Entscheidungsstichwort (Thema)

Mehrstufenschema. Angelernte. Beamtendiensttuer. qualitativer Wert des bisherigen Berufs. tarifliche Einstufung. Dienstleistungsfachkraft für den Postbetrieb. Zeitspanne der beruflichen Praxis. Verweisbarkeit eines Postfacharbeiters

 

Orientierungssatz

1. Bei Anwendung des zu § 1246 Abs 2 RVO entwickelten Vierstufen-Schemas kann ein Versicherter, der innerhalb der Gruppe mit dem Leitberuf des Angelernten ("sonstiger Ausbildungsberuf") wegen der Qualität der bisherigen Berufstätigkeit (zB Erfordernis einer Regelausbildung) deren oberen Bereich angehört, nicht auf diejenigen Tätigkeiten der Gruppe mit dem Leitberuf des Ungelernten verwiesen werden, die nur ganz geringen qualitativen Wert haben (vgl BSG 28.11.1985 4a RJ 51/84).

2. Der qualitative Wert der Tätigkeit eines Postfacharbeiter ist dem Leitberuf des angelernten Arbeiters zuzuordnen.

3. Bei Einordnung von "Beamtendiensttuern" in den oberen Bereich des Leitberufs des angelernten Arbeiters scheidet zum einen die Verweisbarkeit auf ganz einfache Tätigkeiten aus, zum anderen muß aber mindestens eine in Betracht kommende Verweisungstätigkeit konkret bezeichnet werden.

 

Normenkette

RVO § 1246 Abs 2 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 16.02.1984; Aktenzeichen L 12 J 1863/81)

SG Karlsruhe (Entscheidung vom 31.08.1981; Aktenzeichen S 10 J 883/81)

 

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit.

Der 1925 geborene Kläger begann 1942 eine kaufmännische Lehre, ohne sie mit der Prüfung abzuschließen. Nach dem Kriege war er zunächst als Landwirt und Elektroschweißer tätig. Im September 1957 trat er in den Dienst der Deutschen Bundespost ein. Er war als Postfacharbeiter (Pfarb) beschäftigt und ab 2. September 1960 in die Lohngruppe VI des Tarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb) eingestuft. Nachdem er die Prüfung für den einfachen Postdienst abgelegt hatte, erhielt er während seiner am 14. Juni 1961 begonnenen Tätigkeit im sogenannten Beutelumschlag ab 28. September 1961 eine Tätigkeitszulage in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen dem Lohn der Gruppe VI und demjenigen der Gruppe V, ab 28. Oktober 1961 den Unterschiedsbetrag zur Vergütungsgruppe IX der Tarifordnung für Angestellte (TOA). Zum 1. Dezember 1962 wurde er als Postschaffner (Besoldungsgruppe A 2) in das Beamtenverhältnis übernommen. Zum 1. April 1981 wurde er als Posthauptsekretär wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt.

Den vom Kläger im Dezember 1980 gestellten Antrag auf Rente wegen Erwerbs- bzw Berufsunfähigkeit lehnte die Beklagte ab, weil der Kläger nach dem Ergebnis der ärztlichen Untersuchungen noch in der Lage sei, leichte bis mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung ohne besonderen Zeitdruck und nicht überwiegend im Freien vollschichtig zu verrichten (Bescheid vom 26. Mai 1981).

Das Sozialgericht (SG) Karlsruhe hat die Klage abgewiesen, das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg die Berufung des Klägers nach weiterer medizinischer Sachaufklärung zurückgewiesen. Es hat im Urteil vom 16. Februar 1984 ausgeführt: Der Kläger sei weder erwerbs- noch berufsunfähig. Er könne noch leichte und mittelschwere Arbeiten, möglichst im Bewegungswechsel, ohne Wechselschicht, nicht im Akkord und nicht am Fließband, vollschichtig verrichten. Zwar sei er nicht mehr imstande, seinen "bisherigen Beruf" als Pfarb im Beutelumschlag auszuüben. Gleichwohl sei er nicht berufsunfähig, da er als angelernter Arbeiter auf zahlreiche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verwiesen werden könne, ohne daß es einer konkreten Tätigkeitsbezeichnung bedürfe. Der Kläger habe im Postdienst keine versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt, die einem anerkannten Lehrberuf entspreche. Auch aus der tariflichen Einstufung ergebe sich eine Gleichstellung mit einem Facharbeiter nicht. Zwar seien seit September 1961 Postfacharbeiter nach bestandener Prüfung für den einfachen Postdienst und dreijähriger Beschäftigung auf Beamtendienstposten der Besoldungsgruppe A 2 oder höher in die Lohngruppe IV TV Arb einbezogen gewesen; ob das jedoch im Rahmen des von der Rechtsprechung entwickelten Mehrstufenschemas für die Einordnung in die Gruppe der Facharbeiter ausreiche, könne hier offenbleiben, weil der Kläger nur etwa eineinhalb Jahre in seinem bisherigen Beruf gearbeitet habe und deshalb in der Lohngruppe VI verblieben sei. Die Zulage sei lediglich gewährt worden, weil er eine Beamtentätigkeit verrichtet habe.

Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Das LSG habe zu Unrecht Berufsunfähigkeit verneint, weil die rechtliche Gleichstellung mit einem Facharbeiter auch qualitativ hochwertige Tätigkeiten erfasse, für die eine bestimmte Ausbildungsdauer weder vorgeschrieben noch üblich sei. Diese Gleichstellung erstrecke sich auch auf entsprechend hoch zu bewertende Beamtentätigkeiten, die von Arbeitern verrichtet würden. Hierbei handele es sich überwiegend um Beamtendienstposten der Besoldungsgruppe A 2. Tariflich seien die entsprechenden Tätigkeiten der für Handwerker vorgesehenen Lohngruppe IV zugeordnet. Da der Kläger einen Beamtendienstposten der Besoldungsgruppe A 4 ausgefüllt habe, müsse für ihn die Gleichstellung erst recht gelten, wobei es keine Rolle spielen könne, daß in seinem Falle eine Tätigkeitszulage gezahlt worden sei (Hinweis auf Bundessozialgericht -BSG- in SozR 2200 § 1246 Nrn 46, 73). Deshalb habe das LSG zumindest eine zumutbare Verweisungstätigkeit konkret bezeichnen müssen.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil, das Urteil des SG Karlsruhe vom 31. August 1981 sowie den Bescheid vom 26. März 1981 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab 1. Januar 1981 Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren, hilfsweise Anrufung des Großen Senats.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und macht geltend, gegen die Feststellungen des LSG seien keine begründeten Verfahrensrügen erhoben worden; im übrigen verstoße es nicht gegen Denkgesetze, eine Lohnerhöhung bei unveränderter Fortführung einer qualitativ einfachen Tätigkeit auf Gründe zurückzuführen, die nichts mit der Qualität der Arbeit zu tun hätten (Hinweis auf BSG, Urteil vom 3. November 1982 - 1 RJ 32/82).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist insoweit begründet, als der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden muß. Die Feststellungen des Berufungsgerichts reichen für eine abschließende Entscheidung nicht aus.

Nach § 1246 Abs 2 Satz 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) ist ein Versicherter berufsunfähig, dessen Erwerbsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr die Hälfte derjenigen eines vergleichbaren gesunden Versicherten beträgt. Nach Satz 2 der Vorschrift beurteilt sich dabei die Erwerbsfähigkeit des Versicherten nach allen (objektiv) seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechenden Tätigkeiten, die ihm (subjektiv) unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Hiernach stehen die sogenannten Verweisungstätigkeiten in einer Wechselwirkung zum "bisherigen Beruf". Von diesem aus bestimmt sich, welche Verweisungstätigkeiten als zumutbar in Betracht kommen. Deshalb muß er zunächst ermittelt und - da die Verweisbarkeit davon abhängt - nach den vorgenannten Kriterien bewertet, also sein qualitativer Wert festgestellt, werden (zB BSG SozR 2200 § 1246 Nr 41). Hierzu hat die Rechtsprechung ein Mehrstufenschema entwickelt, das die Arbeiterberufe in verschiedene "Leitberufe" untergliedert, nämlich diejenigen des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters, des "angelernten" und schließlich des ungelernten Arbeiters. Grundsätzlich darf der Versicherte nur auf die jeweils niedrigere Gruppe verwiesen werden. Denn das Gesetz sieht den Versicherten nicht schon dann als berufsunfähig an, wenn er den "bisherigen Beruf" aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann, sondern verlangt, daß er, ausgehend von diesem Beruf, einen "zumutbaren" beruflichen Abstieg in Kauf nimmt. Erst wenn der Versicherte in diesem Sinne nicht auf eine zumutbare andere Tätigkeit verwiesen werden kann - sei es, daß es eine solche Tätigkeit (objektiv) nicht gibt, sei es, daß er (subjektiv) aus gesundheitlichen Gründen oder wegen fehlender (nicht ausreichender) Kenntnisse und Fähigkeiten eine solche Tätigkeit nicht zu verrichten vermag, ist er berufsunfähig.

Zutreffend ist das Berufungsgericht von der letzten vor der Übernahme in das Beamtenverhältnis ausgeübten versicherungspflichtigen Tätigkeit des Pfarb "im Beutelumschlag" als dem bisherigen Beruf des Klägers ausgegangen. Dem steht nicht entgegen, daß zwischen dem Ende dieser versicherungspflichtigen Beschäftigung und dem (behaupteten) Eintritt des Versicherungsfalles ein längerer Zeitraum liegt (vgl BSG aaO Nr 66 und ständige Rechtsprechung).

Als festgestellt und, da hiergegen von der Beklagten keine Revisionsgründe vorgebracht worden sind, für den Senat bindend (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) gilt aufgrund der Ausführungen des LSG, daß der Kläger als Pfarb im Beutelumschlag nicht mehr einsatzfähig ist. Es kommt daher, wie dargelegt, auf den qualitativen Wert dieses bisherigen Berufs an, um von dem gewonnenen Ergebnis aus den Kreis der zumutbaren Verweisungstätigkeiten abstecken und anschließend untersuchen zu können, ob der Kläger den Anforderungen eines solchen Verweisungsberufes gesundheitlich sowie von seinem Können und Wissen her gewachsen ist.

Die dem angefochtenen Urteil nach dem Ergebnis der tatsächlichen Feststellungen zugrundeliegende Beurteilung, die Tätigkeit des Pfarb im Beutelumschlag sei nicht mit dem Leitberuf des Facharbeiters, sondern dem des angelernten Arbeiters zuzuordnen, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger hat für die Tätigkeit keine berufliche Ausbildung durchlaufen, die dem Leitbild des Facharbeiters entspricht. Dessen bedurfte es auch nicht. Denn die Tätigkeit, die der Kläger zuletzt versicherungspflichtig im Postdienst verrichtet hat, setzt generell keine Ausbildungszeit von etwa drei Jahren voraus, wie sie regelmäßig beim Facharbeiter - mindestens - vorgeschrieben ist (vgl Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe, herausgegeben vom Bundesinstitut für Berufsbildung, Ausgabe 1984, S 16ff). In einem derartigen Fall gestaltet sich die Einordnung in das Mehrstufenschema besonders schwierig. Zur Erleichterung einer zutreffenden - tatsächlichen - Einordnung in eine der Gruppen des Schemas hat die Rechtsprechung des BSG die Heranziehung von Tarifverträgen zugelassen. Es hat sich dazu berechtigt gesehen, weil seiner Ansicht nach die Tarifpartner als die "unmittelbar am Arbeitsleben beteiligten Bevölkerungskreise" durch die Tarifverträge - trotz aller im Einzelfall möglichen Mängel - noch relativ zuverlässig eine Bewertung von Berufstätigkeiten vornehmen, die den Anforderungen auch des Mehrstufenschemas entspricht. Denn auch die der Berufswelt besonders nahestehenden Tarifpartner berücksichtigen bei der tariflichen Einstufung die Qualität des Berufs aufgrund seiner positiv zu bewertenden Anforderungen und Merkmale (vgl BSGE 41, 129, 133 = SozR 2200 § 1246 Nr 11; SozR 2200 § 1246 Nr 29). Damit ist den Versicherungsträgern und Gerichten bei der auf tatsächlichem Gebiet liegenden Ermittlung des qualitativen Wertes des bisherigen Berufes ein wertvolles Hilfsmittel an die Hand gegeben worden (vgl Urteil des Senats vom 28. November 1985 - 4a RJ 51/84).

Hieran knüpft das Berufungsgericht an, wenn es ausführt, der Kläger sei als Pfarb ab 2. September 1960 in die Lohngruppe VI des TV Arb der Deutschen Bundespost eingeordnet gewesen, er habe während seiner Tätigkeit im Beutelumschlag eine Tätigkeitszulage in Höhe des Unterschiedsbetrages zunächst zur Lohngruppe V, ab 28. Oktober 1961 zur Vergütungsgruppe IX TOA erhalten.

Indessen hat das LSG schon aufgrund der tariflichen Einstufung des Klägers die Gleichstellung mit dem Leitberuf des Facharbeiters nicht bejahen können. Die Lohngruppe VI, in der er sich befand, erfaßte keine Facharbeiter; die Gruppen V bis VII waren vielmehr angelernten Arbeitern vorbehalten. Auch unter Berücksichtigung der gewährten Tätigkeitszulagen hat das LSG keine Erkenntnisse gewinnen können, die eine Gleichstellung mit dem Facharbeiter rechtfertigen. Danach beruhte die Zulage in Höhe des Unterschiedsbetrages zur Vergütung der Gruppe IX TOA auf einer Regelung des Tarifvertrages idF vom 17. August 1959, die bestimmte, daß vollbeschäftigte Arbeiter der Lohngruppen VII bis II eine Tätigkeitszulage in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen dem Tabellenlohn ihrer jeweiligen Lohngruppe und der Vergütung nach Gruppe IX TOA ua dann erhielten, wenn sie innerhalb von zwei Jahren insgesamt vier Monate auf Dienstposten der Beamtenbesoldungsgruppen A 4 oder höher beschäftigt worden sind und diese Tätigkeiten selbständig wahrnahmen. Daraus hat das Berufungsgericht geschlossen, die Zulage sei nicht als Ausgleich für erschwerte Arbeitsbedingungen gedacht gewesen, sondern gewährt worden, weil der Empfänger, obwohl Arbeiter, eine Beamtentätigkeit verrichtet habe; dies genüge jedoch nicht, um den Kläger - selbst wenn dessen Behauptung zutreffe, mit der Zulage das Niveau der Lohngruppe II erreicht zu haben - aufgrund der lohnmäßigen Gleichstellung mit einem Facharbeiter auch nach dem Mehrstufenschema einem Facharbeiter gleichzusetzen. Die einer nur angelernten Tätigkeit entsprechende Arbeit des Klägers habe durch die Zulage keinen Wertzuwachs erfahren; tarifvertraglich sei die Arbeit erst dann als "gelernte Arbeit" bewertet worden, wenn sie der Bedienstete mindestens drei Jahre lang versehen habe, woran es hier fehle.

Insbesondere hat aber das LSG auch unabhängig von den tarifvertraglichen Erwägungen die berufsspezifischen Merkmale der von dem Kläger verrichteten Tätigkeit festgestellt und auf ihre qualitativen Bewertungskriterien hin untersucht. Als Postfacharbeiter im Beutelumschlag war der Kläger im Posteingang und Postausgang eingesetzt; er hatte die eingehenden Beutel, Zeitungen, Zeitschriften sowie Einschreibe- und Wertsendungen auf die einzelnen weiterverarbeitenden Stellen zu verteilen und entsprechend im Postausgang die Beutel und Sendungen weiterzuleiten. Zwar hatte der Kläger nach den Feststellungen des Berufungsgerichts mit dieser Tätigkeit einen Beamtendienstposten der Besoldungsgruppe A 4 inne; das LSG hat weiter eingeräumt, daß er über gewisse Ortskenntnisse in der Bundesrepublik und im Ausland habe verfügen und auch die entsprechenden Kurse sowie Leitwege kennen müssen. Darüber hinaus soll ihm obgelegen haben, im Beutelumschlag neu eingesetzte Kollegen anzuleiten. Der Erwerb der hierfür erforderlichen Kenntnisse habe jedoch, wie das LSG ausführt, keine Ausbildung erfordert, die der eines Facharbeiters auch nur einigermaßen gleichstehe. Der Kläger habe die Prüfung für den einfachen Dienst, die Voraussetzung für seine Beschäftigung im Beutelumschlag gewesen sei, nach einem nur 14tägigen Vorbereitungslehrgang abgelegt, wie überhaupt die Bundeslaufbahnverordnung an die Ausbildung im einfachen Dienst nicht annähernd die Voraussetzungen stelle, die eine Ausbildung zum Lehrberuf kennzeichneten.

Daß dem LSG ein Rechtsfehler unterlaufen sei, wenn es in Auswertung und Würdigung der vorbezeichneten Tatsachen und Umstände die Schlußfolgerung gezogen hat, der Kläger könne nicht dem Leitberuf des Facharbeiters, sondern müsse dem Leitbild des angelernten Arbeiters zugeordnet werden, ist nicht ersichtlich. Soweit die Ausführungen des LSG tatsächliche Feststellungen enthalten, ist der Senat daran gebunden (§ 163 SGG). Soweit das LSG diese Tatsachen in Ausübung seines Rechts der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) gewertet hat, ist vom Kläger ein Verstoß gegen Verfahrensrecht, zB gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze sowie die Anwendung unrichtiger Erfahrungssätze nicht gerügt (§§ 163 Halbsatz 2, 164 Abs 2 Satz 3 SGG).

Für diese Auffassung spricht aber auch noch folgendes: Aufgrund der Verordnung über die Berufsausbildung zur Dienstleistungsfachkraft im Postbetrieb vom 28. Februar 1979 (BGBl I, 242) ist nunmehr die "Dienstleistungsfachkraft im Postbetrieb" als Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungsdauer von drei Jahren staatlich anerkannt (Verzeichnis der anerkannten Ausbildungsberufe, herausgegeben vom Bundesinstitut für Berufsbildung, Ausgabe 1984, S 122). Nach § 2 Abs 2 der VO gliedert sich die Ausbildung in eine einjährige berufliche Grundbildung und eine zweijährige berufliche Fachbildung. Während die berufliche Grundbildung, wie dem Ausbildungsberufsbild des § 3 aaO zu entnehmen ist, nichts enthält, was auf die Tätigkeit des Pfarb im Beutelumschlag zugeschnitten wäre, erfaßt die berufliche Fachbildung auch - zum Teil - diesen Bereich. Der Rahmenlehrplan für den Ausbildungsberuf der Dienstleistungsfachkraft verdeutlicht, daß auf einen breiten, fundierten Wissensstand Wert gelegt wird. Der Plan sieht für die zweijährige Fachstufe Zeitrichtwerte von insgesamt 560 Stunden vor, die sich in Allgemeine Wirtschaftslehre (160 Stunden), Postbetriebslehre (160 Stunden), Rechnungswesen (160 Stunden, unterteilt in Buchführung und Wirtschaftsmathematik von je 80 Stunden) und Wirtschaftsgeographie (80 Stunden) gliedert (Beschluß der Kultusministerkonferenz vom 9. Februar 1979, Beilage zum Bundesanzeiger Nr 218 vom 20. November 1979). Die Schwierigkeit der für diese Ausbildung vorgesehenen Abschlußprüfung (vgl § 9 aaO) ist mit der Prüfung für den einfachen Postdienst offenkundig weder identisch noch vergleichbar.

Aus alledem geht hervor, daß der bisherige Beruf des Klägers nicht mit der Tätigkeit einer nach der VO vom 28. Februar 1979 ausgebildeten und geprüften Dienstleistungsfachkraft im Postbetrieb vergleichbar ist, sondern nur einen Ausschnitt der Tätigkeiten beinhaltete, die heute von einer Dienstleistungsfachkraft verlangt werden.

Zwar ist es nicht ausgeschlossen, einen Versicherten, der eine Berufstätigkeit ausgeübt hat, für die zum Zeitpunkt ihrer Verrichtung noch keine Berufsausbildung vorgeschrieben war, gleichwohl in die Gruppe mit dem Leitberuf des Facharbeiters einzuordnen; diese Zuordnung scheitert aber hier schon daran, weil in einem solchen Fall die berufliche Praxis zumindest die Zeitspanne umfassen muß, die jetzt für die Ausbildung zu dem Beruf vorgeschrieben ist (BSG in SozR 2200 § 1246 Nr 94). Der Kläger hat jedoch nach den Feststellungen des LSG als Pfarb im Beutelumschlag insgesamt nur etwa eineinhalb Jahre gearbeitet. Aus vorgenannten Gründen geht der Senat von einer anderen Beurteilungsgrundlage aus als der 5b Senat in den einen Postzusteller betreffenden Urteilen vom 3. Oktober 1984 (SozR 2200 § 1246 Nrn 122, 123) und vom 1. Dezember 1983 (aaO Nr 111), so daß er mangels Abweichung in einer Rechtsfrage nicht den Großen Senat des BSG anzurufen braucht (§ 42 SGG).

Nach alledem ist der Kläger entsprechend dem qualitativen Wert seiner Tätigkeit als Postfacharbeiter dem Leitberuf des angelernten Arbeiters zuzuordnen. Der Senat hat im - zur Veröffentlichung bestimmten - Urteil vom 28. November 1985 - 4a RJ 51/84 - S 12 ff, bereits entschieden, daß bei gebotener Einordnung von "Beamtendiensttuern" in den oberen Bereich des Leitberufs des angelernten Arbeiters zum einen die Verweisbarkeit auf ganz einfache Tätigkeiten ausscheidet, zum anderen dann aber auch mindestens eine in Betracht kommende Verweisungstätigkeit konkret bezeichnet werden muß. Das LSG hat dies nicht berücksichtigt, allerdings im Hinblick auf die damals noch fehlende einschlägige Rechtsprechung auch nicht zu berücksichtigen brauchen. Dies wird nunmehr nachzuholen und zu prüfen sein, ob der Kläger - etwa im Hinblick auf die abgelegte Prüfung für den einfachen Postdienst - im Zusammenhang mit den in seinem Tätigkeitsfeld gestellten Anforderungen in den oberen Bereich der "Anlerntätigkeiten" einzuordnen ist. Bejahendenfalls müßte eine Tätigkeit konkret benannt werden, wofür es weder genügt, bloße Arbeitsverrichtungen oder Arbeitsgänge zu bezeichnen, noch kann es ausreichen, mit einem pauschalierenden Begriff zu operieren, ohne daß ausgesagt wird, welche konkrete Berufstätigkeit im Arbeitsleben gemeint ist. In diesem Zusammenhang empfiehlt sich die Kennzeichnung einer tariflich erfaßten Tätigkeit, weil dann nachvollzogen werden kann, welche berufsspezifischen, qualitätsbestimmenden Anforderungen verlangt werden. Diese noch erforderlichen Ermittlungen und Feststellungen darf das Revisionsgericht nicht selbst treffen; sie müssen deshalb von der Berufungsinstanz nachgeholt werden. Demgemäß war die Sache an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

In der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung wird auch über die außergerichtlichen Kosten zu befinden sein.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662353

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