Leitsatz (amtlich)
Zur Umlagepflicht (AFG § 186a) eines Baubetriebs, der Fahrbahnmarkierungsarbeiten ausführt.
Leitsatz (redaktionell)
Zur ermächtigungskonformen Auslegung der Baubetriebe-Verordnung.
Normenkette
AFG § 186a Abs. 1 S. 1 Fassung: 1972-05-19; BaubetrV § 1 Abs. 1 Nr. 1 DBuchst bb Fassung: 1972-07-19; AFG § 76 Abs. 2 Fassung: 1972-05-19
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 30.09.1975; Aktenzeichen L 5 Ar 1328/74) |
SG Reutlingen (Entscheidung vom 12.06.1974; Aktenzeichen S 9 Ar 2190/73) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. September 1975 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, von der Klägerin Umlagen nach § 186a des Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zu erheben.
Das Landesarbeitsamt (LArbA) Baden-Württemberg forderte die Klägerin, die Straßenmarkierungen in Farbe und Thermoplastik auf Straßen und Parkplätzen anbringt, auf, als Winterbauumlage (§ 186a AFG) für die Zeit von Mai 1972 bis Mai 1973 einschließlich einer Pauschale für Verwaltungskosten insgesamt 13.288,- DM zu zahlen (Bescheid vom 6. Juli 1973). Der Forderung widersprach die Klägerin. Sie hielt sich nicht für umlagepflichtig nach der Winterbau-Umlageverordnung. Sie sei nämlich ausschließlich für Straßenbauämter in der Zeit vom 1. Mai bis 30. November eines jeden Jahres tätig, in der Zeit vom 1. Dezember bis 1. Mai eines jeden Jahres beschäftige sie jedoch keine Arbeitskräfte. Nach einer Betriebsbesichtigung durch das Arbeitsamt R, bei der ua festgestellt wurde, daß in der streitigen Zeit nur in den Monaten Januar bis März 1973 keine Arbeitskräfte beschäftigt waren, die Klägerin außerdem in den Monaten November 1971 und November sowie Dezember 1972 Schlechtwettergeld (SWG) bezogen hatte, wies das LArbA den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 10. Dezember 1973). Die Klägerin sei als zugelassener Betrieb iS der Verordnung über die Betriebe des Baugewerbes, in denen die ganzjährige Beschäftigung zu fördern ist (Baubetriebe-Verordnung vom 19. Juli 1972 - BGBl I 1257 -), umlagepflichtig. Für die Umlagepflicht sei es unbeachtlich, daß die Klägerin zeitweise keine Arbeitnehmer beschäftige.
Klage und Berufung der Klägerin sind erfolglos geblieben (Urteile des Sozialgerichts - SG - Reutlingen vom 12. Juni 1974 und des Landessozialgerichts - LSG - Baden-Württemberg vom 30. September 1975). Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 186a AFG.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 6. Juli 1973 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Dezember 1973 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben. Der Rechtsstreit ist zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Feststellungen des LSG reichen nicht aus, die Klägerin nach § 186a Abs 1 Satz 1 AFG für umlagepflichtig zu erklären. Nach dieser am 1. Mai 1972 in Kraft getretenen Vorschrift (Art 1 Nr 14 des Gesetzes vom 19. Mai 1972 - BGBl I 791 -) erhebt die Bundesanstalt für Arbeit (BA) "zur Aufbringung der Mittel für die Produktive Winterbauförderung (PWF) von den Arbeitgebern des Baugewerbes, in deren Betrieben die ganzjährige Beschäftigung durch Leistungen nach den §§ 77 bis 80 zu fördern ist (§ 76 Abs 2), eine Umlage". Nach der in § 186a Abs 1 Satz 1 AFG in Bezug genommenen Vorschrift des § 76 Abs 2 AFG bestimmt der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) durch Rechtsverordnung, in welchen Betrieben des Baugewerbes die ganzjährige Beschäftigung zu fördern ist; er kann dabei für die PWF und das SWG unterschiedliche Regelungen treffen (Satz 1 aaO). Er darf in die Förderung nur Betriebe einbeziehen, deren Bautätigkeit in der Schlechtwetterzeit dadurch voraussichtlich in wirtschafts- und sozialpolitisch erwünschter Weise belebt wird (Satz 2 aaO). Der ihm durch § 76 Abs 2 Satz 1 AFG erteilten Ermächtigung ist der BMA durch Erlaß der Baubetriebe-Verordnung vom 19. Juli 1972 nachgekommen. Nach § 1 Nr 1 Buchst z) bb) dieser Verordnung ist die ganzjährige Beschäftigung in der Bauwirtschaft durch die Leistungen der PWF und das SWG ua in Betrieben des Baugewerbes zu fördern, in denen Fahrbahnmarkierungsarbeiten verrichtet werden. Da die Klägerin ein derartiger Betrieb des Baugewerbes ist, hat die Beklagte sie zur Umlagepflicht herangezogen.
Die Klägerin stellt die Möglichkeiten einer ganzjährigen Beschäftigung und einer Belebung, und zwar auch unter Zuhilfenahme von Straßentrocknungsmaschinen, in Abrede. Zwar ermächtige § 76 Abs 2 Satz 1 AFG den BMA, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, in welchen Betrieben des Baugewerbes die ganzjährige Beschäftigung zu fördern ist, und dementsprechend habe er in § 1 Nr 1 Buchst z) bb) der Baubetriebe-Verordnung auch Fahrbahnmarkierungsarbeiten in die förderungsfähigen ganzjährigen Bauarbeiten mit einbezogen. Dabei sei aber übersehen worden, daß Fahrbahnmarkierungsarbeiten - zumindest in ihrem Tätigkeitsbereich (Randlage des Schwarzwalds) - während der Schlechtwetterzeit aus straßenbautechnischen Gründen undurchführbar seien. Eine ganzjährige Förderung solcher Bauarbeiten komme nicht in Betracht.
Diese Einwendungen der Klägerin zielen darauf ab, dem Umlageanspruch der Beklagten dadurch die Rechtsgrundlage zu entziehen, daß dem BMA die Befugnis abgesprochen wird, Fahrbahnmarkierungsarbeiten nach Art und Baugebiet uneingeschränkt ganzjährig für förderungsfähig zu erklären.
Diesen Einwendungen hätte das Berufungsgericht nachgehen müssen. Das LSG hätte prüfen müssen, ob es der Klägerin tatsächlich objektiv, und zwar auch bei Einsatz geeigneter Geräte und Maschinen (zB Straßentrocknungsmaschinen) unmöglich war, in der Schlechtwetterzeit Straßenmarkierungsarbeiten durchzuführen. Dabei ist es unerheblich, wie die Klägerin ihren Baubetrieb in der Schlechtwetterzeit organisiert und durchgeführt hat, insbesondere ob sie ihre Arbeitnehmer in der Schlechtwetterzeit nicht weiterbeschäftigte, ob sie in den Wintermonaten von den Straßenbauämtern Aufträge erhielt, ob sie die Behinderungen des Schlechtwetters bei der Ausführung von Straßenmarkierungsarbeiten nicht mit Geräten und Maschinen auszuschließen versuchte und ob sie Leistungen der PWF in Anspruch nahm. All dies betrifft die subjektive Seite der Winterbauförderung. Um diese geht es hier aber nicht. Vielmehr ist allein auf die objektiven Gegebenheiten für die Winterbauförderung abzuheben. Insoweit könnte allerdings auch der Umstand Bedeutung gewinnen, daß die Straßenbauämter in der Schlechtwetterzeit keine Aufträge für Straßenmarkierungsarbeiten vergeben. Die Straßenbauämter könnten sich immerhin hierzu veranlaßt sehen, weil sie durch Erfahrung erhärtete Erkenntnisse darüber besitzen, daß derartige Arbeiten jedenfalls in der Schlechtwetterzeit objektiv undurchführbar sind. Mit der Betonung der objektiven Seite steht der Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung über den Entwurf des Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des AFG (BT-Drucks VI/3261 zu Nr 12a, S. 6) in Einklang, wo es heißt: "Die Umlage ist neben den Beiträgen zur Bundesanstalt für Arbeit von den Arbeitgebern aufzubringen, in deren Betrieben die ganzjährige Beschäftigung durch Leistungen der PWF gefördert werden kann. Insoweit soll die Rechtsverordnung nach § 76 Abs 2 AFG auch den Kreis der umlagepflichtigen Arbeitgeber festlegen." Der Akzent liegt hier ersichtlich auf den Wörtern "kann" und "insoweit".
Die Beklagte hat sich zwar zur Stütze ihres Anspruchs auf das Urteil des 7. Senats des Bundessozialgerichts vom 26. Februar 1969 - 7 RAr 23/67 - (Dienstblatt der BA, Ausgabe C, Nr 1447a zu § 143d AVAVG) berufen. Dort war zu § 2 der 8. Durchführungsverordnung zum AVAVG idF vom 18. Oktober 1965 (BGBl I 1561) ua ausgesprochen worden, für eine Einschränkung der Gewährung von SWG für den Fall, daß Fahrbahnmarkierungen "in der Schlechtwetterzeit generell nicht durchführbar sind", lasse der (damalige) Gesetzes- und Verordnungswortlaut keinen Raum. Dies mag nach früherem Recht zutreffend gewesen sein. Für die hier zu beurteilende Rechtslage kann dies jedoch angesichts der eindeutigen Beschränkung auf die Möglichkeit einer ganzjährigen Bauförderung nicht gelten.
Da das LSG zur objektiven Seite des Falles keine Feststellungen getroffen hat, das Revisionsgericht sie jedoch zu treffen nicht befugt ist, ist das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes). Das LSG wird die fehlenden Feststellungen nachzuholen haben. Dabei wird es sich als erstes darum bemühen müssen, eine gründliche und verläßliche Beschreibung der verschiedenen Arten der Straßenmarkierungsarbeiten der Klägerin zu erhalten, wozu sich außer der Vernehmung des Fachpersonals der Klägerin diejenige von Fachkundigen der Straßenbauämter, der Bundesanstalt für Straßenbauwesen in Köln oder einer Technischen Universität anbieten kann.
Sollten die neuen Feststellungen des LSG ergeben, daß eine Förderung des Baubetriebs der Klägerin unter den objektiven Gegebenheiten in der Schlechtwetterzeit regelmäßig ausgeschlossen ist, scheidet eine Umlagepflicht der Klägerin nach § 186a Abs 1 AFG aus. Das gilt gleichermaßen für die denkbaren Fälle, daß Fahrbahnmarkierungsarbeiten in der Schlechtwetterzeit unabhängig vom Betriebsstandort schlechthin oder aber bei einem bestimmten Standort wie dem der Klägerin (Randlage des Schwarzwalds) wegen der dortigen Gegebenheiten nicht durchführbar sind. In solchen Fällen wäre § 1 Nr 1 Buchst z) bb) der Baubetriebe-Verordnung nicht mehr von der Ermächtigungsnorm des § 76 Abs 2 Satz 1 AFG gedeckt. Solchen Ergebnissen müßte durch eine Neufassung der Baubetriebe-Verordnung insoweit Rechnung getragen werden, als Fahrbahnmarkierungsarbeiten entweder überhaupt aus der Vorschrift des § 1 Nr 1 Buchst z) bb) herausgenommen werden oder - bei zwingender regionaler Beschränkung - eine einfach handhabbare Einschränkung festgelegt wird.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen