seines Beitrags um 20 % nicht einverstanden. Die von der Beklagten für die Beitragserhöhung angeführten Gründe - Neuregelung der Krankenversicherung der Rentner durch das Finanzänderungsgesetz 1967 und Neuregelung der Mutterschaftshilfe - vermöchten eine Erhöhung der Beiträge für die Mitglieder der Gruppe C nicht zu rechtfertigen; die Beiträge für freiwillige Mitglieder der Allgemeinen Ortskrankenkasse Hannover lägen bei gleichen Leistungen rd. 25 % niedriger. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück. Der Kläger hat daraufhin Klage erhoben. Er hat vorgetragen, die Beiträge seien nach pflichtgemäßem Ermessen festzusetzen. Die Beklagte habe ihr Ermessen durch verbotene Zweckerwägungen mißbraucht. Sie habe nicht nachzuweisen vermocht, daß die Beiträge der Versicherten der Gruppe C nicht ausgereicht hätten, um die Leistungen dieser Gruppe zu decken. Erhöhte Ausgaben für Rentner könnten nicht den in der Gruppe C versicherten Mitgliedern angelastet werden.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Mittel der Ersatzkasse dürften nur zu den in § 509 der Reichsversicherungsordnung (RVO) bezeichneten Aufgaben verwendet werden; desgleichen dürften Mitgliederbeiträge bei gleichen Voraussetzungen nur nach gleichen Grundsätzen erhoben werden. Dem Gleichheitsgrundsatz und der Beitragsgerechtigkeit sei dann Genüge getan, wenn die nichtversicherungspflichtigen Mitglieder einer Gruppe bei gleichem Leistungsanspruch auch die gleichen Beiträge zahlen müßten. Eine Beitragsgerechtigkeit bestehe nicht erst dann, wenn die Beiträge der nichtversicherungspflichtigen Mitglieder einer Gruppe oder einer Beitragsklasse nicht höher seien, als es zur Deckung der Ausgaben für diese Mitglieder erforderlich sei. Aus den VB gehe hervor, daß die nichtversicherungspflichtigen Mitglieder der Gruppe C bei gleichem Beitrag gleiche Leistungen erhielten; damit sei § 9 Abs. 5 VB rechtmäßig. Der Gesamtbetrag der erhobenen Beiträge müsse im richtigen Verhältnis zum Wagnis der Kasse stehen. Jedoch sei es unter Berücksichtigung des Gedankens der Solidarität aller Versicherten zulässig, einzelne Gruppen an den Lasten der Versichertengemeinschaft stärker zu beteiligen als andere. Dem entspreche es, daß die hohen Lasten der krankenversicherten Rentner, denen kraft Gesetzes kein kostendeckender Betrag gegenüberstehe, von den übrigen Mitgliedern mitgetragen würden. Das gleiche sei auch bei den Pflichtversicherten in den unteren Beitragsklassen der Fall. Das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 des Grundgesetzes (GG) verlange zwar, daß die Ersatzkassen die Weiterversicherung überhaupt zulassen müßten, es gebe jedoch den nichtversicherungspflichtigen Mitgliedern keinen Anspruch darauf, Leistungen unter den gleichen Bedingungen wie die versicherungspflichtigen Mitglieder zu erhalten oder so gestellt zu werden wie die aufgrund des § 313 RVO freiwillig weiterversicherten Mitglieder. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Er trägt vor: Zwar habe die Beklagte grundsätzlich volle Satzungsautonomie, auch dürften die Gerichte grundsätzlich Satzungsänderungen nicht auf Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit überprüfen. Dennoch beständen gegen die Satzungsänderung erhebliche Bedenken, weil die Beiträge der Pflichtmitglieder nicht im gleichen Ausmaß erhöht worden seien, um ein Abwandern an andere Versicherungsträger zu verhindern. Dies sei aber kein sachliches Motiv, sondern stelle eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes dar.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG Niedersachsen vom 28. Oktober 1969 und des SG Hannover vom 26. März 1969 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. Dezember 1968 zu verpflichten, die Erhöhung des Beitrags rückgängig zu machen und die erhobenen Mehrbeträge zurückzuzahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Aus der Satzungsautonomie folgt das Recht der beklagten Ersatzkasse, die Beiträge ihrer Mitglieder festzusetzen. Dabei unterliegt sie bei den verschiedenen Mitgliedergruppen unterschiedlichen Beschränkungen. Während das Gestaltungsermessen der Ersatzkasse bei versicherungspflichtigen Mitgliedern stärker begrenzt ist und sich im wesentlichen (Ausnahme: § 506 Abs. 1 RVO) auf die Festsetzung des Beitragssatzes und die Bestimmung der Methode der Grundlohnfestsetzung (vgl. § 180 Abs. 2 RVO, § 9 Abs. 1 der Versicherungsbedingungen der beklagten Ersatzkasse) beschränkt, gibt Art. 2 § 4 Abs. 2 der Zwölften Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung (Ersatzkassen der Krankenversicherung) vom 24. Dezember 1935 (RGBl I 1537) der Ersatzkasse für die Regelung der Versicherung nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht - somit auch für die Beitragsfestsetzung - größere Freiheit. Indessen darf die Ersatzkasse auch in diesem Falle nicht willkürlich verfahren. Vielmehr muß sie, worauf das LSG mit Recht hingewiesen hat, den Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung der Versicherten als die versicherungsrechtliche Ausformung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 GG) beachten.
Eine ungleiche, gegen diese Vorschrift verstoßende Behandlung des Klägers liegt nicht vor. Es kann angesichts der auf Grund der Satzungsautonomie bestehenden Gestaltungsfreiheit der Ersatzkasse, die Beiträge der Mitgliederklassen nach verschiedenen für ihren Geschäftsbetrieb wesentlichen Gesichtspunkten zu bemessen, nicht verlangt werden, daß jede Mitgliederklasse (Versicherungspflichtige, Nicht-Versicherungspflichtige, Rentner) nur solche Beiträge zahlt, die für die auf sie entfallenden Aufwendungen notwendig sind. Es ist vielmehr zulässig, daß einzelne Gruppen der Versicherten nach dem Grundsatz der Solidarität aller Versicherten stärker zu Beiträgen herangezogen werden als andere, denen wie bei den krankenversicherten Rentnern ein kostendeckender Beitrag nicht zumutbar ist. Es können daher auch durch höhere Beiträge in der einen Gruppe die durch Beiträge nicht gedeckten Mehraufwendungen einer anderen Gruppe ausgeglichen werden. Diese Grundsätze hatte die Beklagte bei der verfahrensmäßig ordnungsgemäß zustande gekommenen Beitragserhöhung beachtet. Schließlich weist das LSG auch mit Recht darauf hin, daß die nichtversicherungspflichtigen Mitglieder keinen Anspruch darauf haben, Leistungen zu den gleichen Bedingungen wie die versicherungspflichtigen oder die weiterversicherungsberechtigten Mitglieder zu erhalten.
Die Revision muß daher zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen