Entscheidungsstichwort (Thema)
KVdR-Beitragszuschuß. Vollversicherung. Argentinien
Orientierungssatz
1. Es fehlt an der Gleichheit des ausländischen Krankenschutzes mit der deutschen gesetzlichen KV, wenn für die Inanspruchnahme insbesondere stationäre Leistungen finanzielle Mittel in nicht geringer Höhe aufzuwenden sind.
2. Ob Leistungen kostenlos oder nur gegen Gebühren oder ein Entgelt gewährt werden, ist nicht eine Frage der Effektivität, die allein das Verhältnis zwischen Rechtsordnung und Lebenswirklichkeit betrifft, sondern ist bestimmend für den Inhalt der rechtlichen Regelung selbst, wobei die Grenzen zuweilen fließend sein mögen.
3. Seit dem 1977-07-01 besteht wegen der seitdem geltenden Beschränkungen des Zuschußbetrages auf die Höhe des tatsächlich gezahlten Prämienbetrages und höchstens auf 11 vH des monatlichen Rentenzahlbetrages (RVO § 1304e Abs 1 S 1, Abs 2) kein Anlaß für eine Überspannung der an die private KV zu stellenden Anforderungen.
Normenkette
RVO § 381 Abs. 4 S. 2 Fassung: 1956-06-12, § 1304e Abs. 1 S. 1 Fassung: 1977-06-27, Abs. 2 Fassung: 1977-06-27
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 10.10.1978; Aktenzeichen I JBf 202/77) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 17.11.1977; Aktenzeichen 17 J 728/77) |
Gründe
I.
Der Kläger lebt in Argentinien und bezieht seit Oktober 1975 von der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Im November 1976 beantragte er die Gewährung eines Beitragszuschusses; er legte eine Bescheinigung vor, wonach er seit Oktober 1976 bei der Hospital-Versicherung S. Mo. Ntra.Sra. de la Merced versichert sei; außerdem gab er an, daß er nicht der argentinischen gesetzlichen Krankenversicherung angehöre. Er bezieht keine argentinische Rente. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, weil nach argentinischem Recht der Kläger Anspruch auf eine kostenlose Gesundheitsfürsorge habe, die im Kern einer deutschen Krankenvollversicherung entspreche.
Widerspruch, Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat seine Entscheidung damit begründet, daß alle in Argentinien ansässigen Personen ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit oder wirtschaftliche Lage Anspruch auf eine bis auf die Medikamente kostenlose Betreuung durch die argentinische öffentliche Gesundheitsfürsorge hätten; diese umfasse stationäre und ambulante Behandlung. Ein solcher Krankenschutz sei den Leistungen der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung vergleichbar und schließe daher die Gewährung eines Beitragszuschusses aus. Es treffe zwar zu, daß in einigen Landesteilen auch Gebühren für die Inanspruchnahme von Leistungen erhoben würden; darauf komme es jedoch nicht an, da es unerheblich sei, ob der ausländische Krankenschutz auch in seiner Effektivität dem der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung vergleichbar sei.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, das LSG habe zu Unrecht angenommen, daß in Argentinien ein kostenloser Krankenschutz bestehe. In Wahrheit seien 1978 für einen Krankenhausaufenthalt mit einer Blinddarmoperation 200,- DM, für einen Krankenhausaufenthalt ohne Operation 150,- bis 300,- DM an Gebühren aufzuwenden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den angefochtenen Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides sowie die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den beantragten Beitragszuschuß ab 1. Oktober 1975 zu zahlen,
hilfsweise,
das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II.
Die Sache ist im Sinne einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und einer Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet.
Nach § 381 Abs 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der bis zum 1. Juli 1977 und § 1304 e RVO in der von da an geltenden Fassung hat Anspruch auf den Beitragszuschuß, wer eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezieht und nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert, aber freiwillig in der gesetzlichen Krankenversicherung oder bei einem Krankenversicherungsunternehmen versichert ist. Diese Voraussetzungen kann auch ein Auslandsrentner erfüllen. Der Grundsatz der Gleichbehandlung von Inlands- und Auslandsrentnern gebietet jedoch den Ausschluß des Anspruchs auf Beitragszuschuß, wenn der Auslandsrentner einen Krankenschutz genießt, der dem der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung vergleichbar ist. Ein solcher Ausschluß ist jedoch, wie der erkennende Senat in seinem heutigen Urteil in der Sache 11 RJz 5/78 näher ausgeführt hat, nur gerechtfertigt, wenn der ausländische Krankenschutz dem der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung wesentlich gleich ist. An einer solchen Gleichheit fehlt es, wenn für die Inanspruchnahme insbesondere stationärer Leistungen finanzielle Mittel in nicht geringer Höhe aufzuwenden sind. Das träfe bei Gebühren in der in der Revisionsbegründung bezeichneten Höhe zu, von denen nach den Feststellungen des LSG Baden-Württemberg in den heute mitentschiedenen Parallelverfahren 11 RJz 4/78, 6/78 und 7/78 auch die in der Provinz Buenos Aires ansässigen Personen betroffen werden.
Die vorstehenden Grundsätze hat das LSG verkannt, wenn es die Notwendigkeit einer Zahlung von Gebühren für die Inanspruchnahme von Leistungen für unerheblich gehalten hat, weil es sich dabei allein um eine Frage der Effektivität handele. Ob Leistungen kostenlos oder nur gegen Gebühren oder ein Entgelt gewährt werden, ist nicht eine Frage der Effektivität, die allein das Verhältnis zwischen Rechtsordnung und Lebenswirklichkeit betrifft, sondern ist bestimmend für den Inhalt der rechtlichen Regelung selbst, wobei die Grenzen zuweilen fließend sein mögen. Das LSG hätte daher aufklären müssen, ob der Kläger für die Inanspruchnahme von Leistungen, ggf für welche Leistungen, seit wann und in welcher Höhe Gebühren zahlen muß. Dies wird nunmehr nachzuholen sein. Soweit sich dabei ergeben sollte, daß der Krankenschutz des Klägers nach den für ihn maßgebenden Vorschriften nicht dem der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung wesentlich gleich ist - weil die Leistungsbedingungen zum Nachteil des Berechtigten von den in der gesetzlichen Krankenversicherung der Bundesrepublik Deutschland zur gleichen Zeit bestehenden in einem mehr als nur geringfügigen Ausmaß abweichen -, wird das LSG weiter prüfen müssen, ob die private Krankenversicherung des Klägers geeignet ist, die Gewährung eines Beitragszuschusses zu rechtfertigen; dabei wird zu bedenken sein, daß zumindest seit dem 1. Juli 1977 wegen der seitdem geltenden Beschränkungen des Zuschußbetrages auf die Höhe des tatsächlich gezahlten Prämienbetrages und höchstens auf 11 vH des monatlichen Rentenzahlbetrages (§ 1304 e Abs 1 Satz 1, Abs 2 RVO) für eine Überspannung der an die private Krankenversicherung zu stellenden Anforderungen kein Anlaß besteht.
Nach alledem war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten, an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Fundstellen