Entscheidungsstichwort (Thema)
Revisibilität von Berliner Landesrecht
Orientierungssatz
Das Berliner Gesetz über die Arbeitslosenfürsorge von 1949-12-09 ist als Landesrecht nicht nach SGG § 162 Abs 2 revisibel (vgl BSG 1956-05-11 7 RAr 101/55 = SozR Nr 23c zu § 162 SGG).
Normenkette
SGG § 162 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 22.09.1954) |
SG Berlin (Entscheidung vom 29.07.1954) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 22. September 1954 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Gebühr für die Berufstätigkeit des Rechtsanwalts C. in Berlin vor dem Bundessozialgericht wird auf 120,- DM festgesetzt.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte bezog seit dem 9. Dezember 1952 in Berlin Arbeitslosenfürsorgeunterstützung (Alfu). Am 13. Mai 1953 zeigte er dem zuständigen Arbeitsamt an, daß seine Mutter, mit der er nach seinen Angaben im gemeinsamen Haushalt lebte, ab 1. Juli 1952 zu einer PRV-Rente von DM 165,- noch eine Rente von monatlich DM 59,80 von der Landesversicherungsanstalt Berlin erhielt. Das Facharbeitsamt III Berlin setzte daraufhin durch Verfügung vom 29. Mai 1953 rückwirkend ab 13. September 1952 die Arbeitslosenfürsorge neu fest und entzog diese ab 2. Juli 1953 teilweise. Außerdem wurde die Erstattung der in der Zeit vom 13. September 1952 bis 8. Mai 1953 überzahlten Unterstützungsbeträge in Höhe von DM 302,90 angeordnet. Nachdem der Kläger unter dem 29. Mai 1953 angezeigt hatte, daß er nicht mehr im gemeinsamen Haushalt mit seiner Mutter wohne, wurde durch Verfügung vom 2. Juni 1953 die Unterstützungshöhe abgeändert.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 8. Juni 1953 Einspruch ein, der durch Entscheidung des Spruchausschusses des Arbeitsamts vom 28. August 1953 zurückgewiesen wurde.
Dagegen wandte sich der Kläger mit Berufung vom 13. September 1953 an die Spruchkammer für Arbeitslosenversicherung beim Sozialversicherungsamt Berlin, die als Klage auf das Sozialgericht Berlin überging. Er machte geltend, er habe die Unterstützung rechtmäßig bezogen; seine Mutter und er hätten getrennte Haushaltführung gehabt, wenn er auch bei ihr gewohnt habe.
Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage.
Das Sozialgericht Berlin hob durch Urteil vom 29. Juli 1954 die Verfügung des Arbeitsamtes vom 2. Juni 1953 und die Entscheidung des Spruchausschusses vom 28. August 1953 auf. Die Berufung wurde zugelassen.
Gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin legte die Beklagte Berufung ein, die sie damit begründete, daß die Rente von dem Tage an zu rechnen sei, an dem der Betroffene von ihrer Gewährung Kenntnis erlangt habe. Dem Charakter der Arbeitslosenfürsorge entsprechend seien nachträgliche Einkommensänderungen sowohl bei dem Arbeitslosen als auch bei den zum Unterhalt verpflichteten Angehörigen zu berücksichtigen.
Der Kläger beantragte, die Berufung zurückzuweisen. Er führe mit seiner Mutter keinen gemeinsamen Haushalt, außerdem könne eine PRV-Rente nicht angerechnet werden.
Das Landessozialgericht Berlin hat durch Urteil vom 22. September 1954 die Berufung der Beklagten mit der Begründung zurückgewiesen, daß Einkommen, das nachträglich für zurückliegende Zeiträume einem Familienangehörigen zufließe, nicht nach § 7 Abs. 1 Buchst. b des Berliner Alfu-Gesetzes angerechnet werden könne.
Die Revision wurde vom Landessozialgericht zugelassen.
Gegen dieses der Beklagten am 14. Oktober 1954 zugestellte Urteil legte sie mit Schriftsatz vom 10. November 1954 - beim Bundessozialgericht eingegangen am 11. November 1954 - Revision ein mit dem Antrag,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 29. Juli 1954 und des Urteils des Landessozialgerichts Berlin vom 22. September 1954 den Kläger mit seiner Klage abzuweisen.
Mit Schriftsatz vom 10. Dezember 1954 - eingegangen am 13. Dezember 1954 - begründet die Beklagte die Revision damit, daß die Entscheidung Verstöße gegen § 1 Abs. 2 sowie §§ 3 und 7 Abs. 1 b des Berliner Gesetzes über die Arbeitslosenfürsorge sowie gegen die Erste Durchführungsbestimmung zu § 7 des Berliner Gesetzes über Arbeitslosenfürsorge enthalte. Sie rügt zugleich Verletzung des § 177 AVAVG in Verbindung mit § 1 Abs. 3 des Berliner Alfu-Gesetzes sowie der §§ 1601 ff., 1613 BGB und des Artikels 3 des Grundgesetzes. Der Vorderrichter habe verkannt, daß die Vorschriften des Berliner Alfu-Gesetzes gegenüber den Unterhaltsbestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches leges speciales seien.
Die Klägerin bestreitet das Vorliegen von Rechtsverletzungen und bezieht sich auf das angefochtene Urteil. Sie beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Für die Darstellung des Tatbestandes wird im übrigen auf den Bescheid des Facharbeitsamtes III Berlin, den Einspruchsbescheid sowie die Urteile des Sozialgerichts Berlin und des Landessozialgerichts Berlin Bezug genommen.
Wegen des Vorbringens der Parteien im einzelnen wird auf die Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet und daher zulässig (§ 169 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet.
Soweit die Beklagte rügt, das Landessozialgericht habe die Bestimmungen des Berliner Gesetzes über die Arbeitslosenfürsorge unrichtig ausgelegt und dabei verkannt, daß dieses Gesetz als lex specialis dem Unterhaltsrecht des BGB vorgehe, muß festgestellt werden, daß sich der Geltungsbereich dieser Vorschriften nicht über den Bezirk des Landessozialgerichts Berlin hinaus erstreckt, so daß die Revision nach § 162 Abs. 2 SGG auf die Bestimmungen des Berliner Gesetzes nicht gestützt werden kann. Es wird insoweit auf die Ausführungen in dem Urteil des erkennenden Senats vom 11. Mai 1956 in der Sache Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung gegen Schmidt - Az. 7 RAr 101/55 - Bezug genommen. Danach haben die gesetzgebenden Körperschaften des Landes Berlin das Gesetz über die Arbeitslosenfürsorge vom 9. April 1949 (VOBl. I S. 480) als Landesrecht erlassen. Die Vorschriften des Berliner Gesetzes sind jedoch nicht inhaltsgleich mit dem Recht wenigstens eines anderen Landessozialgerichtsbezirks, so daß sie nach § 162 Abs. 2 SGG nicht revisibel sind. Die Revision kann daher weder auf die materiellen Vorschriften des Berliner Gesetzes über die Arbeitslosenfürsorge selbst noch auf die hierzu ergangenen Durchführungsbestimmungen gestützt werden. Auch eine Nachprüfung der Anwendung des § 177 AVAVG ist ausgeschlossen, weil diese Norm nur auf Grund des § 1 Abs. 3 des Berliner Alfu-Gesetzes für den Bereich der Arbeitslosenfürsorge Geltung besitzt.
Die Revision ist daher unbegründet; sie war nach § 170 Abs. 1 Satz 1 SGG zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Festsetzung der Gebühr für die Berufstätigkeit des Rechtsanwalts des Klägers (Revisionsbeklagten) folgt aus § 196 SGG.
Fundstellen