Leitsatz (amtlich)
Ist ein Versicherter arbeitsunfähig krank geworden und hat er auf Grund dieser Krankheit eine Erwerbsunfähigkeitsrente erstritten, die später in das Altersruhegeld umgewandelt wurde, ohne daß er zuvor wieder erwerbsfähig geworden war, so ist seine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit nicht unterbrochen, sondern mit deren Eintritt, spätestens aber mit dem Eintritt der dauernden Erwerbsunfähigkeit beendet worden.
Normenkette
RVO § 1259 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1965-06-09
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 12. Oktober 1967 und das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 1. Februar 1967 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beteiligten streiten über die Anrechnung einer Ausfallzeit bei der Festsetzung des Altersruhegeldes des Klägers.
Der im Januar 1901 geborene Kläger hatte zuletzt bis Ende Januar 1963 als Dreher versicherungspflichtig gearbeitet. Vom 1. Februar 1963 an bezog er bis zu seiner Aussteuerung am 22. März 1964 wegen einer Emphysembronchitis und einiger anderer Leiden Krankengeld. Zunächst hatte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 8. März 1963 vom 1. Januar 1963 an eine Rente wegen Berufsunfähigkeit gewährt. Nachdem der Kläger diesen Bescheid angefochten hatte, wurde die Beklagte durch rechtskräftig gewordenes Urteil des Sozialgerichts (SG) Hamburg vom 1. April 1964 zur Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente vom 1. Januar 1963 an verurteilt.
Durch Bescheid vom 4. August 1966 wandelte die Beklagte die Erwerbsunfähigkeitsrente mit Wirkung vom 1. Januar 1966 an nach § 1254 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in das Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres (§ 1248 Abs. 1 RVO) um. Die Zeit vom 1. Februar 1963 bis 31. Dezember 1965 rechnete sie dabei nicht als Ausfallzeit an. Der Kläger begehrt die Berücksichtigung dieser Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit als Ausfallzeit nach § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO, weil trotz des Bezuges der Erwerbsunfähigkeitsrente die Möglichkeit zur Wiederaufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung bestanden habe. Das SG hat die Beklagte verurteilt, in Abänderung ihres Bescheides vom 4. August 1966 die streitige Zeit als Ausfallzeit bei der Berechnung des Altersruhegeldes anzurechnen und dem Kläger hierüber einen neuen Bescheid zu erteilen. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Beklagten ist vom Landessozialgericht (LSG) - unter Zulassung der Revision - zurückgewiesen worden (Urteil vom 12. Oktober 1967). Nach der Auffassung des LSG setzt die Unterbrechung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung im Sinne von § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO nicht voraus, daß später eine solche Beschäftigung wieder aufgenommen worden ist; es genüge die Möglichkeit, sie später wieder fortzusetzen. Die Erwerbsunfähigkeit des Klägers stehe dem nicht entgegen. Es könne insoweit auch nicht unterschieden werden zwischen Versicherungsfällen der Erwerbsunfähigkeit und der Berufsunfähigkeit.
Die Beklagte hat form- und fristgerecht Revision eingelegt mit dem Antrag,
die vorinstanzlichen Urteile aufzuheben und die Klage abzuweisen;
hilfsweise hat sie beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Sie rügt die unrichtige Anwendung von § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO. Nach ihrer Meinung besteht für den Versicherten nach dem Eintritt des Versicherungsfalles der Erwerbsunfähigkeit praktisch keine Möglichkeit mehr, noch zu arbeiten. Eine rein theoretische und in der Regel nicht realisierbare Aussicht auf eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit könne keine Ausfallzeit im Sinne von § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO begründen.
Der Kläger hat beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Er vertritt die Auffassung, das Bundessozialgericht (BSG) habe bereits entschieden, daß Zeiten krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit, die sich mit Zeiten von Berufsunfähigkeit und deswegen bezogener Rente decken, Ausfallzeiten für die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit sein könnten (BSG 25, 16). Entsprechendes müsse für Krankheitszeiten während des Bezuges einer Erwerbsunfähigkeitsrente gelten, wenn es sich um die Berechnung des Altersruhegeldes handle.
Die Revision ist zulässig und begründet. Die streitige Zeit, während der der Kläger arbeitsunfähig krank war und eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezogen hat, kann nicht als Ausfallzeit berücksichtigt werden.
Der Kläger hat am 23. Januar 1966 sein 65. Lebensjahr vollendet; da er nichts anderes bestimmt hat (§ 1248 Abs. 7 RVO), ist dieser Tag für die Erfüllung der Voraussetzungen zur Gewährung des Altersruhegeldes nach § 1248 Abs. 1 RVO maßgebend. Anzuwenden ist daher § 1254 Abs. 2 RVO in der am 1. Januar 1966 in Kraft getretenen Fassung des Rentenversicherungsänderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 (Art. 1 § 1 Nr. 18; Art. 5 § 10 Abs. 1 d). Demzufolge war - wie auch geschehen - die bisher vom Kläger bezogene Rente wegen Erwerbsunfähigkeit von der Beklagten von Amts wegen in das Altersruhegeld umzuwandeln; für die Berechnung war § 1254 Abs. 2 Satz 2 RVO i. V. m. § 1253 Abs. 2 Satz 4 RVO zu beachten. Hiernach sind - ebenso wie bei der Umwandlung einer Berufsunfähigkeitsrente in eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit - auch bei der Umwandlung einer Erwerbsunfähigkeitsrente in das Altersruhegeld Versicherungs- und Ausfallzeiten, die nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit zurückgelegt wurden, soweit sie nicht während einer angerechneten Zurechnungszeit zurückgelegt sind, zusätzlich zu berücksichtigen.
Im vorliegenden Fall geht es um die Frage, ob die Zeit der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Klägers, die der Umwandlung seiner Erwerbsunfähigkeitsrente in das Altersruhegeld unmittelbar vorausging, überhaupt als Ausfallzeit anzusehen ist; insoweit maßgebend ist § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO. Auch diese Bestimmung ist in der Fassung des RVÄndG anzuwenden; denn obwohl die fragliche Zeit vor dem 1. Juni 1965 liegt, ist doch der Versicherungsfall erst nach diesem Zeitpunkt eingetreten.
Die Anrechnung von Ausfallzeiten im Sinne des § 1259 Abs. 1 RVO soll - ähnlich wie die Berücksichtigung von Ersatzzeiten und Zurechnungszeiten - dem Versicherten einen angemessenen Ausgleich für unverschuldeten Beitragsausfall gewähren und ihn damit vor den Nachteilen bewahren, die er sonst in der Rentenversicherung dadurch erleiden würde, daß er durch von ihm nicht zu vertretende Umstände für bestimmte Zeiten vom Erwerbsleben ausgeschlossen war. Voraussetzung ist aber bei den in § 1259 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 RVO aufgeführten Tatbeständen, daß eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit durch bestimmte Ereignisse, wie z. B. eine länger dauernde auf Krankheit oder Unfall beruhende Arbeitsunfähigkeit "unterbrochen" worden ist (1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO). Ob eine solche Unterbrechung vorliegt, läßt sich nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles beurteilen.
