Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Frage der Bildung engerer Vergleichsgruppen bei der kassenärztlichen, statistischen Wirtschaftlichkeitsprüfung (Fortführung von BSG vom 27.1.1987 6 RKa 16/86 = SozR 2200 § 368n Nr 45).

 

Orientierungssatz

Ein Mehraufwand durch persönliche Anfängerschwierigkeiten des Arztes ändert nichts an der Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise. Dieser Umstand kann allenfalls bei der Festsetzung des Kürzungsbetrages berücksichtigt werden.

 

Normenkette

RVO § 368n Abs 5 Fassung: 1977-06-27

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 05.02.1986; Aktenzeichen L 7 Ka 508/85)

SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 30.01.1985; Aktenzeichen S 5 Ka 57/83)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Honorarkürzungen für die Quartale III und IV/1981.

Der Prüfungsausschuß bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) Hessen hat gegen den als Chirurgen zur kassenärztlichen Versorgung zugelassenen Kläger Honorarkürzungen wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise festgesetzt, nämlich (durch Beschluß vom 4. August 1982) hinsichtlich des Quartals III/1981 eine Kürzung von insgesamt 8.610,-- DM (35,-- DM pro Fall) und (durch Bescheid vom 13. April 1982) hinsichtlich des Quartals IV/1981 von insgesamt 15.680,-- DM (35,-- DM pro Fall). Der Arzt weise gegenüber der Fachgruppe beim Gesamthonorar eine mittlere Abweichung im Quartal III/1981 von plus 185 % (123,50 DM gegenüber 73,74 DM) und im Quartal IV/1981 von plus 148 % (150,-- DM gegenüber 87,87 DM) auf. Auf die Widersprüche des Arztes hat der Beklagte die Kürzungen herabgesetzt, nämlich (von 35,-- DM) auf 25,-- DM pro Fall für das Quartal III/1981 und (von 35,-- DM) auf 30,-- DM für das Quartal IV/1981; er hat diese Reduzierungen damit begründet, daß es sich um die ersten Abrechnungsquartale des Arztes handele. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage des Arztes abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) das erstinstanzliche Urteil sowie "die Bescheide vom 13. April 1982 und 4. August 1982 idF des Beschlusses des Beklagten vom 9. Mai 1983" aufgehoben und - unter Zurückweisung der Berufung im übrigen - den Beklagten verurteilt, den Kläger unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Zur Begründung wurde ausgeführt:

Der Beklagte habe insofern rechtsfehlerhaft gehandelt, als er das Vorbringen des Klägers, er habe auf dem Gebiet der Krankenhauseinweisungen und Arbeitsunfähigkeitsfälle gegenüber seinen Kollegen nicht vergleichbare Leistungen vorzuweisen, "weitgehend unberücksichtigt gelassen" habe "und somit sicherlich bei Berücksichtigung dieses Einwands des Klägers zu einer engeren Vergleichsgruppe gekommen wäre". Unerläßlich sei es auch, daß das Vorbringen des Klägers, bei dem Quartal III/1981 handele es sich um das Erstquartal und seine Fallzahlen seien gegenüber seiner Fachgruppe unterdurchschnittlich niedrig, insofern berücksichtigt werde, "als dadurch eine engere Vergleichsgruppe zu bilden" sei, "die die Relevanz des klägerischen Vorbringens erst in dem zu beurteilenden Rahmen erkennen" lasse. Außerdem habe der Beklagte hinsichtlich des Erstquartals von seinem Beurteilungsspielraum einen fehlerhaften Gebrauch gemacht, denn er habe den Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt. Der Beklagte habe aus der Feststellung, daß ein Erstquartal vorliege, "nicht die notwendigen Schlußfolgerungen gezogen, sondern lediglich Einsparungsmöglichkeiten aufgezählt". "Zu der Prüfung, ob Praxisbesonderheiten eine Auswirkung auf die Behandlungsweise des Klägers" hätten, sei aber der Beklagte verpflichtet. Die Prüfungsinstanzen hätten "den offenkundigen und den geltend gemachten Besonderheiten der Praxis eines Arztes nachzugehen (hierzu Urteil des BSG vom 23. Mai 1984 - 6 RKa 1/83 -)". "Die erhebliche Überschreitung des Fallkostendurchschnitts beim Kläger gegenüber dem der Fachgruppe hätte den Beklagten zu weiteren Ermittlungen veranlassen müssen, und zwar dahingehend, ob bei allen chirurgischen Praxen Sonderleistungen, Röntgen u.a.m. die gleiche Bedeutung haben, mit der sich daraus ergebenden Folge, daß diesbezügliche, aus dem Rahmen üblicher chirurgischer Praxen fallende Leistungen im größeren Umfange zu berücksichtigen sind, als dies geschehen ist. Der Beklagte hätte daher untersuchen müssen, ob die Tätigkeit des Klägers so sehr aus dem Rahmen üblicher fachkollegialer Praxen fällt, daß sie die Ansetzung der im Streit stehenden Gebührenziffern in dem vorhandenen Umfange rechtfertigt." Wenn der Kläger zB Leistungen anbiete, die der Durchschnitt seiner Fachkollegen nicht anbiete, so werde "sich dies in der Regel auch in den angesetzten und abgerechneten Leistungsziffern ausdrücken und auf eine Praxisbesonderheit hindeuten". Der Beklagte habe die Pflicht, "den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären, und zwar auch dahingehend, ob und inwieweit sonst ein Mehraufwand durch Einsparungen in anderen Bereichen ausgeglichen werden kann oder vom Kläger ausgeglichen wird. Dieser Prüfung dürfen sich die Prüfungsinstanzen nicht ohne weiteres mit der Begründung entziehen, der Arzt habe den ursächlichen Zusammenhang zwischen Mehraufwand und Einsparung nicht schlüssig dargelegt (s hierzu Urteil vom 23. Mai 1984 aa0)".

Gegen dieses Berufungsurteil richten sich die Revisionen der Beigeladenen Ziffer 1, 3, 5, 6 und 7. Sie rügen die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie beantragen, das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 5. Februar 1986 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main zurückzuweisen.

Der Kläger ist den Revisionen entgegengetreten. Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revisionen sind begründet.

Das angefochtene Urteil konnte schon deshalb keinen Bestand haben, weil das LSG (auch) den Bescheid des Prüfungsausschusses aufgehoben hat, über den (erneut) zu entscheiden es den beklagten Beschwerdeausschuß doch gerade verpflichtete.

Es ist nicht zu beanstanden, daß der Beklagte bei den vorliegenden Überschreitungen unter beispielhafter Überprüfung von Einzelleistungen eine unwirtschaftliche Behandlungsweise angenommen hat.

Soweit das LSG vom Beklagten die Bildung einer engeren Vergleichsgruppe verlangt, kann seinen Ansichten und Ausführungen nicht gefolgt werden. Wie der Senat in zahlreichen Fällen entschieden hat, brauchen die Prüfungsgremien nicht alle Praxisumstände in den (mit seinen Kollegen anzustellenden) Vergleich einzubeziehen. Hätte die Prüfbehörde eine Vergleichsgruppe zu bilden, bei deren Mitgliedern alle Praxisumstände in derselben Weise vorlägen wie beim geprüften Arzt, so wäre das Verfahren kaum weniger aufwendig zu handhaben als eine Einzelfallprüfung, wäre also praktisch ebensowenig durchführbar. Daher besteht der Vorteil des statistischen Vergleichsverfahrens gerade darin, daß unter der Vielzahl der jeweiligen Umstände einer Praxis nur wenige Vergleichstatsachen herausgegriffen zu werden brauchen (vgl Baader, "Praxisumstände" beim statistischen Beweis der Unwirtschaftlichkeit im Kassenarztrecht, SGb 1985, 446, 447). So können einzelne Umstände schon im Ansatz unberücksichtigt bleiben - etwa weil sie gar nicht kostenrelevant sind oder methodisch schon anderweitig berücksichtigt werden - während andere aus Gründen vernachlässigt werden können, die in der Legitimation dieses statistischen Verfahrens selbst liegen, zB insoweit, als es sich um eine nicht ungewöhnliche Patientenzusammensetzung handelt (vgl die entsprechende Feststellung des Beklagten im Widerspruchsbescheid Bl 10), so daß die Prämisse des statistischen Unwirtschaftlichkeitsbeweises, wonach die Häufigkeit der indizierten Behandlung bei gleicher ärztlicher Spezialisierung annähernd gleich sei, nicht entscheidend in Frage gestellt wird. Welche Umstände die Prüfungsgremien als Vergleichsumstände ansehen und insoweit zur Bildung einer Vergleichsgruppe heranziehen, unterliegt ihrem Spielraum bei der Auswahl der Feststellungsmittel und ist daher gerichtlich nur beschränkt, dh nur auf die Frage der Vertretbarkeit überprüfbar, insbesondere auf die Vereinbarkeit mit Denk- und Erfahrungssätzen (BSG, Urteil vom 27. Januar 1987 - 6 RKa 16/86 - zur Veröffentlichung vorgesehen). Hierzu gehört auch die Frage, ob die Prüfbehörde die ihrer Methode innewohnenden Folgerichtigkeiten und die dabei zu stellenden Beweisanforderungen beachtet hat (vgl BSGE 55, 110, 111).

Soweit das LSG vom Beklagten fordert, er hätte eine engere Vergleichsgruppe mit solchen Ärzten bilden müssen, die wie der Kläger im Quartal III/1981 erstmals zugelassen waren, so übersieht es, daß eine kurze Zulassungszeit hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Leistung nur von Bedeutung ist, wenn durch diesen Umstand ein Mehraufwand von Leistungen gerechtfertigt ist. Dazu hat das LSG nichts festgestellt. Soweit aber ein Mehraufwand durch persönliche Anfängerschwierigkeiten des Arztes verursacht wurde, ändert das nichts an der Unwirtschaftlichkeit der Behandlungsweise. Dieser Umstand kann allenfalls bei der Festsetzung des Kürzungsbetrages berücksichtigt werden.

Auch insoweit, als das LSG vom Beklagten verlangt, daß wegen der vom Kläger behaupteten niedrigen Fallzahlen eine engere Vergleichsgruppe zu bilden sei, ist das Berufungsurteil rechtsfehlerhaft. Da beim statistischen Wirtschaftlichkeitsbeweis nicht die Gesamtkosten, sondern (nur) die Kosten pro behandeltem Patienten (im Quartal) gegenübergestellt werden und damit die sogenannte Fallkostendifferenz maßgeblich ist, hat als Vergleichsumstand all das (als unschlüssig) auszuscheiden, was bloß die Patientenzahl betrifft. Eine zu niedrige Fallzahl kann daher im statistischen Prüfungsverfahren nur insoweit von Bedeutung sein, als damit möglicherweise (Fall-)Zahlenbereiche unterschritten werden, unterhalb derer ein statistischer Vergleich nicht mehr aussagekräftig ist. Nach den eigenen Feststellungen des LSG hatte der Kläger im Quartal III/1981 334 Fälle gegenüber 415 im Durchschnitt der vergleichbaren Ärzte und im Quartal IV/1981 448 Fälle gegenüber 504 im Durchschnitt der vergleichbaren Ärzte. Bei diesen Zahlen kann aber von der vorgenannten Situation offensichtlich nicht die Rede sein.

Schließlich verlangt das LSG die Bildung einer engeren Vergleichsgruppe auch mit der Begründung, der Beklagte habe das Vorbringen des Klägers, auf dem Gebiet der Krankenhauseinweisungen und Arbeitsunfähigkeitsfälle gegenüber seinen Kollegen nicht vergleichbare Leistungen vorweisen zu können, weitgehend unberücksichtigt gelassen habe. Das LSG hat hier aber übersehen, daß es insoweit nur um die Frage geht, ob die durch den Vergleich ermittelten (erhöhten) Kosten der Kasse (zwar keine Leistungen nach der Gebührenordnung, aber doch) anderweitige Kosten (zB Krankenhauskosten, Krankengeld) erspart haben. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, daß die Prüfungsgremien bei der Aufklärung der Höhe solcher Kostenersparnisse wiederum statistische Vergleiche anstellen. Sie haben aber mit dem vom LSG geforderten Vergleich nichts zu tun, wie das LSG, hätte es die an den Beklagten gestellten Erfordernisse real begründet, auch hätte leicht erkennen können.

Soweit das LSG vom Beklagten fordert, es hätte wegen der erheblichen Überschreitung des Fachgruppendurchschnitts des Klägers weitere Ermittlungen anstellen müssen, hat es keine konkrete Begründung dafür gegeben. Der Hinweis zu prüfen, "ob bei allen chirurgischen Praxen Sonderleistungen, Röntgen u.a.m. die gleiche Bedeutung haben, mit der sich daraus ergebenden Folge, daß diesbezügliche, aus dem Rahmen üblicher chirurgischer Praxen fallende Leistungen in größerem Umfange zu berücksichtigen sind, als dies geschehen ist", vermag nicht zu verdeutlichen, worin der Beklagte rechtsfehlerhaft gehandelt haben soll. Dies umso weniger, als der Beklagte nach den eigenen Feststellungen des LSG nicht nur einen Gesamtvergleich angestellt, sondern gerade auch die vom LSG genannten einzelnen Leistungsarten, nämlich Sonderleistungen und Röntgenleistungen, statistisch verglichen hat. Da der Beklagte sogar zusätzlich, wie unstreitig ist, eine breite Überprüfung der Diagnoseangaben vorgenommen hat, ist insoweit - entgegen der Ansicht des LSG - eine Fehlerhaftigkeit nicht ersichtlich.

Auch insoweit, als das LSG vom Beklagten Ermittlungen darüber fordert, ob dem Kläger Einsparungen zugute kommen, hat es nicht konkret beschrieben, worin hier ein Rechtsfehler des Beklagten liegen soll. Der Beklagte ist offenbar davon ausgegangen, daß insoweit keine Anhaltspunkte bestehen, nämlich dafür, daß, wenn der Kläger seine überhöhte Leistung nicht erbracht hätte, anderweitige kostenbelastende Maßnahmen erforderlich geworden wären. Allein der Umstand, daß der Kläger erheblich weniger Krankenhauseinweisungen und Arbeitsunfähigkeitsfälle hatte als der Gruppendurchschnitt, brauchte den Beklagten, wenn keine substantiierten Darlegungen des Klägers hierzu erfolgten, nicht ohne weiteres zu der Prüfung veranlassen, ob die hier zu fordernde Kausalität zwischen dem (hypothetischen) Unterlassen der Leistung und (hypothetischen) anderweitigen Kostengründen vorliegt. Zwar kann es für einen solchen Zusammenhang besondere Anhaltspunkte geben, die von den Prüfungsgremien aufzugreifen sind, und es mag dabei auch vorkommen, daß für den ursächlichen Zusammenhang eine beweiserleichternde Vermutung spricht. Für beides liegen hier aber keine Hinweise vor. Der Arzt, der eine solche Kostenersparnis geltend macht, trägt aber den Nachteil der Nichterweislichkeit der genannten Kausalität.

Das LSG hat die Fehlerhaftigkeit des Widerspruchsbescheides schließlich damit begründet, daß der Beklagte hinsichtlich der kurzen Zulassungszeit des Klägers von seinem Ermessensspielraum einen fehlerhaften Gebrauch gemacht habe. Das LSG hat jedoch (an anderer Stelle) selbst festgestellt, daß der Beklagte die Kürzungsbeträge mit der Begründung reduziert habe, daß es sich um die ersten Abrechnungsquartale handele (S 4 des Urteils). Andererseits wird vom LSG aber auch nicht etwa ausgeführt, daß dies in Wirklichkeit gar nicht zutreffe. Tatsächlich enthält der Widerspruchsbescheid (Bl 10) Ausführungen, die jedenfalls so ausgelegt werden können. Bei dieser Sachlage liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, daß die Kürzung unvertretbar ist.

Da die Honorarkürzung demnach nicht zu beanstanden ist, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

AusR 1990, 24

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