Entscheidungsstichwort (Thema)
Wieder aufgetauchter Verschollener
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Verschollenheitsrente ist in der Vergangenheit zu Recht gewährt worden, solange der Aufenthalt des Verschollenen den Angehörigen und der Versorgungsverwaltung unbekannt war (Bestätigung von BSG vom 1975-04-23 9 RV 136/74 = BSGE 39, 267).
2. Zur Möglichkeit, gegen den Träger des Lastenausgleichs die Rückerstattung einer Ersatzleistung geltend zu machen.
Normenkette
BVG § 52 Abs. 1 Fassung: 1966-12-28
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 01.07.1976; Aktenzeichen L 7 V 17/75) |
SG München (Entscheidung vom 20.12.1972; Aktenzeichen S 24 V 901/69) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 1. Juli 1976 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Das Versorgungsamt gewährte der minderjährigen Barbara V (V.) Waisenrente wegen Verschollenheit ihres nichtehelichen Vaters ab 1. November 1949 nach Art. 1 Abs. 1 Körperbeschädigten-Leistungsgesetz (KBLG) i.V.m. § 594 Reichsversicherungsordnung (RVO) und ab 1. Oktober 1950 nach § 52 Bundesversorgungsgesetz (BVG). Von der Nachzahlung für die Zeit bis 31. August 1952 zahlte das Versorgungsamt 1.221,- DM an das Amt für Soforthilfe des Landratsamtes B zur Erfüllung eines Ersatzanspruches. V. hatte in dieser Zeit Soforthilfeleistungen erhalten, die sie in Höhe der Rente aus der Kriegsopferversorgung nicht hätte beanspruchen können. Nachdem V. dem Versorgungsamt 1958 angezeigt hatte, sie habe jetzt erfahren, daß ihr Vater im Bundesgebiet lebe, stellte das Versorgungsamt die Rentenzahlung zu Ende Oktober 1958 ein und sprach dies durch Bescheid vom 12. März 1959 mit der Begründung aus, die Versorgungsbezüge seien bis zum 31. Oktober 1950 (gemeint: 1958) zu Unrecht geleistet worden, weil Vs Vater noch lebe. Diesen Verwaltungsakt hat V. nicht angefochten. Das Versorgungsamt forderte vom Ausgleichsamt des Landratsamtes B den überwiesenen Betrag von 1.221,- DM vergeblich zurück. 1969 erhob der Freistaat Bayern, vertreten durch das Landesversorgungsamt, Klage auf Rückerstattung dieser Summe gegen den Freistaat Bayern, vertreten durch das Ausgleichsamt des Landratsamtes B, später S. Das Sozialgericht (SG) gab der Klage statt (Urteil vom 20. Dezember 1972). Auf die Berufung des Beklagten hob das Landessozialgericht (LSG) das angefochtene Urteil auf und wies die Klage ab (Urteil vom 1. Juli 1976). Unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) in BSGE 39, 260 (= SozR 3100 § 52 Nr. 1), durch das eine Entscheidung des LSG (Breithaupt 1974, 880) bestätigt worden ist, erklärte das Berufungsgericht den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit für gegeben und die Klage für zulässig. Sie sei aber unbegründet; denn der Kläger habe den umstrittenen Betrag nicht zu Unrecht an das Ausgleichsamt gezahlt. Die Versorgung nach dem KBLG und nach dem BVG habe er zu Recht gewährt. Vs Vater sei verschollen gewesen; sein Tod als Folge eines Schädigungstatbestandes sei wahrscheinlich erschienen, wobei es auf die subjektive Ungewißheit der Angehörigen über das Schicksal des Vermißten angekommen sei. Der Kläger könne die Versorgungsleistungen, die er rechtmäßig erbracht habe, auch nicht wegen der rechtsverbindlichen Feststellung zurückverlangen, daß die Rente zu Unrecht gezahlt worden sei. Der Bescheid vom 12. März 1959 sei nur im Verhältnis zwischen dem Kläger und V. rechtsverbindlich geworden.
Der Kläger rügt mit der Revision, die das LSG zugelassen hat, eine Verletzung des § 77 Sozialgerichtsgesetzes (SGG), des § 24 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOV-VfG) und des § 52 BVG. Durch den Bescheid vom 12.März 1959 sei auch im Verhältnis zum Beklagten verbindlich geregelt, daß die Versorgungsbezüge zu Unrecht gezahlt worden seien. Der Inhalt dieses Verwaltungsaktes sei dem Beklagten mit Schreiben vom 16. Oktober 1967 eröffnet worden. Die Beweiserleichterung des § 52 BVG und des § 15 KOV-VfG habe der Versorgungsverwaltung für den Fall, daß sich nachträglich ein anderer als der vermutete Sachverhalt herausstelle, nicht alle Rechte abschneiden wollen. Ein anderer öffentlicher Leistungsträger solle durch diese Vorschrift nicht geschützt werden. Auch für die Verschollenheit sei die wahre Sachlage maßgebend, nicht aber das, was sich darüber die Beteiligten subjektiv vorgestellt hätten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt und eine Äußerung zur Revisionsbegründung abgelehnt.
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung als Vertreter der zum Verfahren beigeladenen Bundesrepublik Deutschland hat den gleichen Antrag wie der Kläger gestellt. Nach seiner Ansicht ist das Innenverhältnis zwischen der Versorgungsbehörde und dem Empfänger von Versorgungsleistungen nicht auf das Außenverhältnis zu einem in Anspruch genommenen Dritten - hier der Lastenausgleichsverwaltung - übertragbar. Das Innenverhältnis werde durch das Prinzip des Vertrauensschutzes zugunsten des Leistungsempfängers in den Vorschriften des KOV-VfG und in allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen über die Berichtigung von Verwaltungsakten geregelt. Dies gelte nicht in gleicher Weise für den Erstattungsanspruch gegenüber dem Land. Der Bescheid über die Zahlungseinstellung vom 12. März 1959 sei nicht im Verhältnis zur Lastenausgleichsverwaltung rechtsverbindlich geworden. Für den Erstattungsanspruch sei allein entscheidend, welche Leistungspflicht bestanden hätte, falls der wirkliche Sachverhalt, das Überleben des Kindervaters, von Anfang an bekannt gewesen wäre.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Das Berufungsgericht hat zutreffend unter Bezug auf das Urteil des erkennenden Senats in BSGE 39, 260 den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit (§ 51 SGG) als gegeben angenommen, die Klage in einem "Insichprozeß" für zulässig erachtet, sie jedoch für unbegründet erklärt. Der Anspruch auf Rückerstattung des an die Lastenausgleichsverwaltung geleisteten Ersatzes ist davon abhängig, daß die Voraussetzungen für die Verschollenheitsrente rückwirkend entfallen. Die Verwaltung hat aber diese Versorgung in der Vergangenheit zu Recht gewährt, solange der Aufenthalt des Verschollenen seinem nichtehelichen Kind V., dessen gesetzlichem Vertreter und der Versorgungsverwaltung unbekannt war. Das hat der Senat in dem zitierten Urteil im einzelnen dargelegt (BSGE 39, 267 ff), ebenso zutreffend das LSG im angefochtenen Urteil. Was der Kläger und der Beigeladene dagegen vortragen, greift nicht durch. Der "objektive" und "wahre" Tatbestand, der für den Anspruch auf Verschollenheitsrente rechtserheblich ist, ist allein die Tatsache, daß den Familienangehörigen, die die Versorgung und sonstige öffentliche Leistungen aufgrund des entsprechenden Sachverhaltes begehren, und den öffentlichen Stellen, die darüber zu entscheiden haben, der Aufenthalt unbekannt ist und daß ernstliche Zweifel am Fortleben bestehen, also mit hoher Wahrscheinlichkeit der Tod zu vermuten ist. Diese Ungewißheit über das Schicksal des Verschollenen, im zitierten Urteil als "Informationslage" bezeichnet, kann naturgemäß nur für die Zukunft entfallen, falls der Vermißte wieder auftaucht. Was der Kläger im übrigen über Beweiserleichterungen und deren beschränkte Rechtsfolgen vorträgt, verfehlt die rechtserhebliche Sachlage. Den Unterschied zwischen einer Versorgung wegen Verschollenheit, die nach der Definition der Verschollenheit die Möglichkeit des Fortlebens einschließt, und einer Hinterbliebenenversorgung wegen des nachgewiesenen Todes hat der Senat schon in seinem früheren Urteil dargestellt (insbesondere S. 268). Da die Versorgungsverwaltung die Leistungen in der Vergangenheit nicht zu Unrecht erbracht hat, kann § 47 KOV-VfG nicht anwendbar sein, muß also in Fällen der vorliegenden Art außer Betracht bleiben, ob die Verwaltung die gezahlten Renten im "Innenverhältnis" von der anspruchsberechtigten Person nach dieser Vorschrift nicht erstattet verlangen kann und ob der Vertrauensschutz, den diese Bestimmung bezweckt, nicht für das "Außenverhältnis" zu einem anderen Verwaltungsträger wirksam wird.
Der Kläger kann seine Ersatzleistungen auch nicht etwa deshalb zurückverlangen, weil er im Verhältnis zum Beklagten rechtsverbindlich (§ 77 SGG, § 24 KOV-VfG) entschieden hätte, daß er die Verschollenheitsrente in der Vergangenheit zu Unrecht gezahlt habe. Das nimmt - übereinstimmend mit dem LSG - auch der Beigeladene im Ergebnis an. Der an die Rentenberechtigte V. gerichtete Bescheid vom 12. März 1959 kann allein deshalb nicht ebenso wie in einem ähnlichen, aber nicht gleichgelagerten, vom 8. Senat des BSG im Urteil vom 20. Mai 1970 - 8 RV 689/68 - (BVBl 1970, 131 = Sozialgerichtsbarkeit 1970, 257) entschiedenen Fall gegenüber der Lastenausgleichsverwaltung als "Betroffener" wirken, weil dieser Verwaltungsakt nicht mit seinem vollen Inhalt dem Beklagten bekanntgegeben worden ist. Im Schreiben vom 16. Oktober 1967 teilte der Kläger dem Lastenausgleichsträger lediglich formlos mit, die Versorgung sei zu Unrecht gewährt worden. Im übrigen widersprach das Landratsamt jener Rechtsauffassung durch Schreiben vom 28. November 1967 und im gesamten weiteren Schriftverkehr, der schließlich zur Klage geführt hat (§§ 83, 84, 66 Abs. 2 SGG). Schließlich hat die Versorgungsverwaltung in diesem "Bescheid über die Zahlungseinstellung" vom 12. März 1959 nicht etwa wirksam (rückwirkend) die geleistete Versorgung für unrechtmäßig erklärt, sondern lediglich unter Hinweis auf Nr. 3 der Verwaltungsvorschriften zu § 52 BVG die Einstellung der Rentenzahlungen verfügt. Die genannte Verwaltungsvorschrift verweist aber ihrerseits auf die - hier erfolglos versuchte - Inanspruchnahme des Verschollenen gemäß § 52 Abs. 1 Satz 2 BVG. In diesem Zusammenhang hat der damit verbundene Ausspruch, die Rente sei in der Vergangenheit zu Unrecht gewährt worden, nicht die rechtliche Bedeutung einer Rücknahme des Bewilligungsbescheides. Beim Wiederauftauchen des Verschollenen entfällt, wie dargelegt, der Versorgungsanspruch gerade nur für die Zukunft. Über mehr und anderes ist in dem Bescheid nicht entschieden worden. Daß die Versorgungsverwaltung durch die Verschollenheitsrente in der Vergangenheit ihre eigene Leistungspflicht gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 BVG zu Recht erfüllt hat, bestätigt die Regelung des Satzes 2 Halbsatz 1; nach ihr "gelten" die Verschollenheitsleistungen "als auch zur Erfüllung seiner (des Verschollenen) gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen gewährt". Gerade die Bestimmung, die den Rückgriff gegen die verschollen gewesene Person regelt (BSGE 39, 270), setzt voraus, daß die Versorgungsleistungen weiterhin als zu Recht erbracht anzusehen sind. Die Bemerkung im Bescheid vom 12. März 1959, die Rente sei zu Unrecht gezahlt, könnte nur dann als selbständige Entscheidung mit Wirkung für die Vergangenheit verstanden werden, wenn das Versorgungsamt in dem Verwaltungsakt außerdem mit Zustimmung des Landesversorgungsamts die Rücknahme der Leistungsbescheide nach § 41 KOV-VfG oder eine entsprechende abändernde Entscheidung nach § 42 KOV-VfG ausgesprochen hätte. Das ist nicht geschehen. Solange diese Verwaltungsakte unangetastet sind, besteht der in ihnen zuerkannte Rentenanspruch für die Vergangenheit weiterhin zu Recht, mithin auch im Verhältnis zum Beklagten.
Nach alledem ist die Klage nicht begründet.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193, insbesondere Abs. 4 SGG.
Fundstellen