Im allgemeinen wird von Unterbrechung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit dann gesprochen werden können, wenn diese sowohl vor als auch nach einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ausgeübt worden ist. Auch wird - wie der erkennende Senat im Zusammenhang mit einer mehrjährigen Arbeitslosigkeit bereits entschieden hat - jedenfalls bei einer Unterbrechung durch Arbeitslosigkeit (§ 1259 Abs. 1 Nr. 3 RVO) nicht zu verlangen sein, daß sich an diese wiederum eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit angeschlossen hat, daß diese Ausfallzeit also von versicherungspflichtigen Beschäftigungen oder Tätigkeiten "umrahmt" ist (BSG 16, 120). Der Senat hat jedoch in diesem Urteil keinen Zweifel daran gelassen, daß sich jenes Ergebnis vorwiegend daraus herleitet, daß Arbeitslosigkeit schon begrifflich einen vorübergehenden Zustand kennzeichnet (§ 75 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung - AVAVG -). Arbeitslos ist nur, wer u. a. ernstlich bereit und imstande ist, eine Beschäftigung zu den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarkts auszuüben. Solange der Arbeitslose diese Voraussetzungen erfüllt, ist er auch noch nicht endgültig aus dem Kreis derjenigen ausgeschieden, die einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nachzugehen pflegen (BSG aaO 123). Anders dagegen verhält es sich beim Kläger, der auf Grund seiner die Arbeitsunfähigkeit bedingenden Krankheit eine Erwerbsunfähigkeitsrente erstritten und diese bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahres bezogen hat. Wenn in einem solchen Falle die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit später in das Altersruhegeld umgewandelt wird, ohne daß der Rentenempfänger vorher wieder erwerbsfähig geworden war, so ist seine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit nicht unterbrochen, sondern mit deren Eintritt, spätestens aber mit dem Eintritt der dauernden Erwerbsunfähigkeit beendet worden.
Die bisherige Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG 25, 16 sowie Urteil des 4. Senats vom 23. August 1966 = Die Rentenvers. 1967, 20) steht dem nicht entgegen. Dort handelte es sich nämlich um Empfänger von Renten wegen Berufsunfähigkeit. Bei diesen aber geht der Gesetzgeber von der Vorstellung aus, daß sie noch versicherungspflichtig tätig sein können und sollen, deswegen wird ihre Rente auch nur mit einem Steigerungssatz von 1 v. H. berechnet.
Dagegen, daß im vorliegenden Falle die Zeit der Arbeitsunfähigkeit des Klägers keine Ausfallzeit im Sinne des § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO ist, läßt sich auch nicht einwenden, daß dann der Hinweis auf § 1253 Abs. 2 Sätze 3 bis 5 in § 1254 Abs. 2 Satz 2 RVO keinen Sinn mehr hätte. Denn die für den vorliegenden Fall gezogenen Folgerungen schließen nicht aus, daß Zeiten der Arbeitsunfähigkeit während des Bezugs einer Erwerbsunfähigkeitsrente dann Ausfallzeiten sind, wenn z. B. die Erwerbsunfähigkeit vor dem Versicherungsfall des Alters wieder weggefallen ist, wie bei einer Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit (§ 1276 RVO) oder auch bei einem nicht voraussehbaren Wiedereintritt der Erwerbsfähigkeit; insoweit wären dann auch die Voraussetzungen für die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung wieder gegeben. Andere Ausfallzeiten setzen überhaupt keine Unterbrechung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung voraus, so die in § 1259 Abs. 1 Nr. 4 und 5 RVO erwähnten Ausfallzeiten. Wenn aber, wie hier, die Zeit der Arbeitsunfähigkeit mit einer im Rentenverfahren festgestellten Erwerbsunfähigkeit zusammenfällt und diese bis zum Versicherungsfall des Alters (oder des Todes) ununterbrochen andauert, dann ist der Bezug der Erwerbsunfähigkeitsrente ein Indiz dafür, daß die versicherungspflichtige Beschäftigung durch die Arbeitsunfähigkeit nicht nur unterbrochen, sondern beendet worden ist. Ein Anhaltspunkt dafür, daß der Kläger vor der Umwandlung seiner Rente in das Altersruhegeld nur noch berufsunfähig gewesen wäre, liegt nicht vor. Die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit kann somit keine Ausfallzeit sein.
Der Revision der Beklagten ist unter diesen Umständen ein Erfolg nicht zu versagen. Demzufolge müssen die vorinstanzlichen Urteile aufgehoben und die Klage abgewiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen