Leitsatz (amtlich)

Der Anspruch auf das vorzeitige Altersruhegeld nach RVO § 1248 Abs 3 setzt voraus, daß für eine Beschäftigung, die als "rentenversicherungspflichtige Beschäftigung" im Sinne dieser Vorschrift berücksichtigt werden soll, Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet worden sind oder als entrichtet gelten (Weiterentwicklung BSG 1962-03-29 1 RA 24/60 = BSGE 16, 284; Weiterentwicklung BSG 1964-02-18 4 RJ 217/61 = BSGE 20, 184).

 

Normenkette

RVO § 1248 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 7. Dezember 1960 wird aufgehoben.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 15. Januar 1960 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Beteiligten streiten darüber, ob eine Beschäftigung der Klägerin, für die sie keine Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet hat, bei der Anwendung des § 1248 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) als "rentenversicherungspflichtige Beschäftigung" zu berücksichtigen ist.

Die am 21. Juli 1896 geborene Klägerin war von 1912 bis 1918 als Hausgehilfin, Arbeiterin und Näherin und von 1919 bis 1945 als Weberin in Schlesien in der Rentenversicherung der Arbeiter pflichtversichert. 1946, nach der Besetzung ihrer Heimat, kam sie in die Bundesrepublik zu ihrem Ehemann, der bei dem Bauern F im Kreis Land Hadeln untergekommen und dort beschäftigt war. Sie arbeitete von Juni 1946 bis August 1948 auf dem Hof mit, ohne Beiträge zur Rentenversicherung zu entrichten. Seit 1948 hat sie sich freiwillig weiterversichert.

Nachdem zwei Rentenanträge wegen fehlender Invalidität abgelehnt worden waren, wiederholte die Klägerin, die inzwischen das 60. Lebensjahr vollendet hatte, Anfang 1957 ihren Rentenantrag. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit der Begründung ab, es liege weder Berufsunfähigkeit vor noch seien die Voraussetzungen des vorzeitigen Altersruhegeldes (§ 1248 Abs. 3 RVO) erfüllt; die Klägerin habe in den letzten 20 Jahren nicht überwiegend eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt.

Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben, die das Sozialgericht (SG) abgewiesen hat. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Klägerin hin das Urteil des SG sowie den ablehnenden Bescheid der Beklagten aufgehoben und diese verurteilt, der Klägerin vom 1. Januar 1957 an Altersruhegeld nach § 1248 Abs. 3 RVO zu zahlen. Es hat dazu ausgeführt, die Klägerin habe die gesetzliche Wartezeit von 180 Beitragsmonaten erfüllt und auch in den letzten 20 Jahren überwiegend eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt. Diese Frist rechne bei Versicherten, die vor dem 1. Januar 1957 das 60. Lebensjahr vollendet hätten, ausnahmsweise nicht vom Tag der Antragstellung, sondern schon von dem der Vollendung des 60. Lebensjahres an. Da die Klägerin mit dem Ablauf des 20. Juli 1956 das 60. Lebensjahr vollendet habe, reiche der maßgebende Zeitraum somit vom 21. Juli 1936 bis 20. Juli 1956. Für die Zeit vom 21. Juli 1936 bis 28. September 1941 seien 256 Beitragswochen nachgewiesen. Dazu komme die Zeit vom 29. September 1941 bis 10. Februar 1945, die entgegen der Auffassung der Beklagten voll mit 176 Wochen anzurechnen sei, da die Klägerin diese Beschäftigungszeit, über die Versicherungsunterlagen nicht mehr vorhanden seien, glaubhaft gemacht habe. Eine Kürzung gemäß § 3 Abs. 1 der "Vorordnung über die Feststellung von Leistungen aus den gesetzlichen Rentenversicherungen bei verlorenen, zerstörten, unbrauchbar gewordenen oder nicht erreichbaren Versicherungsunterlagen" (Feststellungsverordnung) vom 3. März 1960 auf 5/6 komme nicht in Betracht. Schließlich müsse noch die Zeit von Juni 1946 bis August 1948 mit 118 Wochen berücksichtigt werden, weil die Klägerin in dieser Zeit - entgegen der Auffassung des SG und der Beklagten - eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt habe. Sie sei damals genötigt gewesen, mit auf dem Bauernhof zu arbeiten, und habe auch tatsächlich die Arbeiten einer landwirtschaftlichen Gehilfin verrichtet. Dieses Beschäftigungsverhältnis sei auch nicht versicherungsfrei gewesen. Unerheblich sei es, daß keine Beiträge entrichtet worden seien; nach dem Wortlaut des Gesetzes komme es nur darauf an, daß eine "rentenversicherungspflichtige Beschäftigung" ausgeübt worden sei. Insgesamt habe die Klägerin somit in den letzten 20 Jahren vor Vollendung ihres 60. Lebensjahres-umgerechnet-127 Monate lang, also überwiegend eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Mit der Revision beantragt die Beklagte,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Stade vom 15. Januar 1960 zurückzuweisen,

hilfsweise,

das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Sie rügt u. a., das LSG habe § 1248 Abs. 3 RVO verletzt. Die Mitarbeit der Klägerin auf dem Bauernhof 1946/48 könne nicht als eine "rentenversicherungspflichtige Beschäftigung" gewertet werden. Im übrigen sei die 20-Jahresfrist auch nicht von der Vollendung des 60. Lebensjahres an zurückzurechnen, sondern erst von dem Tag, an dem alle Anspruchsvoraussetzungen vorgelegen hätten. Da dazu auch der Rentenantrag gehöre, müsse im vorliegenden Falle vom 29. Januar 1957 an zurückgerechnet werden. Ferner sei die Zeit vom 29. September 1941 bis 10. Februar 1945 - entgegen der Auffassung des LSG - nicht voll anzurechnen, sondern gemäß § 3 Abs. 1 der Feststellungsverordnung auf 5/6 zu kürzen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig.

Die Revision ist zulässig und begründet.

Nach § 1248 Abs. 3 RVO erhält die Versicherte, die das 60. Lebensjahr vollendet hat, auf Antrag Altersruhegeld, wenn die Wartezeit erfüllt ist und sie in den letzten 20 Jahren überwiegend eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat und eine solche Beschäftigung oder Tätigkeit nicht mehr ausübt. Die Klägerin ist am 21. Juli 1956 60 Jahre alt geworden und hat auch eine Wartezeit von 180 Kalendermonaten nachgewiesen. Streitig ist nur, ob sie in den letzten 20 Jahren überwiegend, d. h, wenigstens 121 Monate, eine "rentenversicherungspflichtige Beschäftigung" ausgeübt hat.

Selbst wenn man mit dem LSG zugunsten der Klägerin davon ausgeht, daß der Zeitraum von 20 Jahren bereits von Juli 1956 an zurückgerechnet werden darf - und nicht erst von der Antragstellung im Januar 1957 an -, und wenn man ferner auch unterstellt, daß die Zeit von September 1941 bis Februar 1945 voll - und nicht nur zu 5/6 - beitragsmäßig anzurechnen ist, so wird eine Beschäftigungszeit von 121 Monaten in dem maßgeblichen Zeitabschnitt doch nur dann erreicht, wenn die Beschäftigung in der Zeit von Juni 1946 bis August 1948 mit als "rentenversicherungspflichtige Beschäftigung" im Sinne von § 1248 Abs. 3 RVO gewertet werden darf. Das ist jedoch - entgegen der Ansicht des LSG - nicht zulässig.

Für die Klägerin sind - unstreitig - für diese Zeit keine Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet worden. Unter einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung im Sinne des § 1248 Abs. 3 RVO ist eine Beschäftigung zu verstehen, die nicht nur an sich rentenversicherungspflichtig war, sondern für die auch die erforderlichen Beiträge entrichtet worden sind oder als entrichtet gelten. Nach der Ansicht des Senats weist in diesem Zusammenhang der Begriff "rentenversicherungspflichtige Beschäftigung" auf Beitragsleistungen hin. Das bestätigt § 25 Abs. 3 Satz 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) - § 25 AVG entspricht dem § 1248 RVO -, der für die Angestelltenversicherung mit Rücksicht auf den Eintritt von Versicherungsfreiheit beim Überschreiten der Jahresarbeitsverdienstgrenze bestimmt, daß mit freiwilligen Beiträgen belegte Zeiten einer Beschäftigung oder Tätigkeit einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit gleichstehen, soweit die Versicherte während dieser Zeiten nur wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze versicherungsfrei war. Diese Erweiterung wäre überflüssig, wenn eine an sich rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ohne Beitragsleistungen zur Erfüllung der umstrittenen Voraussetzung genügen würde. Es trifft zwar zu, daß § 1248 Abs. 3 RVO eine Sonderregelung zugunsten erwerbstätiger Frauen enthält und berücksichtigt, daß die Arbeit der versicherten Frau wegen ihres Doppelberufes als Arbeitnehmerin und Hausfrau eine frühzeitige Abnutzung der Kräfte und damit eine vorzeitige Alterung hervorruft. Das ist nur das Motiv für diese Art vorzeitigen Altersruhegeldes, erklärt aber nicht die einschränkende Voraussetzung, daß in den letzten 20 Jahren überwiegend eine "rentenversicherungspflichtige" Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt worden sein muß. Das Bundessozialgericht (BSG) hat schon früher klargestellt, daß diese Vergünstigung nicht allen weiblichen Versicherten zugute kommen soll, die über 60 Jahre alt und irgendwie berufstätig gewesen sind, sondern nur solchen, die dazu eine qualifizierte Beitragsleistung aufweisen (BSG 16, 284; SozR RVO § 1248 Bl. Aa 13 Nr. 11 und 17 Nr. 14). Dieser Auffassung folgt der erkennende Senat bei der Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits. In den bisher vom BSG entschiedenen Fällen hat es sich allerdings um Beschäftigungen gehandelt, die für die Versicherten versicherungsfrei waren, doch muß entsprechendes auch gelten, wenn ohne Versicherungsfreiheit - absichtlich oder unabsichtlich - Beiträge nicht geleistet worden sind. Erst mit der Entrichtung von Beiträgen gehört der Arbeitnehmer zum Kreis der versicherten Erwerbstätigen und ist rentenversicherungspflichtig beschäftigt im Sinne des § 1248 Abs. 3 RVO.

An dieser Auslegung vermag auch die Verweisung in § 1248 Abs. 3 RVO letzter Satz auf die Sätze 2 bis 4 des § 1248 Abs. 2 RVO nichts zu ändern, denn sie bezieht sich nur auf die Erhaltung des Anspruchs und nicht auf seine Entstehung.

Letztlich sei noch auf die Rechtsprechung des BSG zu § 1251 RVO hingewiesen. Nach dieser Vorschrift werden für die Erfüllung der Wartezeit gewisse beitragslose Zeiten als Ersatzzeiten angerechnet, aber nur dann, wenn entweder eine Versicherung vorher bestanden hat oder wenn ohne vorhergehende Versicherungszeiten innerhalb von zwei Jahren nach Beendigung der Ersatzzeit eine "rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit" aufgenommen worden ist. Auch in diesem Sinne ist unter einer "rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung" nur eine solche zu verstehen, für die auch Beiträge entrichtet worden sind (BSG, Urt. vom 18.2.64 - 4 RJ 217/61 -).

Nach alledem ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen (§§ 170 Abs. 2, 193 des Sozialgerichtsgesetzes).

 

Fundstellen

BSGE, 231

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