Entscheidungsstichwort (Thema)
Ruhen von Arbeitslosengeld bei Krankengeldzahlung. Entziehung von Arbeitslosengeld bei Erkrankung. Wiederaufleben des Arbeitslosengeldanspruchs nach Ende der Erkrankung. Antragserfordernis. Meldepflicht. Mitteilungspflicht
Leitsatz (redaktionell)
1. Beim Zusammentreffen von Krankengeld und Arbeitslosengeld tritt ein Ruhen des Arbeitslosengeldes ein. Hieraus ergibt sich, daß nach dem Wegfall des Ruhenstatbestandes der Anspruch in vollem Umfang wieder auflebt. Der Sachverhalt wäre nur dann anders zu beurteilen, wenn das Arbeitsamt den Anspruch nach AFG § 151 Abs 1 entzogen hat.
2. Ein Ablehnungsbescheid kann nachträglich nicht in einen Entziehungsbescheid umgedeutet werden; insoweit ist das Nachschieben von Entziehungsgründen ausgeschlossen.
Orientierungssatz
Zur Frage, ob dem Kläger das Arbeitslosengeld im Anschluß an eine Zeit des Krankengeldbezuges auch ohne erneuten Antrag weiterzuzahlen ist.
Normenkette
AVAVG § 77; AFG § 151 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25, Abs. 2 Fassung: 1969-06-25, § 103 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25, § 132 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25, § 148 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25; SGG § 77 Fassung: 1953-09-03; AFG § 118 Nr. 2 Fassung: 1969-06-25
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 7. Dezember 1972, das Urteil des Sozialgerichts München vom 23. September 1970 und der Bescheid vom 3. April 1970 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 1970 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld auch für die Zeit vom 9. Februar 1970 bis 17. März 1970 zu zahlen.
Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger das Arbeitslosengeld im Anschluß an eine Zeit des Krankengeldbezuges auch ohne erneute Antragsstellung weiterzuzahlen ist.
Der Kläger (geboren 1934) ist von Beruf Fliesenleger. Im Januar 1970 wurde er arbeitslos. Die Beklagte bewilligte ihm Arbeitslosengeld für 78 Wochentage ab 20. Januar 1970. Am 27. Januar 1970 wurde der Kläger arbeitsunfähig krank und bezog Krankengeld. Hiervon erhielt das Arbeitsamt am 5. Februar 1970 durch die Allgemeine Ortskrankenkasse P Kenntnis. Die Leistungen wurden daraufhin eingestellt. Die Beklagte hat behauptet, daß dem Kläger ein Entziehungsbescheid mit Datum vom 13. Februar 1970 übersandt worden sei. Der Kläger hat jedoch bestritten, einen solchen Bescheid erhalten zu haben.
Vom 8. Februar 1970 an war der Kläger wieder arbeitsfähig. Bei dem Arbeitsamt meldete er sich erst wieder am 18. März 1970 mit der Bitte um Fortzahlung des Arbeitslosengeldes. Dem Antrag wurde für die Zeit ab 18. März 1970 entsprochen. Leistungen für die Zeit zwischen Ende der Krankengeldzahlung und der erneuten Antragstellung wurden jedoch abgelehnt (Bescheid vom 3. April 1970, Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 1970). Die Bescheide sind darauf gestützt, daß der Kläger erst ab Antragstellung Arbeitslosengeld erhalten könne, weil es ihm zuvor durch Bescheid vom 13. Februar 1970 entzogen worden sei (§ 151 Abs. 2 des Arbeitsförderungsgesetzes - AFG -).
Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts - SG - München vom 23. September 1970, Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts - LSG - vom 7. Dezember 1972). Das LSG ist davon ausgegangen, daß der Bescheid über die Bewilligung des Arbeitslosengeldes nicht aufgehoben worden sei, weil dem Kläger der Zugang des Entziehungsbescheides vom 13. Februar 1970 nicht nachzuweisen sei. Das Arbeitslosengeld sei deshalb nach Beendigung der Krankheit, also ab 8. Februar 1970, solange weiterzuzahlen gewesen, als die Bewilligung nicht aufgehoben worden sei. Eine solche Aufhebung liege erst in dem angefochtenen Bescheid vom 3. April 1970. Diese Aufhebung erstrecke sich auf die Zeit ab 8. Februar 1970. Sie sei rechtmäßig. Zu den Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld gehöre u. a. auch, daß der Arbeitslose verfügbar sei (§ 103 Abs. 1 Satz 1 AFG). Hieran fehle es. Aus der Tatsache, daß der Kläger den Arbeitsamt nahezu 6 Wochen lang verschwiegen habe, daß er wieder arbeitsfähig sei, könne geschlossen werden, daß er während dieser Zeit nicht bereit gewesen sei, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen und auszuüben.
Mit der - zugelassenen - Revision rügt der Kläger, der Bescheid vom 13. Februar 1970, mit dem das Arbeitslosengeld entzogen worden sei, sei inhaltlich unklar. Die Beklagte habe ferner nicht geprüft, ob der Kläger auch krank im Sinne des § 103 AFG gewesen sei. Schließlich rügt der Kläger, das LSG habe nicht die Frage geprüft, ob er den Bescheid vom 13. Februar 1970 überhaupt erhalten habe.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 7. Dezember 1972, das Urteil des Sozialgerichts München vom 23. September 1970 sowie den Bescheid der Beklagten vom 3. April 1970 und den Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 1970 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm auch für die Zeit vom 9. Februar 1970 bis 17. März 1970 Arbeitslosengeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie bezieht sich im wesentlichen auf das angefochtene Urteil. Darüber hinaus weist sie darauf hin, daß der Kläger ihrer Auffassung nach auch nach § 148 Abs. 1 AFG verpflichtet gewesen sei, das Ende seiner Erkrankung dem Arbeitsamt anzuzeigen.
Beide Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entschieden wird (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist durch Zulassung statthaft und in der rechten Form und Frist eingelegt worden. Sie ist auch begründet.
Der angefochtene Bescheid vom 3. April 1970 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 1970 ist rechtsfehlerhaft und deshalb aufzuheben. Er kann nicht - wie das LSG meint - durch Umdeutung in einen Entziehungsbescheid aufrechterhalten werden.
Der angefochtene Bescheid ist darauf gestützt, daß die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 13. Februar 1970 das Arbeitslosengeld entzogen habe und folglich nach § 151 Abs. 2 AFG Leistungen erst wieder nach erneuter Antragstellung gewährt werden konnten. Dieser Begründung ist durch die Feststellung des LSG, daß eine Entziehung wegen der Erkrankung nicht nachzuweisen sei, der Boden entzogen worden. Das LSG hat aus seinen Feststellungen die rechtlich zutreffende Folgerung gezogen, daß es für die Weiterzahlung des bereits mit Bescheid vom 29. Januar 1970 bewilligten Arbeitslosengeldes nach Ablauf der Krankengeldzahlung keines erneuten Antrages bedurfte. Dies hat auch der Senat bereits entschieden (BSGE 21, 286). Beim Zusammentreffen von Krankengeld und Arbeitslosengeld tritt nach § 77 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung - AVAVG - (gemäß § 242 Abs. 34 AFG noch bis 30. Juni 1970 in Kraft und deshalb auf diesen Fall anzuwenden) ein Ruhen des Arbeitslosengeldanspruchs ein. Das bedeutet, daß lediglich die Zahlung vorübergehend ausgesetzt wird, das Stammrecht aber nicht betroffen ist. Hieraus ergibt sich, daß der Anspruch nach Wegfall des Ruhenstatbestandes in vollem Umfang und ohne weiteres wieder auflebt (vgl. dazu auch BSG vom 13. Oktober 1959 - 11/10 RV 141/57 -). Dies ist dann anders, wenn die Beklagte von der ihr gegebenenfalls zustehenden Möglichkeit Gebrauch macht, den Anspruch auf Arbeitslosengeld zu entziehen (§ 151 Abs. 1 AFG). Macht die Beklagte von ihrem Recht, den Anspruch zu entziehen, keinen Gebrauch, so bleibt der Anspruch bestehen.
Der somit fehlerhafte Bescheid der Beklagten vom 3. April 1970 könnte nur dann Bestand haben, wenn er durch das Nachschieben anderer Gründe gerechtfertigt werden könnte. Das ist jedoch nicht der Fall. Das Nachschieben von Gründen ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nur zulässig, wenn der Verwaltungsakt dadurch in seinem Wesen nicht verändert wird und die Rechtsverteidigung des Betroffenen nicht beeinträchtigt wird (vgl. BSGE 3, 216; 7, 261; 9, 235; 10, 211; 11, 239; 13 237; 14, 47; 15, 21; 16, 255; 17, 83; 29, 132; 29, 221).
Das heißt anders ausgedrückt, daß ein Nachschieben zulässig ist, wenn der Verwaltungsakt nach Voraussetzungen, Inhalt und Wirkung kein wesentlich anderer wird (BSGE 13, 237; 15, 21). Diese Annahme ist nur dann gerechtfertigt, wenn für dieselbe Aussage lediglich verschiedene Gründe angeführt werden und diese Gründe auch für die Rechtsstellung des Klägers keine unterschiedliche Bedeutung haben (BSGE 14, 47).
Diese Grundsätze schließen es aus, den ablehnenden Bescheid vom 3. April 1970 in einen Entziehungsbescheid umzudeuten. Ein ablehnender Bescheid, wie der vom 3. April 1970 und ein Entziehungsbescheid unterscheiden sich wesentlich in ihrer formellen Bedeutung. Der ablehnende Bescheid stellt lediglich fest, daß ein Anspruch nicht besteht. Der Entziehungsbescheid verändert demgegenüber die Rechtsstellung des Klägers, indem er einen bereits bindend gewordenen Verwaltungsakt aufhebt. Wie oben schon dargelegt wurde, entfällt ein bindend festgestellter Anspruch auf Arbeitslosengeld nach § 151 Abs. 1 AFG nicht von selbst bei Wegfall einer Leistungsvoraussetzung; es bedarf hierzu stets zusätzlich einer Entscheidung der Verwaltung, die den Bewilligungsbescheid aufhebt. Eine solche Entscheidung setzt einen auf Aufhebung gerichteten Willen und einen entsprechenden Ausspruch voraus. Da der angefochtene Bescheid aber in seinem Tenor die Leistung lediglich versagt, müßte eine Umdeutung des Tenors erwogen werden. Diese ließe sich aber wiederum nur rechtfertigen, wenn aus den Gründen oder sonstigen Umständen der Wille der Verwaltung zur Aufhebung des Bewilligungsbescheides erkennbar wäre.
Aus dem Bescheid vom 3. April 1970, der ausspricht, daß ein Anspruch wegen eines vorangegangenen Entziehungsbescheides nicht bestehe, ist ein solcher Wille aber nicht abzulesen, weil gerade davon ausgegangen wird, daß es einer Entziehung nicht bedürfe, weil für die streitige Zeit ein neuer Antrag erforderlich sei.
Diesem formellen Unterschied entspricht hier auch eine wesentliche inhaltliche Verschiedenheit. Die Ablehnung beruht auf anderen rechtlichen Voraussetzungen als die Entziehung. Für den angefochtenen Bescheid war Rechtsgrundlage § 151 Abs. 2 AFG. Tatbestandlich ist für die Erfüllung dieser Vorschrift nur bedeutsam, ob die Leistung vorher entzogen worden ist. Die Beklagte hatte also lediglich zu prüfen, ob ein Entziehungsbescheid vorlag - was sie behauptete -, nicht jedoch die einzelnen materiellen Voraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld für die streitige Zeit nach dem Ende der Erkrankung. Ein Entziehungsbescheid müßte sich hingegen auf § 151 Abs. 1 AFG stützen. In diesem Rahmen wäre zu prüfen gewesen, ob eine der materiellen Voraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld weggefallen ist, und zwar nicht für die Zeit des Krankengeldbezuges, auf den sich der im Rahmen des § 151 Abs. 2 AFG bedeutsame (angebliche) Entziehungsbescheid vom 13. Februar 1970 bezog, sondern für den streitigen Zeitraum nach dem Ende der Erkrankung.
Durch diese nach Form und Inhalt gleichermaßen bestehende Verschiedenheit zwischen dem angefochtenen Ablehnungsbescheid und einem Entziehungsbescheid wird das Nachschieben von Entziehungsgründen im vorliegenden Fall ausgeschlossen.
Letztlich besteht für eine Umdeutung des ablehnenden Bescheides in einen Entziehungsbescheid auch keine praktische Notwendigkeit. Die Beklagte hatte es in der Hand, vorsorglich das Arbeitslosengeld für die Zeit vom 9. Februar 1970 bis 17. März 1970 erneut zu entziehen, als der Kläger bestritt, den Bescheid vom 13. Februar 1970 erhalten zu haben.
Für die Prüfung der einzelnen materiellen Voraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld für die Zeit vom 9. Februar 1970 bis 17. März 1970 besteht danach keine Veranlassung mehr, weil der Bewilligungsbescheid vom 29. Januar 1970 die Rechtsgrundlage für die Zahlung von Arbeitslosengeld bildet, solange und soweit die Leistungen nicht entzogen worden sind. Es sei jedoch darauf hingewiesen, daß der Anspruch für die streitige Zeit nicht ohne weiteres wegen Versäumung der Meldepflicht entzogen werden konnte. Denn nach § 132 AFG bestand für den Kläger keine Pflicht, sich nach dem Ende der Erkrankung zu melden. Auch § 148 AFG ist hier nicht anwendbar.
Die Entscheidung der Vorinstanzen und die Bescheide der Beklagten sind deshalb aufzuheben. Die Beklagte ist zu verurteilen, dem Kläger Arbeitslosengeld für die Zeit vom 9. Februar 1970 bis 17. März 1970 zu zahlen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen